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GGGOLDDD: This Shame Should Not Be Mine

Die Tränen gehören zu ihr, die Scham gibt sie zurück: Milena Eva zeigt uns ihre größte Wunde. Das Ergebnis ist GGGOLDDDs relevantestes Album. „This Shame Should Not Be Mine“ ist der Weg der Heilung.

An starken Lyrics hat es GOLD, bzw. GGGOLDDD niemals gemangelt. Und so sehr ich von deren Alben „No Image“ und „Optimist“ fasziniert war, am meisten resonierte in mir eine Zeile aus dem Titelsong von „Why Aren’t You Laughing“: „I wear my tears like jewellery“ singt Milena Eva da und es passt perfekt. Zum Song, zur Atmosphäre, zum Leben, zu allem. Drei Jahre später zeigt sie sich in einer Rüstung mit trotzigem Blick. Das Ergebnis eines bemerkenswerten Reifeprozesses. Der Titel könnte klarer nicht sein: „This Shame Should Not Be Mine“. Milena Eva weiß, was zu ihr gehört – ihre Tränen – und was nicht: die Scham. Die sollte jemand anders in sich tragen. Und daher ist da auch diese Rüstung, die sie sich selbst zugelegt hat.

Jetzt muss ich kurz Wortklauberei betreiben, inklusive archetypischer Bedeutungen: Denn eine Rüstung als Schutz ist kein Panzer. Ritter tragen Rüstungen, Ritter sind, archetypisch gesehen, edlen Gemüts und zeichnen sich durch ihren Mut aus. Einen Panzer trägt, wer andere von sich fernhalten möchte, und das macht dieses Ensemble nicht. Es sucht geradezu die Konfrontation. Auf dieser Ebene gesehen, sind keine anderen Künstler so authentisch wie GGGOLDDD: Denn Milena Eva, die im Alter von neunzehn Jahren vergewaltigt wurde und lange darüber geschwiegen hat, macht einen Schritt mehr ins Licht und zeigt ihre Wunde, die sie nun als Rüstung trägt.

GGGOLDDD suchen die Konfrontation: „This Shame Should Not Be Mine“ balanciert zwischen Traumatherapie und Kunst.

„This Shame Should Not Be Mine“ ist dabei konzeptuell so stimmig wie schmerzhaft. Milena Eva heute ist gerüstet und unglaublich stark. Song für Song geht sie die Stadien des Schmerzes durch, bis hin zur Heilung. Ihre Stimme ist immer kraftvoll und direkt, selbst in den leisen Momenten. Und so kann sie der alten Milena vielleicht etwas Linderung und vielleicht auch etwas Gerechtigkeit verschaffen. Ich maße mir nun auch gar nicht an, dass ich dieses Album verstehen kann, da ich nicht das erlebt habe, was Milena Eva ertragen musste, aber verdammt nochmal: Ich würde mir jederzeit eine Rüstung anlegen, ein Schwert nehmen und an ihrer Seite kämpfen.

Und doch hat die Sängerin im Hintergrund bereits eine Armee, die sie unterstützt: Ihr Lebensgefährte und Hauptsongwriter Thomas Sciarone und die restlichen GGGOLDDD-Mitglieder üben sich in Zurückhaltung, was Design und Außenwirkung betrifft, erschaffen aber Großes. Denn die Band ordnet über die Musik die Lyrik und sorgt für die nötigen Abstufungen. Insgesamt ist „This Shame Should Not Be Mine“ überraschend elektronisch gehalten. Doch halt, so richtig mag die Entwicklung des Rotterdamer Ensembles nicht überraschen: Erstens haben sie sich seit ihrem ersten Album bereits deutlich verändert und zweitens deutete „Why Aren’t You Laughing“ schon an, dass die Transition weiter geht.

„This Shame Should Not Be Mine“ wirkt zunächst fragmentarisch, in Verbindung mit dem Artwork und der Entstehungsgeschichte wird das Album erstaunlich rund.

Und doch ist es spannend, wie fragmentarisch das Album rein musikalisch wirkt. Einerseits unterwirft sich die Musik dem Konzept und malt die einzelnen Stadien aus und ordnet sie somit. Andererseits darf nicht vergessen werden, wie „This Shame Should Not Be Mine“ entstanden ist: Im Lockdown 2020 begannen GGGOLDDD durch die Konfrontation mit der Vergangenheit an der Musik zu arbeiten und führten sie erstmals vergangenen April bei ROADBURN REDUX auf – das hatte etwas von einer Installation. Somit sind die zehn Songs zunächst rätselhaft: Weder gibt es Hits wie auf „Optimist“, noch lange herausfordernde Stücke.

Da die Musik aber so untrennbar mit den Texten und dem Artwork verbunden ist, erschließt sich der Sinn tatsächlich erst in seiner Vollumfänglichkeit. Dazu gehört, dass jedem der Songtitel ein eigener Schriftzug versehen wurde, sodass sie aussehen wie Bandlogos – von Death Metal bis zu Synthwave. Das trifft zwar nicht die Ausrichtung der Stücke, ist aber ästhetisch clever und hilft, die Struktur des Albums zu erfassen. Ab diesem Zeitpunkt greift die Musik auch in voller Intensität zu: Es gibt kalte elektronische Stücke wie der Opener „I Wish I Was A Wild Thing With A Simple Heart“, dann täuschen GGGOLDDD wieder leise Momente vor, nur um im nächsten Moment lakonischen Noiserock zu spielen.

GGGOLDDD nutzen die musikalische Gegensätzlichkeit: Post Punk und Noiserock zersetzen elektronische Momente – oder umgekehrt.

Die einzelnen Stücke zeigen eine Freude am Spiel mit Dynamik, ohne aber in schlichte und ermüdende Laut-Leise-Spielereien zu verfallen. Auch ohne große Komplexität gelingt das Spiel mit den Elementen, und hier präsentieren sich GGGOLDDD als sattelfeste Songschreiber. „Strawberry Supper“, „Like Magic“, „Spring“, „Notes On How To Trust“ und „Beat By Beat“ überraschen immer wieder und sind daher nicht selten ungemütlich. Aber immer wieder sind da diese für die Band typischen repetitiven Riffs, die sich ins Hirn fräsen und die von den passenden treibenden Rhythmen clever unterlegt werden.

Dem gegenüber stehen viele elektronische Elemente, vor allem in der zweiten Albumhälfte, die wie in „I Won’t Let You down“ und im Titelsong sehr subtil ausgearbeitet sind. Am stärksten ist aber „On You“, das lediglich aus einem dezenten Synthesizer und Milena Evas – in diesem Fall elektronisch verfremdeten – Stimme besteht. Die Direktheit des Stücks trifft mitten ins Herz. Hier wird zwar allerdings auch deutlich, dass GGGOLDDD im Herzen eine Rockband sind und im Synthesizer-Bereich erst Fuß fassen müssen. Dies wird allerdings durch die sorgfältigen Kompositionen und viel Augenmaß im Bereich der Arrangements wieder ausgeglichen.

„This Shame Should Not Be Mine“ lässt Wunden heilen – nie waren GGGOLDDD relevanter.

„This Shame Should Not Be Mine“ ist somit selbstredend kein Wohlfühlalbum, aber ohne Zweifel das wichtigste in der Karriere von GGGOLDDD: Einerseits ist es unwahrscheinlich kompromisslos und unwahrscheinlich inspirierend, Mut zu zeigen und nicht zu schweigen. Es verlangt Aufmerksamkeit und Beschäftigung – nicht zuletzt aus Respekt Milena Evas Geschichte gegenüber. Wer seine Vergangenheit mit solch Ernsthaftigkeit betrachtet, und seine Wunde zeigt, kann sie heilen lassen. Das kostet mit Sicherheit viel Kraft, aber jede einzelne geweinte Träne auf dem Weg war es wert. Und das Publikum: Es kann sich glücklich schätzen dieser Transition beizuwohnen. Die Hand am Schwert, die Narbe als Schutz. Das ist der Weg der Heilung.

Wertung: 9 von 10 Rüstungen

VÖ: 1. April 2022

Spielzeit: 42:53

Line-Up:
Milena Eva – Vocals, Electronics
Thomas Sciarone – Guitars, Electronics
Jaka Bolic – Guitars
Vincent Shore – Guitars
Danielle Warners – Bass Guitar
Igor Wouters – Drums

Label: Artoffact Records

GGGOLDDD „This Shame Should Not Be Mine“ Tracklist:

1. I Wish I Was A Wild Thing With A Simple Heart
2. Strawberry Supper
3. Like Magic
4. Spring
5. Invisible (Official Video bei Youtube)
6. I Won’t Let You down
7. Notes On How To Trust (Official Video bei Youtube)
8. This Shame Should Not Be Mine (Official Video bei Youtube)
9. On You
10. Beat By Beat

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