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BETHLEHEM: Lebe dich leer

Müllers Depp warst schon immer nur du!

Achtzehn Jahre ist “Schatten aus der Alexander Welt” dieses Jahr alt, so alt wie Jugendliche sind, wenn sie zum ersten Mal harten Alkohol trinken dürfen. Nun haben die meisten das ja schon vorher erledigt. Manche auch schon mit acht. Ich komme gerade aus dem Kino, “Ray & Liz” lief da, vielleicht der beste Film des Jahres, ein Film, der – obacht! – “eine zärtliche Empathie besonders für Ray, der sich mit stoischer Disziplin durch den Tag säuft” haben sollte, sagt die Ankündigung. Das ist gelogen. Der Film zeigt die brutale Welt einer Familie, die, aus absoluter Armut kommend, das Leben an sich bereits aufgegeben hat. Das bedeutet Alkohol, Pisse, Fliegen. Als ich nach Hause ging, an Häusern vorbei, in denen es vermutlich gar nicht so viel anders aussieht, hörte ich “Lebe dich leer” zu Ende, und ich will kein romantischer Vollidiot mehr sein, wenn’s da nicht endlich mal wieder Klick gemacht hat!

Na klar, die neue hat mir auch schon vorher gefallen. Ihr namenloses 2016er Metal-Comeback “Bethlehem”  war ja schon geil, aber irgendwas war daran auch faul, nicht ganz stimmig, und jetzt weiß ich auch, was: Das war einfach zu glatt. Die Guido-Trilogie (hehe) hatte den schrägen Kontrast zwischen Schlagermusik und den Bartschschen Texten, dazu noch das Hörspiel (das ich über zehn Jahre lang nicht mehr gehört habe; finde die CD nicht mehr…), die EPs und die Frühwerke muss ich wohl nicht erklären, aber “Bethlehem” war einfach ein geiles Metal-Album, nicht sehr viel mehr. “Lebe dich leer”, das zweite Album mit Onielar am Mikro, liefert nun nach.

Weisen, die sich in die Seele pressen – “Lebe dich leer”!

Schon in den ersten beiden Stücken ist klar, wohin die Reise geht: mehr Bombast, mehr Melodie, aber auch mehr Krankheit, mehr Punk. Die Produktion lässt Raum für Ekel: das perverse Gekreische, die krachende Gitarre, das nur auf den ersten Anlauf primitiv wirkende Schlagzeug, der liebliche Bass; Weisen, die sich in die Seele pressen. Dazu ein bisschen Synthesizer, wo’s passt, und immer wieder diese Melodien, gerade dann, wenn man sie ganz bestimmt nicht erwartet: Das sind große Kontraste, perfekt durchkomponiert, das ist BETHLEHEM, wie ich sie haben will – Gänsehaut-Moment und Tränendrüsen-Drücker jagen sich gegenseitig, und über allem droht die Faust, die nächste Wand einzuschlagen. Bittersüß – wie das Leben halt. Wie dieses Leben.

“Wo warst du, als dich Säure von innen zerfraß?” Na, keine Ahnung, aber bitte frag mich noch viel mehr so geile Sachen, gute Frau! Jürgen Bartsch hat’s einfach drauf – Texte, die einmal mehr kongenial die Musik ergänzen und dadurch Bilder erzeugen, die leider viel zu angemessen sind für eine Gesellschaft, die Reichtum privatisiert und dadurch massenhaft Armut erzeugt hat, völlig unnötiges Elend regelmäßig nur Katzensprünge entfernt von den obszönen Parallelgesellschaften der Reichen. “Müllers Depp warst schon immer nur du!” Fuck.

Ja, was soll ich noch sagen. Bitte kaufen oder so, Top 5, mindestens.

Spielzeit: 41:51 Min.
Veröffentlicht am 17.5.2019 auf Prophecy Productions als Special Edition mit zwei Bonustracks

BETHLEHEM – “Lebe dich leer” – Tracklist

1. Verdaut in klaffenden Mäulern
2. Niemals mehr leben
3. Ich weiß ich bin keins
4. Wo alte Spinnen brüten
5. Dämonisch im ersten Blitz
6. An gestrandeten Sinnen
7. Ode an die obszöne Scheußlichkeit
8. Aberwitzige Infraschall-Ritualistik
9. Bartzitter Flumgerenne

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