Die Zeit des Außenseiterdaseins ist vorbei. Zwar können sich Frontmann Vessel und sein Schlagzeuger II weiterhin hinter ihren Masken verstecken, nicht aber im Schatten abseits des Rampenlichts. Der Durchbruch vom obskuren Geheimtipp zum arenafüllenden Crossover-Phänomen vollzog sich im Falle SLEEP TOKENs in weniger als zwölf Monaten. Der Einfluss sozialer Videoplattformen machte es möglich, die Folgen neben ausverkauften Hallen und millionenfachen Streaming-Aufrufen aber sind nicht nur positiv, wenn man den Briten Glauben schenkt.
„Even In Arcadia“ ist ein zutiefst persönliches Album; eines, das einen Blick hinter die weiße Maske gewährt und tief blicken lässt. Von Selbstzweifeln, Druck und überzogenen Erwartungshaltungen erzählt Mastermind Vessel, aber auch von Sehnsucht und Verlangen. Hier trägt der Frontmann gerne dick auf, sowohl hinsichtlich der Wortwahl („Provider“) als auch in der gesanglichen Umsetzung. Pathos und Theatralik sind für den Frontmann auch diesmal wieder fundamentale Stilmittel, um seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen.
SLEEP TOKEN lassen verschiedenste Genres ineinanderfließen, zeigen sich teils jedoch berechenbar
Insofern kann „Even In Arcadia“ zunächst kaum auf den Aha-Effekt des Vorgängers „Take Me Back To Eden“ (2023) hoffen: Die grundlegende Ausrichtung bleibt unberührt, indem SLEEP TOKEN abermals Genres von R&B bis zeitgenössischem Metal ineinanderfließen und sich dabei doch immer wieder vom Erfolgsrezept des Drittwerks beeinflussen lassen. Insbesondere den harten Eruptionen, die anno 2025 überraschend rar gesät sind, fehlt es oft an Inspiration. Als hätte man beispielsweise im ausladenden Rausschmeißer „Infinite Baths“ schlicht noch ein Häkchen auf der To-Do-Liste setzen wollen: Immerhin sind die tiefgestimmten Breitwandgitarren beim letzten Mal ja auch schon gut angekommen.
Das ist einerseits ernüchternd und trotzdem spielen die lauten Ausbrüche eine entscheidende Rolle, da sie dem sonst so ruhig angelegten Album den bitter nötigen Gegenpol spendieren. Fast drei Minuten lang nimmt sich beispielsweise „Look To Windward“ zeit, um in das Werk einzuläuten, bis die einsetzende Rock-Besetzung den repetitiv-meditativen Auftakt ablöst. Ab hier lassen SLEEP TOKEN alle Zügel fallen, um genau das fortzuführen, was ihnen eine treu-fanatische Anhängerschaft eingebracht hat.
Auf „Even In Arcadia“ zeigen SLEEP TOKEN erneut ein Faible für Gegensätze
Ohne Scheuklappen und mit einem Faible für Gegensätze erkundet „Even In Arcadia“ somit kein unerforschtes Terrain, erweitert die Spielwiese der Band aber durch neue Facetten und die eine oder andere Selbstreferenz. So erinnert „Gethsemane“ kurzzeitig an „Euclid“ vom Vorgängeralbum, während im Hintergrund der Arrangements immer wieder bekannte Melodien vorbei zu huschen scheinen. Das geschieht oft subtil, drängt sich im kauzig-naiven „Past Self“, dessen Loop frappierend an das „Great Fairy Fountain“-Thema der „The Legend of Zelda“-Reihe erinnert, allerdings regelrecht auf.
Dennoch: Gerade die Ausgestaltung der Synthscapes und Ambient-Teppiche verleihen den einzelnen Tracks ihren individuellen Anstrich. Von den 8bit-inspirierten Sounds zu Beginn von „Look To Windward“ über die 80er Note des Titeltracks bis hin zu den Trap-Beats von „Dangerous“ finden SLEEP TOKEN stets einen anderen Zugang, ohne das schlüssige Gesamtbild aufzugeben. Auf diese Weise kann „Caramel“ problemlos den getragenen Pop-Hit in ein rohes Post-Black-Finale übersetzen, während der sonst etwas unterbeschäftigte Drummer II endlich sein komplettes kreatives Repertoire abrufen darf.
Manchmal lassen sich SLEEP TOKEN zurück in die Komfortzone locken
Es ist kein Geheimnis, dass wir hiervon gerne mehr gehört hätten, wobei „Even In Arcadia“ völlig bewusst andere Schwerpunkte setzt. Obgleich sich SLEEP TOKEN hin und wieder doch zurück in die Komfortzone locken lassen, sucht das Gespann im Allgemeinen neue Horizonte zu erschließen. Diese fallen der Thematik entsprechend ruhiger und konsternierter aus, während die Musiker beizeiten auch mal etwas zu richtungslos durch die verschiedenen Genres mäandern. Die Kurve aber bekommt das Album letzten Endes immer noch rechtzeitig, so dass selbst mitten im Rampenlicht und der sterilen Überproduktion zum Trotz viel zu entdecken bleibt – so man denn die Einladung annimmt, einen verstohlenen Blick hinter die charakteristische Maske des eigenwilligen Frontmanns zu wagen.
Veröffentlichungstermin: 09.05.2025
Spielzeit: 56:30
Line-Up
Vessel – Vocals, Piano
II – Drums
Produziert von Carl Bown und Ste Kerry (Mastering)
Label: RCA
Homepage: https://www.sleep-token.com/
Facebook: https://www.facebook.com/sleeptoken
Instagram: https://www.instagram.com/sleep_token/
Bandcamp: https://sleeptoken.bandcamp.com/
SLEEP TOKEN “Even In Arcadia” Tracklist
- Look to Windward – 7:45
- Emergence – 6:26 (Visualizer bei YouTube)
- Past Self – 3:35
- Dangerous – 4:11
- Caramel – 4:50 (Visualizer bei YouTube)
- Even in Arcadia – 4:28
- Provider – 6:06
- Damocles – 4:25 (Visualizer bei YouTube)
- Gethsemane – 6:23
- Infinite Baths – 8:23