Wenn man Hunger hat, kann man sich eben einen Döner um die Ecke holen oder sich eine Tiküpi in den Ofen schieben. Man kann aber auch in ein gutes Restaurant gehen oder sich selbst ein kleines Festmahl kochen. Ähnlich verhält es sich mit Musik: Das Verlangen nach Ohrenfutter kann man mit ´ner ollen x-mal gehörten Platte oder einer beliebigen Kopie der eigenen Lieblingsband stillen, man kann sich aber auch aus seinem Schneckenhäuschen heraustrauen und die Fühler nach etwas Neuartigem, Faszinierendem und Begeisterndem ausstrecken, beispielsweise nach DESPAIRATION, einer jungen Band aus Franken, die mit ihrem neuen Album Songs Of Love And Redemption geradezu verschwenderisch mit großen Melodien, vielschichtigen Arrangements und stilübergreifender Innovation umgehen und sich damit an die Spitze moderner düsterer Rockmusik heranmusizieren. Die beiden Chefköche Sascha Blach (Gesang) und Martin Jungkunz (Gitarre, Programming, Keyboards) gaben Einblick ins Universum von DESPAIRATION.
Zunächst einmal wüsste ich gerne, ob ihr eure Fans mit eurem erneuten Stilwechsel absichtlich in die Verzweiflung führen wollt…
Sascha: Nun, es ist wohl in der Tat eine Eigenheit von DESPAIRATION, dass wir stets zwei Schritte voran schreiten und uns nur wenig um Konventionen scheren. Andererseits erachte ich den Wandel von unserem Debüt Winter 1945“ hin zu Scenes From Of A Poetical Playground“ als weitaus schwerwiegender, als es diesmal der Fall war. So sind unsere Songs Of Love And Redemption“ zwar wieder etwas anders, aber ich denke nicht, dass ein Freund von Scenes From A Poetical Playground“ von der Scheibe enttäuscht sein wird, da der Wandel durchaus nachvollziehbar ist. Bis jetzt gab es zumindest noch kein Unverständnis. Im Gegenteil! Es haben sich alle überaus positiv über unsere Entwicklung geäußert.
Wäre Stillstand der Tod von DESPAIRATION?
Sascha: Bisher standen wir nicht vor diesem Problem, da wir stets genug Ideen in der Hinterhand hatten. Aber uns ist es in der Tat wichtig, jedem Song und jedem Album einen eigenen Charakter zuzuweisen. Und ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass man unsere CDs von Anfang bis Ende hören muss, um sie ganz erschließen zu können und eben nicht ein Song wie der andere klingt, auch wenn uns manch oberflächlicher Kritiker vorwerfen mag, wir hätten noch nicht zu unserem eigenen Stil gefunden. Aber das ist Blödsinn! Vielmehr befinden wir uns auf einer immerwährenden Reise durch den musikalischen Kosmos und lassen uns selbst überraschen, wo uns der Weg noch hinführt. Wir halten nichts davon, uns selbst zu limitieren und deshalb sind wir auch in Zukunft noch für die ein oder andere Überraschung gut. Der Stillstand“ lässt sich umgehen, indem man lange genug an einer Idee arbeitet und sie reifen lässt. Uns drängt glücklicherweise nichts außer der eigene Eifer…
Auf die Veröffentlichung eures Albums musstet ihr ein Dreivierteljahr warten nach dem Studiotermin, wie zermürbend war das für euch?
Sascha: Da von vorne herein klar war, dass das Album aus geschäftlichen Gründen nicht vorher erscheinen würde, mussten wir uns wohl oder übel damit abfinden. Man gewöhnt sich mit der Zeit dran, dass man in diesem Geschäft viel eigenes Herzblut in die Hände anderer Leute legen muss, die damit vielleicht nicht ganz so sanft umgehen. Es gibt eben Dinge, die nicht in unserer Macht liegen. Aber wir haben die Zeit zumindest genutzt, um wieder auf die Bühnen der Nation zurückzukehren und mit dem Songwriting zum vierten Album zu beginnen. Indes erachte ich Songs Of Love And Redemption“ immer noch als so stark, dass ich nach wie vor 100% dahinter stehe und kein Problem damit habe, das Album auch ein Dreivierteljahr nach der Aufnahme noch mit dem nötigen Enthusiasmus zu promoten.
Wie sieht die Zusammenarbeit bei euch derzeit aus, nachdem ihr wegen Studium etc. über die halbe Republik verstreut seid?
Sascha: Es klappt wunderbar, da wir das Songwriting bereits seit längerem auf die technologische Ebene verlagert haben, sprich wir arbeiten verstärkt mit Computern und schicken uns MP3s oder gebrannte CDs mit Ideen und Songvorschlägen hin und her. Und wenn der Martin gerade mal wieder im Lande ist, wird das auch immer gleich zum Gedanken- und Ideenaustausch genutzt. Das traditionelle Proben wird bei uns lediglich noch vor Live-Auftritten praktiziert. Somit haben wir langsam ein sehr effektives System der Zusammenarbeit entwickelt, das über größere Entfernungen und mit einem optimierten Zeitaufwand das Fortbestehen unseres Babies“ DESPAIRATION ermöglicht.
Wo würdest Du selbst die größten Fortschritte und Veränderungen in eurem Sound sehen?
Sascha: Die neuen Songs klingen reifer und eigenständiger als Scenes From A Poetical Playground. Damals hatten wir die Songs noch im Proberaum eingeübt und mussten sie dann im Studio in relativ kurzer auf dem Computer programmieren, dieses Mal hatten wir genügend Zeit, derlei Dinge im Vorfeld zu erledigen. Da sich der Martin ein kleines Homestudio eingerichtet hat, konnten wir uns auch erstmals den Luxus“ einer Vorproduktion leisten, was maßgeblich zum Gelingen von Songs Of Love And Redemption“ beigetragen hat. Was die musikalische Seite angeht, war der Vorgänger sicherlich noch hörbar durch unsere Metal-Vergangenheit geprägt und bekam durch meinen tiefen Gesang unweigerlich eine Schlagseite in Richtung Gothic Rock. Dieses Mal haben wir versucht jeglichen Kategorisierungen aus dem Weg zu gehen und einfach unser eigenes Ding durchzuziehen. Wichtig ist uns, dass die Leute uns als eigenständige Band anerkennen und uns nicht in eine 08/15-Schublade wie Gothic Rock oder Metal stecken. Zu unserer Freude hat uns der Großteil aller Reaktionen auch bisher bestätigt.
War euch von Anfang an bewusst, dass S.O.L.A.R. derart breitgefächerte Einflüsse widerspiegeln würde?
Sascha: Es war doch schon immer ein Merkmal von DESPAIRATION, dass unser Sound nicht in eine Schublade gepasst hat und wir den verschiedensten Einflüssen ihren Platz zugewiesen haben. Das Ergebnis klingt auf Songs Of Love And Redemption“ lediglich etwas ausgereifter. So gesehen war von Anfang an klar, dass das stilistische Spektrum wieder sehr breit gefächert sein würde. Immerhin ist uns stilistische Limitierung ein Fremdwort. Lediglich die Gewichtung ist dieses Mal anders verlagert.
Sehr genial finde ich die bei Transcen-Dance eingebundenen Ethno-Gesänge. Wo habt ihr die her?
Sascha: Na, um ehrlich zu sein, ließen wir ein paar Schamanen aus Afrika per spiritual air express ins Studio einfliegen. Die veranstalteten dann eine kleine Zeremonie und wir haben den Song dazu gespielt und sind alle wie in Trance durch den Raum geschwebt…daher auch der Songtitel. Oder falls du die bodenständigere Variante bevorzugst: Sample-CDs sind nicht nur teuer, sondern auch nützlich, hehe.
Beim Lauschangriff spielten wir Liv von THEATRE OF TRAGEDY diesen Song vor, sie hielt ihn für sehr innovativ und zog Vergleiche zu BJÖRK und CHRIS ISAAK. Kannst Du die Vergleiche nachvollziehen?
Sascha: Nachvollziehen schon, aber wir haben diese Parallelen selbst nie so gesehen, da uns der Song immer eher an SAVIOUR MACHINE oder PINK FLOYD erinnert hat. Transcen-Dance“ ist einer jener Songs, der über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren stetig gewachsen ist. Innerhalb dieser Zeit wurden viele Veränderungen an dem Stück vorgenommen und wir hatten stets eine Vision im Kopf, die wir mit den einfachen Mitteln einer vierköpfigen Band jedoch nicht umsetzen konnten. Somit fand das Stück schließlich in den unendlichen Weiten der Computerwelt seine Vollendung. Wir haben viel mit verschiedenen Sounds und diversen Keyboard-, Gitarren- und Gesangsspuren experimentiert, um diese einzigartige Atmosphäre zu erzeugen. Letztendlich ist es ein sehr komplexes Stück geworden. Nicht wegen seiner Virtuosität, sondern der vielen kleinen Teile, die sich zu einem großen, fast schon soundtrackartigen Song zusammenfügen.
Hand auf´s Herz: Was genau habt ihr euch bei den doch sehr schrägen, mehr als gewöhnungsbedürftigen Jazzeinschüben bei Liquid Divine gedacht?
Sascha: Da Martin und Christian große Freunde der Jazz-Musik sind und ihre Egos auf diesem Album sehr im Zaum halten, sprich sich kaum in Solo-Eskapaden ergehen, fanden wir den Kompromiss, dass sie sich wenigstens in dem Instrumental-Stück richtig austoben dürfen“. Ich konnte zwar anfangs auch recht wenig damit anfangen, habe mich mittlerweile aber dran gewöhnt. Klingt halt ein wenig ungewöhnlich, aber hier sieht man eben, dass mein ständiges Gerede von stilistischer Offenheit nicht nur leere Worte sind.
Martin: Ich finde es vor allem sehr lustig, dass uns jeder auf diesen Song anspricht. Ich muss auch sagen, dass viele Leute, denen ich Liquid Divine“ vorgespielt habe bei dem Jazzteil gelacht haben. Genau das wollten wir damit bezwecken: Seht nicht immer alles so verbissen in Schubladen wie Gothic-düster-ich-hab-ganz-doll-Angst-Rock!“. Der Teil soll einfach zeigen: Wir haben Spaß an der Musik und möchten auch mal mit witzigen Elementen überraschen. Wir wollen eben nicht nur in die Düsterecke abgeschoben werden. Das ist uns einfach zu eindimensional.
Welche Szene, glaubt ihr, wird am meisten mit eurem neuen Album anfangen können?
Sascha: Darüber haben wir beim Songwriting eigentlich nie nachgedacht, sondern den Ideen immer freien Lauf gelassen. Ich denke, dass Songs Of Love And Redemption“ die unterschiedlichsten Leute ansprechen kann, solange diese nur open-minded sind. Wir sehen uns nicht als Teil einer bestimmten Szene, sondern machen diese Musik für uns selbst und all die Leute, die kein Problem mit genreübergreifender Musik haben. Es ist doch Blödsinn, sich zu sagen, ich bin jetzt Teil einer bestimmten Szene und darf deswegen diese oder jene Musik nicht gut finden. Aber es ist eben einfacher, alles schwarz oder weiß zu sehen und sich an Schubladen zu orientieren, dabei ist es doch todlangweilig, ein Album zu hören, das von vorne bis hinten gleich klingt. Wir versuchen dem entgegen zu wirken und ich hoffe nicht vergebens!
Abgekürzt heißt euer neues Album S.O.L.A.R. – weil ihr Musik als ähnlich lebensspendend wie die Sonne betrachtet?
Sascha: Sicher auch das, aber das war kein Beweggrund bei der Titelgebung. Vielmehr bot sich der Titel Songs Of Love And Redemption“ an, da sich die Themen Liebe und Erlösung auf einer subtilen Ebene wie ein roter Faden durch die Songs ziehen und man in der Abkürzung S.O.L.A.R.“ auch einen Hinweis auf die Gestaltung der Musik erhält. Und jene ist eben von einen sehr warmen, wohligen Atmosphäre geprägt. Aber das soll jeder halten, wie er es für richtig erachtet. Wir machen Kunst und diese ist immer frei interpretierbar!
Siehst Du Dich beim Verfassen von Texten nach wie vor beeinflusst von Dichtern wie Rimbaud, Blake und Trakl?
Sascha: Indirekt beeinflussen mich natürlich die meisten Autoren, die ich lese, wobei ich das nicht nur an den genannten Dichter festmachen möchte. Sie zählen zweifelsohne zu meinen Favoriten und fanden bei Scenes From A Poetical Playground“ explizite Erwähnung, da sie einen direkten Einfluss auf einige Texte hatten und wir sogar Zitate einbanden. Bei den neuen Texten war ich hingegen eher bemüht, vollwertige eigene Gedichte zu erschaffen, die meine Seelenwelt wiederspiegeln und keinerlei Querverweise enthalten. Aber da wir die poetische Ader zu einem Teil unseres verzweifelten Konzepts“ gemacht haben, wird es in der Hinsicht auf dem nächsten Album sicher wieder mehr zu entdecken geben.
Ein weiterer von Dir verehrter Dichter und zugleich Musiker ist Jim Morrison, was fasziniert Dich an ihm?
Sascha: Die Art, wie er den Rockrebellen mit dem Philosophen und dem Dichter verband, ist sicherlich einzigartig. Die Songtexte und Gedichte von Jim Morrison lesen sich meist sehr einfach, rufen jedoch eine Unmenge an Assoziationen und Gedanken hervor und haben diesen revolutionären Ansatz. Daran versuche ich mich ein wenig zu orientieren, wenngleich das Thema Liebe und Sex bei uns auf einer subtileren Ebene Einzug gefunden hat und ich mich auch verstärkt um eine poetische Sprache bemühe. Im Gegensatz zu einem Jim Morrison, der sein Rockstartum auch privat lebte, bin ich zudem ein eher ruhiger Typ, der meistens auch ganz brav ist, hehe.
Mittlerweile hast Du u.a. ein Deutschstudium aufgenommen, hat das etwas an Deiner Herangehensweise an Texte verändert?
Sascha: Ich schreibe jetzt nur noch deutsche Texte! Nein, im Ernst ich studiere ja auch englische Literaturwissenschaften und muss daher schon aus Studiengründen viel mehr lesen als in all den Jahren zuvor. Da bleibt es nicht aus, dass man neue Einflüsse für sich entdeckt und seinen Wortschatz erweitert. Einen hohen Anspruch an meine Texte bezüglich des Inhalts und der Form hatte ich indes schon immer. Und mittlerweile ist es häufig schon soweit, dass ich mir mein eigenes kreatives Loch schaufle, da mich kaum noch eine eigene Idee wirklich zufrieden stellt. Aber ich hoffe, es kommen wieder bessere Zeiten…
Stichwort Texte: Besonders würden mich die Hintergründe zu Subsoil Pedestrians interessieren…
Sascha: Es handelt sich um eine Parallelisierung von der großstädtischen U-Bahn-Station mit der hiesigen und der jenseitigen Welt. Während die Lebenden auf der Oberfläche scheinbar ziellos umherirren, gleicht der Abstieg hinab dem Weg in die ewige Vergessenheit zu den Toten. Die Zeile And when we sometimes walk to slow / subsoil pedestrians call from below“ sei hier stellvertretend genannt, da sie die Sinnlosigkeit einer Welt, in der es nur um Erfolg und Ansehen geht, überaus passend in ein Wortgewand kleidet. Wenn du zu langsam bist, hast du verloren, denn diese Welt nimmt auf die Schwachen keine Rücksicht. Es ist natürlich ein sehr bildlicher Text, der mit dem hektischen Großstadtleben geradezu spielt und eine gewisse Faszination nicht verleugnet. Und wenn man den Text von allen Metaphern entkleidet, bleibt die Frage nach dem Sinn unserer Existenz bestehen, die mich irgendwie nicht loslässt und sich aus den meisten Texten herausdeuten ließe.
Könntest Du Dir vorstellen, mal ein Konzeptalbum zu schreiben, gerade z.B. basierend auf dem Kontrast Stadt/Natur?
Sascha: Ein Konzeptalbum ist eine Sache, die wir bereits seit längerem in Angriff nehmen wollten. Allerdings verlangt ein derartiges Projekt immer nach einer strengen Abstimmung von Musik und Texten und man schränkt sich unweigerlich selbst etwas ein, da man den Ideen eben nicht freien Lauf lassen kann. Aber darüber hinaus ist mir bisher auch noch keine wirklich gute Idee für eine Story gekommen, an der ich längerfristig festgehalten habe. Ob wir den Kontrast von Natur und Stadt mal in ein Konzeptalbum einarbeiten werden, kann ich somit nicht sagen. Es wäre sicherlich eine Überlegung wert, zumal es bisher überwiegend Konzeptalben gibt, die eines der beiden Extreme herausgreifen. Aber noch wartet die große Idee dazu auf ihre Entdeckung.
Der Kontrast Stadt/Natur zieht sich durch die Texte, die Abbildungen im Inlay und – wenn auch weit hergeholt – durch die Entstehungsgeschichte eurer Songs…in Naila Songwriting und proben, in Berlin aufnehmen. Was fasziniert Dich an diesen Gegenpolen?
Sascha: Vielleicht die Extreme? So genau kann ich das nicht in Worte fassen, ich weiß nur, dass ich für die absolute Ruhe und Einsamkeit ebenso eine Vorliebe habe, wie für die Hektik und Anonymität des großstädtischen Lebens. Das spiegelt sich natürlich in den Texten wieder, denn auch wenn die Natur oder die Stadt häufig gar nicht Inhalt des jeweiligen Textes sind, so spiele ich doch gerne mit ihren Symbolen und Metaphern. Zwar ist Naila nicht gerade das, was man unter einem idyllischen Städtchen inmitten der Natur versteht, und ich kann nicht sagen, dass uns diese doch eher gewöhnliche Kleinstadt in irgendeiner Weise inspiriert hat, aber zumindest das Aufnehmen in Berlin war eine sehr angenehme Erfahrung. Allein die Tatsache, dass man aus dem Studio kommt und sich inmitten des hochsommerlichen Berlin-Kreuzbergs mit den verschiedensten Kulturen konfrontiert sieht und einfach anonym durch die Strassen flanieren konnte, hatte etwas sehr Beruhigendes an sich. Indes hat es mich mittlerweile übrigens nach Bayreuth verschlagen – eine Stadt, die wohl wenigstens zu den kulturellen Hochburgen Deutschlands zählt, Wagner sei Dank – während der Martin sich in Heidelberg heimisch fühlt.

Sascha: Wie bereits erwähnt, ist Songs Of Love And Redemption“ kein Konzeptalbum im eigentlichen Sinne. Allerdings schimmern die Themen Liebe und Erlösung in den verschiedensten Farben immer wieder durch die Texte hindurch. Das wurde mir erst so richtig bewusst, als ich die Texte auf der Suche nach einem passenden Albumtitel mit etwas zeitlichem Abstand noch einmal überdachte. So kam es überhaupt erst zu dem Titel. Ich denke, dass jeder Mensch tief in seinem Inneren nach diesen beiden höchsten Ebenen menschlicher Existenz strebt, da sie Erfüllung verheißen. Es gilt hier jedoch zu differenzieren, da es für mich unterschiedliche Arten von Erlösung und inniger Liebe gibt. Natürlich kann auch die Zuneigung zu einem weiblichen Wesen einen großen Einfluss auf meine lyrischen Ergüsse haben, aber ich bemühe mich diese Themen auf eine subtile, stellenweise vielleicht sogar philosophische Art zu behandeln und versuche die typischen Herz-Schmerz-Klischees zu umgehen. Zudem sollte ein Text immer frei interpretierbar bleiben. Ebenso ist es mit dem Thema Erlösung, das gemeinhin mit dem Tod gleichgesetzt ist. Aber der Tod ist nur ein Randthema, das dieses Album behandelt. Er wird zwar hinterfragt und beklagt, findet aber nur hinter einer poetischen Maske wie bei Melissa Kissed The Sky“ oder eben Subsoil Pedestrians“ Erwähnung. Was ich hier als Erlösung bezeichne, sind vielmehr die außersinnliche Wahrnehmungen, die wir auch zu Lebzeiten erfahren können. Nicht umsonst nehmen die Geisterreisen des Schamanen auf “Songs Of Love And Redemption“ einen wichtigen Platz ein. Aber auch Zustände des Rausches, des Traumes oder der Trance sind hier inbegriffen. Die Kenntnis dieser Hintergründe erleichtert das Verständnis der Texte vielleicht ein wenig, da diese häufig ein wenig träumerisch und surrealistisch anmuten mögen und erst nach und nach ihren wahren Sinn frei legen. Näher erklären möchte ich die Texte jedoch nicht, da sie allesamt sehr persönlicher Natur sind und für sich sprechen, wie ich hoffe. Außerdem würde es hier den Rahmen sprengen.
Als Coverversion habt ihr euch Man On The Moon von R.E.M. rausgesucht. Wieso wolltet ihr nicht die vom TYPE O NEGATIVE-Sampler bekannte, exquisite Version von Wolf Moon stattdessen nehmen?
Sascha: Damit die Leute einen Anreiz haben, den Sampler zu kaufen?!? Nein im Ernst, für uns stand bereits seit längerem fest, dass wir für dieses Album einen bekannten Song als Coverversion aufnehmen wollten. Allerdings sollte es keine Band sein, die eh schon in eine ähnliche Richtung wie wir tendiert, um eventuellen Vergleichen aus dem Weg zu gehen. Die Sache mit dem TYPE O-Song wurde uns erst danach angeboten und wir sagten spontan zu, aber für das Album hatten wir uns bereits auf Man On The Moon“ festgelegt, da wir R.E.M. allesamt sehr mögen. Daran hielten wir schließlich fest, wenngleich uns bewusst war, dass sich an einer derartigen Coverversion die Geister scheiden werden. Die Reaktionen reichten mittlerweile auch von schwächster Song des Albums“ bis hin zu hitverdächtig“ und besser als das Original“. Aber das lässt sich bei einer Coverversion nie vermeiden, da die Leute häufig etwas brauchen, ehe sie sich an die neue Version gewöhnen.
Was genau stellt das sehr gelungene Cover dar?
Sascha: Die Wirkung des Artworks beruht auf den starken Kontrasten der Farben Grün und Schwarz, die im übertragenen Sinne auch das ganze Leben dominieren. Zumindest mir geht es so, dass ich ständig zwischen Fröhlichkeit und Enthusiasmus auf der einen und Verzweiflung und Melancholie auf der anderen Seite hin und hergerissen bin. Die grünen Bäume erstrahlen in ihrer Vitalität und stehen für das blühende Leben oder die Hoffnung, wenn man so mag. Dass die neongrüne Farbe ein wenig künstlich anmutet ist dabei durchaus beabsichtigt. Inmitten dieser strahlenden Natur befindet sich jedoch ein tiefer, pechschwarzer See in deren Mitte ein abgestorbener Baumstumpf symbolisch für den Verfall steht…alles Grün verdorrt und wird Schwarz…Ich sehe in diesem undurchdringlichen Gewässer die Nachdenklichkeit symbolisiert, da auch sie in unendliche Tiefen einlädt, dabei aber letztendlich kaum Hoffnung bietet, da ein zu nachdenklicher Mensch meiner Meinung nach in dieser Welt zum Scheitern verdammt ist. Über all dem prangt ein dunkler Horizont samt künstlicher Sonne, die alles am Leben hält, letztendlich aber auch nur der Strahl einer mickrigen Taschenlampe sein könnte… und so ließen sich die Interpretationen wohl endlos fortführen. Wenn sich jemand Gedanken über das Bild macht, freut es uns natürlich, aber wenn es lediglich als Eyecatcher dient, ist das auch völlig legitim.
Neben den Texten kümmerst Du, Sascha, Dich auch um die optische Umsetzung im Booklet und repräsentierst DESPAIRATION in Interviews nach außen. Workaholic oder Kontrollfreak?
Sascha: Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, zum Workaholic zu mutieren, wohingegen mir die Bezeichnung Kontrollfreak weniger behagt. Aber zweifelsohne sind Martin und ich die Köpfe von DESPAIRATION, und während der Großteil aller Songideen- und Ausarbeitungen von Martin stammt, zeichne ich für Texte, Homepage, Design und die Darstellung der Band nach außen verantwortlich. Für mich war es nur legitim, dass ich mir als Texter nach und nach auch praktisches Wissen aneignete und die graphische Seite übernahm, eh das ein Außenstehender macht, der keinen Bezug zu Musik und Texten hat. Und da ich mir eigentlich ständig den Kopf über Dinge in und um DESPAIRATION zerbreche, habe ich logischerweise auch am meisten zu erzählen.
Dieses Jahr spielt ihr erneut auf dem Wave/Gotik-Treffen in Leipzig, nachdem ihr vor zwei Jahren just an dem chaotischen Samstag, an dem die komplette Organisation auseinander zufallen begann, auf die Bühne musstet. Was sind Deine Erwartungen an den diesjährigen Auftritt?
Sascha: Eigentlich nur so viele offene Ohren wir möglich zu erreichen. Beim Wave/Gotik-Treffen ist das ja immer eine Glückssache, da die Veranstaltungen über die ganze Stadt verteilt sind. Und wenn man eine ungünstige Zeit und Location erwischt, hat man eben leicht das Nachsehen. Aber wir sind eigentlich frohen Mutes und laden auf diesem Wege auch gleich alle Vampster-Leser ein, unserem Auftritt beizuwohnen. Am Samstagabend in der Moritzbastei!
Wie sähe das perfekte Umfeld für ein DESPAIRATION-Konzert aus?
Sascha: Wenn der finanzielle Aspekt keine Rolle spielt, würden wir uns ein Theater oder Festspielhaus samt Orchester mieten, riesige Bühnenkulissen anfertigen lassen und ein zweistündiges Konzert vor ausgewählten Gästen spielen, die auch garantiert nach jedem Song in eine große Jubelarie ausbrechen, hehe. Natürlich müssten wir selber keine Verstärker und Geräte schleppen, keinen Soundcheck machen und hätten einen Privatjet sowie die Luxussuite im Hotel. Vorband wären PINK FLOYD, die wir mit unserer Light-Show natürlich noch toppen würden. Ähem, soll ich noch weiter ausholen…?
Öhm, lass mal, ich glaube, wir ahnen, wie es weitergeht, hehe. Aber zu einem anderen Thema: Hat Deine Arbeit für die Schreiberkollegen vom Legacy Einfluss auf Dein Schaffen und Wirken bei DESPAIRATION?
Sascha: Indirekt sicherlich, da man sich unweigerlich viele gute und schlechte Bands anhört und aus den Stärken und Schwächen anderer Leute für sich lernt. Da ich beim Legacy auch eher der Mann für die unkonventionellen Sachen bin, hat das auch den Vorteil, dass ich ständig neuen Arten von Musik begegne, die dem normalen Käufer“ in dieser Häufigkeit sicherlich nicht unterkommen. Man bleibt in der Konsequenz offen für die verschiedensten Stile. Ansonsten sind DESPAIRATION und das Legacy jedoch zwei grundverschiedene Dinge, da der Rest meiner Band mit dem Heft rein gar nichts zu tun hat und ich auch nicht möchte, dass es auf DESPAIRATION zurückgeführt wird, wenn ich beispielsweise einer anderen Band eine schlechte Kritik schreibe. Somit bitte ich hier klar zu differenzieren, es sind zwei Seiten einer Person, die miteinander nichts zu tun haben! [Wie lautete doch gleich die Definition von Schizophrenie, hehe? – Anm. d. Verf.]
Was empfindest Du angesichts der Erfolge anderer Bands, besonders, wenn Du mal wieder eine x-tausendste CRADLE OF FILTH- oder HELLOWEEN-Kopie besprechen musst?
Sascha: Glücklicherweise zeigt es die Erfahrung, dass sich die meisten einfallslosen Kopien auf Dauer eh nicht durchsetzen. Deshalb bringt es wenig sich darüber aufzuregen. Aber es ist in der Tat ein Problem, dass viele Labels im Moment scheinbar alles signen, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Häufig spielen Qualität und Eigenständigkeit dabei weniger eine Rolle als die Hoffnung, im Zuge eines laufenden Trends noch schnell die ein oder andere Mark mit zu verdienen. Das macht es für den geneigten Käufer nicht einfacher, auf dem überfluteten Markt noch den Überblick zu behalten. Was mich dann eher ärgert ist, wenn sich ein Rezensent unter 30 anderen Scheiben nicht mehr richtig mit unserem Album befassen kann und eine oberflächliche oder vielleicht sogar verzerrte Kritik schreibt. Immerhin sind wir ein Stück weit auch auf treffende Kritiken angewiesen und ich denke, es ist nicht zu viel verlangt, wenn sich ein Schreiber ein Album, an dem wir zwei Jahre lang intensiv gearbeitet haben, wenigstens zwei Mal komplett durchhört, bevor er vorschnell Kritik äußert. Nicht, dass wir was gegen Kritik hätten, aber sie sollte konstruktiv und begründet sein.

Sascha: Das war auch so ein Ding, über das ich mich tierisch aufregen könnte. Zwar ist jetzt nicht mehr nachzuvollziehen, bei wem der Fehler lag und ich will hier keine Schuldzuweisungen betreiben, aber meiner Meinung nach gehört es einfach zum professionellen Arbeiten, dass wenigstens der Titel auf einem Sampler richtig angeführt ist. The Electric Chairman“ klingt indes gar nicht mal so dumm, vielleicht machen wir ja noch einen Electro-Remix von dem Song und ich werde mich in einem neuen Text mit den Gedanken einer Person auseinander setzen, die gerade hingerichtet wird…oder doch lieber mit denen desjenigen, der den Schalter umlegt?
Da ihr damals auf eurem Demo sogar einen Song namens Lord Of The Rings hattet, musst Du mir verraten, wie der Film passend zu Jutzes Herr der Ringe-Special unter der Regie von DESPAIRATION ausgesehen hätte…
Sascha: Das Auenland wäre eine andere Geisterwelt“ voller verzweifelter Hobbits, die ihre Passion in progressiv-metallischer Musik finden und voller Enthusiasmus ihre beschwerliche Reise durch den Winter 1945“ beginnen. Aber nach und nach verabschieden sich die ersten Hobbits bis nur noch drei verzweifelte Gefährten übrig bleiben und auf einem poetischen Spielplatz“ Unterschlupf vor schwarzen Reitern und bösen Orks finden. Dort toben sie sich nach Herzenslust aus, singen düstere Lieder und etablieren die Elektronik in Mittelerde. Doch es wird ihnen schnell langweilig auf dem von Engelstatuen wimmelnden Spielplatz, auch wenn sie dort von den Schwarzkitteln gefeiert werden. Und so ziehen sie durch einen eifrigen vierten Hobbit ergänzt weiter, werfen jegliche musikalische Konventionen von sich und singen Lieder über Liebe und Erlösung“, während ihnen Leute jeglicher Couleur am Wegesrand zujubeln. Aber die Reise ist noch weit und voller unbekannter Herausforderungen…
Hast Du zu euren ehemaligen Bandmitgliedern aus den Zeiten des Demos und eurer Eigenproduktion Winter 1945 noch Kontakt? Wie finden sie eure weitere Entwicklung?
Sascha: Ja, man läuft sich gelegentlich über den Weg und der Martin zieht mit unserem ehemaligem Gitarristen Andreas auch noch regelmäßig um die Häuser. Allerdings macht keines unserer Ex-Mitglieder mehr aktiv Musik. Und in der Tat, mittlerweile äußern sich alle ehemaligen Mitstreiter sehr positiv über die Weiterentwicklung von DESPAIRATION und zeigten sich sehr positiv überrascht von den neuen Songs. Zum Zeitpunkt ihres jeweiligen Ausstiegs war aber auch nicht abzusehen, dass wir uns so hartnäckig behaupten würden, zumal wir damals auch noch ganz andere Musik gemacht haben.
Damals habt ihr noch DESPERATION geheißen, erläutere kurz, wie es zum Namenswechsel kam…
Sascha: Da uns damals bereits eine Band gleichen Namens kontaktiert hatte, die mittlerweile wohl wieder in der Versenkung verschwunden ist, und wir Angst hatten, dass es einen Namen wie DESPERATION sicherlich noch häufiger geben würde, fiel uns die Entscheidung zur Umbenennung nicht schwer, zumal auch eine musikalische Wandlung damit einher ging. Allerdings dauerte es eine Weile, bis uns die richtige Idee für einen passenden Namen kam, für den wir unsere verzweifelte“ Identität nicht ganz aufgeben mussten. Zwar hatten einige Leute anfangs Probleme sich an die neue Schreibweise zu gewöhnen, aber ich denke, mittlerweile kennt man uns gar nicht mehr anders. Lediglich wenn in Interviews die leidige Frage nach der Umbenennung kommt, holt uns unsere Vergangenheit wieder ein, hehe…
Nachdem Martin auf das F. seines Mittelnamens Wert zu legen scheint, bin ich neugierig geworden: Was verbirgt sich hinter F., hehe? Hat Martin sich auch umbenannt?
Sascha: Ich glaube der Martin wollte lediglich die innige Verwandtschaft zu seinem Lieblingsphilosophen F. Nietzsche ins rechte Licht rücken, hehe.
Abschließend verlange ich Dir noch ein paar schwere Entscheidungen samt Begründungen ab…here we go:
BJÖRK oder Black Metal?
Sascha: Da fällt mir die Entscheidung zugunsten von BJÖRK nicht schwer, da sie eine meiner Lieblingskünstlerinnen ist. Eine überaus faszinierende Frau, die seit jeher ihr eigenes Ding durchzieht und in meiner heimischen Sammlung immer einen Ehrenplatz inne haben wird. Ich habe zwar auch nichts gegen Black Metal, aber diese Zuneigung ist dann eher musikalischer Natur, denn das vorpubertäre Gehabe vieler Protagonisten regt mich doch eher zum Schmunzeln an.
Hardy Fieting oder Bruno Kramm?
Sascha: Diese Antwort verlangt nach Diplomatie, da beide Produzenten auf ihre Weise Großes für die Entwicklung von DESPAIRATION geleistet haben. Es lässt sich in jedem Fall mit beiden gut zusammenarbeiten und ich wüsste nicht, wem ich spontan den Vorzug geben würde. Bruno Kramm ist sicherlich namhafter und hat den Vorteil der geographischen Nähe, ist dafür aber auch bedeutend teurer. Vielleicht probieren wir es das nächste Mal wieder mit einem ganz anderen Produzenten?!
Live oder Studio?
Sascha: Ganz klar Studio, denn wir streben nach künstlerischer Verwirklichung und Weiterentwicklung, die nur durch die Entstehung neuer Tonkonstrukte möglich ist. Live-Auftritte sind lediglich eine Reproduktion der Studiosongs zum Zwecke der Promotion. Natürlich finden wir auch Spaß daran, unsere Songs einem interessierten Publikum darzubieten, aber im Zweifelsfall würden wir wohl lieber auf die Konzerte verzichten als auf die Aufnahme weiterer CDs.
Volksmusik oder Hip Hop?
Sascha: Hip Hop! Denn komischerweise ist Hip Hop mittlerweile eine der wenigen Musikrichtungen auf die wir uns intern alle einigen können. Ehrlich!
Musik: Kunst oder Kommerz?
Sascha: Natürlich erwartet jetzt jeder, dass ich Kunst sage. Wobei ich mir nicht sicher bin, wo die Trennlinie zwischen Kunst und Kommerz zu ziehen ist. Wir machen prinzipiell das, worauf wir Lust haben, sind aber durchaus auch bestrebt, unseren Hörerkreis auszubauen und möglichst viele Leute zu erreichen.
Rotwein oder Rotbuschtee?
Sascha: Hättest Du mir die Frage noch vor einem Jahr während meiner antialkoholischen Phase (die immerhin drei Jahre lang andauerte…) gestellt, hätte ich zweifelsohne den Rotbuschtee gewählt. Mittlerweile gönne ich mir indes auch wieder das ein oder andere Glas Rotwein und kann deshalb als Teetrinker keine eindeutige Antwort geben.