OPEN FLAIR FESTIVAL – 31.5. – 2.6.2002 Eschwege / Werdchen

"Kultur in die Provinz" – unter diesem Motto gelingt es dem Arbeitskreis Open Flair e.V. bereits seit 1985 jedes Jahr erneut ein außergewöhnliches Festival in dem nordhessischen Städtchen Eschwege zu organisieren, von dem wir euch hier berichten möchten..!

Einleitung

„Kultur in die Provinz“ – unter diesem Motto gelingt es dem Arbeitskreis Open Flair e.V. bereits seit 1985 jedes Jahr erneut ein außergewöhnliches Festival in dem nordhessischen Städtchen Eschwege zu organisieren. Das Open Flair macht seinem Namen alle Ehre und fällt durch ein ungewöhnliches, fast schon zwiespältiges Programm und einem multikulturellen familiären Flair am Firmament der Festivalsaison auf. Und da wie jedes Jahr auch die härteren Klänge nicht vergessen werden, wurde es höchste Zeit einen Abgesandten des Vampster vorbeizuschicken.

Das Festival

Die große Stärke des „Open Flair“ Open Airs ist der Austragungsort, dem „Wäldchen“. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine großflächige Parkanlage, zentriert durch ein kleines schattenspendendes kreisrundes Waldstück, umgeben von freien Flächen, direkt angrenzend an den Fluß Werra inmitten der Innenstadt. Unweit der Fachwerkhäuser der Altstadt wirkt das Gelände wie eine Insel mit genug Platz, um diverse Bühnen und Zelte aufzustellen, eine Non-Food Verkaufsmeile anzubieten und die übrigbleibenden Flächen durch extravagante Attraktionen zu bereichern.

Das umfangreiche Programm, dass die Schwerpunkte Livemusik, Theater und Kleinkunst zu gleichen Teilen gewichtet, bietet an den drei Tagen Interessantes für fast jede Altersgruppe und jeden Geschmack. Es kommt also durchaus vor, dass tätowierte Biker neben einer vierköpfigen Familie beim „Jazzfrühschoppen“ harmonisch sitzen oder Metalheads mit Slayer T-Shirt bei den deutschen Popikonen „Alphaville“ mit dem Fuss wippen. Beim Open Flair ist alles erlaubt!

Die Eintrittspreise von 36 Euro im Vorverkauf für alle Tage und 3 Euro für´s Campen pro Person auf den anliegenden Grünflächen hielten sich im erfreulichen Rahmen. Negativ zu Buche schlugen dieses Jahr vor allem die hohen Essenspreise und die geringen sanitären Einrichtungen, die für die bis zu 10.000 Besucher eindeutig eine Zumutung waren.

Das Programm

Zwischen dem Multikulturangebot interessierte uns natürlich die metallische Seite des Open Flairs. Es lag also an mir, die interessanten Acts herauszupicken. Und zu denen gehörten hauptsächlich die Publikumsmagneten In Extremo am Freitagabend und die New Metaller Emil Bulls, Melancholie Beauty Heather Nova und die extravaganten Leningrad Cowboys am Samstag. Aber auch in Sachen „Kleinkunst“ landete Moses W. mit seinem Comedyprogramm „Rocker“ bei mir einen Überraschungserfolg.

Freitag:

Zeltbühne: Brainchild, Pale, Tell Your Mother, Die Happy, Fettes Brot, In Extremo. Kleinkunst: Urban Priol, Eckart von Hirschhausen, Sissi Perlinger, Julian Dawson, Hennes Bender

Platz-/Stadtaktionen: Stelzenclowns, Basteln, Powertruck, Pablo Zibes

Cafezelt: WM Eröffnungsspiel auf Videoleinwand, Good News

Samstag:

Zeltbühne: Parsley Island, Emil Bulls, Alphaville, Sportfreunde Stiller, Heather Nova, Leningrad Cowboys

Kleinkunst: Schandmaul, Don Kid´schote, Moses W., Fridolin´s Puppentheater, Heinz Rudolf Kunze, Rolf Miller, Paul Morocco

Platzaktionen: Powertruck, Pablo Zibes, Firebirds

Cafezelt: WM Spiel Deutschland – Saudi-Arabien auf Videoleinwand, Böttchers Büro

Sonntag:

Zeltbühne: Interstellar Pirates, DSS, Ganz Schön Feist, Mila Mar

Kleinkunst: Theater Altenburschla, Gerd der Gaukler, Heinz der Zauberer

Platzaktion: Harmony Hoppers, Powertruck, Roger & Over, Marchingband Dietermann

Waldbühne: Gottesdienst mit Good News

In Extremo (Zeltbühne):

Die Sünder In Extremo sind mal wieder von ihren Zügeln gelassen worden und machen mit ihrer mittlerweile routinierten Show die Republik und deren Festivals unsicher. In Eschwege waren sie eindeutig das Highlight des Tages und das ca. 2500 Menschen fassende Zirkuszelt der sogenannten „Zeltbühne“ war zu Beginn des Konzerts um 22.30h bereits bis in die letzten Reihen gefüllt. Dementsprechend leichtes Spiel hatten die Mittelalter Rocker, als sie mit den Tracks ‚Stetit Puella’, dem ‚Palästinalied’ und ‚Krummavisur’ einstiegen. Jetzt war die Zeit für erste Pyros gekommen, deren Funkenstrahlen beim Publikum ein freudiges Raunen erzeugten. Es gab eben einfach doch eine Menge Zuschauer, die In Extremo nur vom Namen her kannten und mit so etwas nicht gerechnet hatten. Die etwas „strange“ anmutenden Ansagen von Micha, alias „Das letzte Einhorn“ über die Inhalte der Songs taten ihr übriges, um die Welt von In Extremo zu definieren. Die Instrumente der Musiker wechselten genauso wie die Sprachen der Songtexte. Mit ‚Ai Vis A Lo Lop’, dem Hit des Debuts „Weckt Die Toten!“ erreichte die Stimmung einen ersten Höhepunkt. Mit den ‚Merseburger Zaubersprüchen II’ und dem anschließenden ‚Spielmannsfluch’ wurde das Niveau locker gehalten. Mit voranschreitender Setlist konnten In Extremo jedoch leider den Adrenalinspiegel nicht halten, trotz Hymnen wie ‚Vollmond’ und massivem Hüpf-Einsatz der ersten Reihen. Routine schlich sich ein und nur die Darbietungen von Flex, dem Biegsamen, der seinem Namen durch seine Leichtathletik auf der Bühne mal wieder alle Ehre machte und weiteren Pyroeffekten samt Feuerspucken konnten für Aufatmen in der Menge sorgen. Nach 16 Tracks war die Zugabe erreicht und hier konnten die schwermetallischen Spielmannsrecken endlich noch einmal zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Mit ‚Pavane’ und dem göttlichen ‚Rotes Haar’ setzten In Extremo ihrem teilweise zu routinierten Set doch noch die wohlverdiente Krone auf.

Emil Bulls (Zeltbühne):



Mitten während der auch auf dem Festivalgelände live übertragenen ersten deutschen WM Beteiligung gegen Saudi-Arabien war es um 14.30h natürlich eine absolut unpassende Zeit für die Emil Bulls auf die Bretter der Zeltbühne zu steigen. Die südbayrische Band, die als deutsches Gegenstück zu den Deftones gehandelt wird, konnte deshalb nur wenig Supporter ziehen. Die durchschnittlich sehr jungen Fans gaben ihr bestes, um ihre Faves zu unterstützen. Die Band ließ sich nicht lumpen und sprang, hüpfte und poste was das Zeug hielt. Es schlug Basser Citnoh sogar voller Enthusiasmus von der Bühne. Eine große Bassbox (das war wohl Schicksal) verhinderte einen tiefen Fall des Musikers und der Set konnte ohne eine Sekunde Unterbrechung fortgesetzt werden. Hart im nehmen, der Kerl. Die Konzerterfahrungen der Emil Bulls durch ihre Auftritte auf Rock am Ring, Rock im Park oder With Full Force waren bei allen Bullen deutlich zu erkennen. Allerdings vermisste ich die positiven Vibes, die eine energiegeladene Liveband freisetzen könnte. Ebenso gaben mir die Songs nicht wirklich viel. Ein fetter Sound und ein paar gute Riffs machen eben noch keine guten Songs. Die zuletzt performte Coverversion von Megadeth´s ‚Symphony Of Destruction’ konnte mich dann doch noch positiv stimmen, zeugte sie doch wenigstens von einem gesunden musikalischen Background der Musiker. Vielleicht lernen sie´s ja noch, hehe.

Moses W. (Kleinkunstzelt):

Mirco Nontschew – bekannt von „RTL Samstag Nacht“ – war ursprünglich für einen Comedy Auftritt im Kleinkunstzelt auf dem Open Flair eingeplant. Er sagte ab, und als Ersatz sprang der Newcomer Moses W. (einigen Ruhrpöttlern vielleicht von der „Semmelstraße“ her bekannt) ein. Kein schlechter Tausch, wie schon der Titel seiner Performance versprach: „Rocker“. Und Moses W. ist wirklich ein Insider. Kein Außenstehender kann mit solch großer einfühlender Parodie die Leidenschaft zu Vinyl entgegen der CD beschreiben oder den Moment rekonstruieren, wenn man als Teenager das erste Mal von seinen Eltern, wild mit der Airgitarre gestikulierend vor der eigenen Hifi-Anlage erwischt wird. Moses W. schafft es dabei witzige Selbstironie mit anspruchsvollen Werkzeugen zu produzieren. Jedenfalls kennt er sich mit der E-Gitarre genauso wie mit der Akustischen sehr gut aus. Seine Interpretationen von Scorpions-, Van Halen- und Led Zeppelin Klassikern fügten sich eindrucksvoll ins Bild ein. Wobei allerdings die Spoken Word Teile ähnlich wie bei Comedyhelden wie Jürgen von der Lippe an Klasse ganz locker die Oberhand gewannen. Moses W. ist kompetente Stromgitarren-Comedy der Extraklasse. Sicher nicht jedermanns Geschmack, aber witziger als sämtliche Stikki Fykks dieser Welt zusammen. Dementsprechend schnell war die Stunde im dünn besiedelten und bestuhlten Kleinkunstzelt vorbei. Achtet auf den Veranstaltungskalender im Vampster. Dort stehen die nächsten Auftritte des mighty Moses W. Linktipp: www.moses-w.de.

Heather Nova (Zeltbühne)


Nun ja, Heather Nova ist so eine Sache… auf der einen Seite spielt sie eigentlich nur soften Melancholierock, auf der anderen Seite berichten mir aber z.B. gestandene Black Metaller, dass die Karibik Schönheit ihnen regelmäßig kalte Schauern über den Rücken jagt. Eitel scheint sie zu sein, die liebe Heather, gab es doch strikte Anweisung nur von vorne zu fotografieren. Ich gab mein bestes.

Sehr stimmungsvoll war gleich zu Beginn die Lightshow, die mit blauen, grünen und roten Tönen den Zauber der Musik unterstreichen sollte. Und verzaubern konnte die Band, die sich um Heather geschart hatte. Allerdings nur die Zuschauer, die sich verzaubern lassen wollten. Und da war auch schon mein Problem. Ich kann mir Songs wie ‚Verona’, ‚Virus Of The Mind’ oder ‚Maybe An Angel’ durchaus gerne anhören. Wenn ein 17 Song langer Set allerdings kaum Veränderungen in Songgeschwindigkeit, Härte (wobei das Wort eher fehl am Platz ist) und Stimmung zulässt, schwindet irgendwann das Interesse und es wird eine Tortur, den Gig bis zum Ende durchzuhalten. Die zwei Akustikversionen von ‚Talk To Me’ und ‚Doubled Up’ gaben mir den Rest. Ein paar Songs der Marke ‚Sugar’ hätten durchaus auch für mehr Stimmung im Fancrowd und auch bei mir gesorgt. Doch bei diesem Track war die Setlist auch schon vorbei.

Leningrad Cowboys (Zeltbühne)



Die spinnen, die Finnen!!! Ganz ehrlich, ich hab noch nie so schlechte Musik auf einem Rockkonzert gehört und war trotzdem gleichzeitig so amüsiert. Die Leningrad Cowboys sind ein Mythos. Ein Kult, der auf diversen Filmen basiert, Realität geworden ist, und trotzdem solange unwahr bleibt, bis man ihre irrwitzige Show selbst miterlebt hat. Die Musiker, die das „r“ schon Jahre vor Rammstein so schön abgehackt rollen konnten, die Musiker, die dem instrumentalen Marxismus Tribut zollen und sich durch ihre Tollen an Schuh und Haar definieren sind gleichzeitig cool und abartig, extrem und massenkompatibel, gut und schlecht. Und eins verstehen sie ganz besonders: Stimmung machen! In ihren megabunten Anzügen feuerten die gegenseitigen Lookalikes über zwei Stunden eine Show ab, die sich gewaschen hatte. Auf eigensinnige Humppa Stücke wie ‚Säkkijärvi’ oder ‚Mardi Gras Ska’ folgten Covertunes von z.B. ‚Whisky In The Jar’, ‚Enter Sandman’ oder ‚Sympathy For The Devil’ in fast unerträglichen Posaunenversionen. Zwei wirklich appetitliche GoGo Tänzerinnen wirkten wie Flugbegleiterinnen auf den Weg zur Hölle. Und dann und wann tauchte die damenbärtige CSSR-Soldatin Tiina auf, um mit ‚Hot Stuff’ und ‚I Put A Spell On You’ die sowjetische Version von Rock And Roll Entertainment zu zelebrieren. Die Zeltbühne kochte. Positive Vibes wohin das Auge blickte. Nach 22 Songs und zwei Zugaben machte die adoptierte und jetzt bandeigene Hymne ‚Kasakka’ Schluß mit einer Vorstellung, die mehr bunter Traum als Wirklichkeit war. Aber die Chöre waren noch lange nach dem Erlischen der Spotlights auf dem gesamten Festivalgelände hörbar. Einzigartig!

Auch nächstes Jahr wird es wieder ein Open Flair Festival geben. Wer sich also selbst von den positiven Flair dieses extravaganten Events überzeugen will, sollte regelmäßig die Website des Festivals unter www.open-flair.de besuchen und sich rechtzeitig zu informieren.

Jens Koch

Kommentare zum Open Flair:

Sonja (33) aus Friedberg bei Frankfurt/M. kommt seit über 10 Jahren zum Open Flair. Sie liebt die lockere Atmosphäre und freute sich dieses Jahr vor allem auf In Extremo und die Leningrad Cowboys. Aber auch von Schandmaul war sie positiv überrascht. Obwohl sie durchaus die Qualitäten des Hefeweizen zu schätzen weiß, bedauert sie doch den Wegfall der traditionellen „Freibühne“ zugunsten des Paulaner Biergartens.

Annika (15), Christina (16) und Stefanie (16) aus Waldkappel haben sich beim diesjährigen Open Flair vor allem auf Die Happy, Fettes Brot, Sportfreunde Stiller, Sissi Perlinger und Mirko Nontschew gefreut. Sie genießen die gute Atmosphäre, besonders im schattigen Biergarten, bemängeln allerdings die starke Kontrolle der Open Flair Security und die hohen Getränkepreise.

Casjen (21), Imke (20), Markus (20) und Hartwig (22) kommen direkt aus Eschwege bzw. dem nahegelegenen Sontra. Sie schätzen das abwechslungsreiche Programm des Open Flairs, den ehrlichen handgemachten Rock. In ihrem Programm haben sie sich Urban Prior, In Extremo, Julian Dawson und die Leningrad Cowboys markiert. Auch sie bedauern die fehlende Freibühne und die hohen Preise für Getränke und Essen.


Dirk (33) aus Ronshausen beschreibt das Open Flair als ein „alternatives Volksfest“ mit einer sehr guten Atmosphäre. Er beschwert sich über den hohen Eintrittspreis für die Tageskarte am Samstag von 34,- Euro. Denn für ihn sind nur wenige Bands, unter ihnen In Extremo, Die Happy und Heather Nova interessant.

Alexander (33), seine Ehefrau Susanne (35) und ihr Sohn Luca (6 Monate) aus Rotenburg/F. reizt besonders die familiäre Atmosphäre auf dem Open Flair und natürlich das reichhaltige Angebot für die ganze Familie. Auch sie besuchen das Open Flair bereits seit mehreren Jahren empfinden es dieses Jahr aber als weniger „independent“ als früher (was sie u.a. auch am Streitpunkt Freibühne vs. Biergarten festmachen).

Abdullah (47) aus Dortmund ist als Non-Food Händler das zweite Mal beim Open Flair dabei. Er war dieses Jahr bereits u.a. auf Rock am Ring und grast noch weitere Festivals ab. Am Open Flair schätzt er das qualitativ hochwertige und abwechslungsreiche Programm. Er ärgert sich aber über die Standpolitik der Organisatoren, bei der jeder Händler zusätzlich zu seiner Standmiete auch noch eine Eintrittkarte kaufen muß.

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