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TENSIDE, OUR MIRAGE, LONELY SPRING: Backstage Werk, München, 07.08.2021

So richtig in Fahrt gekommen ist der Sommer 2021 wettertechnisch ja noch nicht. Vielleicht laden TENSIDE auch deshalb ins Backstage, um an einem verregneten Samstagabend mit Abstand und Hygienekonzept dem Münchner Publikum auf andere Weise einzuheizen. Wer braucht schon Sonnenschein, wenn es Metal gibt?

Manchmal muss man improvisieren. An Hygienekonzepte und Abstandskonzerte haben wir uns mittlerweile fast sogar gewöhnt und auch, dass im Backstage in letzter Zeit so manche Show wetterbedingt von der Open Air Arena Süd ins altbewährte Werk verlegt wird, ist für uns keine vollkommen unerwartete Situation mehr. Wir nehmen es also relativ gelassen, dass wir an diesem Wochenende aufgrund von Bauarbeiten auf der Münchner S-Bahn-Stammstrecke für die Anfahrt aufs Auto umsteigen müssen. Ein Parkplatz ist schnell gefunden, der Regen hat idealerweise eine kurze Pause eingelegt und wenig später wandern wir bereits über das familiäre Backstage-Areal.

Die Rahmenbedingungen haben sich seit unserem letzten Besuch Anfang Juli nicht verändert: Im Werk sollen aufgestellte Biertisch-Garnituren für die nötigen Abstände sorgen, abseits des Platzes herrscht die in Bayern übliche FFP2-Maskenpflicht, Getränke sowie Verpflegung gibt es während der Pandemie nur im Außenbereich, dürfen aber mit in die Halle gebracht werden. Wie viele der anderen Besucher nutzen wir die Zeit bis zum Konzertbeginn für eine kleine Stärkung – einer der wenigen wirklichen Vorteile des Sitzplatzes. Allzu lange warten müssen wir derweil ohnehin nicht: Das Backstage ist bekannt für seine Pünktlichkeit und macht diesbezüglich auch heute Abend keine Ausnahme.

LONELY SPRING

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Ziemlich genau um acht betreten dann die vier Musiker von LONELY SPRING die Bühne, auf der bereits ein auffallend rotes Schlagzeug aufgebaut ist: Ein geschwungenes Herz ziert die Bass-Drum, ansonsten betreiben die Niederbayern aber keinerlei Effekthascherei, sondern lassen ihre Musik sprechen. Und die füllt das Backstage Werk schnell mit positiven Vibes, auch weil das Quartett mit viel Freude bei der Sache ist: Gitarrist Manuel bleibt während des 30-minütigen Sets nicht eine Sekunde auf der gleichen Stelle, während Bassist Simon, der gleichzeitig für die Zweitstimme zuständig ist, der Spaß förmlich ins Gesicht geschrieben ist.

Der locker-treibende Rock, der mit Pop Punk und Emo-Anleihen angereichert ist, wirkt schnell ansteckend, weshalb LONELY SPRING die Münchner schon beim zweiten Track „For The Sake Of Your Heart“ zum Mitmachen animieren können. Das ist keine Selbstverständlichkeit, da „die Avril Lavigne des Hardcore“, wie Sänger und Gitarrist Julian mit gesunder Selbstironie feststellt, an diesem Abend musikalisch doch etwas aus der Reihe zu tanzen scheinen. Dem mittlerweile ausverkauften Backstage scheint das allerdings einerlei: Hier überwiegt die Freude an der Live-Musik, egal ob „Drug“ oder „Oh K“ etwas stärker mit poppigen Versatzstücken hantieren oder im abschließenden „Who Am I“ die rockigere Seite hervorgekehrt wird. Dass der Sound während des Sets nicht zu einhundert Prozent mitspielen will und den Gesang hier und da etwas überfrachtet, ist daher auch nur eine Randnotiz wert, die von lautstarken Zugabe-Rufen aus dem Publikum ohnehin übertüncht wird.

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LONELY SPRING Setlist

1. Strangers
2. For The Sake Of Your Heart
3. Drug
4. Oh K
5. Runaway
6. Satellite
7. Who Am I

Fotogalerie: LONELY SPRING

OUR MIRAGE

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Fast scheint es sogar, als würden OUR MIRAGE dieses Energielevel direkt für sich nutzen wollen, denn lange müssen wir nicht warten, bis der Umbau abgeschlossen und die Lichter im Werk erneut erloschen sind. Eine gute Viertelstunde dauert es nur, bis das Quartett mit „Rivers“ in ihr rund 45-minütiges Set startet, das uns schnell einer Sache bewusst macht: Es hat durchaus seine Berechtigung, dass die Formation vor rund drei Jahren bei Arising Empire untergekommen ist. Denn Zusammenspiel und Auftreten der Musiker ist schnell vereinnahmend, obwohl der Post Hardcore von OUR MIRAGE eher auf der melancholisch-melodischen Seite des Genres anzusiedeln ist.

Zu verdanken ist das auch Frontmann Timo Bonner, der ohne große Gesten, aber mit viel Ausstrahlung durch das Set führt und selbst einen kurzen Aussetzer der Technik mit Humor überbrückt. Dass der Sound nun etwas transparenter, wenngleich nicht perfekt, aus den Boxen schallt, trägt neben dem eingängigen Songmaterial sicherlich sein Übriges dazu bei, die gute Stimmung aufrechtzuerhalten. So erhält Bonner nicht nur beim Refrain der Single „Different Eyes“ Unterstützung vom Münchner Publikum, auch dem Wunsch, sich bei „December“ so viel zu bewegen wie man könne, kommt die bayerische Landeshauptstadt gerne nach: Da während der Show ein Sitzgebot gilt, muss bei einer besonders engagierten Gruppe im mittleren Arenabereich eben die komplette Sitzbank nach vorne und hinten rutschen, während sich die übrige Halle damit begnügt, eifrig im Takt zu klatschen. Zum Ende darf für „Nightfall“ schließlich noch das Feuerzeug bzw. die Smartphone-Lampe gezückt werden, bevor OUR MIRAGE nach einem erstaunlich routinierten und gelungenen Set die Bühne für den Headliner des Abends räumen.

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OUR MIRAGE Setlist

1. Rivers
2. Falling
3. Believe
4. Unseen
5. The Unknown
6. December
7. Remedy
8. Different Eyes
9. Nightfall

Fotogalerie: OUR MIRAGE

TENSIDE

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Für diesen stehen die Zeichen zu diesem Zeitpunkt ohnehin auf ‚Selbstläufer‘: ausverkauftes Haus, Bombenstimmung und dann auch noch Heimspiel. TENSIDE lassen dennoch nichts anbrennen und offenbaren um kurz nach Zehn eine durchaus opulente Lichtshow, als „The Shades Of Night“ direkt das Gaspedal Richtung Bodenblech drückt. Verwunderlich ist dieser superbe Auftakt nicht, schließlich ist die Mischung aus Groove Metal, Thrash und einer gesunden Ladung Metalcore live ohnehin eine sichere Bank, vor allem wenn man mit so viel Engagement die Bretter zum Beben bringt wie TENSIDE in diesen ersten zehn Minuten.

Sänger Daniel Kuhlemann wirbelt zu Beginn regelrecht über die Bühne, während er sich zu „As Above So Below“ und dann dem Melodeath-Brecher „Iron Will & Golden Heart“ die Seele aus dem Leib schreit. Erst beim groovenden „Eternal Contempt“ greift der Frontmann selbst zur Gitarre, ohne es sich dabei nehmen zu lassen, das Publikum mit deutlicher Gestik zum Mitsingen aufzufordern. Insbesondere die vorderen Reihen lassen sich da nicht zweimal bitten: Für so manchen Fan ist es sowieso sichtlich schwer, sich auf den Sitzen zu halten – dass „Cannibals“ im Anschluss unverhohlen nach einem Circle Pit bettelt, macht diese Zwickmühle nicht besser.

TENSIDE halten den Energiepegel am Anschlag

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Zugegeben, der Sound ist gerade zu Beginn des Auftritts nicht immer optimal, auch weil nicht jedes Detail durch das mächtige Rhythmusfundament hindurchdringt. Doch die Freude trübt das nur unwesentlich, solange TENSIDE mit Drive und Spielfreude den Energiepegel am Anschlag halten. Und genau das scheint für die vier Münchner wie die leichteste Übung, egal ob sie uns mit dem mächtigen „The Faceless“ niederwalzen oder sich „Only The Brave“ als packender Live-Hit entpuppt.

Spätestens beim Klassiker „Reborn“ mit seinem peitschenden Auftakt entlädt sich die aufgestaute Energie mancher Besucher dann in einem zaghaften Circle Pit um die Biertischgarnitur. Das mag aufgrund der gebotenen Sitzpflicht aus der Distanz ein wenig an „Reise nach Jerusalem“ erinnern, das Sicherheitspersonal des Backstage lässt die sporadischen Ausreißer aber großzügig gewähren.

Im Zugabenblock können sich viele Fans nicht mehr auf den Sitzen halten

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Eine knappe Stunde ist bereits vergangen, als sich TENSIDE mit dem groovenden „Written In Blood“ zum ersten Mal vom Münchner Publikum verabschieden. Es ist freilich nur ein taktischer Rückzug vor dem ohnehin geplanten Zugabenblock, bei dem es jedoch kurz darauf zum kleinen Eklat kommen soll. Angestachelt durch die ersten Klänge des beliebten Live-Hits „This Is What We Die For“ stürmt eine Handvoll Fans direkt vor die Bühne. Spätestens hier rächt sich auch der Laissez-faire-Ansatz des teilnahmslos zusehenden Sicherheitspersonals: Immer mehr Besucher gehen direkt auf Tuchfühlung, bis ein ausgelassen feiernder Mob vor der Bühne auf und ab springt.

Es ist natürlich in erster Linie ein Ausdruck reiner Lebensfreude und ein Stück Normalität, nach dem sich so viele der Anwesenden augenscheinlich gesehnt haben. Und genau diese Momente voller Adrenalin sind es ja eigentlich, die eine Metal-Show so unvergesslich machen. Daher wollen wir es der sichtlich überwältigten Band auch nicht verübeln, dass sie erst auf Einschreiten des Veranstalters die Leute wieder zurück auf ihre Plätze bittet, um einem vorzeitigen Konzertabbruch zu entgehen.

TENSIDE finden den passenden Schlussakkord

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Für die letzten zwei Songs im Set muss es allerdings wieder gesittet zugehen, wobei das abschließende „Faith Over Fears“ mit nach oben gereckten Fäusten und stimmlicher Unterstützung der Münchner Anhänger gemeinsam gemeistert wird. Auf diese Weise finden TENSIDE den passenden Schlussakkord für ein turbulentes Set, das nur kurzzeitig fast zu entgleisen drohte. Aber nicht etwa, weil sich das Quartett musikalisch verzettelt hätte, sondern weil es die angereisten Fans gegen Ende regelrecht vom Stuhl gefegt hat – eigentlich ja das beste Feedback, das man als Künstler auf einem Abstandskonzert bekommen kann.

TENSIDE Setlist

1. The Shades Of Night
2. As Above So Below
3. Iron Will & Golden Heart
4. Eternal Contempt
5. Cannibals
6. Along With The Gods
7. The Faceless
8. Reborn
9. The Devil Within
10. Voyage Of The Damned
11. Written in Blood
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12. This Is What We Die For
13. At The Top Of The Tide
14. Faith Over Fears

Fotogalerie: TENSIDE

Alle Fotos: Tatjana Braun für vampster.com

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