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DØDHEIMSGARD: Black Medium Current

DØDHEIMSGARD entdecken die Melancholie: „Black Medium Current“ zeigt eine neue und völlig andere Seite der Osloer Avant-Black Metal-Band.

DØDHEIMSGARD sind wieder da – oder auch: „The lunatics are back on the grass.“, um den in Ungnade gefallenen Roger Walters zu zitieren. Und auch das Artwork ist womöglich mehr als nur ein Querverweis in Richtung PINK FLOYD: DØDHEIMSGARD schlagen ein neues Kapitel in ihrer Vita auf, und vielleicht ist ihr sechstes Album „Black Medium Current“, tatsächlich so etwas wie ihr „Dark Side Of The Moon“. Erneut zeigen sich die Avant-Black Metaller als Trickster, die ihrer Intuition folgen: Vicotnik und seine runderneuerte Band entfernen sich, ihrem Achtjahresturnus treu bleibend, wieder ein Stück mehr von ihrer Vergangenheit und fügen ihrem Œuvre eine weitere Facette zu.

Im Grund genommen ist „Black Medium Current“ ein Potpourri aus allem, was DØDHEIMSGARD in den letzten vierundzwanzig Jahren so besonders und bizarr werden ließ, plus einem neuen Gespür für Harmonie und Melancholie. Das allein reicht schon, um vom sechsten Album der Osloer verstört zu werden, und doch ist es weit zugänglicher als das 2015er Werk „A Umbra Omega“, das den Verfasser nach wie vor herausfordert. Wie es in ihrer Natur angelegt ist, stoßen DØDHEIMSGARD mit „Black Medium Current“ das Tor zu einer neuen Welt auf und begeben sich damit auf abermals neues Terrain. Für die Hörer*innen ist der Boden dort anfänglich unsicher, doch schon bald möchte man als offener Anhänger*in der Formation dieses Universum nicht mehr verlassen.

„Black Medium Current“ zeigt eine Band, die ihrer Intuition folgt – auch weil DØDHEIMSGARD ihre zu eng gewordenes Black Metal-Korsett zeitweise ganz abstreifen

Mehr denn je funktioniert die Black Metal-Band als musikalischer Schmelztiegel – sodass der Titel des ersten Stücks „Et Smelter“ seinem Namen gerecht wird. Das Lied leitet das Album sehr ruhig ein, nach zwei Minuten schrauben DØDHEIMSGARD die Geschwindigkeit hoch, leidenschaftliche, intensive Tremolo-Riffs und hypnotisches Drumming lassen die Band maximal repetitiv und intensiv klingen. Und selbst mit einem ausufernden Progrock-Finale ist „Et Smelter“ ein düsterer Beginn für „Black Medium Current“. Und weil dieses Rezept so verflucht gut funktioniert, wenden DØDHEIMSGARD es auch bei „Tankespinnerens Smerte“ an.

DØDHEIMSGARD zeigen sich in ihrer neuen Zugänglichkeit ähnlich verspielt wie ARCTURUS zu Zeiten von „The Sham Mirrors“ und geben sich dabei auch recht spacig. „Interstellar Nexus“ hat kaum mehr etwas mit Metal zu tun, ist groovend, von analogen Synthesizern getrieben und generell etwas leichter. „It Does Not Follow“ erinnert mit seinen progressiven Gitarren an HAWKWIND, besticht mit dem Zusammenspiel aus Bass und Drums und baut sich langsam auf, bis nach einem Cut wieder leidenschaftliche Riffs und Blast Beats die Führung übernehmen. „Halow“ hingegen ist eher getragen und schwermütig, zirkuliert um ein Thema und wird in knapp zehn Minuten dank einer breitgefächerten Instrumentierung nie langatmig.

Zwischen HAWKWIND, ARCTURUS und DEATHSPELL OMEGA: Auf „Black Medium Current“ kennen DØDHEIMSGARD keine Grenzen

Als würden sich DØDHEIMSGARD in der ersten Hälfte nur warmspielen, steigt das Niveau gegen Ende nochmals. „Det Tomme Kalde Morke“ zeigt die Band wieder fieser, mit einer Kombination aus Blast Beats, Industrial Black Metal-Riffs und DEATHSPELL OMEGA-Wildheit und endet mit sensationellen Synthesizern im Stil von ZOMBI – bei diesem Song mag man fast vergessen zu atmen, so gut ist er. „Abyss Perihelion Transit“ als langsamstes Stück der Bandgeschichte mit einem wundervollen Chorus ist ein einziges Mantra, kalt und faszinierend, wie der Jupitermond Europa auf dem Artwork. Als wäre diese Komposition nicht schwermütig genug, endet „Black Medium Current“ mit dem auf Piano basierenden „Requiem Aeternum“, das dank breiter Instrumentalpalette und schmerzerfülltem Gesang weit mehr ist, als nur ein plattes Outro.

Wenn Vicotnik etwas bisher vermieden hat, dann die Verletzlichkeit. Weirdness ist ein wunderbarer Panzer, mit dem man sich als Künstler schützen kann. Rein auf Experiment und Avantgarde zu setzen ist ein probates Mittel, aber wenn es tiefer gehen soll, muss die Emotion, die Verletzlichkeit zugelassen werden. Ganz lassen kann er es nicht, wie der manchmal fast bewusst schiefe Gesang verdeutlicht, insgesamt legt Vicotnik aber sowohl beim harschen Geschrei und auch beim melodiösen Gesang eine exzellente Leistung hin. Dennoch laufen DØDHEIMSGARD nun Gefahr, ihr bisheriges Publikum zu verprellen. Da der erneute Wegfall von Aldrahn und das veränderte Line-Up sowieso keine einfache Ausgangslage ist, geht Vicotnik das Wagnis ein und zeigt sich erstmalig berührbar. Ganz klar: „Black Medium Current“ wird so zum persönlichsten Album von DØDHEIMSGARD.

„Black Medium Current“ ist verletzlich und persönlich: DØDHEIMSGARD steht diese neue Seite gut zu Gesicht.

„Black Medium Current“ ist nun wieder ein überbordendes Album, mit dem DØDHEIMSGARD ihr Publikum unter Umständen verärgern oder verunsichern, andererseits aber massiv beglücken können. Seien wir ehrlich – so sehr, wie sich DØDHEIMSGARD seit „Satanic Art“ vom klassischen Black Metal entfernt haben, erwartet sicherlich niemand mehr von ihnen eine Rückkehr zum rohen Ursound, und sollte es doch jemand tun, hat diese Person es verdient enttäuscht zu werden. Viel mehr ist die Band spielerisch auf dem Zenith ihres Schaffens. Drummer Myrvoll bleibt meistens straight, immer wieder bricht er aus in Richtung komplexer Rhythmen und waghalsiger Geschwindigkeiten. Gitarrist Tommy „Guns“ Thunberg brilliert mit seinen klassisch guten Leadgitarren und Bassist Lars-Emil Måløy liefert die besten Basslinien in der Bandgeschichte und prägt den Sound des Albums maßgeblich.

DØDHEIMSGARD haben mit „Black Medium Current“, vielleicht so etwas wie ein reifes Alterswerk geschaffen. Die ungebremste Aggression von „Supervillain Outcast“ und der ausufernde Hang zum Experiment von „A Umbra Omega“ sind auf „Black Medium Current“ nicht zu finden, ebensowenig die Kälte von „666 International“ und schon gar nicht das Geholze der frühen Tage. Dafür entdecken DØDHEIMSGARD auf ihre alten Tage nun die Melancholie, die Harmonie, schmeicheln sich beim Publikum an, aber bleiben meilenweit davon entfernt, zugänglich zu sein. Dieses Spannungsfeld, das sich erstmalig bei der Band ergibt, erzeugt Abscheu und Faszination zugleich. Insofern ist  ein doppelbödiges Album, eines von der Sorte, die über Monate hinweg präsent bleiben und sich auf lange Sicht entwickeln. Vielleicht ist „Black Medium Current“ DØDHEIMSGARDs bestes Album, definitiv begeben sie sich damit nicht nur auf die dunkle Seite des Mondes, sondern auch auf die vordersten Plätze der Jahresbestenlisten der anspruchsvollsten Hörer*innen extremen Metals.

Wertung: 83 von 95 Jupitermonde

VÖ: 14. April 2023

Spielzeit: 69:37

Line-Up:
Vicotnik – Vocals and Guitar
L.E. Måløy – Bass
Tommy „Guns“ Thunberg – Lead Guitar
Myrvoll – Drums

Label: Peaceville Records

DØDHEIMSGARD „Black Medium Current“ Tracklist:

1. Et Smelter
2. Tankespinnerens Smerte
3. Interstellar Nexus
4. It Does Not Follow
5. Voyager
6. Halow
7. Det Tomme Kalde Morke
8. Abyss Perihelion Transit (Official Video bei Youtube)
9. Requiem Aeternum

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