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ANY GIVEN DAY, OF VIRTUE, DOOMCRUSHER: Konzertbericht – Backstage Halle, München – 17.02.2024

Vielleicht zum letzten Mal auf kleiner Bühne: ANY GIVEN DAY demonstrieren einem ausverkauften Münchner Backstage, warum das Motto der “Limitless”-Tour keine leere Worthülse ist.

Eine Tour ohne Limits versprechen ANY GIVEN DAY, dabei war das erste schon viele Wochen im Voraus erreicht. Dass die Tickets für den Halt in München bereits im vergangenen Jahr zur Neige gingen, überrascht rückblickend betrachtet kaum, schließlich ist die hiesige Backstage Halle für die deutsche Metalcore-Band eigentlich vollkommen unterdimensioniert. Nicht umsonst stand man während der letzten beiden Gastspiele 2019 und 2022 auf der größeren Bühne des anliegenden Werks.

Ein wenig Exklusivität haftet der bevorstehenden Show somit an: Vielleicht ist es sogar die letzte Gelegenheit, das Quintett in einem solch intimen Rahmen zu erleben: Auge in Auge, ohne Fotograben und dadurch eben auch ganz nah. Die Stimmung vor den Toren ist trotz der kleinen Verzögerung am Einlass entsprechend losgelöst. Natürlich wegen der unmittelbar bevorstehenden Albumpräsentation, aber natürlich auch aufgrund des Supportprogramms der „Limitless“-Tour, welches neben den US-Amerikanern OF VIRTUE mit DOOMCRUSHER ein brandneues Projekt auf die Bretter schickt.


DOOMCRUSHER

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Obwohl das Quintett erst Anfang des Jahres seine Debüt-Single veröffentlicht hat, kann man in den eigenen Reihen auf geballte Erfahrung zählen: Neben Jean Bormann (RAGE) greift ANY GIVEN DAY-Gitarrist Andy Posdziech in die Saiten – volles Programm also für den Musiker, der sich die Doppelschicht aber kaum anmerken lässt. Von der ersten Sekunde an zeigt sich das Gespann motiviert und gut gelaunt, wobei vor allem das breite Grinsen des unermüdlichen Shouters Marv schnell ansteckend wirkt.

Den Rest erledigt der moderne und dabei doch abwechslungsreiche Metalcore DOOMCRUSHERs, welcher mal mit tanzbarer Synth-Untermalung an eine treibende Version von THE BROWNING erinnert, nur um kurz darauf mit kraftvollen Clean-Vocals in der Schnittmenge von ANY GIVEN DAY und AS I LAY DYING zu landen. Insbesondere der raue Klargesang Jean Bormanns harmoniert hervorragend mit der klaren Stimme von Bassist Rob Lee, was auch dem Publikum im Backstage nicht verborgen bleibt.

DOOMCRUSHER ziehen in kurzer Zeit das Publikum auf ihre Seite

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Konnten wir die Leiber im Pit während des Openers noch an einer Hand abzählen, wird es im Zentrum schnell unübersichtlich, als die Münchner:innen auf Kommando vom Boden abheben oder zwischen Soli und Breakdowns die ersten Kreise ziehen. Dass es also nach 25 Minuten mit der Single „Breakout“ bereits wieder Abschied nehmen heißt, ist geradezu bedauerlich. Immerhin hätten wohl nur noch ein paar Augenblicke gefehlt, um das minütlich auftauende Publikum endgültig zum Explodieren zu bringen.

Fotogalerie: DOOMCRUSHER


OF VIRTUE

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Dass OF VIRTUE im Anschluss mit ihrem groove-betonten Alternative Metal eine leicht andere Baustelle beackern, soll dem Quartett nicht zum Nachteil gereichen. Der Aufforderung, während „Cold Blooded“ die Smartphone-Leuchten im Takt zu schwenken, kommt die Backstage Halle gerne nach, nur um den Einsatz von selbst zu erhöhen, wenn Songs à la „A.N.X.I.E.T.Y.“ oder „True Colors“ ins härtere Extrem abdriften. Circle Pit und Breakdown-Gewitter funktionieren heute Abend trotz der etwas leise gemischten Gitarren ganz ausgezeichnet, wie es scheint.

Zu schätzen weiß das auch Sänger Tyler, der sympathisch und bodenständig durch das Set führt und sich auch nicht zu schade ist, zwischenzeitlich das Szepter abzugeben. Gitarrist Damon übernimmt etwa in „Sinner“ große Teile des Leadgesangs und ist auch sonst sowohl stimmlich als auch körperlich durchwegs präsent. Ohnehin scheint die Bindung zwischen OF VIRTUE und ihren Fans eng zu sein: Die spontane Herz-Geste des Musikers im offenbarenden „Sober“ erwidern zahlreiche Anhänger:innen im Handumdrehen.

OF VIRTUE verlassen sich zu sehr auf Backing Tracks, legen sich ansonsten aber ins Zeug

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Geschmälert wird die Freude hingegen durch den überbordenden Einsatz von Backing Tracks: Neben einigen Beats und Synthesizern kommt auch der komplette Bass vom Band, wodurch gerade in den ruhigen, von ‘RnB’ beeinflussten Strophen mancher Stücke der Gesang als einziges Element live dargeboten wird. Das geht sicher besser, zumal sich OF VIRTUE ansonsten sichtbar ins Zeug legen. Während Gitarrist Michael zwischenzeitlich das Smartphone eines Fans stibitzt, um ein paar unvergessliche Videoaufnahmen zu tätigen, geht Shouter Tyler sogar noch einen Schritt weiter, indem er für das abschließende „Cannibals“ den Moshpit höchstpersönlich antestet.

OF VIRTUE Setlist – ca. 35 Minuten

1. Cut Me Open
2. Cold Blooded
3. Sober
4. A.N.X.I.E.T.Y.
5. True Colors
6. Sinner
7. Hypocrite
8. Cannibals

Fotogalerie: OF VIRTUE


ANY GIVEN DAY

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Wenn das Vorprogramm eines gezeigt hat, dann ist es die Partylaune der Münchner:innen, die heute offenbar zu allem bereit sind. Dass man um kurz vor halb Zehn in der Backstage Halle das Tour-Motto „Limitless“ hingegen wortwörtlich versteht, verschlägt uns doch kurzzeitig die Sprache. Dabei hätten wir es kommen sehen können: Mit der Lead-Single „Get That Done“ und dem Live-Kracher „Never Surrender“ liefern ANY GIVEN DAY schon zum Auftakt die Steilvorlage für einen fast schon legendären Abriss.

Der Moshpit wächst im Sekundentakt, während das Quintett auf der Bühne sein Bestmögliches tut, um die elektrisierende Stimmung in der kuscheligen Halle in entsprechende Bahnen zu lenken. Große Aufforderungen sind derweil gar nicht nötig. Wie selbstverständlich klatschen die Zuschauer:innen in den ruhigeren Breaks mit, bevor sich zahlreiche Beinpaare im Takt vom Boden lösen. Gar das komplette Programm im Schnelldurchlauf spult die bayerische Landeshauptstadt im früh gezückten „Endurance“ ab, wo zwischen Circle Pit und springenden Fans auch die ersten Crowdsurfer nach vorne segeln. „Ihr seid doch irre!“, quittiert Sänger Dennis Diehl, um im Anschluss die ersten anzüglichen Forderungen zunächst abzuwiegeln.

Sogar ANY GIVEN DAY-Sänger Dennis Diehl zieht es in den Moshpit

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Sich seiner Kleidung entledigen will der muskelbepackte Frontmann so früh noch nicht, man müsse doch die Spannung aufrechterhalten. Statt Running Gags will der gut aufgelegte Hühne lieber noch mehr Crowdsurfer sehen, die im folgenden „Levels“ bald die komplette Bühne säumen und Bassist Michael Golinski in der zweiten Reihe nur verdutzt grinsen lassen. Klar, es ist ein fast schon absurdes Bild, bei dem in Abwesenheit eines Fotograbens nicht nur die Roadies alle Hände voll zu tun haben: Auch Diehl selbst greift den ankommenden Fans bereitwillig unter die Arme, bevor es von den Brettern wieder zurück in die Menge geht.

Dass sich der Shouter im Anschluss fast selbst wieder um die gesammelten Sympathiepunkte bringt, indem er den Bayern ausgerechnet eine “Becks”-Flasche zum Prosit entgegenhebt, können wir nur als versehentlichen Fauxpas verbuchen. Übel nimmt ihm das glücklicherweise niemand so richtig, wie sich kurz darauf zeigt: Nicht nur teilt sich die Menge vor „Unrbeakable“ artig für die kommende Wall of Death, auch ein paar Liegestütze absolviert man dort gern als Aufwärmprogramm. Irgendetwas scheinen die Anhänger:innen dabei richtig gemacht zu haben, denn dem folgenden Tumult kann sich nicht einmal Dennis Diehl entziehen. Als sich die Menschentraube in Erwartung des Breakdowns abermals öffnet, finden wir statt der üblichen angetrunkenen Spaßvögel plötzlich den Frontmann persönlich im Zentrum, an dessen Brust kurz darauf die Leiber abprallen, als wäre nichts gewesen.

ANY GIVEN DAY reihen Hit an Hit, verzichten aber auf Überraschungen

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Zugegeben, dieses Spektakel adäquat in Worte zu fassen, ist nahezu unmöglich. Fast scheint es so, als spiele man sich heute gegenseitig in Ekstase. Auf Aktion folgt Reaktion: Das zur Halbzeit entledigte Shirt Dennis Diehls wird mit einem segelnden Büstenhalter entlohnt; die melancholische Atmosphäre der Powerballade „Lonewolf“ durch zahlreiche Lichter im Publikum begleitet. Suchten wir das Haar in der Suppe, fänden wir es wohl nur bei der Songauswahl. Obwohl ANY GIVEN DAY auf dieser Tour einen Hit an den anderen reihen, stehen Überraschungen nicht auf dem Programm. Abseits der aktuellen Stücke konzentriert sich die Metalcore-Band auf exakt das Material, das schon in den vergangenen fünf Jahren das Rückgrat der Live-Shows bildete.

Dazu zählt auch die akustische Interpretation des Klassikers „Home Is Where The Heart Is“, das Dennis Ter Schmitten mit der Akustikgitarre begleitet, bevor die Gruppe zumindest mit einem Kostümwechsel kurzzeitig für frischen Wind sorgt. Für den Western-Track „Come Whatever May“ kleiden sich die Musiker in Cowboy-Hüte und Mäntel, was selbstverständlich so kitschig ist, wie es sich anhört. Die gesunde Portion Selbstironie ist zugleich allerdings ähnlich erfrischend wie die bereitwillig verteilten Wasser-Reserven nach dem folgenden „Apocalypse“.

Mit ein wenig Fanservice beschließen ANY GIVEN DAY die “Limitless”-Tour

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In Routine verfallen wollen ANY GIVEN DAY mit fortschreitender Spieldauer derweil nicht. Selbst zum Ende hin gibt die Band Vollgas, indem sie etwa für „H.A.T.E.“ DOOMCRUSHER-Frontmann Marv als Unterstützung hinzuzieht. Allein den Klargesang Christopher Wieczoreks (ANNISOKAY) vom Band abzuspielen, halten wir für mindestens fragwürdig, zählt man doch mit Bassist Michael Golinski und vor allem dem unermüdlichen Dennis Ter Schmitten zwei ganz formidable Background-Sänger in den eigenen Reihen.

Aufhalten wollen wir uns damit allerdings nicht weiter, immerhin bitten ANY GIVEN DAY für den Hit „Savior“ erst alle weiblichen Besucher:innen zu sich auf die Bretter, bevor auf der Zielgeraden mit „Arise“ und dem RIHANNA-Cover „Diamonds“ zwei weitere Fan-Lieblinge den Sack zu machen. Dass Letzteres ins Set zurückgekehrt ist, hat einen ganz einfachen Grund, wie uns Sänger Dennis Diehl mitgibt, bevor er sich auf den Händen der Fans ein letztes Mal durch die Halle tragen lässt. Der virale Hit aus den Anfangstagen sei unser Song, den man dementsprechend lautstark mitsingen solle.

ANY GIVEN DAY eilen von einem Superlativ zum nächsten

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Ein klein wenig Fanservice zum Abschluss, der für die Münchner:innen aber die sprichwörtliche Kirsche auf der Sahnetorte zu sein scheint. Immerhin eilten ANY GIVEN DAY gute anderthalb Stunden von einem Superlativ zum nächsten, während das kondensierte Wasser im stickigen Club bereits von der Decke tropfte. Es sind Bilder und Momentaufnahmen des Abends, die wir in diesen letzten Minuten ganz bewusst abspeichern, denn wenn wir nach den Live-Qualitäten der Gelsenkirchener gehen, dürften die kleineren Locations nach den „Limitless“-Konzerten endgültig der Vergangenheit angehören – allein schon, um dem Tour-Motto auch in dieser Hinsicht Rechnung zu tragen.

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ANY GIVEN DAY Setlist – ca. 95 Min.

1. Get That Done
2. Never Surrender
3. Limitless
4. Endurance
5. Levels
6. Loveless
7. Best Time
8. Unbreakable
9. Never Say Die
10. Lonewolf
11. Home Is Where The Heart Is (Acoustic)
12. Come Whatever May
13. Apocalypse
14. H.A.T.E.
15. Savior
16. Arise
17. Diamonds (RIHANNA-Cover)

Fotogalerie: ANY GIVEN DAY

Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)

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