Reicht ein neuer Song, um auf Headline-Tour zu gehen? Die Antwort kennen wir bereits im Vorfeld, denn eine Abendkasse wird es in München heute nicht mehr geben. Dass das Backstage Werk an seine Fassungsgrenze kommen würde, dürfte Szene-Kennern derweil nur ein bestätigendes Nicken entlocken, war doch schon beim letzten Gastspiel der französischen Metalcore-Durchstarter LANDMVRKS die Bude voll. Als Kopf eines wirklich fabelhaften Billings, das neben GUILT TRIP mit LIKE MOTHS TO FLAMES sowie THE DEVIL WEARS PRADA sogar zwei erlesene Gäste aus Übersee umfasst, kann sich das Quintett folglich entspannt zurücklegen: Mehr Pflichttermin geht für Genre-Freunde an diesem Dienstagabend kaum.
GUILT TRIP
Wohl auch deshalb lässt es die bayerische Landeshauptstadt keineswegs langsam angehen: Der zunächst erstaunlich leere Innenraum des Werks füllt sich im Eiltempo, als pünktlich um sieben erstmal die härteren Bandagen aufgezogen werden. Denn GUILT TRIP fallen musikalisch mit ihrem metallischen Hardcore ein wenig aus dem Rahmen: Thrash-Anleihen, wie sie teilweise auch HATEBREED pflegen, durchziehen Stücke à la „Sweet Dreams“ oder das selbstbetitelte „Guilt Trip“.
Das Ganze untermauern die Briten mit einem mächtig drückenden Groove, so dass im Münchner Pit binnen Sekunden die Gliedmaßen durch die Luft rauschen. Ehrensache ist das allein deshalb schon, weil Frontmann Jay Valentine – heute sogar bauchfrei – auf der Bühne ebenfalls nicht zurückhält. Es sei schließlich eine verdammte Hardcore-Show; für den Shouter Grund genug, selbst ein wenig Genre-Akrobatik zu betreiben.
GUILT TRIP sorgen dafür, dass schon frühabends alles gegeben wird
Anfangs zurückhaltende Zuschauer:innen gewinnen GUILT TRIP so jedenfalls schnell für sich, weshalb auch der gewünschte Circle Pit in „Eyes Wide Shut“ einen stattlichen Durchmesser erreicht. Zwischen 2Step, Violent Dancing und den obligatorischen Spinkicks freut sich der Anheizer über das gewünschte Resultat und die Erkenntnis, dass im Backstage heute wirklich alles gegeben wird. Als Dank verbringt Sänger Jay den letzten Song auf Augenhöhe mit seinen Fans, wo er sich an der Absperrung im Fotograben für das knackige „Thin Ice“ stimmliche Unterstützung einholt.
Fotogalerie: GUILT TRIP
LIKE MOTHS TO FLAMES
Frontmann Chris Roetter muss seine britischen Kollegen wohl verschlafen haben, ansonsten hätte er die Münchner:innen wohl kaum mit derart markigen Worten begrüßt. „Wake the fuck up!“ könnte man in der Halle durchaus als Affront verstehen, so turbulent wie es bislang zuging. Vielleicht will der Shouter aber nur die bestmöglichen Erinnerungen seines „ersten Gastspiels“ in der bayerischen Millionenstadt mitnehmen. Tatsächlich scheint es bisweilen so, als würde Roetter die gute Stimmung regelrecht erzwingen wollen, während er sich zwischen den Stücken um Kopf und Kragen redet.
Zumindest können sich LIKE MOTHS TO FLAMES glücklich schätzen, dass die Menge den unablässigen Befehlston sportlich nimmt. Gesprungen wird schon zum Anfangsdoppel „Angels Weep“ und „Habitual Decline“, bevor Circle Pit und Wall of Death die obligatorische Metalcore-Aerobic komplett machen. Warum das Quartett – der Bass kommt wie so oft vom Band – aber durch endlose und dabei nichtssagende Ansagen sein Set selbst immer wieder ausbremst, ist allein schon wegen der knapp bemessenen Spielzeit nur schwer nachzuvollziehen.
LIKE MOTHS TO FLAMES-Drummer Roman Garcia ist kaum zu bremsen
Wenigstens im Zentrum zeigt man sich gnädig: Vollen Körpereinsatz gibt es von Anfang bis Ende, selbst wenn LIKE MOTHS TO FLAMES heute irgendwie neben der Spur laufen. Vor allem der Klargesang Zach Pishneys ist in dieser halben Stunde mehr als wackelig und wird dem Songmaterial in keiner Weise gerecht. Ein leicht enttäuschendes Städte-Debüt also, das mit Drummer Roman Garcias belebender Performance aber wenigstens ein echtes Highlight zählt.
LIKE MOTHS TO FLAMES Setlist – ca. 30 Min.
1. Angels Weep
2. Habitual Decline
3. Kintsugi
4. The Anatomy Of Evil
5. The Preservation Of Hate
6. I Solemnly Swear
7. Bury Your Pain
Fotogalerie: LIKE MOTHS TO FLAMES
THE DEVIL WEARS PRADA
Bald zwei Dekaden Bandgeschichte haben THE DEVIL WEARS PRADA schon geschrieben – ein Erfahrungsschatz, welcher den US-Amerikanern deutlich anzumerken ist. Das beginnt beim stimmigen Spoken-Word-Intro im Stile BRING ME THE HORIZONs und endet mit der Soundproduktion, die mittels geschickt platzierter Snare-Bombs eine massive Klangkulisse ins Backstage zaubert.
Wie viel eine Performance darüber hinaus durch live gespielte Instrumente hinzugewinnen kann, zeigt uns Keyboarder Jonathan Gering, der die Pianoklänge im eindringlichen „Outnumbered“ höchstselbst übernimmt und auch sonst für stimmige Soundscapes sorgt. Damit reißen uns THE DEVIL WEARS PRADA quasi aus dem Stand mit, während sie das größtenteils aktuelle Material mit dem einen oder anderen Klassiker ergänzen.
THE DEVIL WEARS PRADA lassen die Bühne des Backstage klitzeklein aussehen
Abwechslung vom Pit bieten das rockige „Salt“, wo Shouter Mike Hranica sogar selbst zur Gitarre greift, oder das melancholische „Broken“, wo die ersten Crowdsurfer über den Wellenbrecher gereicht werden. Klingt der Klargesang Jeremy DePoysters in den ersten Minuten noch ein kleines bisschen heiser, erlangt der Gitarrist aber schon bald darauf erst seine Form und dann die Abenteuerlust zurück: Während des schleppenden „Hallucinate“ verabschiedet sich der Musiker kurzerhand von den Brettern, um sich spielenderweise bis zum Mischpult durchzuschlagen, wo er in der verdutzt dreinblickenden Menge die finalen Akkorde anschlägt.
Eine Dreiviertelstunde lang wechseln THE DEVIL WEARS PRADA zwischen gefühlvoll sowie unerbittlich und lassen die Bühne des Werks dabei klitzeklein aussehen. So viel Bewegung und Gewusel erlebt die Halle dort nicht jeden Tag, so dass sich die Münchner:innen schlussendlich fast schon verpflichtet fühlen, die letzten Sekunden der Single „Sacrifice“ mit einer mehr als stattlichen Wall of Death zu veredeln.
THE DEVIL WEARS PRADA Setlist – ca. 45 Min.
1. Watchtower
2. Danger: Wildman
3. Salt
4. Broken
5. Ritual
6. Reasons
7. Hallucinate
8. Outnumbered
9. Chemical
10. Sacrifice
Fotogalerie: THE DEVIL WEARS PRADA
LANDMVRKS
Hätte man soeben schon irrtümlicherweise die Hauptattraktion vermuten können, wird es um kurz vor Zehn in den vorderen Reihen nochmal ein ganzes Stück kuschliger. Auf der Bühne geht es derweil ungleich geräumiger zu: Im Rücken des Drumsets bilden zwei LED-Screens das stilisierte V, welches wiederum durch zwei bunte Leuchtelemente in Motten-Form eingerahmt wird. Die restlichen Meter der Fläche beanspruchen LANDMVRKS komplett für sich – nutzen werden die fünf Musiker davon erfahrungsgemäß jeden Zentimeter.
Dennoch runzeln wir zunächst erstmal die Stirn, als Sänger Flo zum Auftakt seine Sprechgesangskünste zur Schau stellt. Dass die neue Single „Creature“ aber wider Erwarten doch ein clever gewählter Opener ist, offenbart sich uns mit dem fließenden Übergang ins Aggressive, als im Backstage mit einem Schlag der Wahnsinn Einzug erhält. Eigentlich ist es schon ab diesem Moment ein regelrechter Siegeszug, den die Franzosen hier auskosten dürfen.
Pausen gönnen uns LANDMVRKS einzig durch die vielseitige Songauswahl
Bei gutem Sound und mit einem gesanglich fantastischen Frontmann an der Spitze treiben LANDMVRKS nicht nur die Temperaturen an den Rand des Erträglichen, auch im Publikum überschlagen sich auf einmal die Ereignisse. Die stilistische Vielseitigkeit der Band spiegelt sich auch dort, wo in den eingängigen und melodiebetonten „Blistering“ oder „Scars“ noch in Scharen gesprungen wird, sich der Innenbereich der Arena aber in „Death“ zu einem einzigen gewaltigen Pit wandelt. Das Backstage im Ausnahmezustand? Für uns keine Seltenheit und dennoch müssen wir sehr lange überlegen, ob wir im Zentrum schon einmal diese Ausmaße bewundern durften.
Die Taktung bleibt dabei straff, die nötigen Pausen verschaffen uns LANDMVRKS weniger durch Geplänkel zwischen den Stücken, sondern durch die Songauswahl, wo etwa der ruhige Auftakt von „Visage“ mit Drumpad und Rap-Einlage wahlweise zum Durchatmen oder Crowdsurfen einlädt, bevor ein Singalong à la „Tired Of It All“ eben genau selbiges herausfordert. Mit Erfolg: Stimmlich ist das Backstage heute absolute auf der Höhe, textsicher sowieso.
In weniger als einer Stunde bringen LANDMVRKS das Publikum an seine Grenzen
Dass es neben den zahlreichen Hits mit „Hollow“ einen kurzen Verweis auf die Anfangstage ins Set geschafft hat, ist derweil genauso erfreulich wie das neu hinzuaddierte „Suffocate“, dessen erste Hälfte Sänger Flo nur mit der Gitarre in der Hand im Alleingang darbietet. Das Song-Doppel markiert eine geschickt platzierte Zäsur vor dem Schlusssprint, der uns mit „Rainfall“, „Lost In A Wave“ und „Self-Made Black Hole“ noch einmal alle verbliebenen Energiereserven abverlangt.
Nicht einmal eine Stunde dauert diese Headline-Vorstellung und doch sind wir zum Ende hin fix und fertig – eine Kombination aus maximaler Intensität gepaart mit einem Hallenklima, für das so manche Wellness-Oase Sauna-Aufschlag kassieren würde. Nicht zuletzt deshalb sind wir ob der eigentlich dürftigen Spielzeit heute gnädig, zumal die Chemie zwischen Band und Fangemeinde darunter kein bisschen zu leiden scheint: Shouter Flo reicht auch mal den ankommenden Crowdsurfern die Hand, bevor sich der Frontmann für das Finale selbst in den Graben wagt, um punktuell das Mikro an die euphorischen Fans weiterzureichen. Letztlich müssen wir unsere eingangs gestellte Frage somit neu fassen: Wenn bereits ein neuer Song ausreicht, um das eigene Publikum derart zur Ekstase zu bringen, wie groß müssten wohl künftig die Hallen werden, um einer Band wie LANDMVRKS Herr zu werden, wenn sie ein komplettes neues Album im Schlepptau hat? Die Antwort dürfte wohl nicht mehr in allzu ferner Zukunft liegen.
LANDMVRKS Setlist – ca. 55 Min.
1. Creature
2. Death
3. Blistering
4. Say No Word
5. Visage
6. Tired Of It All
7. Scars
8. Suffocate
9. Hollow
10. Rainfall
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11. Lost In A Wave
12. Self-Made Black Hole
Fotogalerie: LANDMVRKS
Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)