Dass die Welt allein für sie nicht genug sei, wissen wir bereits seit dem Jahr 2018. Nun aber fordern THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA auch noch den dazugehörenden Himmelskörper: „Give Us The Moon“ (2025) lautet der Titel der neuen Platte, mit der die Schweden nach rund sechs Jahren und einem tragischen Schicksalsschlag wieder die bayerische Landeshauptstadt beehren.
Des verstorbenen Gitarristen David Andersson wird Sänger Björn „Speed“ Strid (SOILWORK) später am Abend noch einmal gedenken, bis dahin jedenfalls ehrt die Formation ihr Gründungsmitglied auf die bestmögliche Art und Weise: mit einer bärenstarken Performance vor ausverkauftem Haus. Zunächst allerdings werden in der Backstage Halle etwas andere Töne angeschlagen.
METALITE
Statt 80er Huldigung drehen METALITE an ungleich moderneren Stellschrauben. Power Metal mag der Ausgangspunkt sein, doch mittels zahlreicher Synthesizer und einem Faible für Pop-Melodien sind die Skandinavier bisweilen gar nicht so weit weg von den Landsmännern AMARANTHE. Das mag man aufgrund der catchy Hooks und Melodien süffisant als Eurovision-Metal titulieren, entfaltet live für gewöhnlich allerdings eine nicht zu unterschätzende Energie. Überraschend ist es daher, dass der Funke im Münchner Backstage anfangs noch nicht überspringen will.
In Teilen liegt das wohl heute auch am arg basslastigen Mix, der die elektronischen Backing-Spuren über weite Strecken verschluckt und erst gegen Ende des 45-minütigen Sets etwas mehr Raum zugesteht. Gut ins Ohr gehen Stücke wie „Disciples Of The Stars“ oder „Cyberdome“ nichtsdestotrotz, wobei sich das eher gesetzte Publikum zunächst kaum aus der Reserve locken lässt. Es wird in der Halle zwar anerkennend mitgenickt und zum Medley aus „Nightmare“ und dem Bandhit „Afterlife“ hier und da motiviert die Faust gereckt. Recht viel mehr ist trotz motivierter Band und eine starken Gesangsleistung Erica Ohlssons in dieser Dreiviertelstunde aber leider nicht drin.
METALITE sind stilistisch zu weit weg vom Headliner, um das Publikum vollends mitzunehmen
Geschuldet mag das möglicherweise auch der stilistischen Diskrepanz: Ausgenommen einiger weniger eingefleischter METALITE-Fans scheint das Backstage primär auf den Auftritt des Headliners hinzufiebern. Die gewünschte Party bleibt somit bedauerlicherweise aus, wohlwollend aufgenommen hat man den kurzweiligen Auftakt der Schweden in München aber allemal.
Fotogalerie: METALITE

















THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA
Bei aller Wertschätzung für das Vorprogramm ist es doch ein Unterschied wie Tag und Nacht, als sich gegen Viertel nach neun die Halle verdunkelt und nur die aufgestellten Bäumchen samt bunter Lichterketten etwas Farbe auf die Bretter projizieren. Statt weihnachtlicher Stimmung kommt jedoch eher Urlaubsflair auf: Am rechten Bühnenrand lockt eine eisgefüllte Wanne mit allerlei Spirituosen und erweckt den Eindruck, als könne man sich während der kommenden 100 Minuten auch den einen oder anderen Longdrink mixen lassen.
Während sich derlei Bedürfnisse zumindest an der hinteren Bar stillen lassen, stimuliert das Geschehen auf der Bühne primär andere Sinne: Mit geradezu ohrenbetäubendem Jubel heißen die Münchner:innen den Headliner Willkommen, der mit „Stratus“ vom aktuellen Werk „Give Us The Moon“ gut vorlegt, um mit dem nachgeschobenen „California Morning“ den Sack eigentlich schon zuzumachen. THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA sind nach der pandemiebedingten Absage 2020 offenbar mit einer Mission zurückgekehrt.
THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA können auf ihr begeisterungsfähiges Publikum zählen
Dank eines hitgespickten wie abwechslungsreichen Sets und ausgezeichneter Rahmenbedingungen, welche nur der etwas zu dominante Bass im Audiomix minimal trüben kann, ist sich selbst Sänger Björn Strid nach der ersten Viertelstunde sicher, dass man heute eine Nacht erleben würde, die man nicht vergesse. Glauben wollen wir ihm das gerne, da die bayerische Landeshauptstadt kurz zuvor in „Divinyls“ fast schon hingebungsvoll mitgesungen hatte und sich auch weiterhin ins Zeug zu legen weiß.
Zum beschwingten „Gemini“ etwa lässt nicht nur Gitarrist Rasmus Ehrnborn entspannt die Hüften kreisen, auch das Publikum schwingt hier und im Hit „Satellite“ munter das Tanzbein. So viel Begeisterung lässt natürlich selbst routinierte Musiker wie Bassist Sharlee D’Angelo (ARCH ENEMY) nicht kalt, dem ein ums andere Mal ein verstohlenes Grinsen über die Lippen huscht.
Andächtig wird es im Backstage, als THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA an Gründungsmitglied David Andersson erinnern
Alleine ist er damit keineswegs, denn auch wir verlieren uns immer wieder in der ausgelassenen Atmosphäre, die THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA nur selten, doch dann aus gutem Grund, auszubremsen wissen. So lässt uns Frontmann Strid vor dem ergreifenden „Paloma“ an dem durchaus ernsten Hintergrund des Stücks um eine einseitig-toxische Beziehung teilhaben. Geprägt wird der Track im Live-Format zudem durch den hellen Gesang der Background-Sängerinnen Anna Brygård und Åsa Lundman, die auch sonst oftmals einen beträchtlichen Beitrag zur Grundstimmung des 80er inspirierten Sounds beitragen.
Nachdenklich und ernst werden die Schweden nur noch einmal vor dem getragenen „Transatlantic Blues“, als sie des verstorbenen David Andersson gedenken, dessen Verlust für die Band einen tiefen Einschnitt bedeutete und dessen kompositorischem Talent man mit diesem Stück Ehre erweisen möchte. Es ist ein aufrichtiger Augenblick, der auch im Backstage seine Wirkung nicht verfehlt.
Zum Abschluss zieht eine Polonaise durch die rappelvolle Backstage-Halle
Weil Andersson zu Lebzeiten aber auch eine ganze Menge aufrüttelndes Material geschrieben hat, ist es nur folgerichtig, mit dem unverkrampften „Burn For Me“ eine seiner tanzbarsten Nummern ans Ende des regulären Sets zu stellen. Auf dem Höhepunkt der Stimmung angekommen werden die drei folgenden Zugaben in München mit dem größtmöglichen Enthusiasmus aufgenommen: Während die „Aeromanticas“ Anna Brygård und Åsa Lundman zu „White Jeans“ eine einstudierte Choreo zum Besten geben, reckt die Meute die Fäuste nach oben, nimmt in „Way To Spend The Night“ an einer imaginären Kneipentour teil und beschließt das rockige „West Ruth Ave“ mit einer immer weiter anwachsenden Polonaise durch die rappelvolle Halle.
Bei solch eindeutiger und geradezu überwältigender Resonanz ergibt plötzlich auch die jüngste Forderung der Schweden eine ganze Menge Sinn. Dass so viel Huldigung einen (gesunden) Größenwahn zur Folge haben muss, scheint nachvollziehbar: Nach der Welt fordert man jetzt auch noch den Mond: für die Münchner Anhängerschaft dem Anschein nach ein kleiner Preis, den man gerne zu zahlen bereit ist. Liegt es an der Magie der 80er oder den fransenbewehrten Bühnenoutfits, dass man in der bayerischen Landeshauptstadt erst NESTOR und nun THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA vollständig erlegen ist? Die Antwort müssen wir für heute schuldig bleiben, solange wir uns noch Gedanken machen, welchen Himmelskörper wir der Allstar-Gruppe wohl als nächsten Tribut zahlen könnten.
THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA Setlist – ca. 100 Min.
1. Stratus
2. California Morning
3. Shooting Velvet
4. Divinyls
5. Domino
6. Gemini
7. Cosmic Tide
8. This Boy’s Last Summer
9. Paloma
10. Satellite
11. Transmissions
12. Can’t Be That Bad
13. Transatlantic Blues
14. Burn For Me
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15. White Jeans
16. Way To Spend The Night
17. West Ruth Ave
Fotogalerie: THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA























Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)