Sie mögen nicht zur ersten Generation der großen 2000er-Welle gehören, doch mit mittlerweile neun Studioalben zählen OF MICE & MEN durchaus zu den Veteranen im Metalcore-Sektor. Ihren Status in der Szene haben sich die US-Amerikaner folglich ehrlich erarbeitet, insbesondere weil das Gespann die fundamentalen Werte des Genres weiterhin in Ehren hält. Zwar hat man dieser Tage durchaus ein Faible für zeitgenössische Trends und radiotaugliche Singalongs, doch in Zeiten von externen Songwritern und Produzenten-Teams schreiben OF MICE & MEN die Do-It-Yourself-Ethik nach wie vor groß.
Wie sich das auf die Bühne übersetzen lässt, verrät das Quartett an einem nasskalten Donnerstagabend im Münchner Backstage Werk, wo man neben dem neuen Werk „Another Miracle“ (2025) mit den durchaus populären GHOSTKID sowie den Alt-Metal-Newcomern GORE. ein stilistisch vielfältiges Paket geschnürt hat.
GORE.

Dass uns GORE. zunächst eher behutsam und sacht willkommen heißen, hatten wir trotzdem nicht auf dem Schirm. Der A-cappella-Auftakt von „Wrath“ wiegt uns indes in falscher Sicherheit, denn schon bald gesellen sich noisige, dezent chaotische Eruptionen zu Sängerin Hayleys gefühlvollem Klargesang.
Dass die Frontfrau auch anders kann, demonstriert sie in den nachfolgenden Minuten ein ums andere Mal: Giftige Screams begleiten das Chugging von „Sepsis“, wo die Band aber gleichzeitig in generische Bahnen zurückfällt. Djent-Vibes und matschige Downtuned-Riffs gehören im modernen Alternative Metal zum Genre-Standard und lassen die eigene Handschrift nur schwerlich hindurchblitzen.
GORE.-Sängerin Hayley Roughton sammelt durch ihr bodenständiges Auftreten Sympathiepunkte

Interessanter sind daher die getragenen und atmosphärischen Augenblicke, wo GORE. auch mal unverhohlen mit Pop-Anleihen flirten und von Hayley Roughtons ausdrucksstarker Singstimme profitieren. Überhaupt ist das bodenständige Auftreten der Fronterin überaus sympathisch, weshalb wir gerne ein wenig mehr Zeit mit den US-Amerikaner:innen verbracht hätten. Ein Fazit, mit dem wir heute Abend nicht alleine sind, wie ein prüfender Blick durch das Backstage Werk bestätigt.
GORE. Setlist – ca. 25 Min.
1. Wrath
2. Sepsis
3. Pray
4. Orbiting
5. Like You Meant It
6. Babylon
Fotogalerie: GORE.





















GHØSTKID

Alte Bekannte sind in der bayerischen Landeshauptstadt hingegen GHØSTKID. Die Band um Sänger Sushi (ex-ELECTRIC CALLBOY) war in den vergangenen Jahren schließlich regelmäßiger Gast in München, zuletzt selbst als Headliner an Ort und Stelle. Als dementsprechend zugkräftiger Special Guest ist dem Quintett die Unterstützung des Publikums also sicher.
Deshalb können es sich GHØSTKID auch problemlos leisten, direkt zum Auftakt einen Hit wie „Supernova“ aufzutischen: Trotzdem wird es im Werk ab hier mit jeder Minute nur noch hitziger. Springen dürfen die Müncher:innen im anschließenden „Hollywood Suicide“, während „Crown“ abermals zur Spielwiese für Bassist Stanni wird: Ein Sprung über den Wellenbrecher und schon ist der Mann mit dem gruseligen Make-up selbst das Zentrum des unermüdlichen Circle Pits.
GHØSTKID kämpfen mit technischen Problemen und haben das Publikum dennoch fest im Griff

Tatsächlich ist die Stimmung in der Halle so gut, dass sich selbst Frontmann Sushi die Laune nicht verderben lässt: Denn irgendwie will die Technik heute nicht so recht mitspielen, wie er uns wissen lässt. Das In-Ear-Monitoring mache Probleme, weshalb der Shouter trotz Ersatzgerät im Folgenden immer wieder am Empfänger herumspielt. Dass die gesangliche Performance darunter kaum leidet, verdient Respekt – denn nur selten übertreiben es GHØSTKID wie in „S3X“ mit übermäßigen Backing Tracks.
Zwischen treibenden Songs à la „FSU“ und dem emotionalen Finale „Heavy Rain“ vergeht die Zeit in der Halle wie im Flug, weshalb das Ende letztlich doch schneller kommt, als uns lieb ist. Immerhin gibt uns die Band zum Abschied ein kleines Trostpflaster mit auf den Weg: Das neue Album sei bereits in Arbeit; eine begleitende Headline-Tour sollte zu diesem Anlass doch Ehrensache sein, oder?
GHOSTKID Setlist – ca. 45 Min.
1. Supernova
2. Hollywood Suicide
3. Crown
4. You & I
5. FSU
6. S3X
7. Dirty
8. Ugly
9. Murder
10. Heavy Rain
Fotogalerie: GHØSTKID



















OF MICE & MEN

Was um halb zehn dennoch sofort klar ist: Trotz des warmen Empfangs für das Vorprogramm gilt die volle Loyalität im Backstage Werk zuvorderst dem Headliner. Die Hingabe der Fans scheint beispiellos, wie wir kurz nach dem Opener „Another Miracle“ feststellen. Mit den beiden Singalongs „Feels Like Forever“ und „Would You Still Be There” vom “Restoring Force”-Album (2014) ist das Eis unmittelbar gebrochen.
Die Lautstärke, mit der die Münchner:innen jede Textzeile mitsingen, ist beinahe überwältigend, während sich in der Arena selbst die verschwitzten Leiber pausenlos neu anordnen: Die verbissenen SLIPKNOT-Anleihen von „You Make Me Sick“ eignen sich eben hervorragend für den Moshpit, der sich schließlich ohne weiteres Zutun zur Wall of Death formiert.
OF MICE & MEN-Sänger Aaron Pauley sucht den Dialog zum Publikum

Dass die Chemie heute Abend stimmt, liegt aber neben der motivierten Zuhörerschaft auch an OF MICE & MEN selbst. Sänger Aaron Pauley sucht zwischen den Songs den Dialog zum Publikum, um seine Dankbarkeit auszudrücken, aber auch um die Bande zur eigenen Fangemeinde zu beschwören. Die sympathische Art des Frontmanns trägt sicherlich dazu bei, dass für das ruhige „Another You“ bald die komplette Halle im Schein der Smartphone-Leuchten erstrahlt.
Nichtsdestotrotz folgen die US-Amerikaner einem strengen Drehbuch, das durchaus seine Tücken offenbart. Als ein Fan mit einem eigens gestalteten Pappschild nach dem eigenen Lieblingssong fragt, können OF MICE & MEN diesen Wunsch nicht erfüllen. Allerdings fühle er sich nun etwas schlecht, gesteht Pauley, bevor er der mittlerweile von dannen gezogenen Dame immerhin den nächsten Song „Flowers“ widmet.
Zwischen den Songs verlieren OF MICE & MEN zu oft den Schwung

Wie das von Shoegaze-Einflüssen durchzogene „Wake Up“ handelt es sich um einen der ruhigeren Momente in einer Show, die nicht an Energie geizt und trotzdem mit dem Pacing zu kämpfen hat. Denn verbunden sind die einzelnen Stücke durch Ambient-Tracks, während der die Gitarristen Phil Manansala und Alan Ashby regelmäßig die Bühne verlassen. Das nimmt dem Set regelmäßig den Schwung und grenzt tatsächlich an Zeitschinderei.
Denn in rund 70 Minuten bringen OF MICE & MEN gerade zwölf Songs unter, während knapp ein Drittel des Auftritts aus Leerlauf besteht. Schade ist das vor allem, da sich die Songauswahl zum Großteil auf die beiden Platten „Restoring Force“ (2014) und „Another Miracle“ (2025) beschränkt und dadurch so manche Schaffensperiode der Band ungeachtet lässt.
Mit den Klassikern treffen OF MICE & MEN zuverlässig ins Schwarze

Dafür treffen gerade die Klassiker zuverlässig ins Schwarze: Vom spontanen Rudermanöver in „O.G. Loko“ über die zahlreichen Crowdsurfer während „Bones Exposed“ bis hin zum eindrucksvollen Publikumschor im Hit „Second And Sebring“ lassen die Höhepunkte des Auftritts keine Wünsche offen.
Hier macht sich wiederum die Routine der Musiker bezahlt, die sich ihren Status innerhalb der Szene nicht ohne Grund erarbeitet haben. Mit etwas Wohlwollen lassen sich damit sogar die dramaturgischen Schwächen erklären. Als Veteranen der Szene zählen OF MICE & MEN schließlich auch nicht mehr zu den unermüdlichen Jungspunden im Metalcore: Da wird man doch zwischen den Songs auch mal ein paar Sekündchen durchschnaufen dürfen, um genau dann alles geben zu können, wenn es wirklich darauf ankommt.
OF MICE & MEN Setlist – ca. 70 Min.
1. Another Miracle
2. Feels Like Forever
3. Would You Still Be There
4. Wake Up
5. You Make Me Sick
6. Obsolete
7. Another You
8. Back To Me
9. Flowers
10. Troubled Water
11. O.G. Loko
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12. Bones Exposed
13. Second And Sebring
Fotogalerie: OF MICE & MEN
















Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)