Der Durst nach Leben, man kennt es nur zu gut. Wenn eine Band wie SLOW CRUSH dann in der zweiten Jahreshälfte 2025 praktisch nur auf Tour ist und Sängerin Isa Holliday, während sie am Merchtisch steht, noch einen Kinderwagen hutscht, in dem ein Säugling liegt, wird schnell deutlich, dass hier jemand seinen Traum lebt. „Thirst“ handelt von der Lebenslust und davon, sich nicht vom Weg abbringen zu lassen. SLOW CRUSHs Lifestyle darf man also unbedingte Authentizität attestieren. Aber wie geht das eigentlich, dass diese Musik, der so etwas Verträumtes anhaftet, von so determinierten Menschen gespielt wird?
Aus ihrer Basis holen SLOW CRUSH erstaunlich viel Variation heraus: „Thirst“ erkundet ein breites Emotions- und Lautstärkespektrum.
SLOW CRUSH heißen eben nicht per Zufall, wie sie heißen, und nicht SLOWDIVE 2.0. Heaviness steht dem Shoegaze, unter dem die Belgier gelabelt werden, mindestens gleichberechtigt gegenüber. Das mag in seiner Grundausrichtung etwas eingeschränkt sein, seit ihrem Debütalbum „Aurora“ (2018) holen SLOW CRUSH das Maximum aus ihrem Sound heraus und entwickeln sich kontinuierlich weiter. Der vergleichsweise simple, unbedarfte Ansatz des wunderbaren Debütalbums und der konsequente Schritt in Richtung Eigenständigkeit auf dem schroffen wie magischen Zweitwerk „Hush“ (2021) verdeutlichen, dass die Band imstande ist, diesen Stil auszubauen.
Dabei beginnt „Thirst“ mit dem Titelsong für die Verhältnisse der Band eher klassisch: Ein wuchtiger Einstieg ins Album mit schroffen Riffs und einer dichten Soundwand im Kontrast zum schwebenden Gesang. Dass die Gitarren gegen Ende harmonischer werden und ein noisiges Finale den Song beendet, zerstreut die Bedenken, „Thirst“ sei ein Song, der auf Nummer sicher geht. Mit „Cherry“ und „Haven“ gibt es weitere Tracks in diesem Stil zu hören, denen alle etwas Eigenes anhaftet, wie eine eher sphärische Seite, und ein subtiles Lösen von starren Songstrukturen. Mit „Covet“ ist auch der übliche Uptemposong dabei, der aber dank kleinerer Experimente und wildem Saxophonsolo neue Impulse setzt. Auch in „Leap“ ist ein gewaltiger Sprung in Lautstärke hin zu einem Berg aus Riffs und Noise mit großen Gefühlen und sortiert die brachiale Seite der Band gekonnt um. Allgegenwärtig ist eine Emotionalität, die sich nicht so recht einordnen lässt: sanfte Melancholie einerseits durch die entrückte Gesangsperformance von Isa Holliday, aber auch die brachiale Gitarrenwand und das teils sehr beherzte Drumming. In diesem Spannungsfeld liegen Wut und Traurigkeit ebenso wie ein tiefer Frieden.
SLOW CRUSH richten ihr Sounddesign auf die Livesituation aus: „Thirst“ fährt Schärfe und Konturen zurück, ohne an Heaviness einzubüßen, und wirkt wie ein surrealer Traum.
Wo die Reise hingeht, ist indes klar: Verglichen mit „Hush“ und „Aurora“ gleitet auch das Sounddesign immer mehr ins Traumhafte. Statt eine fettere Produktion aufzufahren – und die brachialen Stellen von „Thirst“ sind nichts Anderes als fett – wird mehr Delay auf den Gesamtsound gelegt, auf die Gitarren und den Gesang sowieso. Das nimmt der Musik etwas die Schärfe und die Konturen, aber gerade das lässt SLOW CRUSH so zwingend und auch origineller werden. „Thirst“ bildet viele Klangschichten, zu denen auch die Stimme selbst gehört, die mehr in den Sound eingebettet wurde. Das lässt SLOW CRUSH trotz aller Direktheit oftmals abstrakt und wenig greifbar wirken und sorgt dafür, dass nach kurzer Eingewöhnungszeit vor allem die ruhigeren Songs unter die Haut gehen.
Vor allem in der zweiten Hälfte lullt „Thirst“ seine Rezipienten ein. „While You Dream Vividly“ beginnt mit subtilem Piano, wie von SIGUR RÓS auf „Valtari“ gespielt, und bleibt auch trotz dynamischer Auswüchse wunderbar verhalten und geheimnisvoll. Auch „Bloodmoon“, das eine ähnliche Klaviatur bedient wie HOLY FAWN, baut Spannung auf, und zeigt, wie zart Heaviness sein kann, gerade im Refrain. Das unbeschreiblich schöne Finale „Ógilt“ und „Hlýtt“ balanciert die Kontraste wirklich perfekt aus: Vom atmosphärischen Intro über eine sehr sanfte Strophe hin zu einem epischen, glorreichen Refrain mit höchst emotionaler Klimax und einer Harmonieführung, die ebenso begeistert wie ROLO TOMASSI wenn sie ihrer Melancholie freien Lauf lassen, erschaffen SLOW CRUSH ihr bisher bestes Stück und zeigen eine Isa Holliday, die erstmals auch extreme Vocals einbaut.
SLOW CRUSH zeigen gerade in der zweiten Hälfte, wie zart Heaviness sein kann: „Thirst“ fährt das große Emotionskino auf, ohne an Intensität einzubüßen.
„Thirst“ bietet viel mehr, als es zunächst den Eindruck macht. Der ziemlich live klingende, raue Sound versteckt einige Facetten und hinterlässt zunächst einen Eindruck der Gleichförmigkeit. Dass SLOW CRUSH ihre surreale Bühnenperformance auf das Studio übertragen, hat Methode: Erstmals entfalten die Belgier*innen ihre Kraft im Albumkontext und laden zu einer ganz tiefen Entdeckungsreise ein, in der die ganz großen Emotionen vorkommen dürfen. Dass gerade die eher direkten Rocksongs wie „Thirst“ und „Cherry“ die Schwachstellen des Albums sind und zweitgenannter auch mit Längen kämpft, ist Konsequenz daraus. Gleichzeitig würde einem Album wie „Thirst“, bestünde es nur aus atmosphärischem Material, eine wichtige Seite fehlen.
So ist diese Dreiviertelstunde eine äußerst kurzweilige, mit der SLOW CRUSH beweisen, dass sie auf dem besten Weg sind, in ihrem Genre zu den Großen zu gehören. Der Durst nach Leben und intensive Gefühle, seien es Verlust oder Selbstfindung, werden hier musikalisch mit Leidenschaft und Gravitas untermalt. Was bleibt ist ein Album, perfekt für den Spätsommer, mit all seiner Sehnsucht und den Farben, die das Licht erzeugt, wenn es auf den kalten Tau fällt. Wunderschön eben.
Wertung: 8,5 von 10 Isotonische Getränke
VÖ: 29. August 2025
Spielzeit: 43:21
Line-Up:
Isa Holliday – Vocals, Bass
Jelle Ronsmans – Guitars
Nic Placlé – Guitars
Fredrik Meeuwis – Drums
Label: Pure Noise Records
SLOW CRUSH „Thirst“ Tracklist
1. Thirst (Official Video bei Youtube)
2. Covet
3. Cherry (Official Visualizer bei Youtube)
4. Leap
5. Hollow
6. Haven
7. While You Dream Vividly (Official Visualizer bei Youtube)
8. Bloodmoon (Official Lyric Video bei Youtube)
9. Ógilt
10. Hlýtt
Mehr im Netz:
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