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LEILA ABDUL-RAUF: Calls From A Seething Edge

LEILA ABDUL-RAUFs Abgesang an die Menschheit: Der apokalyptische, sehr facettenreicher Dark Ambient auf „Calls From A Seething Edge“ liebäugelt mit Industrial, Darkjazz und Folk: Anstrengend, aber hörenswert.

2021, in der finsteren, nebelverhangenen Zeit geschah es, dass der Verfasser eine Darkjazz-Unterzuckerung verspürte, und irgendwie über die Irrungen und Wirrungen eines Bandcamp-Fridays konnte diese gestillt werden, durch „Diminution“, dem dritten Album LEILA ABDUL-RAUFs. Was bis dahin nicht so klar war: Die Musikerin ist nicht nur äußerst umtriebig in der Metal-Szene San Franciscos als Gitarristin von VASTUM, CARDINAL WYRM und vormals auch HAMMERS OF MISFORTUNE sowie AMBER ASYLUM, ihre bisher eher unter dem Radar verlaufende Solokarriere ist reich an musikalischen Wundern – und ist nebenbei bemerkt nur in Teilen dem Darkjazz zugehörig. Das fünfte Album „Calls From A Seething Edge“ ist da keine Ausnahme, definiert auf diesem Weg aber ihre bisherige Solokarriere neu.

„Calls From A Seething Edge“ ist ein durch und durch politisches Album. LEILA ABDUL-RAUF blickt mit Sorge auf die Welt, deren Gesellschaften zersplittert und vergiftet sind wie nie zuvor. Die Themen Rassismus, Faschismus, Klimakatastrophe, Krieg, Pandemie sind nicht unmittelbar in der Musik zu hören, aber zu spüren – ein Schmerz lastet auf der Aura der sieben Stücke. Es wirkt defätistisch, wenn sie schreibt „Wartime never began; never did it end.“ So, als wäre Gewalt und Hass tief in der menschlichen DNA enthalten, ohne das Besserung in Sicht ist, und wer könnte da derzeit widersprechen. Doch LEILA ABDUL-RAUF ist darauf aus, die Pole zu versöhnen und gibt über die Musik einen Hinweis, wie das zugehen könnte. So sind verschiedenste kulturelle Versatzstücke auf „Calls From A Seething Edge“ zu hören, die im Laufe der vierzig Minuten verbunden werden.

LEILA ABDUL-RAUF klagt die Menschheit an: „Calls From A Seething Edge“ ist ihre Antwort auf Rassismus, Faschismus, Klimakatastrophe, Krieg und Pandemie.

Übersieht man diesen Kontext, könnte die Musik zusammengestückelt oder beliebig wirken. Doch LEILA ABDUL-RAUF verfolgt mit diesem üppig instrumentiertem Album eine eigene Agenda. „Summon“ eröffnet das fünfte Album der Multiinstrumentalistin sehr selbstbewusst und denkt groß: Orientalische Harmonien, wie sie auch THE THING WITH FIVE EYES in den Darkjazz-Kontext überführen, dazu Dark Ambient-Drones, Industrial-Rhythmen, beschwörender Gesang ähnlich wie von Sera Timms (BLACK MARE und BLACK MATH HORSEMAN) pumpen Finsternis in die Venen und sorgen weniger für eine schaurige Atmosphäre, als für ein Abbild realen Terrors. Dieser Abstieg in finstere Keller der kollektiven Menschlichkeit stoppt hin und wieder auf der einen oder anderen Treppenstufe, wenn wie in „Mukhalafat“ die dunkle Atmosphäre mit durch anmutige Gitarrenharmonien durchbrochen wird und sich eine Verspieltheit über die Schwärze legt.

Mit „Depths Of Us“ scheint LEILA ABDUL-RAUF an die Menschlichkeit zu appellieren. Die Musik verströmt einen Kanon der Kraft, über die Klänge der Marimba gelegt und mit wunderschönen Trompeten verziert, ist das so etwas wie der lichte Moment von „Calls From A Seething Edge“ – trotz der dunklen Drones. Obwohl die Musikerin eine Vielzahl an Instrumenten beherrscht, tut es dem Album gut, dass „Calls From A Seething Edge“ eine Vielzahl an Mitmusikern auffährt. Die Streicher, die gerade in dem folkigen „Failure To Fire“ vorkommen, erzeugen einen Kloß im Hals und das Stück könnte zu Tränen rühren, hätte es noch etwas länger in dieser bedrückenden Stimmung verharrt. Das in der Folge „The Light That Left You“ mit schwerem Klavier, schwebendem Gesang und einer melancholischen Trompetenperformance erzeugt einen Darkjazz-Moment der tiefen Trauer, so als würde LEILA ABDUL-RAUF die Menschheit zur ewigen Ruhe betten. Mit dem durch repetitive Industrialbeats angetriebenen „Crimes Of The Soul“ gräbt sich das Album durch seine finstersten Minuten: Nervöse Sounds, ein kurzer Querverweis zu JOHN CARPENTERs „The Fog“-Soundtrack und apokalyptische Synthesizer ergeben ein verstörendes Gesamtbild.

Mit einer Vielzahl an Instrumenten und Genres jongliert LEILA ABDUL-RAUF – der konzeptionelle Überbau verhindert, dass „Calls From A Seething Edge“ zerfahren klingt.

Die Welt steht auf der Kippe, und es verwundert im ersten Moment, dass LEILA ABDUL-RAUF ihren Frust und ihre Ängste nicht über ihre Metal-Bands herausschreit. „Calls From A Seething Edge“ ist aber kein leises Album, es offensiv und herausfordernd. Die sieben Songs sind mit all ihren Variationen und all ihren Facetten nicht leicht zu verdauen und mit dem finalen „The Summoned“ konvergiert alles, was zuvor zu hören war und mündet in einem großen Ganzen. „Calls From A Seething Edge“ ist ein in sich geschlossenes, aber letzten Ende doch manisch wirkendes Album – und sehr anstrengend. Es fordert viel Aufmerksamkeit, ist deutlich unbequemer als „Diminution“ oder „Phantasiai“. Wer MÜTTERLEINs „Bring Down The Flags“ mochte, sollte diesem Album unbedingt eine Change geben. Wer denkt, dass Dark Ambient und Darkjazz geeignete Klanghintergründe sind, um die Seele auf morbide Art baumeln zu lassen, erfährt hier die Antithese. Anstrengend, aber hörenswert, herausfordernd, aber intensiv.

Wertung: 5,5 von 7 Katabasen

VÖ: 11. Oktober 2024

Spielzeit: 40:50

Line-Up:
Leila Abdul-Rauf – Guitar, Synthesizer, Piano, Trumpet, Vocals

Gastmusiker:
Gregory C. Hagan – Viola
Sam Foster – Percussion
Derrick Vella – Acoustic Guitar
Vincent Van Veen – Electric Cello, Electric Upright Bass
Ryan Honaker – Violin
Ed Lloyd Grey – Acoustic Upright Bass

Label: Cyclic Law (Vinyl, CD) / Syrup Moose (CD, Tape)

LEILA ABDUL-RAUF „Calls From A Seething Edge“ Tracklist:

1. Summon (Official Video bei Youtube)
2. Mukhalafat
3. Depths Of Us
4. Failure To Fire
5. The Light That Left You
6. Crimes Of The Soul (Official Video bei Youtube)
7. The Summoned

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