Nachdem ich vor zwei Wochen bereits extra für das Europa-Debüt von SHADOW GALLERY zum ProgPower-Festival nach Baarlo gefahren war, wollte ich mir eigentlich den einzigen Deutschland-Auftritt der Band sparen. Doch der Auftritt in Holland übertraf alle meine Erwartungen, so dass ich mich dann doch auf den Weg nach Essen machte. Schließlich bekommt man derartig geniale Musik nur sehr selten live dargeboten.
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MAPLERUN begannen den Reigen mit rifflastigem Metal und dezenten Hetfield-Einflüssen. |
Just an diesem Samstag fand allerdings im benachbarten Bochum ein Auftritt von PAIN OF SALVATION statt, einer der wenigen hervorragenden Prog-Metal-Livebands. Dies dürfte mit dazu beigetragen haben, dass im Turock bestenfalls 200 Nasen erschienen. Dank sehr kurzer Umbaupausen konnte der Zeitplan mit insgesamt vier Bands eingehalten werden, ohne dass es allzu große Klangdefizite gab.
Den Anfang machten MAPLERUN aus Griechenland. Das Quartett hatte mit Prog nicht viel am Hut, bot dafür um so mehr Heaviness. Schwere Riffs trafen auf ein treibendes Schlagzeug. Ausgeschmückt wurde das Ganze mit relativ klarem Gesang, der häufiger an James Hetfield (METALLICA) erinnerte und für die nötige Eingängigkeit sorgte. Die Songs waren kompakt arrangiert, enthielten aber genug Abwechslung, um nicht monoton zu wirken. Man spürte vom ersten Ton an, wie die Songs in den Musikern pulsierten. Dieses geschlossene Auftreten sollte zusammen mit schlüssigen Tracks wie Unstable und dem neuen So Sad der Band helfen, in Zukunft bei Fans härterer Klänge zu punkten.
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DIVIDED MULTITUDE nutzen die kurze Spielzeit optimal, um ihren klassischen Prog Metal zu zelebrieren. |
DIVIDED MULTITUDE trafen im Anschluss den Geschmacksnerv des Publikums wesentlich besser. Bei der Bühnenshow waren die Norweger ähnlich agil wie MAPLERUN. Ihre eher vertrackten Prog-Metal-Songs besaßen jedoch weniger Durchschlagskraft. Die häufig mehrstimmigen Gesangsarrangements fielen positiv aus dem Rahmen. Ansonsten verstand die Band es, Härte und Verspieltheit ausgewogen zu betonen, so dass dem Publikum im Endeffekt ein unterhaltsames Vorprogramm geboten wurde, dem man die Kürze der Spielzeit (35 Minuten) nicht anmerkte. Vereinzelt löste die Musik sogar Begeisterung aus, die verglichen mit dem, was noch kommen sollte, jedoch zurückhaltend wirkte.
Ursprünglich waren MANTICORA als Headliner angekündigt gewesen, ehe SHADOW GALLERY noch mit auf Billing rutschten. Die Dänen gaben vom ersten Ton an Vollgas und behielten das knapp unterhalb der Thrash-Grenze liegende Tempo den ganzen Gig über bei. Im Mittelpunkt des Geschehens stand ganz klar Sänger Lars F. Larsen, der bestens bei Stimme und ständig in Bewegung war. Der Rest der Band war dagegen sehr mit seinen Instrumenten beschäftigt. Zumindest bei Schlagzeuger Mads Wolf war das nicht verwunderlich. Der Mensch trommelte sich nach allen Regeln der Kunst die Seele aus dem Leib. Musikalisch bedeutete das freilich, dass man 70 Minuten lang einem sprichwörtlichen Trommelfeuer ausgesetzt war, in dem wenig Platz für dynamische Aspekte war, zumal das Schlagzeug durch Trigger noch gleichförmiger klang als gewöhnlich. Die Publikumsreaktionen waren dennoch positiv. Neben diversen Songs von ihrem neuen Album Safe haten MANTICORA auch älteres Material wie Playing God und die beiden Teile des Gypsies´ Dance im Programm. Gegen Ende der Show taute die Saitenfraktion auch langsam auf. Am Ende drängten sich noch DIVIDED MULTITUDE in die erste Reihe und sangen lauthals mit. Mir persönlich fehlte bei dem permanenten Speed Metal-Gewitter die herausstechenden Melodien. Da halfen auch die sporadischen Keyboard-Samples nichts. Die (nicht unbedingt zahlreich) anwesenden Fans der Band waren jedenfalls bestens versorgt und gerockt worden und jubelten entsprechend lautstark.
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Sänger Lars F. Larsen war mit seiner voluminösen Stimme die treibende Kraft bei MANTICORA. |
Reichten bei den ersten drei Bands jeweils zehn Minuten zum Umbau, war SHADOW GALLERY bei weit über eine halbe Stunde nötig. Bevor es richtig los ging, wurde zudem noch Bohemian Rhapsody (QUEEN) vom Band eingespielt. Was wie eine Self-Handicapping-Maßnahme wirkte, sollte sich aber als absolut passende Einstimmung auf den folgenden Auftritt herausstellen.
SHADOW GALLERY live! Alleine dieser Punkt verdient einen neuen Absatz. Seit ich vor 16 Jahren das selbstbetitelte Debüt der Band zum ersten Mal gehört hatte, hoffte ich, die göttliche Musik einmal live erleben zu können. Das phänomenale Carved In Stone-Album machte noch mehr Hunger und spätestens bei Tyranny wäre eigentlich der perfekte Zeitpunkt für einige Konzerte da gewesen. Doch nichts passierte. Meine Hoffnung schwand zunehmend, zumal Chris Ingles die Band zwischenzeitlich verließ, und erreichte ihren Tiefpunkt, als Sänger Mike Baker 2008 verstarb.
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Trotz Erkältung lieferte Gitarrist Brendt Allman (SHADOW GALLERY) einen tollen Auftritt ab. |
Zwei Jahre später tourten SHADOW GALLERY nun wie der Phönix aus der Asche durch Europa. Das Erlebnis in Worte zu fassen ist nicht leicht und die nachfolgenden Schilderungen können sicherlich nur ansatzweise die Freude widergeben, die ich während des Auftritts empfand. In Essen war der Sound zum Glück halbwegs ordentlich ausgesteuert, was angesichts von vier Gitarren, drei Keyboards und jeder Menge Sänger nicht selbstverständlich ist. Los ging es mit dem Doppelpack Stiletto In The Sand und War For Sale. Gary Wehrkamp stand die Spielfreude förmlich ins Gesicht geschrieben, während er scheinbar mühelos die komplexen Gitarrenläufe aus dem Handgelenk schüttelte und zwischendurch auch noch Gelegenheit fand, Keyboardsoli einzubauen. Ähnlich sah es bei Carl Cadden-James aus, der sich von der komplexen Bass-Arbeit nicht vom Abrocken abhalten ließ und nur so vor Energie strotzte. Gitarrist Brendt Allman wurde an diesem Abend von einer kräftigen Erkältung geplagt, die sein Spiel und seine Stimme jedoch glücklicherweise nicht beeinträchtigte. Tourmusiker Eric Deigert agiert vorerst im Hintergrund am Keyboard, während Schlagzeuger Joe Nevolo den anwesenden Hobby-Trommlern zeigte, wie man es besser macht. Da saß jeder Schlag in jedem Fill, wobei die originellen Drumparts live erst so richtig zur Geltung kamen und die Eigenständigkeit der Band unterstrichen. Als letztes Puzzlestück im Gesamtbild SHADOW GALLERY 2010 betrat Brian Ashland die Bühne – stilecht mit Tyranny-Armbinde und Sonnenbrille. Und in dem Moment, als er die ersten Töne sang, war klar: Das sind SHADOW GALLERY! Und sie sind bärenstark. Denn die sechs Musiker agierten als eingespieltes Team, das die komplexen Kompositionen mit Bravour live umsetzte. Besonders die mehrstimmigen Backingvocals waren ein Traum.
Wo in anderen Bands das Ego des Gitarristen niemanden neben sich dudelt, hatten SHADOW GALLERY mit Eric Diegert extra einen weiteren Musiker dabei, der zusätzliche Keyboard- und Gitarrenstimmen beisteuerte. Sprich: Wenn ein Stück bei der Originalaufnahme ein zweistimmiges Gitarrensolo hatte, konnten Gary Wehrkamp und Brendt Allman dies gemeinsam spielen, während das Riffing darunter weiterging. Es waren teilweise eher kleine Feinheiten, die dadurch noch schöner schimmerten. Bei aller Eingängigkeit sind es aber auch gerade diese Feinheiten, die SHADOW GALLERY von der Konkurrenz abheben. Zu guter letzt griff auch Brian Ashland zwischendurch immer wieder zur Gitarre und machte dabei ebenfalls eine ausgezeichnete Figur. Seine Hauptrolle war jedoch die des Frontmanns und Sängers.
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Das Warten hat sich gelohnt: SHADOW GALLERY (im Bild Carl Cadden-James) hatten bei ihrer ersten Tour Songs von allen sechs Alben auf der Setlist stehen. |
Carl Cadden-James wandte sich nach Mystery ans Publikum und gedachte Mike Baker, worauf andächtiger Beifall folgte. Die prekäre Rolle als Nachfolger meisterte Brian Ashland auf würdige Weise, indem er die alten Stücke originalgetreu intonierte, ohne dass es auch nur ansatzweise aufgesetzt wirkte. Deeper Than Life klang beispielsweise so genial wie damals beim ersten Anhören 1995. Hier wie auch an anderer Stelle wurde deutlich, dass die Band für ihre Setlist ihre härteren Songs ausgewählt hatte. So druckvoll hatten die Songs bis dato noch nie geklungen. Auch Pain vom aktuellen Album Digital Ghosts machte eine überraschend gute Figur. Bei Destination Unknown gab es zwischendurch etwas sanftere Töne inklusive Querflöteneinsatz von Carl Cadden-James. Danach wurde mit Questions At Hand dem Debütalbum Tribut gezollt. Brendt Allman und Eric Diegert solierten sich die Finger wund, während Gary Wehrkamp (während des ganzen Songs am Keyboard) und Carl Cadden-James die hohen Schreie perfekt rüberbrachten.
Zur Abwechslung folgte die Ballade Ghost Of A Chance, ehe es eingebettet in Material vom neuen Album Soli von Joe Nevolo (Schlagzeug), Brian Ashland (Gitarre) und Gary Wehrkamp (Keyboard) gab, die aufgrund der nahenden Sperrstunde zum Glück kompakt gehalten wurden. Schließlich gab es noch genügend Songs, die noch größeren Unterhaltungswert besaßen. Für das Finale hatten SHADOW GALLERY zwei weitere Highlights aufgehoben: Crystalline Dream (mit wunderschönem Refrain und emotionalem Solo) und Haunted (Gänsehautatmosphäre die ganze erste Hälfte über). Entsprechend groß war der Jubel nach jedem Stück. Die Zugabe Gold Dust zeigte zwar die Schwächen des jüngeren Songmaterials auf, wurde aber dennoch abgefeiert. Denn mitreißende Mannschaftsleistungen sind im Prog Metal ohnehin selten. Im Fall von SHADOW GALLERY kann man nun aber getrost von einer der wenigen überragenden Live-Bands des Genres sprechen. Hätten WATCHTOWER 2010 nicht für ihre kurzweilige Reunion mit Alan Tecchio genutzt, wären SHADOW GALLERY in dieser Form ganz klar mein Konzert des Jahres gewesen. Aber auch so hat die Band aus Pennsylvania alle Erwartungen übertroffen und sich das Prädikat Weltspitzenklasse redlich verdient. Das Warten hat sich gelohnt!
Im Anschluss an den Auftritt legte der DJ passenderweise Metropolis Pt. 1 von DREAM THEATER auf. Musikalisch hatte das dasselbe Niveau wie SHADOW GALLERY – und im Vergleich zum Traumtheater war die Schattengallerie live um einiges überzeugender gewesen! Es war sehr schön mitanzusehen, wie Musiker von MANTICORA und DIVIDED MULTITUDE lauthals mitsangen und den Mittelteil fehlerfrei auf dem Luftschlagzeug nachzutrommeln.