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W.A.S.P.: Show-Schweinereien contra sozialkritische Substanz

W.A.S.P. durch und durch zu verabscheuen, ist dank des extremen Bühnengebahrens der Band wahrlich nicht schwer. Doch neben dem Live-Schwein Blackie Lawless gibt es noch den Denker Blackie Lawless, der auf Alben wie “Headless Children”, “Crimson Idol” oder der aktuellen Veröffentlichung “Unholy Terror” mit sozialkritischer Substanz überrascht. Ein Versuch, der facettenreichen Persönlichkeit auf dem Grund zu gehen – nicht durchweg erfolgreich…



Eine Band wie W.A.S.P. durch und durch zu verabscheuen, ist wahrlich nicht schwer. Wer primitive Textblasen wie “Fuck Like A Beast” in die Welt sitzt und trotz Überschreitens der 40 Jahre-Altersgrenze immer noch intoniert, wer bei Live-Shows blutige Vergewaltigungsszenarien inszeniert und seine Zuschauer mit lebenden Regenwürmern berieselt, macht sich wahlweise ewigwährender, plump-pubertärer Provokationshaltung oder fortgeschrittenen geistigen Stumpfsinns schuldig. Klappe zu, Affe tot. So einfach wäre es, gäbe es nicht auch Alben wie “Headless Children” oder “The Crimson Idol”, und würde Blackie Lawless, Sänger, Gitarrist und Vordenker W.A.S.P.s, sich in Interviews nicht regelmäßig als intelligenter, gebildeter und gar gläubiger Mensch präsentieren, der so ganz und gar nicht dem Bild des infernalisch kreischenden, blutbesudelten, debilen Musik-Metzgers entspricht, das er auf der Bühne vermittelt. Auch “Unholy Terror”, aktuelles Album seiner Band, legt Zeugnis ab von jener merkwürdigen Schizophrenie, verzichtet es auf Gewalt-, Sex-, Party- und sonstige Textexzesse, die die Vorgänger-Veröffentlichungen “Kill Fuck Die” und “Helldorado” prägten, und setzt sich ebenso kritisch wie energisch mit Mißständen in Politik und organisierter Religion auseinander. Reichlich neuer Input für die ambivalente Haltung des Autors dieser Zeilen, mit der er dem Phänomen W.A.S.P. respektive Blackie Lawlesse seit Jahren begegnet. Eine Haltung zwischen Abscheu und Faszination, die der Aussicht auf ein persönliches Gespräch mit besagtem Künstler durchaus Reiz verlieh.

Blackie, Du sagtest einmal, Eure Alben würden immer jene Gedanken- und Lebensinhalte reflektieren, die Dich in den Monaten vor der Produktion am meisten beschäftigt haben. Was also hat die Arbeit an “Unholy Terror” geprägt, das sich inhaltlich ja doch sehr von seinen Vorgängern unterscheidet?

Die ganze Idee hinter “Unholy Terror” ist, daß man selbständig denken soll, um Wahrheit und Antwort zu finden. Und zwar im Hinblick auf ALLES! Im Zusammenhang mit dieser Aussage handelt das Album sowohl von Politik als auch von Religion. Bis ich 18 war, war ich selbst ein regelmäßiger Kirchgänger. Ich war sehr religiös, und niemand hatte mich gezwungen, in die Kirche zu gehen, das habe ich aus freiem Willen getan. Aber nach und nach wuchs meine Verwirrung, und mein Mut sank, denn ich habe in der Kirche nicht die Antworten gefunden, die ich gesucht habe. Also habe ich mich von ihr abgewendet. Danach habe ich mich lange mit Okkultismus beschäftigt, bin also von einem Extrem ins andere geraten. Es dauerte drei Jahre, bis mir bewußt wurde, daß ich im Grunde nur eine organisierte Religion gegen die andere getauscht hatte. Mir war klar, daß das nicht funktionieren konnte, also habe ich damit aufgehört. Viele Jahre vergingen, bis mir klar wurde, was mich eigentlich beschäftigte und so verwirrte! Nun, ich kenne die Bibel sehr gut. Und ich erinnere mich an nicht eine einzige Stelle in ihr, die besagt, man solle Krieg gegen anderen Menschen führen. Oder daß man Abtreibungskliniken in die Luft sprengen soll. Oder daß mir ein kleiner Mann in Italien vorzuschreiben hat, daß ich Freitags keinen Fisch esse. Das alles habe ich nirgends gelesen, und mir wurde klar, was mit mir los war: Ich war nicht unzufrieden mit dem, was ich aus der Bibel gelernt hatte, sondern mit der Institutionalisierung der Kirche und der organisierten Religion. Und das ist ein Unterschied! Ich möchte an dieser Stelle ganz klar sagen, daß ich nicht den individuellen Glauben angreife! Es geht mir einzig und allein um die organisierte Religion. Organisierte Religionen erheben sich aus eigenen Beweggründen über das, was die Bibel sagt, und damit geht all das Theater los. Und das ist nicht nur in der Religion so. Religion manipuliert letztlich das Denken der Menschen, aber das machen Regierungen ebenso. Wenn man sich die Fernseh-Nachrichten anschaut, sieht man nur das, was die Regierung einen sehen lassen will. Daher die Aufforderung: Finde Deine eigenen Antworten, finde die Wahrheit selbst, denke für Dich!

W.A.S.P. sind fraglos eine kontroverse Band, die aufgrund ihrer Bühnen-Show und diverser Texte oft angegriffen wurde und wird. Daß sich hinter dem Schock-Image und in manchen Eurer Alben mitunter durchaus Inhalte verbergen, geht dabei oft unter. Ein Beleg dafür, daß die Medien oft oberflächlich agieren und mittel öffentlichkeitswirksamer Berichterstattung ebenso oberflächliche Meinungsbilder prägen?

Ja. Wahre W.A.S.P.-Fans machen das sicherlich nicht. Aber das ist der Deal: Ich sehe keinen Sinn darin, mir Gedanken über das zu machen, was diejenigen von W.A.S.P. halten, die die Band ohnehin ablehnen. Das ist Zeitverschwendung. Das einzige, was ich machen kann, ist das bestmögliche Album aufzunehmen und vielleicht zu versuchen, mit diesem Album auch etwas zu sagen. Und, weißt Du, das Album ist die eine Sache, die Live-Performance noch einmal eine ganz andere. Und das verstehen viele nicht. Denn die Leute scheinen oft mehr mit ihren Augen als mit ihren Ohren zu hören, und da wird es verwirrend. Daher wissen viele nicht, was die Alben zu bieten haben und beschäftigen sich nicht mit ihnen, um sie auf ihre Aussage zu überprüfen. Ich verstehe, warum das so ist, aber die, die das betrifft, sind eh nicht die Menschen, mit denen ich rede und auf die es mir ankommt….

Dir ist es also egal, daß Eure Bühnen-Show manche Leute vor den Kopf stößt…

Das betrifft nicht die W.A.S.P.-Fans. Aber mich kümmern die Leute nicht, die nichts davon verstehen…

Aber mußt Du es einem potentiellen Publikum so schwer machen? Euer Stageacting hält sicherlich auch Leute davon ab, sich mit den Inhalten Euerer substanzreicheren Alben auseinanderzusetzen, die sehr wohl für Eure Musik und Eure Botschaft offen wären. Mit Deiner Haltung verhinderst Du bei diesem Personenkreis doch jede mögliche Annäherung von vornherein. Hast Du nie darüber nachgedacht, weniger extrem zu agieren, um die “Zugangsschwelle” zum Werk W.A.S.P.s zu senken?

blankNun… da möchte ich ein altes Sprichwort etwas abwandeln: You can reach some people sometimes, but you can never satisfy all the people all of the time. Ich verstehe, worauf Du hinaus willst, und im Grunde läuft diese Diskussion schon seit Jahren. Aber es ist nun einmal so: Man wird NIE jeden erreichen können. Und man muß eben einfach verstehen, daß das Album und die Live-Performance zwei grundverschiedene Aspekte der Band sind. Bei der Live-.Performance geht es nur um Spaß. Und wenn Leute das nicht verstehen, dann verschwende ich meine Zeit, wenn ich versuche, ihnen das zu erklären. Wir könnten noch jahrelang über diesen Punkt reden, aber da drehen wir uns im Kreis.

Na gut. Ich kann verstehen, daß Du von dem Thema mittlerweile ein wenig genug hast. Andererseits habt ihr Euch dieses kontroverse Image selbst ausgesucht und das hat zur Folge, daß Ihr als Band polarisiert und mit dem Echo leben müßt. Und daß manche Hörer mit recht gemischten Gefühlen an ein W.A.S.P.-Album herangehen. Mir persönlich geht es übrigens ebenso: Ich mag einige Eurer Alben sehr, ich sehe auch, was die Texte an Inhalten und Gedanken zu bieten haben, aber W.A.S.P. als Live-Band stößt mir bitter auf und entspricht nicht meinem Verständnis von “Spaß”…

Dir muß aber auch klar sein, daß da draußen eine Menge W.A.S.P.-Fans sind, die sehr enttäuscht wären, wenn wir auf der Bühne nichts Extremes veranstalten würden.

Wobei man sich die Frage stellen kann, ob diese Sorte Fans W.A.S.P. nicht auch ebenso einseitig wahrnimmt wie die, die vor lauer Blut und Gewalt die andere Seite der Band nicht sehen. Aber gut, lassen wir’s sein. Es ist eben ein Merkmal von W.A.S.P., und wird wohl auf ewig eins bleiben. In diesem Zusammenhang eine Frage: Wie sehr entspricht Blackie Lawlesse auf der Bühne dem Privatmenschen Steven Duran?

Das ist die gleiche Person. Ich habe sehr extreme Persönlichkeitsaspekte, aber die hat doch eigentlich jeder. Ich möchte nicht vorgeben daß das auf der Bühne nicht ich selbst bin, denn das wäre nicht wahr. Das alles ist eine Person.

Alice Cooper hat sich ja im Laufe der Zeit von seinem Bühnengebaren quasi distanziert, indem er zwischen dem Menschen Vincent Furnier und der Kunstfigur Alice Cooper unterschied…

Für mich wäre das, als ob man jemanden ermordet, und dann vor Gericht behaupten würde, man sei es nicht selbst gewesen, sondern ein anderer, der die Kontrolle übernommen hat. Bullshit! Man hat es getan und muß die Verantwortung dafür übernehmen…

Hättest Du nicht die Möglichkeit, diese Extreme Deiner Persönlichkeit auf der Bühne auszuleben, wärst Du dann als Privatperson ein anderer Mensch?

Ich wäre sicherlich im Gefängnis!

Ich habe in einem Interview gelesen, daß Du in der Vergangenheit schon bedroht wurdest, und daß man sogar schon auf Dich geschossen hat. Stimmt das?

Ja.

Von was für Menschen gingen diese Anschläge aus?

Das waren offensichtlich Menschen, die geistig labil waren… (schmunzelt)

Waren das obsessive Fans oder kamen sie aus dem Lager fanatischer W.A.S.P.-Gegner?

blankNein, das waren keine Fans! Fans machen so etwas nicht. Das waren Menschen, die von den Meiden beeinflußt waren. Die Meiden machten sie glauben, daß ich der Teufel sei und daß die Welt ohne mich ein besserer Ort wäre. Das ist nichts Neues und auch schon anderen Künstlern passiert.

Hat Dir das Angst eingejagt? Eventuell sogar so sehr, daß Du darüber nachgedacht hast, in Deinem Leben als Künstler entschiedenen Änderungen vorzunehmen?

Nein. Man darf nicht zulassen, daß diese Dinge Kontrolle über einen gewinnen. Man kann sich über all das seine Gedanken machen, aber man darf nicht zulassen, daß es dein Leben bestimmt…

Du hast schon immer großen Respekt gegenüber Künstlern oder Persönlichkeiten zum Ausdruck gebracht, die entschlossen und ihren Weg gehen und sich allen Hindernissen stellen. Ich denke da speziell auch an Menschen wie Muhammed Ali oder Pete Townsend, die Du in der Vergangenheit schon als Deine Idole bezeichnet hast…

Ja, denn Muhammed Ali war bereit, für das, woran er glaubte, zu kämpfen und alles in Kauf zu nehmen, was sich ihm in den Weg stellt. Dafür muß man eine sehr starke Persönlichkeit sein.

Siehst Du Euch diesbezüglich als Geistesverwandte?

Ich bin sehr extrem bezüglich der Dinge, an die ich glaube…

“Glauben” ist ein interessantes Stichwort: Am Anfang des Gespräches hast Du einige Dinge über Deinen Glauben gesagt, der wohl so manchen W.A.S.P.-Gegner überraschen würde: Du bezeichnest Dich im Grunde selbst als gläubig. Zudem ist auf ““Unholy Terror” ein Instrumental namens ‘Evermore’, der sich laut Alben-Info mit einer transzendentalen Wirklichkeit auseinandersetzen soll. Glaubst Du an ein geistiges Schöpferwesen und eine spirituelle Dimension des Menschen?

Da muß ich sehr vorsichtig sei, ebenso wie auf dem Album. Ich möchte meine persönlichen Gefühle und meinen persönlichen Glauben nicht anderen aufdrängen. Denn wenn ich das täte, wäre das Heuchelei Das wäre das exakte Gegenteil von all dem, was ich sonst Menschen vermittele, nämlich, daß sie eigenständig denken sollen. Ich möchte nur soviel sagen, daß ich nach wie vor einen sehr festen Glaube habe. Ich glaube immer noch an Gott, aber dabei möchte ich es belassen. Denn ich will nicht, daß es so wirkt, als würde ich den Leuten sagen, sie sollen zwar nicht an das glauben, was ihnen die Kirche sagt, aber schon an das, was ich selbst glaube und sage. Das wäre – wie gesagt – Heuchelei, und daher muß ich mit meinen Äußerungen sehr vorsichtig sein. Es geht einzig und allein darum, daß man für sich selbst denkt. Es geht nicht um das, was Blackie denkt, nicht um das, was die Kirche denkt, sondern nur um das Individuum, das sich seien eigenen Gedanken macht.

Wie ist das mit einem jungen Menschen, der noch nicht genug Wissen und Lebenserfahrung gesammelt hat, um seine eigenen Schlüsse zu ziehen?

Genau deshalb ist das Leben so lang. Ich meine das sehr ernst: DESHALB ist das Leben so lang! Dem Leben wohnt eine natürliche Entwicklung inne. Solange Du nicht sehr jung stirbst – und dann ist es offensichtlich egal – ist das der Grund, warum wir so alt werden. Die Zeit, die wir haben, haben wir deshalb, um selbst Antworten zu finden. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, das zu tun…

Aber braucht ein Mensch nicht eine gewisse Basis an vermitteltem und vorgegebenem Wissen oder Glauben, um überhaupt in der Lage zu sein, diese Dinge ernsthaft und gründlich in Frage zu stellen und zu einer eigenen Antwort zu gelangen? Kann das ganz ohne erzieherische, religiöse oder andere Institutionen möglich sein?

blankIch schätze, da könnte man als Argument gelten lassen. Hmm… ich wurde quasi in der Kirche aufgezogen. Die eine Frage, die ich mir die ganze Zeit gestellt habe, war: Hat es mir mehr Gutes oder mehr Schlechtes gebracht?. Ich bin nach wie vor nicht in der Lage, diese Frage zu beantworten. Denn die Kirche hat meinen Geist und mein Denken lange gemartert und bearbeitet. Hat mich das wütend gemacht? Ja, es hat mich wütend gemacht. Denn das hat nicht nur mich betroffen. Die ganze Idee hinter dem Album ist, wie ich schon sagte, daß ein jeder für sich selbst denken soll. Aber was ich darüber hinaus tatsächlich auch sage, ist: Laßt nicht zu, daß Euch das gleiche passiert wie mir! Ich kann aber nicht dasitzen und jeden einzelnen mit allen Aspekten dieses Themas füttern. Das sind sehr komplexe Fragestellungen, und ich bin nicht derjenige, der sie beantworten sollte. Das ist Aufgabe eines jeden einzelnen…

OK. Wechseln wir das Thema: In den letzten Jahren hattest Du einige gesundheitliche Probleme, insbesondere mit Deinen Ellbogen-Gelenken. Du bist nun 44. Machst Du Dir Gedanken darüber, wie lange Deine Karriere noch dauern könnte?

Ich denke, diese Frage solltest Du besser den ROLLING STONES stellen (lacht) Als ich meine Ellbogen verletzt habe, geschah das beim Baseball-Spiel. Das ist also keine Frage des Alters, das hätte mir auch schon vor 30 Jahren passieren können…

Das wohl schon, aber die körperliche Beeinträchtigung bleibt, und der Beruf eines Musikers ist ja nicht immer der gesündeste…

Das stimmt, aber ich halte mich in Form. Ich bin als Sportler aufgewachsen und habe die Mentalität eines Athleten. Mir ist es sehr wichtig, aktiv zu sein und in Form zu bleiben. Ich kenne Jungs in meinem Alter, die aussehen, als wären sie 60 (lacht) Ich möchte nicht, daß es mir genauso geht…

Was mich am meisten wundert, ist, daß Du bislang keine nennenswerten Probleme mit Deine Stimme hast. Immerhin klingt Dein Gesangsstil sehr extrem…

Ja, er ist sehr anstrengend und erfordert, daß ich meine Stimme nicht zu sehr strapaziere. Das bedeutet, nicht zu viele Drogen, nicht zu viel Alkohol und dergleichen. Und Schlaf und Ruhe sind sehr wichtig…

Wart Dir das schon immer bewußt oder mußtest Du erst lernen, Deine Stimme und Deinen Körper pfleglich zu behandeln?

Vor 20 Jahren hatte ich ein echtes Problem, da war ich drauf und dran, mich und meine Stimme zu ruinieren. Das hat mir eine Riesenangst eingejagt, und ich suchte einen Spezialisten in L.A. auf, der mir half. Er hat mich wieder hingekriegt und mich gelehrt, meinen Körper mehr zu respektieren. Thomas, wir müssen leider zum Ende kommen, das nächste Interview steht schon an…

OK, dann kommen wir noch schnell zu DER Pflichtfrage eines jeden Interviews: Geht Ihr auf Tour?

Ja, wir werden im Sommer ein paar Festivals spielen.

Was erwartet uns in puncto Bühnenshow? Immerhin eignen sich die Inhalte des aktuellen Albums weniger für Frauen-, Foeten- und Regenwurmmassaker-Szenarien…

Oh, das ist ein Geheimnis, das kann ich nicht sagen. Da mußt Du warten, bis Du die Show siehst…

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