KNORKATOR: ´Sing mal wie eine kleine Zecke!´

Ich bin sicher NICHT der einzige Vertreter der schreibenden Zunft, der die Band zwar (sehr) mag, dem es aber schwerfällt, seine Begeisterung in Worte zu fassen. Was soll man auch von einer Band, deren erklärtes Ziel es ist, "Scheiße gesellschaftsfähig zu machen", halten?

Wie soll man Knorkator erklären? Im Stile der Bild-Zeitung, die im Februar 2000 (einen Tag nach dem völlig durchgeknallten Auftritt bei der nationalen Vorausscheidung zum Grand Prix) ihre Leser mit der Frage Wer ließ diese Irren ins Fernsehen? konfrontierte? Was soll man zu einer neuen Knorkator-Scheibe schreiben? Ich bin sicher, ich bin NICHT der einzige Vertreter der schreibenden Zunft, der die Band zwar (sehr) mag, dem es aber schwer fällt, seine Begeisterung in Worte zu fassen. Was soll man von einer Band, deren erklärtes Ziel es ist, Scheiße gesellschaftsfähig zu machen, halten? Das Berliner Trio besteht immer noch aus Alf der unumstrittene Boß Ator, Buzz Dee (Rumstehen, Nähen, Brillieren, Sauerkrautsaft & No Jazzguitars) und dem tätowierten Stimmwunder mit Bösetatsch Stumpen (u.a. Rufen, Zappeln, Verletzen), mit dem ich am 04.09.03 03 über das neue und zugleich vierte Album „Ich hasse Musik“ plauderte. Dieses Album ist wie immer zu gleichen Teilen seltsam, einmalig, manchmal extrem anstrengend, gelegentlich harmonisch oder sogar verträumt – und somit ein absolutes Muss nicht nur für Fans, sondern auch für die Leute, die Respektlosigkeit groß schreiben, gerne Grenzen überschreiten und das Wort Hemmschwelle nicht in ihrem Wortschatz führen. Die Band kümmert sich erneut nicht um irgendwelche Genre-Grenzen (wer immer diese auch festlegt…), sondern hat neben einem fiesen Metalbrett wie Schmutzfink auch asiatische Klänge in Form von Mai Kho Djai am Start. Mal klingt der flotte Dreier nach Kirchenchor (Aeger Sum), mal dürfte ihm – dank des balladesken und eher getragenen Schweigeminute – Radio-Airplay und ein Platz auf dem nächsten Kuschelrock-Sampler sicher sein. Die Platte lebt von härtesten Riffs (manche von ihnen bei RAMMSTEIN, LAIBACH oder OOMPH! entliehen), abgedrehten Keyboard-Spielereien und einem Sänger, bei dem man sich die Frage Genie oder Wahnsinn(iger)? lieber verkneifen sollte – denn eine Antwort zu finden dürfte schwer sein. Auch textlich machen es KNORKATOR dem Zuhörer wie immer schwer. Bei einigen Texten schmeiß ich mich weg vor Lachen während andere mir nicht mal ein müdes Lächeln entlocken. Aber das Gute ist wahrscheinlich, dass das jedem Hörer dieser Scheibe so geht. Hier also mein Gespräch mit Sänger Stumpen.

Eure Scheibe ist gut, teilweise sogar besser, überrascht (mich) aber nicht großartig, denn ich bekomme als Fan genau das Album zwischen Genie und Wahnsinn, das ich erwartet und erhofft habe. Gibt es für dich grundlegende Veränderungen?

Ich bin natürlich sehr entzückt und freue mich, dass Du das so siehst und deine Erwartungshaltung erfüllt worden ist. Unterschiede zu nennen fällt mir schwer, denn wir sind zwar etwas älter geworden, aber ja doch die selben Menschen geblieben. Viele Leute, die das Album gehört haben, haben uns eine gewisse Reife und eine „runde Scheibe“ bescheinigt. Ich selbst finde, dass „Ich hasse Musik“ textlich nicht mehr so verfickt und so verschissen ist, was sicherlich auch daran liegt, dass diese Themengebiete bereits von uns abgegrast wurden und wir keine Lust haben, uns zu wiederholen. Alf hat halt keine Lust auf diese Gegenwartstexte, die sich grobschlächtig mit ausgelutschten Themen wie „Regenwald“, „Liebe“, Krieg“ und „Krieg“ beschäftigen. Er ist sehr detailverliebt und beobachtet sehr intensiv die unterschiedlichsten Dinge. Was er sieht und beobachtet, verarbeitet er dann in seinen Texten. Ähnlich wie Albrecht Dürer (Maler, Kupferstecher, Zeichner, Kunstschriftsteller, geb. 21.05. 1471 in Nürnberg, gest. 06.04.1528 in Nürnberg – der Verf.), der ja nicht nur die großen, mächtigen Stillleben, sondern auch mal eine Hand oder einen Stuhl gemalt hat, weil er meinte, dass diese Dinge für unser Leben wichtig sind, die Menschen diesen Dingen aber nur eine geringe Beachtung schenken. Alf schaut auf diese kaum noch wahrgenommenen Dinge und verarbeitet auf kluge und witzige Art und Wiese diese in einer Art „Max-und-Moritz“-Reimkultur. Es gibt natürlich ein paar musikalische Veränderungen, z.B. bei der Herangehensweise bezgl. der Produktion. Wir haben dieses Mal ein Produzententeam hinzugezogen, um eben der Gefahr, sich zu wiederholen, zu entgehen. Wir haben nicht nur das Schlagzeug live eingespielt, sondern auch viel selektiert, gesäubert und weggeschmissen, wobei die Produzenten sehr hilfreich waren.

Fiel es Alf eigentlich schwer, den Produzenten zu vertrauen und seine Songs oder Teile seiner Songs zu säubern, zu selektieren oder wegzuschmeissen?

Nee, das Vertrauen war schon da. Alf hat ja das kompositorische und diktatorische Sagen, ist der Urheber von Text und Arrangement und war anfangs schon etwas schwerer davon zu überzeugen, dass man vielleicht mal einen Außenstehenden hinzuziehen sollte. Wir haben auch nicht irgendeinen Produzenten mit einer ellenlangen Referenzliste genommen, sondern uns für zwei Leute entschieden, die wir schon lange und gut kennen und die mit sehr viel Takt- und Feingefühl mit Alf zusammen gesessen haben, um bei gewissen Dingen auf einen Nenner zu kommen. Es war auf jeden Fall eine harmonische und stimmige Geschichte und Alf als Hauptkomponist hat mit den beiden Herren eine sehr gute Produktion hingelegt.

Obwohl ich ein wirklich großer Fan von AC/DC bin, kann ich vor Eurer „Beating around the Bush“-Version nur den Hut ziehen. Trotzdem muss ich Dir die Frage stellen, wie man auf die Idee kommt, einen AC/DC-Song im Dixieland-Stil zu spielen.

Alf könnte diese Frage sicherlich besser beantworten, denn er wird sich sicherlich etwas dabei gedacht haben. So wie ich ihn kenne hat er, was Coverversionen betrifft, einen ganz bestimmten Geschmack und eine ganz spezielle Herangehensweise. Denn er macht es glücklicherweise nicht so wie die Macher im „Modern Pop“-Bereich, die eine Sequenz samplen und dann einen eigenen schlechten Beat darunterlegen. Er sucht sich einen Titel aus, zerlegt diesen in seine Strukturen, das heißt in die Notenwerte, die Sounds, den Text und die Komposition und fügt diesen Sequenzen neue Farben hinzu. So wird z.B. aus dem harten, knorrigen AC/DC-Bass ein tiefes Waldhorn, wodurch natürlich ein anderes Soundgefüge entsteht. Dann kann es passieren, dass er aus dem Tongeschlecht Dur ein Moll macht. Er nimmt einen Song also auseinander, behandelt ihn aber immer mit Respekt und Würde und verschandelt ihn nicht. Wenn man „Beating around the Bush“ in seine Einzelteile zerlegt, hat man einen Boogie und diesen in einer Geschwindigkeit, die sich für Dixieland sehr gut eignet.

Mir fällt es unheimlich schwer, Knorkator in eine der gängigen Stil-Schubladen zu stecken. Sind KNORKATOR Comedy? Anarchistisch? Eine Parodie? Satire? Musik-Kabarett? Primitiv? Geschmacklos? Ich würde jede Frage mit Ja beantworten! Wo würdest Du die Band einordnen?

Knorkator sind eine Rock- und Popband, die einen hohen Anspruch an sich selbst und ihre Musik hat und in allem, was sie tut, sich die allergrößte Mühe gibt. Wir spielen mal laute, mal leise, aber sehr ursprüngliche Rock- und Popmusik. Die Standards, die viele immer zu finden versuchen, gibt es bei uns halt nicht, denn der Alf geht durch alle möglichen Musikstile, egal ob Techno, Boogie, Blues, Klassik oder Industrial und wurde inspiriert von Bach, Ministry oder auch Laibach. Sicherlich haben wir, natürlich auch aufgrund der dekadenten Shows, bei denen immer sehr viel zu Bruch geht, einen skandalösen Ruf. Natürlich denke ich da auch an den „Grand Prix“-Auftritt, der sich halt dadurch auszeichnete, dass man das, was man aus der Rockmusik schon seit langer Zeit kennt und kannte, das wir das gerade in dieser Schlager-Institution getan haben, wodurch es für einige natürlich zum Skandal wurde. Wir haben eigentlich nur das gemacht, was andere auch machen. Nur eben an anderer Stelle. Ich fand es auf jeden Fall superspaßig und nach der medialen Auswertung konnte man feststellen, dass uns das alles auch etwas gebracht hat. Warum sollte man denn auch nur einen Stil spielen, wenn man der Meinung ist, man könnte diese verschiedenen Stile vermischen. Höre z.B. „Schmutzfink“ vom neuen Album, bei dem es thematisch um pädagogische und erzieherische Maßnahmen geht und stelle dir einen großen Knorkator-Kochtopf vor, in dem ein Buch über „Erziehungswissenschaften“ und eine Pantera-Schallplatte liegt. Rühre beides kräftig um und heraus kommt ein Song wie „Schmutzfink“. Oder hör’ die Aaliyah-Coverversion „Try Again“. Man nehme ne richtig fett groovende System of Down-Scheibe, füge etwas Klassik und eine kräftige Dosis Hip Hop hinzu und herauskommt eine neue Mischung a la Knorkator. Wir haben auch Spaß, unterhalten auch gerne die Leute, sind aber kein Comedy, denn Comedy hat für mich immer diesen „SAT 1 – Wochenshow“-Touch, wo halt mit deutschem, schlechten Humor Leute, die gerade im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, gedisst werden. Wir sind meiner Meinung nach tiefgründiger und tiefsinniger und wenn überhaupt als „Satire“ oder „Parodie“ zu bezeichnen, wobei ich mich auch mit diesen Bezeichnungen nicht wirklich glücklich fühle.

Textlich sehe ich Euch ein bißchen in der Tradition der „Erste Allgemeine Verunsicherung“ (E.A.V.), die vordergründig mit Stücken wie „Märchenprinz“, „Neandertal“, „Jambo“, „Burli“, „An der Copacabana“, „Hip-Hop“ oder „Samurai“ wirklich lustig war. Liest man sich die Texte zu diesen Songs aber durch, merkt man deutlich die Wut und die Kritik an der Gesellschaft, der hier ein riesengroßer Spiegel vors Gesicht gehalten wird…

Ich zolle jedem Respekt, der sich mit ernsten Themen beschäftigt. Aber leider ist es oft so, dass die Leute eher oberflächlich zuhören, und wenn dann ernste Themen wie z.B. „Kindersex-Tourismus“ in ein sehr lustiges Gewand gekleidet werden, kann es schon sehr gefährlich sein, weil viele Leute es vielleicht nicht so verstehen, wie es gemeint ist. Die Tatsache, dass sich nicht eine Band das Publikum, sondern das Publikum die Band aussucht, ist sehr maßgeblich, das heißt, was traue ich meinem Publikum zu bzw. was traut das Publikum der Band zu. Wir wurden sicherlich schon häufiger mit der E.A.V., aber auch mit Bands wie J.B.O. oder Die Kassierer in Verbindung gebracht. Oder sogar mit Rockbitch, weil wir mit Scheisse geworfen haben. Das sind dann so Sachen, wo ich sage „Guck’ mal richtig hin“ oder „Hör’ mal richtig zu“. Alf wird auf jeden Fall so tiefgründig bleiben wie bisher und weiterhin Songs wie „Wie weit ist es bis zum Horizont?“ schreiben. Meines Wissens nach der erste Mathematik-Song ist, in dem diese Schlager-Metapher analytisch betrachtet, berechnet und auf den Punkt gebracht wurde. Unsere Herangehensweise an die Musik ist – denke ich zumindest – eine ganze andere als die von J.B.O. zum Beispiel

Ohne Dir jetzt Honig um Deinen nicht vorhandenen Bart schmieren zu wollen, muss ich sagen, dass ich keinen anderen Sänger aus dem deutschen Rockbereich kenne, der über eine so vielfältige Stimme verfügt. Du kannst zum einen richtig singen und hast zweitens (weil Du eben richtig singen kannst) eine stilistische Bandbreite, die von tiefsten Death Metal-Growls über schwülstiges Blue Oyster Bar-Gesäusel bis hin zu Höhen reicht, die selbst der göttliche Klaus Nomi kaum erreichte. Bekommst Du von Alf vorgeschrieben, auf welche Art du seine Songs singen sollst oder hast Du das einigermaßen freie Hand.

Alf und ich kennen uns jetzt seit über zwanzig Jahren und wir wissen eigentlich alles voneinander. Alf hat auch mal gesagt, dass er ohne mich die Texte nicht schreiben könnte. Er hat meinen Stimmumfang, den ich übrigens als Gabe der Natur bezeichne und nicht trainiert habe, natürlich beobachtet und weiß, dass ich hoch und tief singen kann, was ihm natürlich viele Möglichkeiten gibt. Die Songvorgabe steht, d.h. alles, was in dem Song passiert, entsteht in seinem Kopf. Er komponiert, textet, produziert alles vor, weiß wie die Textzeilen phrasiert sind und wie die Melodien klingen. Ich höre mir diese Vorgaben an und bekomme dann von Alf gesagt „Sing mal wie eine kleine Zecke“ oder „Versuch hier mal, wie ein Zwerg, der in der Ecke sitzt, zu singen“. Also, er beschreibt es richtig und sagt nicht nur „Schrei mal“ oder „Sing mal“, was ich sehr schön finde. Dadurch habe ich nämlich die Freiheit auch viele andere Dinge zu machen, zumal wir eh keine Band sind, die im Proberaum eine Session durchzieht und verschiedene Dinge ausprobiert. Wir proben wirklich nur dann, wenn es an die Liveumsetzung der Stücke geht.

Ihr habt „Der ultimative Mann“ als Single ausgekoppelt. Wird es dazu auch ein Video geben?

Nee, ein Video haben wir nicht, dafür aber in Kooperation mit „Cinestar“ einen kleinen Kino-Trailer gemacht, der für drei Wochen in den „Cinestar“-Kinos im Werbeprogramm läuft. Leider ist Knorkator eine Band, die in den Medien bisher nie so richtig präsent war. Man macht sich also Gedanken, wo man stattfinden kann. Kino war bisher noch nicht da, viele Menschen gehen halt gerne ins Kino und deshalb war es nahe liegend, es mal so zu versuchen. Das soll nicht heißen, dass es nicht auch Ideen für ein Video gibt, das es wahrscheinlich für „Ich hasse Musik“ oder „Der ultimative Mann“ geben würde. Wir sind aber nicht die Typen, die sagen „Wir brauchen auf Teufel komm’ raus ein Video“ und geben einen Haufen Geld aus und laufen dann Gefahr, dass die Musiksender dieses Video nicht spielen. Da ich halt ein schlechter Prognostiker bin und Dinge nicht voraussagen kann, mache ich eine Sache lieber nicht, bevor ich auf ein Pferd setze, das nicht mal ins Ziel kommt. Ich bin da eher bodenständig und mache nur Sachen, die auf jeden Fall funktionieren.

Einer Band wie Knorkator, die kaum oder nur geringe Hemmschwellen kennt, hätte ich eher ein Video zu „Schweigeminute“ zugetraut!

Du musst jetzt nicht versuchen, mich herauszufordern (lacht). Es gibt natürlich schöne Ideen. Wir hätten wirklich sehr gerne eine Single zu „Schweigeminute“ veröffentlicht, die einige Remixe oder auch eine Karaoke-Version dieses Songs enthalten hätte. Leider hat die Plattenfirma abgelehnt!!