Es genügt dieser Tage ein Blick in die Nachrichten, ein kurzer Ausflug in die sozialen Medien, um jeglichen Sinn infrage zu stellen. Wäre es angesichts des Leids und der Schrecken, die uns dort begegnen, nicht besser, wenn alles morgen schon ein Ende hätte? Den letzten Sargnagel schlagen wir uns doch unweigerlich selbst ein. Zynisch könnte man da den Ansatz FIT FOR AN AUTOPSYs nennen, die sich einer aus den Fugen geratenen Welt entgegenstemmen, indem sie den Finger in die Wunde legen; indem sie aussprechen, was ohnehin schon sicher scheint. Wir sind die Architekten unseres sicheren Untergangs, scheint die Botschaft des verbitterten Titelstücks zu sein.
Dieser Frust und dieser Zorn spiegelt sich folglich auch im Gesamtkontext von „The Nothing That Is“, das die Deathcore-Speerspitze mal ungezügelt und kompromisslos zeigt, bevor sie im nunmehr siebten Anlauf doch immer wieder überraschend eingängige Akzente einstreuen lässt. Den dezent proggigen Touch des Vorgängers „Oh What The Future Holds“ (2022) tauschen FIT FOR AN AUTOPSY daher gegen präsentere Melodieführung, welche die Band durch gelegentlichen Klargesang forciert. Das ist zwar nicht komplettes Neuland für die US-Amerikaner, doch in dieser Prominenz sicherlich unerwartet.
„The Nothing That Is“ zeigt, wie variabel FIT FOR AN AUTOPSY als Songwriter agieren können
Immerhin: Das Experiment geht auf, wie der beflügelte Refrain des Openers „Hostage“ beweist, wo sich das Gespann im Schnelldurchgang durch all ihr handwerkliches Repertoire spielt. Ein wenig GOJIRA schwingt hier mit, paart sich mit catchy Singalongs und genretypischer Durchschlagskraft. Gedämpft wird jene einzig durch Will Putneys Produktion, welcher selbstverständlich US-typisch auf ein massives Fundament setzt, doch die Dynamik im Gegenzug etwas stiefmütterlich behandelt.
Je nach Hörgewohnheiten kann das ermüdend wirken, wobei sich mittelfristig doch die einzelnen Stücke deutlich genug voneinander abgrenzen können. So erinnert „Spoils Of The Horde“ auszugsweise an spätere WHITECHAPEL, wohingegen nicht einmal THY ART IS MURDER den Groove von „Weaker Wolves“ mitreißender hinbekommen hätten. Das flotte „Savior Of None / Ashes Of All” wiederum übersetzt rastloses AT THE GATES-Riffing in den bandeigenen Kosmos, was letztlich ebenfalls hervorhebt, wie variabel FIT FOR AN AUTOPSY mittlerweile als Songwriter agieren können – zumal das Stück im weiteren Verlauf so manche Wandlung durchleben darf.
FIT FOR AN AUTOPSY-Sänger Joe Badolato beeindruckt durch seine Variabilität
Stets an vorderster Front agiert natürlich Sänger Joe Badolato, dessen Performance auf „The Nothing That Is“ so variabel wie mächtig ausfällt. Mit Zug nach vorne flankiert der Shouter die Strophen in „Lurch“, streut zwischendurch einige gezielte Fry-Screams im Stile Sam Carters (ARCHITECTS) ein, um dann mit dem schleppenden Break die massiv drückenden Growls in nahezu bodenlose Regionen zu steuern.
Die selbst in diesen Extremen hindurch schimmernden Emotionen sind gut investiert, schließlich scheuen sich FIT FOR AN AUTOPSY weder vor gesellschaftskritischen („Lower Purpose“) noch politisch aufgeladenen Themen. Dass im musikalisch starken „Red Horizon“ die humanitäre Krise im Gaza-Streifen in den Fokus rückt, ist daher so mutig wie konsequent. Aus Sicht der dortigen Zivilbevölkerung schildert das Sextett die erlebten Schrecken mit vielen symbolträchtigen, doch auch einigen kontroversen Zeilen.
Mit „Red Horizon“ begeben sich FIT FOR AN AUTOPSY lyrisch auf dünnes Eis
„Curse you all, beasts of Zion”, heißt es dort etwa im Refrain, bevor das Stück mit dem brisanten Ausruf „From the river to the sea!“ schließt. Obschon Will Putney auf Nachfrage die erstgenannte Zeile nicht auf das Volk Israel allgemein, sondern lediglich auf die Invasoren, und letztere ausschließlich als „Appell für Frieden“ verstanden haben möchte, ist der Kontext im Falle von „Red Horizon“ keinesfalls so „klar“ wie vom Mastermind gedacht.
Völlig auszublenden, dass eben auch die Terrororganisation Hamas im Sinne antisemitischer Bestrebungen jenes Schlagwort für sich beansprucht, ist im Mindesten unreflektiert, naiv und achtlos; ganz besonders noch aufgrund der in diesem Fall einseitigen lyrischen Perspektive. Bedauerlich ist das insbesondere, da die Band mit dem Stück – statt wie nun zu spalten und indirekt einer abscheulichen Ideologie den Rücken zu stärken – eigentlich noble Ziele verfolgt: Aus den Mündern FIT FOR AN AUTOPSYs liege der Schwerpunkt jener Worte „auf der Befreiung und ha[be] nichts mit Rassismus zu tun.“, erklärt Putney.
Trotz seines einzigen Makels ist „The Nothing That Is“ ein furioses Deathcore-Gewitter
Es sind – und das wollen wir nicht verschweigen – aufrichtige Worte, welche wir dem Gitarristen durchaus abnehmen, obwohl sie die Wortwahl kaum entschuldigen können. Deshalb steht und fällt das sonst furiose, abwechslungsreiche und stellenweise beeindruckende Deathcore-Gewitter „The Nothing That Is“ auch nicht mit diesem einen beklagenswerten Makel. Den Finger in die Wunde zu legen, bedeutet schlussendlich auch, sich selbigen beizeiten ungewollt schmutzig zu machen. Oder anders ausgedrückt: Dass die Welt so ist, wie sie ist, liegt in unser aller Verantwortung. Wichtig ist daher vor allem, aus unseren Missgeschicken und Fehltritten zu lernen, um selbst in dieser verloren geglaubten Welt neuen Sinn schöpfen zu können; um diesen Planeten am Ende des Tages ein kleines bisschen besser zu machen – und wenn es nur bedeutet, unsere Worte in Zukunft bedachter zu wählen.
Veröffentlichungstermin: 25.10.2024
Spielzeit: 43:56
Line-Up
Joe Badolato – Gesang
Will Putney – Gitarre
Patrick Sheridan – Gitarre
Tim Howley – Gitarre
Peter „Blue“ Spinazola – Bass
Josean Orta – Schlagzeug
Produziert von Will Putney
Label: Nuclear Blast
Homepage: https://fitforanautopsy.co/
Facebook: https://www.facebook.com/FitForAnAutopsyOfficial/
Instagram: https://www.instagram.com/fitforanautopsy/
Bandcamp: https://fitforanautopsy.bandcamp.com/
FIT FOR AN AUTOPSY “The Nothing That Is” Tracklist
1. Hostage (Video bei YouTube)
2. Spoils Of The Horde
3. Savior Of None / Ashes Of All (Video bei YouTube)
4. Weaker Wolves
5. Red Horizon (Video bei YouTube)
6. The Nothing That Is
7. Lurch
8. Lower Purpose (Visualizer bei YouTube)
9. Lust For The Severed Head
10. The Silver Sun