ENDLESS PAIN: 12. Hamburger Internationale Tattoo Convention [DVD]

Bunte Bilder, harte Kerle. Gepiekt wird!

Ich mag keine Tattoo Conventions. Die Messe für Finanzdienstleister in Berlin ist bestimmt nicht ungemütlicher als die Münchner Tattoo Convention, auf der ich zwar bisher erst einmal war, die ich aber ziemlich ungeil fand. Andere sollen aber super sein, aber da bin ich erstmal skeptisch, auch trotz großem Interesse für diese immer gesellschaftsfähigere, extreme Kunstform, immerhin weiß ich selber sehr genau, wie sich diese Nadeln im Körper anfühlen. Ob ENDLESS PAIN da eine Convention-Alternative für mich bringt? Immerhin, das Hamburger Tattoostudio hat sich einen enorm guten Ruf erarbeitet und von ihrer Veranstaltung hat sogar Obermuffel Captain Chaos vorher mal was gehört.

Die 12. Hamburger Convention fand am im April 2010 statt, die drei Tage geballten Nadelwahnsinns wurden mit einer Laufzeit von 105 Minuten auf eine DVD gepresst. Durch die Dokumentation dieses bunten Spektakels leitet Jungtätowierer Elvis, der hier und da etwas unbeholfen wirkt, aber als Interviewer einen sympathischen Eindruck macht. Begleitet wird er von einer wackeligen Kamera, abgelöst wird er hier und da durch Pausenclown Stumpen von KNORKATOR, der sich Tätowierungen vorwiegend von Mädchen zeigen lässt, oder sich an die Brüste von Tabledance-Mädels drücken lässt. Vom Flair der Veranstaltung hört man nur, man sieht es kaum. Es wird berichtet, wie sich die Menschen in die Markthalle hinein pferchen, wie sie aber wirklich durch die Räume schlendern sieht man ebenso selten, wie Tätowierer bei der Arbeit. Das kommt ein wenig zu kurz und auch die Best Of Day-Preisverleihungen kommen nur am Rande vor.

Das muss für den Kernteil der Dokumentation weichen, was aber nicht unbedingt die falsche Entscheidung ist. Wenn du Leuten beim Flanieren zuschauen willst, kannst du auch in die Fußgängerzone gehen. Stattdessen gibt es viele Interviews mit allerlei Tätowierern. Zu Wort kommt nicht nur Veranstalter Frank Krabbenhöft, sondern auch Teilnehmer aus der ganzen Welt, seien es die österreichischen Künstler Bernie Luther und Claus Fuhrmann, Sergey Bardadim aus Russland, die Japanerin Rioki, Avi Vanunu aus Israel, alteingesessene Visionäre wie Mike Siver, Tony Bennett und Diamond Jim oder MIAMI INK-Star Chris Nunez. Und auch deutsche Tätowierer wie Miss Nico und Heiko Gantenberg haben eine Menge zu erzählen. Dabei wird jedoch nicht nur das Tätowieren glorifiziert, über kulturelle Hintergründe geschnackt, über die ganze Szene philosophiert und Schwänke aus der Jugend berichtet, man merkt auch anhand der Aussagen der Gesprächspartner ganz gut, welche Stilrichtungen sie jeweils vertreten.

Besonders gerne hört man aber Herbert Hoffmann zu, dem damals ältesten Tätowierer der Welt, der keine drei Monate später verstarb. Ihm ist nicht nur die DVD gewidmet, im Bonusteil findet sich das komplette, vierzigminütige Interview mit ihm. Der damals Neunundachtzigjährige war bis zuletzt auf Conventions und sprach mit seinen Fans, von Senilität keine Spur und geprägt von seiner tiefen, inneren Leidenschaft, plaudert er eloquent aus dem Nähkästchen und hat wirklich alle Sympathien auf seiner Seite. Und ein paar seiner Geschichten sind so schön, dass man sie am liebsten als seine Eigenen erzählen würde. An seinem Beispiel wird nicht nur die Veränderung des Tätowierens in den letzten siebzig Jahren deutlich, sondern auch, wie sich die Menschen selbst verändert haben. Ein Mensch wie Herbert Hoffmann, der in diese kaputte Zeit kracht, inspiriert wirklich jeden.

Nicht nur Geschichten, auch Musik gibt es an diesem Wochenende zu hören, eher unbekannte Formationen rocken sich die Seele aus dem Leib, seien es Punkbands wie DIE CHINESISCHEN GLÜCKSKEKSE, Alternative Rocker wie die sehr untätowierten POOLSTAR oder klassische Rock and Roll-Combos wie THE KNOCKOUTS, PAUL ANSELL NUMBER 9 und SMOKESTACK LIGHTNING. Aber auch die Hip Hop Crew 187 STRASSENBANDE & RATTOS geben alles. Letzteres ist nicht ganz mein Geschmack, zugegebenermaßen, dann lieber ein paar zünftige Tollen mehr auf der Bühne. Alles in allem ist ENDLESS PAIN sicherlich eine gute Convention gelungen, die im echten Leben vielleicht sogar Skeptiker von diesem Format der Massenunterhaltung und -information überzeugen könnte. Tattoo-Fans erhalten hier in zwei Stunden geballte Information ohne Leerlauf, es gibt dennoch an allen Ecken und Enden Möglichkeiten der Verbesserung, aber das Flair eines solchen Wochenendes einzufangen ist natürlich schwierig. Liebevoll gemacht ist diese DVD, es gibt gute Momente, aber auch ein bisschen Schmarrn, den es immer bei solchen Veranstaltungen gibt, damit sich die Leute auch gut unterhalten, die keine Lust auf Nadeln, Farbe und Schmerzen haben. Reinschauen ist bei dieser kurzweiligen Unterhaltung aber freilich erlaubt, gerade Tattoo-Neulingen könnten hier mit der piekenden Leidenschaft auf Tuchfühlung gehen.

Veröffentlichungstermin: 24. Juni 2011

Spielzeit: 143 Minuten (Dokumentation) + 45 Minuten (Bonusteil) Min.

Line-Up:

Regie: Axel DesBoesen

Label: BLB Entertainment & Rodrec

Homepage: http://www.endlesspain.com

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner