Dark Tranquillity live in München 2025

DARK TRANQUILLITY, SOEN, EQUILIBRIUM, IOTUNN: Konzertbericht – Backstage Werk, München – 26.09.2025

Das ULTIMA RATIO FEST setzt im Jahr 2025 auf bunte Stilvielfalt. So richtig zusammenpassen will das Line-up auf den ersten Blick nicht, qualitativ hochwertig ist es dafür in jedem Fall. Von IOTUNN über EQUILIBRIUM und SOEN bis hin zu DARK TRANQUILLITY reicht das Spektrum: Für uns quasi ein Muss, allein schon, weil der Headliner die Jubiläen zweier seiner besten Alben feiern will.

Die Mischung macht’s, heißt es im Volksmund. Ein Gedanke, der wohl auch für das diesjährige ULTIMA RATIO FEST richtungsweisend war. Denn stilistisch könnten die vier Bands des diejährigen Line-ups kaum weiter auseinanderliegen: Vom Melodeath des Headliners DARK TRANQUILLITY über den Prog / Alternative Metal der Landsmänner SOEN bis hin zu folkigen Anleihen mit Metalcore-Klangfarben bei EQUILIBRIUM reicht das Spektrum. Und da haben wir noch gar nicht die monumentalen Songwelten IOTUNNs hinzugerechnet, welche die Konzertabende eröffnen.

Dass mit dem Ziel, verschiedene Fangemeinden zu aktivieren, auch ein gewisses Risiko einhergeht, bekommt das Tourpaket allerdings in München zu spüren: Wenige Wochen vor der Show wechselt nicht nur der örtliche Veranstalter, sondern auch die Spielstätte. Von der TonHalle geht’s runter ins etwas kleinere, aber dafür umso sympathischere Backstage Werk, das die beiden Hauptacts des Abends sonst eigentlich im Alleingang füllen.

Mutmaßliche Gründe für die Verlegung lassen sich wohl mehrere finden: von der Dauerpräsenz DARK TRANQUILLITYs in den letzten Jahren bis hin zum mehr als stolzen Eintrittspreis von rund 60,-€, sofern man genretechnisch eher eingleisig unterwegs ist. Kurzum, nicht der erschwinglichste Abend also, doch dafür ein musikalisch durchaus hochkarätiger, welchen der Headliner zudem mit einem besonderen Jubiläumsset krönen will.


IOTUNN

Iotunn live in München 2025

Bis dahin erwartet die Münchner:innen jedoch eine vielfältige Entdeckungsreise, deren Schauwerte schon beim Anheizer kaum noch aufzuzählen sind. Groß angelegt setzen die ausladenden Kompositionen der Skandinavier auf viel Atmosphäre, ohne den metallischen Kern zu vernachlässigen. Warme Bassläufe gehören genauso zum Repertoire wie drückendes Riffing, massive Gitarrenwände oder elegante Leadgitarren.

Darüber thront der erhabene wie volle Klargesang, der durch harsche Vocals einen entsprechenden Gegenpol findet. Das gelingt heute Abend durchaus gut, obwohl IOTUNN ohne ihren Ausnahmesänger Jón Aldará (HAMFERÐ, BARREN EARTH) anreisen mussten. Ersatzmann Morten Bering Bryld (HEIDRA) kann dessen einzigartiges Organ zwar nicht komplett vergessen machen, schlägt sich jedoch überaus beachtlich.

IOTUNN bringen ihre Stücke authentisch und mit viel Gefühl auf die Bühne

Iotunn live in München 2025

Die starke gesangliche Leistung flankiert der Däne darüber hinaus mit etwas trockenem Humor: „Ich habe niemals gedacht, während eines Konzerts, ein Fußballspiel schauen zu können.“, schmunzelt er mit Blick auf die der Bühne gegenüberliegende Freiluftübertragung des Freitagsspiels der 1. Bundesliga.

Trotz FC-Bayern-Gala gilt die Aufmerksamkeit der bayerischen Landeshauptstadt in diesen Augenblicken aber voll und ganz den fünf Musikern von IOTUNN, die in einer halben Stunde zwar nur drei Songs aufführen können, diese allerdings durchaus authentisch und mit viel Gefühl auf die Bühne bringen. Die stimmungsvolle Lichtuntermalung trägt ihr Übriges dazu bei, dass spätestens beim mächtigen „The Tower Of Cosmic Nihility“ nicht nur die lockigen Mähnen auf den Brettern durch die Luft wirbeln. Zwar verzaubern uns IOTUNN heute nicht ganz so sehr wie vor zwei Jahren noch auf dem SUMMER BREEZE, über ein baldiges Wiedersehen hätten wir dennoch rein gar nichts einzuwenden.

IOTUNN – ca. 30 Min.

1. Mistland
2. Kinship Elegiac
3. The Tower Of Cosmic Nihility

Fotogalerie: IOTUNN


EQUILIBRIUM

Equilibrium live in München 2025

Das Bühnenbild könnte glatt aus einem Magazin für (skurrile) Innenarchitektur stammen. Braunfarbene Raumtrenner bilden links und rechts des Schlagzeugs die Kulisse, während diverse Requisiten nebst den aufgestellten Trommeln für einen Hauch Ethno-Flair sorgen sollen. Genutzt werden die Percussion-Instrumente sodann für das Intro, das unmittelbar in einen erprobten Live-Klassiker überleitet.

„Born To Be Epic“ balanciert mit seinen eingängigen Synthesizern den schmalen Grat zwischen aggressiv-schwungvoll und partytauglich. Derweil transportiert die Energie des Stücks niemand besser als Shouter Fabian Getto, dessen moderne, mit dem Metalcore flirtende Stimmfarbe im EQUILIBRIUM-Kosmos nicht unumstritten sein mag, der Formation live dafür neues Leben eingehaucht hat.

EQUILIBRIUM legen sich ins Zeug, finden den Draht zum Publikum aber nicht sofort

Equilibrium live in München 2025

Nicht nur wirbelt Getto auch heute wieder ununterbrochen über die Bretter, auch lässt sich der Enthusiasmus des motivierten Sängers einzig und allein mit gelebter Spielfreude erklären. Dass die Gruppe bei ihrem Heimspiel dennoch mit kleineren Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen hat, liegt somit sicherlich nicht an fehlender Leidenschaft für die Sache.

Vielmehr scheint hier die stilistische Kluft zwischen der Band und den Hörvorlieben des Publikums ausschlaggebend: Zu „Renegades“ springen wollen die Besucher:innen nur vereinzelt, während selbst der Klassiker „Blut im Auge“ ohne die gewünschte Wall of Death auskommen muss. Dafür bildet sich hier an der Seite der Arena immerhin ein kleiner Moshpit, der im Backstage ein verstecktes Faible für das frühe Material EQUILIBRIUMs nahelegt.

Zum Abschluss servieren EQUILIBRIUM gar einen unveröffentlichten Song

Equilibrium live in München 2025

Dass sich das Set dennoch auf den jüngsten Output der Band konzentriert, macht es der Band nicht gerade einfacher. Zwar wirken „Shelter“ oder die neue Single „Bloodwood“ trotz zahlreicher Backing Tracks live durchaus belebend, aber statt des unveröffentlichten „Nexus“ zum Abschluss hätte ein zweiter Evergreen im Set möglicherweise geholfen, das Eis im Backstage doch noch zu brechen.

EQUILIBRIUM Setlist – ca. 35 Min.

1. Born To Be Epic
2. Renegades
3. Bloodwood
4. Blut im Auge
5. Cerulean Skies
6. Shelter
7. Nexus

Fotogalerie: EQUILIBRIUM


SOEN

Soen live in München 2025

Ein wenig Pathos schwingt natürlich immer mit, wenn SOEN dieser Tage die Bühne betreten. Die schwarzen Flaggen am Drumkit sprechen eine ähnliche symbolische Sprache wie der dunkle Turm, welcher das Backdrop ziert. Dazu Dylan Thomas‘ Gedicht „Do Not Go Gentle Into That Good Night” als bedeutungsschwangere Einleitung und man bekommt einen ungefähren Eindruck der Botschaft, für welche die Schweden in jüngerer Vergangenheit noch sichtbarer als zuvor eintreten.

Als Sprachrohr für die breite, oft ungehörte Masse fühlen sich SOEN ähnlich wohl wie heute Abend im Münchner Rampenlicht. Irgendwo zwischen Eleganz und Abgebrühtheit balanciert Sänger Joel Ekelöf sein Stageacting, während Kollege Cody Lee Ford an der Gitarre das Grinsen fast ins Gesicht gemeißelt scheint. Die Sonnenbrille Ekelöfs verschwindet derweil fast so schnell wie die Berührungsängste der Anhängerschaft: Augenscheinlich steht das Quintett heute vor einer ganzen Reihe eingefleischter Fans, die sich im starken „Antagonist“ aus vollen Kehlen zu Wort melden und auch im – fast schon plakativ für die Live-Darbietung geschriebenen – „Unbreakable“ den Background-Chor mimen.

SOEN sind live nach wie vor ein vereinnahmendes Erlebnis

Soen live in München 2025

Wie groß seitens der Besucher:innen die Schnittmenge mit dem Headliner nun sein mag, ist letztendlich aber nebensächlich. Was zählt, ist das Hier und Jetzt, welches SOEN mit einer beeindruckenden Performance füllen. Das mag vor „Memorial“ inszenatorisch mit dem visualisierten Herzschlag unter Maschinengewehrfeuer auch mal bedrückend düster sein, besticht ansonsten durch eine fantastische Darbietung aller beteiligter Musiker. Das Fundament, das Drummer Martin Lopez mit vielen Details ausfüllt, nutzt Frontmann Joel Ekelöf für eine völlig vereinnahmende Performance.

Dass hier und da der Teleprompter aushelfen muss? Geschenkt, denn auch wenn der Blick des Sängers ab und an zum Boden wandert, fehlt es nicht an emotionalen Momenten, die Ekelöf in „Modesty“, „Martyrs“ oder dem wunderbaren „Lotus“ ganz nah an den Bühnenrand führt. Wo SOEN musikalisch zuletzt etwas stagnierten, blitzt auf den Brettern aber nach wie vor das Genie der Band hindurch: So kraftvoll wie „Violence“ das Set beschließt, so hartnäckig hätten auch wir am liebsten noch eine Zugabe eingefordert.

SOEN Setlist – ca. 50 Min.

1. Sincere
2. Antagonist
3. Martyrs
4. Unbreakable
5. Modesty
6. Memorial
7. Lotus
8. Violence

Fotogalerie: SOEN


DARK TRANQUILLITY

Dark Tranquillity live in München 2025

Nach einer solchen Demonstration muss es selbst für den Hauptact eine leicht unangenehme Situation sein: Wie will man so eine Vorstellung toppen? Sogar wir sind während des Changeovers etwas skeptisch, eben weil wir DARK TRANQUILLITY allein in den letzten 15 Monaten gleich dreimal live erlebt haben. Sind wir – trotz Quasi-Lieblingsbandstatus – möglicherweise etwas übersättigt? Mitnichten, denn als die Göteborger eine halbe Stunde später auf die Bühne stürmen, ist jede Skepsis in Windeseile verflogen.

Warum? Die Antwort finden wir in Teilen in der Songauswahl, die heute etwas vom üblichen Set der Melodic-Death-Metal-Veteranen abweicht. Das 30-jährige Jubiläum des Meilenstein-Albums „The Gallery“ (1995) zelebriert die Formation ähnlich ausgiebig wie die zwei Dekaden, die „Character“ (2005) mittlerweile auf dem Buckel hat. Jeweils fünf Songs in eigens dafür vorgesehenen Blöcken versprechen DARK TRANQUILLITY, die mit „Punish My Heaven“ umgehend ein Ausrufezeichen setzen.

Selbst die althergebrachten Stücke spielt Gitarrist Johan Reinholdz mit überbordender Leidenschaft

Dark Tranquillity live in München 2025

Der Track hat in den letzten drei Jahrzehnten nichts von seinem Drive verloren. Im Gegenteil, mit dem 2020 fest zur Band hinzugestoßenen Gitarristen Johan Reinholdz bedient noch dazu ein Mann die Leadgitarre, der nicht nur jede Note in seine DNA aufgesogen zu haben scheint, sondern der selbst das althergebrachte Material seiner Band mit jeder Faser seines Körpers zu leben scheint. Die saubere und lebhafte Performance des Musikers überträgt sich schnell auf das Publikum, zu dem er immer wieder Kontakt sucht. Tatsächlich formiert sich schon früh ein erster Moshpit, der von „Edenspring“ bis zum Showfinale keinerlei Müdigkeitserscheinungen zeigen soll.

Erwähnenswert ist das allein deshalb schon, weil die Müncher:innen DARK TRANQUILLITY die eigene Verbundenheit in der Vergangenheit eher anderweitig signalisiert hatten. Dass also der Pit 80 Minuten nonstop die gestufte Arena aufmischt, spricht für das klassische Material der Schweden, die heute tatsächlich ungleich aggressiver zu Werke gehen als zuletzt. Natürlich dürfen wir zwischendurch ein wenig zu Atem kommen, wenn das getragene „Lethe“ mit Martin Brändströms melancholischen Pianoklängen ein wenig Schwermut ins Backstage Werk trägt.

DARK TRANQUILLITY wirken heute spritzig und lebhaft wie lange nicht mehr

Dark Tranquillity live in München 2025

Hier ist zudem Shouter Mikael Stannes aufrichtige Leidenschaft besonders deutlich zu spüren: Die alten Stücke nochmals auf die Bühne zu bringen, ist für das Urgestein keine lästige Pflicht, sondern eine große Ehre, wie sich der beherzten und emotional aufgeladenen Performance ablesen lässt. Die Resonanz auf einen Song wie das bis zu dieser Tour nie live aufgeführte „The Emptiness From Which I Fed“ – im Übrigen einer der Lieblingssongs des Sängers, wie wir erfahren -, folgt im Gegenzug so überschwänglich, wie es sich gebührt.

Den Elan des vorherigen „The Gallery“-Blocks setzt “The New Build” nach einem kurzen Interlude nahtlos fort. Der Sound im Backstage ist durchaus laut, aber differenziert, weshalb die treibenden Riffs der „Character“-Ära trotz clever gesetzter Haken ihre Wirkung nicht verfehlen. Dass DARK TRANQUILLITY auf den Albumhit „Lost To Apathy“ nicht verzichten würden, war freilich abzusehen, mit „One Thought“ und dem ergreifenden „My Negation“ finden heut allerdings auch echte Raritäten den Weg ins Set. Der positive Nebeneffekt: So frisch und lebendig haben wir die sechs Musiker schon lange nicht mehr erlebt.

Ganz ohne bewährte Live-Hits wollen sich DARK TRANQUILLITY nicht aus München verabschieden

Dark Tranquillity live in München 2025

Dass das Drumherum ohne LED-Tafeln und mit nur wenigen Projektionen eher schlicht gestaltet ist, fällt daher nicht im Geringsten ins Gewicht. So aufgeheizt die Stimmung im Backstage zu diesem Zeitpunkt, so empfänglich sind die Fans infolgedessen für das letzte Drittel der Show, das mit „Not Nothing“ und dem flotten „Unforgivable“ einen kurzen Abstecher in die Gegenwart wagt, sich aber dann vornehmlich aus der umfassenden Hit-Kiste der Band bedient.

Die markanten Synthesizer von „Atoma“ begleiten spontane Jubelschreie, während „Terminus (Where Death Ist Most Alive)“ vor dem obligatorischen „Misery’s Crown“ nochmals an Intensität zulegt. Ehrlicherweise hätten wir nichts dagegen gehabt, hätten DARK TRANQUILLITY dem ewigen Rausschmeißer eine wohlverdiente Live-Pause gegönnt, doch belehrt uns die euphorische Reaktion in der Halle schnell eines Besseren. Ganz ohne Rituale will man in der bayerischen Landeshauptstadt offensichtlich nicht nach Hause gehen; genauso wenig wie ohne eine Zugabe, wie den unüberhörbaren Forderungen zu entnehmen ist.

Auf die – eigentlich verdiente – Zugabe müssen die Fans verzichten

Dark Tranquillity live in München 2025

Dass der dauergrinsende Mikael Stanne beschwichtigend und fast schon peinlich berührt abziehen muss, ohne diesen Wunsch erfüllt zu haben, ist tatsächlich ein wenig enttäuschend. Verdient hätten sich die Fans eine außerplanmäßige Dreingabe allemal. Vielleicht aber nehmen DARK TRANQUILLITY anlässlich der heutigen Begeisterung ihrer Anhängerschaft immerhin den Mut mit nach Hause, auch in Zukunft wieder die eine oder andere Rarität früher Tage zum Besten zu geben. Die Freude am Klassiker-Set war hier an Ort und Stelle jedenfalls keineswegs nur einseitig zu sehen.

Ein wenig überraschendes Fazit sogar, wenn man uns fragt, ist es doch eine Weisheit, der sich schon der Volksmund immer wieder zu bedienen wusste: Die Mischung macht’s – nicht nur im Tour-Line-up des ULTIMA RATIO FESTs, sondern auch im Repertoire einer altgedienten Band wie der göteborgschen Melodeath-Institution.

DARK TRANQUILLITY Setlist – ca. 80 Min.

1. Punish My Heaven
2. Edenspring
3. Lethe
4. The Emptiness From Which I Fed
5. The Dividing Line
6. The New Build
7. One Thought
8. Through Smudged Lenses
9. My Negation
10. Lost To Apathy
11. Not Nothing
12. Atoma
13. Unforgivable
14. Terminus (Where Death Is Most Alive)
15. Misery’s Crown

Fotogalerie: DARK TRANQUILLITY

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)