Arch Enemy live in München 2024

ARCH ENEMY, IN FLAMES, SOILWORK: Konzertbericht – Zenith, München – 20.10.2024

Die Crème de la Crème der schwedischen Metal-Szene? So oder so ähnlich versteht sich der Anspruch der „Rising From The North“-Tour, für die ARCH ENEMY und IN FLAMES als Headliner-Gespann endlich auch die großen Hallen bis zum Bersten füllen – in München jedenfalls waren die Tickets schon weit im Voraus vergriffen.

„The best of Swedish metal right here!” – Die Crème de la Crème der nationalen Metal-Szene verspricht SOILWORK-Sänger Björn “Speed” Strid zum Auftakt und setzt dabei die Messlatte selbst gehörig weit oben an. Zumindest die Zahlen scheinen dem selbstbewussten Statement Recht zu geben: Nicht nur umfasst das Line-up der „Rising From The North“-Tour mit den Co-Headlinern ARCH ENEMYIN FLAMES und eben dem Special Guest drei der dienstältesten Melodic Death Metal-Acts überhaupt, auch die Lokalität spricht in München eine deutliche Sprache. Fast 6.000 Besucher:innen fasst das ausverkaufte Zenith – da darf man sich also selbst als Opener getrost ein wenig aus dem Fenster lehnen.


SOILWORK

Soilwork live in München 2024

Zumal SOILWORK tatsächlich schon am frühen Abend auf eine gut gefüllte Hallenfläche blicken dürfen – und direkt auf Worte Taten folgen lassen. Mit „Stabbing The Drama“ einen ihrer größten Hits an den Anfang zu stellen, ist jedenfalls ein Ausrufezeichen mit angenehmem Nebeneffekt. Das Eis ist dadurch innerhalb kürzester Zeit gebrochen, sodass die Skandinavier in „Arrival“ das Tempo ohne Weiteres anziehen können.

Zwar kehrt das Sextett aufgrund der knapp bemessenen Spielzeit nicht zu ihrem Frühwerk zurück, doch Drive und Biss zeigt man dennoch: Die thrashigen Riffs der brandneuen Single „Spirit Of No Return“ entwickeln live gehörigen Drive, während das unkaputtbare „The Ride Majestic“ selbst vom wechselhaften Soundmix nicht ausgebremst werden kann.

SOILWORK sind zurück in der Spur – das Zenith dankt es mit einem Schwall an Crowdsurfern

Soilwork live in München 2024

Zumeist geht der Klang im Zenith jedoch in Ordnung, insbesondere wenn SOILWORK ihr melodisches Gesicht zeigen. Konsequenterweise begleiten hunderte gereckte Fäuste einen Track wie „Exile“, wo sich Björn Strid stimmlich in bester Verfassung zeigt. Gleiches gilt für das dezent angeproggte „Death Diviner“, das die Band auf dem SUMMER BREEZE 2023 noch kollektiv in den Sand setzte, heute aber in altbewährter Manier auf den Punkt zu präsentieren weiß.

Das einzige kleine Manko ist wohl auch der heutigen Rolle geschuldet: Ohne nennenswertes Setdesign und Lichtspektakel dominieren SOILWORK die große Bühne nicht in der Weise, wie wir das sonst vom sympathischen Gespann gewohnt sind. Für die ersten Crowdsurfern bietet die abschließende Hymne „Stålfågel“ dennoch den perfekten Soundtrack, um sich die Bühne für ein paar Augenblicke aus der Nähe anzusehen.

SOILWORK Setlist – ca. 40 Min.

1. Stabbing The Drama
2. Arrival
3. Exile
4. Distortion Sleep
5. Spirit Of No Return
6. Övergivenheten
7. Death Diviner
8. The Ride Majestic
9. Stålfågel

Fotogalerie: SOILWORK


IN FLAMES

In Flames live in München 2024

Der schwarze Vorhang mit dem Bandlogo verrät während des Changeovers bereits, wer heute zuerst ranmuss. Wechseln sich die beiden Headliner im Rahmen der Europatournee mit dem letzten beiden Slots für gewöhnlich ab, sind es heute IN FLAMES, die den Vortritt erhalten. Die Spannung schürt dabei das Intro in nostalgischer Weise: Nacheinander richtet sich das Scheinwerferlicht auf die einzelnen Musiker hinter dem schwarzen Tuch, während ausgewählte Song-Snippets die verschiedenen Abschnitte der Bandhistorie hervorheben. Mit über drei Dekaden auf dem Buckel schließen die Mitbegründer des Melodic Death Metal wohl endgültig alle Phasen ihres Schaffens ins Herz, was sich auch in der heutigen Songauswahl spiegeln soll.

Erst aber setzen die Göteborger mit US-Couleur im Line-up auf Bewährtes: Die unverkennbaren Synthesizer lassen erst den Groschen und dann den Vorhang fallen, als der unverwüstliche Klassiker „Cloud Connected“ den Startschuss setzt. Es ist ein vertrauter Auftakt, der die Stimmung im Zenith exakt aus diesem Grund aus dem Stand eskalieren lässt. Einzig Sänger Anders müssen wir kurzzeitig suchen, bis wir ihn im Hintergrund des mehrstufigen Sets zwischen Schlagzeug und Keyboard wiederfinden. Hören können wir den Entertainer mit seiner trockenen Art aber genauso ausgezeichnet wie die 6.000 textsicheren Fans, denen IN FLAMES allerdings auch ein paar unerwartete Kniffe vorsetzen.

IN FLAMES wagen einen kurzen Abstecher in die 90er

In Flames live in München 2024

Den furiosen Brecher „Take This Life“ etwa schiebt die Formation kurzerhand an den Anfang des Sets – mit der Brechstange gegen die letzten Hemmungen, sozusagen. Gerade die schnellen Stücke kommen in unserer Ecke der Halle zwar etwas matschig an, dafür passt die Soundbalance im Allgemeinen ganz gut – genauso wie die Songauswahl selbst, die in knapp 80 Minuten auf bewährte Hits, Raritäten und sogar den einen oder anderen Deep Cut à la „In The Dark“ setzt.

Dass bereits nach dem dritten Song ohrenbetäubende IN FLAMES-Chöre durch das Zenith schallen, schmeichelt nicht nur Anders Fridén, der sich lachenderweise direkt an TWISTED SISTER erinnert fühlt. Allein welches Stück dem Frontmann dabei im Kopf herumschwirrt, will er nicht verraten. Dafür erwidert die Formation die Wertschätzung mit einem Ausflug in die Vergangenheit. Als mit „Food For The Gods“ das erste Backdrop fällt und den Blick auf den eigenen Schriftzug freigibt, wirkt das wie ein Statement: IN FLAMES bedeutet nicht nur die modernen Hits der Neuzeit, sondern auch die Ära der 90er, aus der man mit dem fantastischen „Coerced Coexistence“ einen weiteren Schatz mitgebracht hat.

Bei IN FLAMES jagt heute ein Hit den nächsten

In Flames live in München 2024

Untermalt ist das Quasi-Best-of-Set dabei durch eine hochinteressante Lightshow, die anfangs eher einfach gestrickt schien, doch nun mit jedem Stück neue Details und Facetten offenbart. Das Ambiente könnte also kaum besser sein, um einige der größten Erfolge gemeinsam anzugehen. „Trigger“ singt die Band noch gemeinsam mit den Münchner:innen, woarufhin das Zenith im obligatorischen „Only For The Weak“ kollektiv im Takt zu springen weiß – es ist der unwiderstehliche Groove, in dem auch Bassist Liam Wilson sichtlich aufzugehen scheint.

Als sich im Anschluss mit „Meet Your Maker“ das Bühnenbild ein letztes Mal wandelt und im Hintergrund eine übergroße „Jesterhead“-Replik unserer begrenzten Zeit auf Erden gemahnt, haben IN FLAMES das Publikum schon längst für sich gewonnen. Spielfreudig und gut gelaunt suchen die Gitarristen Björn Gelotte und Chris Broderick den Blickkontakt zu den vorderen Reihen und ernten in „The Mirror’s Truth“ nur zu gerne den Sturm, den sie säen: Ohne stattlichen Circle Pit darf man heutzutage schließlich keine Metal-Show beenden.

IN FLAMES sind wieder zurück an der Spitze

In Flames live in München 2024

Ohne Paukenschlag übrigens genauso wenig, weshalb IN FLAMES für das Finale ein wenig im Archiv gewühlt haben. Gefunden haben die Urgesteine dabei den vielleicht besten Rausschmeißer ihrer Karriere: „My Sweet Shadow“ bringt exakt die Power und Emotion, die einer solchen Performance würdig ist. Nach dem etwas routiniert und lustlos wirkenden SUMMER BREEZE-Gig im vergangenen Jahr sind IN FLAMES wieder dort, wo sie hingehören: ganz oben.

IN FLAMES Setlist – ca. 80 Min.

1. Cloud Connected
2. Take This Life
3. Deliver Us
4. Paralyzed
5. In The Dark
6. Voices
7. Food For The Gods
8. Coerced Coexistence
9. Trigger
10. Only For The Weak
11. Meet Your Maker
12. State Of Slow Decay
13. Alias
14. The Mirror’s Truth
15. I Am Above
16. My Sweet Shadow

Fotogalerie: IN FLAMES


ARCH ENEMY

Arch Enemy live in München 2024

„Pure Fucking Metal“ – was nicht nur das Merchandise, sondern auch in großen Lettern das weiße Leintuch vor der Bühne ziert, ist zugleich Versprechen und Marketing-Slogan. An der Nase führen ARCH ENEMY somit niemanden herum: Sobald der Stoff fällt, bekommen wir exakt das, was vorne draufsteht. Ihren Melodeath spielen die Schweden um Sängerin Alissa White-Gluz dabei selbstverständlich weiterhin in absoluter Perfektion. Doppelläufige Leadgitarren, die zahlreichen Soli und das antreibende Drumming Daniel Erlandssons sind gewohnt auf den Punkt und noch dazu visuell ansprechend untermalt.

So ausgeklügelt wie bei IN FLAMES entwickelt sich die Lightshow zwar nicht weiter, dafür sorgen aufsteigende Nebelsäulen, die allgemein gute Ausleuchtung der Musiker und das in diverse Farben getauchte Pentagramm im Zentrum für die passende Atmosphäre. ARCH ENEMY machen also auch ohne Jeff Loomis erstmal alles richtig – dessen vereinnahmende Bühnenpräsenz erreicht Gitarrist Joey Concepcion zwar noch nicht, am Instrument selbst jedoch lässt der motivierte Nachfolger nichts anbrennen.

ARCH ENEMY verlassen sich auch heute auf ihre Stärken

Arch Enemy live in München 2024

Ein Fazit, das sich ohne Weiteres auf die komplette Show der Schweden übertragen ließe, denn bei allem Perfektionismus erkennen wir im Laufe der 75 Minuten auch einen spürbaren Hang zur Risikovermeidung. Der Setlist haben ARCH ENEMY mit den thrashigen und recht kompromisslosen Singles „Dream Stealer“ sowie „Liars & Thieves“ zwei aktuelle Neuzugänge spendiert, ansonsten verlässt sich die Band auf genau jene Stücke, die bereits seit mehr als fünf Jahren das Rückgrat der Live-Shows bilden. Raritäten oder generell älteres Material haben anno 2024 offenbar keinen Platz im Set, wobei sich die Münchner:innen mit „Under Black Flags We March“ immerhin über eine Tour-Premiere freuen dürfen.

Hier stolziert Alissa White-Gluz wie gehabt mit der bandeigenen Flagge über die Bühne, nachdem sie sich zuvor auffällig stark zurückgenommen hatte. Während der Anfangsminuten – jedenfalls solange die Pressevertreter:innen im Fotograben ihrem Werk nachgingen – flüchtete die Fronterin gar für zwei komplette Songs in die hintere Reihe. Es ist symptomatisch für eine Performance der Shouterin, die heute ein wenig zu kalkuliert und dabei lustlos wirkt.

Gerade das Stageacting wirkt bei ARCH ENEMY heute auffällig einstudiert

Arch Enemy live in München 2024

Zwar lässt White-Gluz in „House Of Mirrors” und „As The Pages Burn“ überraschend ein paar klar gesungene Zeilen aufblitzen, ansonsten wirkt vieles an der Darbietung eher wie Dienst nach Vorschrift. Einstudierte Abläufe bis hin zur gemeinsamen Headbang-Choreo in „No Gods, No Masters“ nehmen dem Auftritt eben jenen Funken Persönlichkeit, auf den IN FLAMES noch zählen konnten. Schade ist das, weil ARCH ENEMY eigentlich von groovenden Riffwalzen à la „My Apocalypse“ oder „First Day In Hell“ bis hin zur eingängigen Hymne „The Eagle Flies Alone“ ein breites Spektrum bedienen, das durchaus seine Fans erreicht.

Gefeiert wird die Formation im Zenith nämlich trotz allem gebührend, was spätestens in „Sunset Over The Empire“ kaum mehr zu überhören ist. Die Lead-Gitarre begleiten tausende Kehlen erst während des Stücks und anschließend noch eine ganze Weile länger, so dass selbst den zuvor so ernst wirkenden Musiker:innen das eine oder andere Lächeln übers Gesicht huscht. Als Dank gibt es zum Finale nicht nur den erwarteten Hit „Nemesis“, sondern auch einige aufblasbare Bälle im Band-Design. Das ist als Überbleibsel aus der Festivalzeit nett gemeint, wirkt aufgrund des zuvor so unpersönlichen Auftretens allerdings ein wenig aufgesetzt.

ARCH ENEMY, IN FLAMES und SOILWORK sorgen für einen kurzweiligen Konzertabend

Arch Enemy live in München 2024

Statt die Spielverderber zu spielen, genießen wir aber lieber die letzten Augenblicke eines insgesamt musikalisch starken und kurzweiligen Konzertabends. Während um uns herum die empor gehaltenen Smartphones eben jene Sekunden für die Nachwelt einzufangen suchen, denken wir noch einmal an Björn Strids einleitende Worte zurück. „The best in Swedish metal!“, versprach der Sänger und lag damit schlussendlich gar nicht so falsch. Jedenfalls, wenn damit nicht gleichzeitig Exklusivität eingefordert wird. Denn während es im Norden selbstverständlich großartige Acts im Überfluss gibt, ist für uns zumeist ein Detail ausschlaggebend: Am besten ist (Pure Fucking) Metal doch immer dann, wenn er – wie heute größtenteils zu erleben – wirklich von Herzen kommt.

ARCH ENEMY Setlist – ca. 75 Min.

1. Deceiver, Deceiver
2. The World Is Yours
3. War Eternal
4. My Apocalypse
5. Dream Stealer
6. House Of Mirrors
7. Under Black Flags We March
8. Liars And Thieves
9. The Eagle Flies Alone
10. First Day In Hell
11. As The Pages Burn
12. Sunset Over The Empire
13. No Gods, No Masters
14. Nemesis
15. Fields Of Desolation (Outro)

Fotogalerie: ARCH ENEMY

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)