Eine Feier ist nur so gut wie ihre Gäste. Zittern dürfte Sean Tibbetts an seinem Ehrentag dennoch nicht: Obwohl er sich sein Publikum an diesem Sonntagabend kaum aussuchen kann, treibt es die Münchner:innen doch auch seinetwegen ins hiesige Backstage am Hirschgarten. Natürlich ist der Bassist nicht alleiniger Grund für die Zusammenkunft, doch ohne das Symphonic Power Metal-Urgestein KAMELOT wäre die Party heute wohl wesentlich intimer ausgefallen.
So jedenfalls darf man ins große Werk einladen, um das aktuelle Album „The Awakening“ (2023) vorzustellen – und um auf den Mann des Tages anzustoßen. Damit es in der gut gefüllten Halle aber nicht ähnlich unterkühlt bleibt wie vor den Toren, hat die multinationale Band mit Wurzeln in den USA ein buntes Tourpaket geschnürt, dem AD INFINITUM vorstehen und das von BLACKBRIAR sowie FROZEN CROWN komplettiert wird. Gute Aussichten also für die Fans, die zunächst etwas länger als geplant im Freien ausharren müssen. Dass sich der Einlass rund eine Viertelstunde verzögert, ist nicht nur aufgrund der nasskalten Witterung ungünstig: Aufgrund des zeitig angesetzten Showbeginns fällt der Startschuss in den Abend letztlich noch bevor man der Schlange vor dem Einlass Herr werden kann.
FROZEN CROWN
Zwar verpassen auch wir aus jenem Grund die ersten Minuten des Openers „Neverending“, vor leerer Halle spielen müssen FROZEN CROWN glücklicherweise dennoch nicht. Eine gar nicht so kleine Menschentraube feiert bereits bei bester Laune in der Arena, wo die flinken Riffs und Soli der beiden Gitarristinnen Sheena und Alessia die bayerische Landeshauptstadt auf Trab halten; jedenfalls wenn nicht gerade in „Call Of The North“ der Letztgenannten technische Probleme zu schaffen machen.
Pausieren kommt für die Italiener derweil nicht infrage: Die Spielzeit als Opener ist knapp bemessen und nach ein paar Handgriffen am Effektboard kehrt der Klang der zweiten Gitarre und damit auch das Grinsen im Gesicht der Musikerin zurück in die Halle. So kann es weitergehen: Während die Haarpracht im großen Bogen über die Bühne segelt, sucht Sängerin Giada „Jade“ Etro unentwegt den Kontakt zum Publikum.
Mit Elan und Charisma lassen FROZEN CROWN keinen Raum zum Durchschnaufen
Die Fäuste schießen folglich erst in der neuen Single „Far Beyond“ in die Luft, bis dann in der geradlinigen Power-Metal-Hymne „Kings“ die bayerische Landeshauptstadt die Arme freudig im Takt schwenkt und Etros Bandkolleg:innen in ihrem Rücken kollektiv den Kniefall proben. Nicht gänzlich zu Unrecht, denn obgleich heute hier und da die hohen Tonregionen nicht gänzlich sattelfest durchschritten werden, ist das charmante Charisma der Frontfrau unbestritten. Vielleicht streut „I Am The Tyrant“ zum Abschluss deshalb ein paar ungleich markige Growls ein – das Spiel der Kontraste mag bewährt sein, funktioniert aber auch bei FROZEN CROWN ganz wunderbar.
FROZEN CROWN Setlist – ca. 30 Min.
1. Neverending
2. Call Of The North
3. Kings
4. Steel And Gold
5. Far Beyond
6. I Am The Tyrant
Fotogalerie: FROZEN CROWN



















BLACKBRIAR
Nach dem kauzigen Auftakt folgt eine Viertelstunde später eine ungleich melancholischere Angelegenheit. Fast andächtig schreitet Zora Cock auf die Bühne, der schwarze Schleier über dem Gesicht ein Symbol für das, was uns die Sängerin wenige Augenblicke später mit Haut und Haar spüren lässt. Es bleibt nicht das einzige Mal im Verlauf des 45-minütigen Sets, dass ihre Stimme allein die einleitenden Takte trägt, bevor ihr die Bandkollegen nach und nach den Rücken stärken.
Irgendwo zwischen Gothic und Symphonic Metal zelebrieren BLACKBRIAR ihre düster-klagenden Kompositionen, die nicht selten von Fronterin Zoras wandelbarer Stimme getragen werden und daher allein wegen der stimmgewaltigen Performance im Live-Kontext an Intensität hinzugewinnen. Ausdrucksstark ist jedoch nebst der gesanglichen Darbietung von „I’d Rather Burn“ oder „Deadly Diminuendo“ noch ein ganz anderer Faktor, wie ein kurzer Blick über die Bretter klarstellt. Tatsächlich ist es Bassist Siebe Sol Sijpkens und dessen Spielfreude, die uns immer und immer wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Stimmgewalt und Spielfreude bilden das Erfolgsrezept BLACKBRIARs
Wie leidenschaftlich man selbst zu schwermütigen Klängen die Mähne kreisen lassen kann, demonstriert der Musiker im Sekundentakt, wenn er nicht gerade in „Selkie“ zu einem akrobatischen Karatekick ansetzt oder wie seine Kollegin kurzerhand in eleganter Manier über die Bühne tänzelt.
Einzig ein kleiner Makel lässt uns zur Halbzeit kurzzeitig die Stirn runzeln: Weshalb im ruhigen Auftakt von „Arms Of The Ocean“ das Piano vom Band kommt, wo doch Keyboarder Ruben Wijga im Outro doch selbstsicher zur Schau stellt, wie souverän er sein Instrument beherrscht, können wir nicht vollumfänglich nachvollziehen. Doch sei’s drum, den frenetischen Applaus haben sich BLACKBRIAR nach dem umjubelt aufgenommenen „Until Forever“ durchaus verdient.
Fotogalerie: BLACKBRIAR























AD INFINITUM
Erst zwei Tage ist das neue Album „Abyss“ alt, doch für AD INFINITUM ist es indiskutabel der Beginn einer neuen Ära. Davon will uns die Band am heutigen Abend überzeugen, wie Melissa Bonny recht früh im Set selbstbewusst kundtut. Wie ernst das Quartett es damit meint, zeigt bereits das Setdesign: Bunt strahlende LED-Röhren und -Scheinwerfer zieren die Backline, um den einzelnen Stücken die passende visuelle Untermalung zu spendieren.
Dass Drummer Niklas Müller dahinter etwas untergeht, verzeihen wir gerne: Immerhin zeigen AD INFINITUM in der vorderen Reihe ungemeine Präsenz. Adrian Thessenvitz etwa scheint die Aufmerksamkeit im Rampenlicht sichtlich zu genießen. Kaum vergeht eine Sekunde ohne passende Rockstar-Pose, so dass wir zwischendurch gar ins Grübeln kommen: Ob die gurtähnlichen Bänder, die von der Beinkleidung des Gitarristen herabbaumeln, der Band auch dazu dienen, den Aktivposten abseits der Bühne an die Leine legen zu können?
AD INFINITUM setzen vorwiegend auf den modernen Sound ihres aktuellen Albums „Abyss“
Denkbar wäre es, denn an Energie mangelt es im Backstage Werk nicht, wenn Melissa Bonny in „Aftermath“ vereinzelte Growls einstreut und ein djent-beeinflusster Breakdown den Härtegrad nach oben dreht. Stilistisch fällt das heute natürlich etwas aus dem Rahmen, insbesondere weil AD INFINITUM nahezu ausschließlich auf den modernen Sound ihres aktuellen Werks setzen. Die Symphonic-Klänge des Debüts werden folglich leider komplett übergangen, wohingegen die beiden Vorgängerscheiben mit insgesamt nurmehr drei Stücken bedacht werden.
Immerhin nimmt der Modern / Alternative Metal die Zuschauerschaft dank des gut balancierten Soundmixes schnell mit, wobei sich das an SPIRITBOX angelehnte „Outer Space“ schnell als erster Höhepunkt entpuppt. Selbstredend trägt daran auch Sängerin Melissa Bonny einen nicht unwesentlichen Anteil, die mit Stimmgewalt und Variabilität ebenso punktet wie mit natürlichem Charme.
Nicht alle neuen Songs entwickeln die gewünschte Live-Intensität
Doch so beeindruckend eine Gesangsperformance wie in „Aftermath“ sein mag, die dünne Substanz mancher Stücke vermag sie allein dennoch nicht zu kaschieren. Besonders wenn AD INFINITUM in „Anthem For The Broken“ zu sehr auf den getragenen Refrain setzen oder in der aktuellen Single „Surrender“ zeitgenössische Pop-Anleihen einstreuen, verpufft die Energie in der Halle schneller, als uns lieb ist. Das ist schade, denn gerade die stilistische Bandbreite der Band wäre potenziell eine große Stärke, hätte man sich nicht zu sehr auf das neueste Kapitel der Bandhistorie versteift.
AD INFINITUM Setlist – ca. 40 Min.
1. Follow Me Down
2. Aftermath
3. Upside Down
4. Anthem For The Broken
5. Outer Space
6. Surrender
7. Animals
8. The One You’ll Hold On To
9. My Halo
10. Unstoppable
Fotogalerie: AD INFINITUM





























KAMELOT
Selbst ohne die Musiker ist die Bühne gut gefüllt. Zwar muss die Darbietung im Münchner Backstage feuerschutztechnisch bedingt auf Flammenwerfer und dergleichen verzichten, fürs Auge haben KAMELOT trotzdem einiges im Gepäck. Von liebevoll gestalteten Requisiten über Sparkler-Effekte bis hin zu überdimensionierten Nebelmaschinen, deren voluminöse Schwaden bald von der Hallendecke zurück zum Boden sinken sollen, untermalt das Quintett seine teils bombastischen Arrangements mit adäquatem Pomp.
Die hörbare Begeisterung der angereisten Fans gilt nichtsdestotrotz der Band, die sich gut gelaunt und keineswegs distanziert zeigt. Sänger Tommy Karevik betritt beispielsweise schon in „Rule The World“ das kleine Podest im Fotograben, um den Anhänger:innen in der ersten Reihe besonders nah zu kommen. Ein bisschen Rockstar bewahrt sich der Frontmann natürlich trotzdem: Zwischendurch findet der Skandinavier, dessen Stage-Outfit kurioserweise dem von Kollege Daniel Tompkins (TESSERACT) nicht unähnlich ist, selbstverständlich die Zeit, sich für die Kameras in Pose zu werfen.
KAMELOT-Sänger Tommy Karevik erklimmt luftige Höhen
Überhaupt lenkt Karevik als Aktivposten die Aufmerksamkeit zumeist auf sich, obwohl Bassist und Geburtstagskind Sean Tibbetts seinerseits die Rastazöpfe quasi pausenlos auf Flugreise schickt. Dass der Soundmix bei aller Opulenz gerade in den symphonisch aufgeladenen Stücken à la „Opus Of The Night (Ghost Requiem)“ so manches Detail verschluckt, trübt die Atmosphäre im Backstage nicht im Geringsten, wo man jeden Track der abwechslungsreichen Setlist mit Jubel quittiert.
Während im rockigen „Insomnia“ die Arena mit den Beinen vom Boden abhebt, sucht Fronter Tommy seinerseits luftige Höhen: Auf dem im Bühnenzentrum errichteten Podest dürften den Sänger nur Zentimeter von der Hallendecke trennen, weshalb er im weiteren Verlauf der Show für den Szenenwechsel lieber in der Hocke bleibt. Glück im Unglück: Mit der Kapuze tief über das Gesicht gezogen versprüht dessen Silhouette fast ein wenig Superhelden-Flair – inmitten zweier Komparsinnen während „New Babylon“ ein durchaus symbolträchtiges Bild.
KAMELOT-Bassist Sean Tibbetts freut sich über ein Geburtstagsständchen
Weil KAMELOT aber weder One-Man-Show noch Theater-Act sind, vergessen die Mannen um Gründer und Mastermind Thomas Youngblood keineswegs die treue Anhängerschaft. So feuert der Gitarrist mal die linke, mal die rechte Seite der gut gefüllten Arena explizit zum Kampfschrei auf, bevor im Klassiker „Karma“ die geballten Sangeskünste der Münchner:innen gefragt sind. Für die Ballade „Willow“ darf das bewährte Lichtermeer natürlich ebenso wenig fehlen wie das Schlagzeugsolo vor dem starken „March Of Mephisto“. Zugegeben, spannender finden wir die kurze Keyboard-/Piano-Einlage Oliver Palotais, welche einem ganz besonderen Hit den Teppich ausrollt.
„Forever“ sorgt nicht nur für ekstatische Begeisterungsstürme, sondern wird anschließend auch zur Kulisse eines nicht alltäglichen Anlasses: Das erwähnte Geburtstagskind darf mit einem Gläschen Hochprozentigen auf das neue Lebensjahr anstoßen, während tausend Kehlen zum inbrünstigen Ständchen ansetzen. Dass KAMELOT anschließend mit einer zehnminütigen Vorstellungsrunde die Partylaune etwas dämpfen, wollen wir großzügigerweise als dramaturgische Zäsur ansehen. Immerhin muss der Zugabenblock ebenfalls noch etwas Schwung aufbauen dürfen.
AD INFINITUM-Sängerin Melissa Bonny stellt den weiblichen Gegenpart zu KAMELOTs Frontmann
Sodann schreitet der nun maskierte Tommy Karevik zurück auf die Bretter, um in „One More Flag In The Ground“ selbige über den Köpfen des Publikums kreisen zu lassen. Eine passende Einleitung für das Schlusskapitel „Liar Liar (Wasteland Monarchy)“, für das Melissa Bonny ein letztes Mal ihre Stimme leihen darf. Bereits in den vergangenen anderthalb Stunden stellte die AD INFINITUM-Sängerin in aller Regelmäßigkeit den weiblichen Gegenpart schenkte den einzelnen Nummern dabei von operettenhaften Spitzen in „Opus Of The Night“ bis hin zu harschem Growling jeweils eine zusätzliche Dimension.
Warum also nicht so aufhören, wie man angefangen hat? Zumal die Menge in der bayerischen Landeshauptstadt das Spiel der Kontraste genauso zu schätzen scheint wie wir selbst. Für KAMELOT natürlich ist das wohl so etwas wie ein Volltreffer. Denn wenn eine Feier tatsächlich nur so gut ist wie ihre Gäste, dann haben die Müncher:innen an diesem Sonntagabend durch ihre aufgeschlossene wie begeisterungsfähige Natur nicht nur Sean Tibbits, sondern der versammelten Mannschaft ein Geschenk gemacht, an das sich die Truppe vielleicht auch in den kommenden Wochen noch gerne zurückerinnern wird.
KAMELOT Setlist – ca. 90 Min.
1. Veil Of Elysium
2. Rule The World
3. Opus Of The Night (Ghost Requiem)
4. Insomnia
5. When The Lights Are Down
6. Vespertine (My Crimson Bride)
7. New Babylon
8. Karma
9. Sacrimony (Angel Of Afterlife)
10. Willow
11. The Human Stain
12. Drum Solo
13. March Of Mephisto
14. Keyboard Solo
15. Forever
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16. One More Flag In The Ground
17. Liar Liar (Wasteland Monarchy)
Fotogalerie: KAMELOT




















Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)