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EVERGREY: Escape Of The Phoenix

EVERGREY spielen immer noch den melancholischsten und herzzerreißendsten Powermetal, der aktuell zu haben ist. Da stört es auch kaum, dass sie sich auf den letzten Alben nur wenig weiterentwickelt haben. Im Zentrum: die raue, einzigartige Stimme von Sänger Tom S. Englund, der zu den Besten seines Genres zählt.

„Hand in hand with the hopeless / I see you drowning in the harbor of the soulless“ – Es gibt eine schlechte Nachricht für alle EVERGREY-Fans: Die Band hat sich gegenüber ihrem letzten Album kaum weiterentwickelt. Und es gibt eine gute Nachricht für alle EVERGREY-Fans: Die Band hat sich gegenüber ihrem letzten Album kaum weiterentwickelt. Noch immer bietet die Band genau das, was man auf den letzten Alben zu schätzen gelernt hat. Melancholie. Schmerz. Hymnen für die einsamen Seelen. Musik, die wie gemacht scheint für traurige Lockdown-Momente. Man ertrinkt. Man findet sich wieder im Strudel der bittersüßen Melodien. Hymnen für die Verlorenen.

EVERGREY: Oh, bittersüße, brachiale Melancholie!

Die Stagnation ist auch nicht weiter schlimm, im Gegenteil: Längst haben sich EVERGREY ihre ganz eigene, heimische Nische zwischen Prog- und Power Metal geschaffen. Nach Ausflügen in Progressive-Rock haben sie auf den letzten drei Alben wieder Eingängigkeit zu ihrem Markenzeichen erhoben. Und wo andere Bands Schwerter schwingen und gegen Drachen kämpfen, gibt es hier: Innerlichkeit. Songs, die oft im getragenen Tempo daherkommen: aber so heavy sind, dass die Anlage bei den modern groovenden Gitarren, oft runtergestimmt, einem echten Belastungstest ausgesetzt wird. Die Melodien: so einschmeichelnd, dass man stellenweise an AOR-Rock denkt. Aber so berührend, wie es aktuell wenige Bands mit derart hartem Sound beherrschen. Und auch, wenn die Motive vom letzten Album bereits bekannt sind: das Ertrinken, der Winter bricht ein, der Ozean ist kalt und lebensfeindlich (die nautischen Motive: auch hier sind sie wieder vorhanden, EVERGREY haben ein Faible für das Meer: nicht umsonst hieß das letzte Album „The Atlantic“): es funktioniert.

“Escape of the Phoenix” braucht Zeit, aber das spricht für die Songs

Das alles zündet nicht sofort. Wie auch die letzten Platten braucht der Phoenix Zeit. Verwunderlich für eine Band, die doch ein ganzes Füllhorn an Gefühlen ausschüttet. Aber spricht dafür, dass die Songs eben doch auch subtil und abwechslungsreich komponiert sind. Der Opener „Forever Outsider“ ist eine schwere Midtempo-Hymne: Song für jene, die sich nicht zugehörig fühlen. Schwer schreitende Gitarren, kalt hallende Keyboards: Das Leben ist eine Lüge, ich werde ewig Außenseiter sein. Natürlich ist das alles auch leicht pathetisch, dick aufgetragen, aber wie das Eis des arktischen Ozeans gehört Patina zum Sound von EVERGREY: Wer damit nichts anfangen kann, wird es mit der Band schwer haben. Was, wenn alles auf dich niederkommt? Das Außenseitertum wird hier geradezu als positive Haltung gefeiert: Man geht seinen Weg weiter, man durchschreitet das Feuer, im Wissen um die eigene Rolle.

Tom S. Englund weiß um die Wirkung seiner Stimme

Es folgt die erste Auskopplung: „Where August Mourns“. Und das Flehende, Trauernde, das schon im Titel enthalten ist: Es ist ein Markenzeichen von EVERGREY geworden. Tom S. Englund weiß um die Wirkung seiner Stimme. Sie klingt zart und rau zugleich, manchmal regelrecht flehend: eine, die man sofort raushört. Es ist nicht der Song, es ist die Stimme, dieses Zitat wird Johnny Cash zugeschrieben: und stimmt hier natürlich nicht. Denn Edlund weiß, wie er seinen Gesang einsetzen muss, um den Fans zu liefern, was sie hören wollen: große Melodien, und diese Melancholie, die eben wenige Bands des Genres beherrschen.

James LaBrie von DREAM THEATER hat einen Gastauftritt auf “Escape From The Phoenix”

Es ist längst nicht so, als würden EVERGREY ihr Erfolgsrezept einfach wiederholen. „In Absence of the Sun“ ist eine düstere, von Klavier getragene Nummer, die mit einem Chor überrascht und sich stetig steigert, auch wenn hier erneut die Melancholie von Englunds Kompositionen zum Tragen kommt. Auf „The Beholder“ ist DREAM THEATER-Frontmann James LaBrie zu hören: eine Band, mit der EVERGREY gelegentlich verglichen werden, auch wenn die Schweden deutlich songdienlicher und abgründiger zu Werke gehen. Eine Ballade ist auch „You from you“ – erneut getragen von Englunds Stimme, der ein Telefonbuch einsingen könnte und trotzdem berühren würde. Zu loben ist das Keyboard-Spiel von Rikard Zander: Es klingt modern, die Sounds sind originell, er beherrscht das Piano wie flirrende Elektro-Spielereien, die auch außerhalb des Metal-Genres funktionieren würden.

Es sind die kleinen Nuancen, die „Escape of the Phoenix“ von den Vorgängeralben unterscheiden. Aber sie sind da. Und vielleicht sind EVERGREY eine der wenigen harten Bands, deren Sound man auch bei einem Glas Rotwein genießen kann: abends, wenn die Polarlichter leuchten, einsam beim Ertrinken.

VÖ: 26.02.2021

Label: AFM Records

EVERGREY  “Escape Of The Phoenix” Tracklist

1. Forever Outsider (Audio bei YouTube)
2. Where August Mourns (Video bei YouTube)
3. Stories
4. A Dandellion Cipher
5. The Beholder
6. In The Absence Of Sun
7. Eternal Nocturnal (Video bei YouTube)
8. Escape Of The Phoenix
9. You From You
10. Leaden Saints
11. Run
12. The Darkness In You (Bonus Track)

Bonus 7“ Picture Vinyl Single:
Side A: The Darkness In You
Side B: The Darkness In You (Instrumental Version)

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