Mit 1980 taucht CHRIS HARMS in die klangliche Welt der 80er ein und lässt eine nostalgische Synthwave-Atmosphäre entstehen, die sich deutlich von seinem bekannten Sound bei LORD OF THE LOST abhebt. Der Sänger selbst beschreibt das Album als eine „merkwürdige aber gelungene Mischung aus DEPECHE MODE, MODERN TALKING und SANDRA“, wobei seine markante Stimme das Projekt prägt. Gäste wie Sven Friedrich (SOLAR FAKE) und Ronan Harris (VNV NATION) bereichern das Album mit zwei Duetten und verleihen ihm zusätzliche Würze. Für vampster nahm er sich die Zeit für ein kurzes Interview.
Wie geht es dir? Wir stehen kurz vorm Release-Date von „1980“.
Das Release-Datum selbst ist für Musiker heutzutage nicht mehr so unglaublich spannend, weil das Album schon lange fertig ist. Es ist bereits seit September fertig. Es ist eher so, dass man froh ist, wenn es endlich draußen ist. Ich freue mich darüber, aber es hat weniger mit Spannung zu tun. Was ich allerdings immer am Release-Tag mache, ist, dass ich mir das ganze Album noch einmal anhöre – mit dem Wissen, dass jetzt überall auf der Welt tausende oder mehr Menschen das Album gleichzeitig hören. Eigentlich macht das keinen Unterschied, weil das Album ja nicht anders klingt. Aber irgendwie ist es trotzdem ein cooles Gefühl. Es fühlt sich an, als wäre man emotional ein bisschen „gleichgeschaltet“ mit den Leuten, die es zu der Zeit hören. Ich weiß, es ergibt eigentlich keinen wirklichen Sinn, aber es ist eine Gewohnheit, die ich seit Jahren pflege: Das ganze Album von vorne bis hinten zu hören, zumindest wenn die Zeit es zulässt. Manchmal ist man am Release-Tag auch anderswo oder hat Interviews, aber wenn es klappt, nehme ich mir die Zeit, es mir wirklich ganz anzuhören. Und auch diesmal werde ich das machen: Freitag geht’s zur Release-Party nach Leipzig, und in der Bahn werde ich mir Kopfhörer aufsetzen und das Album hören. Darauf freue ich mich schon.
In mehreren Interviews hast du erwähnt, dass du schon lange den Wunsch hattest, ein Soloalbum zu machen, aber die Schwierigkeit darin lag, das Projekt mit deinem vollen Alltag zu vereinbaren. Wie verlief der Entstehungsprozess des Albums? Gab es besondere Herausforderungen, oder vielleicht auch besonders positive Momente, die dir in Erinnerung geblieben sind?
Die einzige Herausforderung war tatsächlich nur die Zeit, weil ich so viele Dinge gleichzeitig mache. Es gibt LORD OF THE LOST und ich bin Vater – und das ist für mich das Wichtigste. Ich arbeite eigentlich nur, wenn mein Sohn in der Schule ist oder schläft – es sei denn, ich bin auf Tour. Zudem mache ich viel Produktion und Songwriting für andere und verbringe viel Zeit im Studio. Und für all das war eigentlich gar keine Zeit. Ich habe mir auch keine Zeit dafür genommen, ich habe es einfach gemacht, obwohl ich sie nicht hatte.
Ich dachte mir einfach, dass ich es nicht noch zehn Jahre vor mir herschieben kann, dieses Album zu machen. Also habe ich beschlossen, es jetzt einfach zu tun. Und es ging mir nicht darum, ein Solo-Album zu machen. Ich weiß, dass viele Leute in der Musikindustrie, auch Kollegen, unbedingt ein Solo-Album machen wollen, um endlich das zu tun, was sie wirklich wollen. Aber bei LORD OF THE LOST ist es nicht so, dass ich nicht das machen kann, was ich will. Die anderen Jungs aus der Band bremsen mich nicht aus, und es ist nicht so, dass ich etwas tun muss, was sie wollen und ich nichts davon will. Im Gegenteil, wir marschieren alle in die gleiche Richtung und wollen gemeinsam dasselbe.
Es ist einfach so, dass ein 80er-Jahre-Synthpop-Album im LORD OF THE LOST-Kosmos nichts zu suchen hat. Wir sind nach wie vor eine Gitarrenband. Das bedeutet, dass es etwas ist, das sich ganz logisch als Solo-Album realisieren lässt. Das ist mir wichtig, weil viele Leute denken, wenn jemand ein Solo-Album macht, geht es um Selbstverwirklichung oder einen positiven Ego-Trip, um endlich mal seine Freiheit auszuleben. Aber darum geht es nicht. Bei LORD OF THE LOST bin ich ebenfalls völlig frei, zu kreieren, was ich möchte, aber ein Synthpop-Album passt einfach nicht zu uns. Seit über zehn Jahren wollte ich das machen, und jetzt habe ich es endlich umgesetzt, obwohl ich eigentlich keine Zeit dafür hatte. Es ist ein bisschen wie mit Kindern – es gibt keinen perfekten Moment. Entweder man möchte es oder nicht. Also habe ich letzten Sommer im Urlaub gesagt: „Jetzt mache ich es einfach fertig.“

Die ersten vier Singles sind schon länger veröffentlicht worden und seit gestern gibt es die letzte Single „Lunamor“. Gab es Reaktionen von Fans oder Kolleg*innen aus der Musikwelt? Wie fielen diese aus – gab‘s Überraschungen?
Na ja, klar, es gibt immer irgendwelche Reaktionen, davon auch eine ganze Menge. Und viele Leute sind natürlich auch total happy. Aber ich versuche immer, mich von Kommentaren, auch von positiven Kommentaren, nicht so beeinflussen und fehlleiten zu lassen. Denn auch zu viele positive Kommentare können unterm Strich schädlich sein. Das geht alles in dein System und speichert sich irgendwie ab. Also ich zumindest bin so, dass ich solche Sachen schwer vergesse. Und auch positive Rückmeldungen sollten mich bei zukünftigen Entscheidungen nicht zu sehr beeinflussen, weil ich manchmal merke, dass etwas besonders gut angekommen ist und ich dann versehentlich beginne, Dinge zu machen, die den Leuten wieder genauso gut gefallen. Und das möchte ich eigentlich vermeiden, weil ich denke, dass ein Künstler nur dann authentisch bleibt, wenn er immer 100 % seinem Herzen folgt. Deshalb versuche ich, Kommentare und Komplimente eher peripher zu lesen und immer darauf zu achten, ob sich ein Fragezeichen in meinem Kopf regt. Wenn ich ein Fragezeichen sehe, dann antworte ich darauf. Aber ich versuche, mich weder von Hate-Kommentaren noch von Komplimenten ablenken zu lassen. Denn auch ich bin nur ein Mensch, und das hat natürlich einen Effekt auf mich. Was meine Kollegen betrifft: Es haben sich viele bei mir gemeldet, die sehr glücklich mit dem Album waren. Besonders Kollegen meiner Generation oder auch etwas älter, die in den 80ern als Teenager Musik gehört haben. Ich bin 1980 geboren, das heißt, ich habe in den 80ern keine 80er-Musik gehört, sondern die Musik, die meine Eltern zu Hause hatten – hauptsächlich aus den 60ern und 70ern. Aber gerade die Kollegen, die nur zehn Jahre älter sind und in den 80ern Teenager waren, haben sich natürlich gemeldet und waren total begeistert. Sie haben gesagt: „Endlich mal wieder ein Album, das so klingt wie damals.“ Das ist natürlich ein Kompliment, das mich freut und eine Kritik, die ich gerne annehme. Aber auch das versuche ich nicht zu ernst zu nehmen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen seltsam. Ich möchte niemanden respektlos behandeln, und vielen Dank an alle da draußen für die Komplimente. Aber ich glaube, dass zu viele Komplimente genauso negativ sein können wie zu viel negative Kritik. Deshalb versuche ich, das Ganze ein wenig auszublenden.
Auf dem Album sind die Songs „Madonna of the Night“ mit Sven Friedrich (SOLAR FAKE) und „The Grey Machines“ mit Ronan Harris (VNV NATION) zu hören. Wie kam es zu diesen Kollaborationen, und warum hast du dich gerade für diese beiden Künstler entschieden?
Ich mag die Stimmen von Sven und Ronan total gerne. Svens Stimme kenne ich schon seit über 20 Jahren. Ich habe DREADFUL SHADOWS damals schon gehört, vor über 20 Jahren, und ich habe immer gedacht: „Mensch, mit dem würde ich gerne mal ein Duett machen.“ Mit Ronan ging es mir genauso. VNV NATION kenne ich musikalisch erst seit einigen Jahren. Irgendwann vor ein paar Jahren bin ich über ein Live-Video von M’ERA LUNA gestolpert, in dem Ronan „Illusion“ gesungen hat. Zuvor dachte ich immer, VNV NATION hätten nur irgendwelche Club-Tanzsongs. Aber plötzlich hörte ich diesen Song, der mich sehr berührt hat. Ab diesem Moment dachte ich: „Mit dem möchte ich irgendwann mal zusammen singen.“
Im Laufe der Jahre habe ich Sven und Ronan kennengelernt, mittlerweile wir sind befreundet. Ich hätte sie sicherlich schon viel früher fragen können, ob sie auf einem LORD OF THE LOST-Album einen Song singen möchten. Aber es gab nie einen Song, der für ein Duett gepasst hätte. Ich finde es schade, wenn man sich für einen Song einen Gast holt, nur um „Name-Dropping“ zu betreiben – nur damit der Name im Marketing cool klingt. Das finde ich doof. Viele machen das so, Hauptsache ein großer Name. Für mich ist das Allerwichtigste bei einem Duett, dass es wirklich zum Song passt, weil es um das emotionalste Instrument geht, das es meiner Meinung nach gibt: die Stimme. Es muss zumindest so sein, dass beide Künstler finden, dass es zum Song passt – und nicht nur, um sich gegenseitig über den Social-Media-Algorithmus zu pushen.
Bei diesen beiden Songs hatte ich schon beim Schreiben das Gefühl, die Stimmen der beiden irgendwie zu hören. Bei „Madonna of the Night“ die Stimme von Sven, bei „The Grey Machines“ die Stimme von Ronan. Also habe ich einfach gefragt, und zum Glück haben sie ja gesagt. Ich finde, die Mischung der beiden Stimmen passt sehr gut zusammen. Besonders bei Sven und mir ist es interessant, weil wir beide eine ähnliche Stimmlage haben – zumindest was die grundsätzliche Höhe unserer Stimmen betrifft. Wo wir beide gut performen, liegt in einem ähnlichen Bereich.
Ich hatte ein wenig Sorge, dass, wenn wir den Refrain zusammen singen, den wir tatsächlich in der gleichen Oktave singen, es als Duett nicht richtig Sinn ergeben würde. Aber es ist tatsächlich witzig: Je nachdem, auf wen man sich konzentriert, kann man entweder 100% Sven zuhören oder 100% mir – selbst wenn wir beide gleichzeitig singen. Unsere Stimmen sind in der gleichen Lage stark, aber die Klangfarben sind trotzdem so unterschiedlich, dass das ganz gut funktioniert. Es ist fast wie ein Spiel, man muss es einfach ausprobieren. Im Refrain kann man den einen sozusagen ausblenden und den anderen ins Spotlight stellen. Das funktioniert wirklich gut. Es ist erstaunlich, wie das Gehirn die Signale filtert, die es nicht wahrnehmen möchte. Das ist faszinierend.

Gibt es einen Song auf dem Album, der dich besonders berührt?
Natürlich sind einige der Songs emotional näher an mir dran. Zum Beispiel, wenn ich einen Song nennen müsste, der mich nicht so sehr im Herzen berührt, dann wäre es wahrscheinlich der mit Ronan. Der ist von der Aussage her eher ein politischer, dystopischer und gesellschaftskritischer Song. Das berührt mich natürlich auf eine gewisse Weise, weil der Song mein „Baby“ ist. Weltschmerz wiegt aber immer etwas weniger schwer als der persönliche Schmerz, den man mit sich herumträgt, und die Narben, die man auf der Seele hat. Das bedeutet, auf dem Album gibt es natürlich auch Songs, die näher an mir sind. Besonders ein Song wie „I Love You“, der mit einem sehr traurigen Text eine ganz merkwürdige Mischung ergibt. Die Musik ist eigentlich sehr beschwingt, sehr 80er Jahre. Ich würde nicht sagen „fröhlich“, aber es ist keine musikalisch niederschmetternde oder frustrierende Nummer – eher ein Uptempo-Song. Der Text ist tatsächlich sehr, sehr traurig und auch teilweise autobiografisch.
Es ist jetzt niemand gestorben, von dem da berichtet wird, aber es wird ein Szenario gezeichnet, das letztlich zu der Frage führt: Werden wir alle irgendwann einmal sterben? Es ist einer dieser Songs, bei denen man sich fragt, wo es um richtige und falsche Entscheidungen im Leben geht. Wir alle kennen das Gefühl, dass wir manchmal wissen, „jetzt ist der Moment“, oder erst später erkennen, „damals hätte ich mich auch anders entscheiden können“. Und dann wäre vielleicht alles anders gelaufen. Vielleicht wäre ich die Person gewesen, zu der man am Sterbebett „I Love You“ sagt – oder ich hätte der Person an meinem Sterbebett „I Love You“ gesagt. Dieser Song beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
So geht es auch bei einigen anderen Songs auf dem Album. Sie sind immer ein Stück weit autobiografisch, weil man bei solchen Themen natürlich auch verletzbar ist, wenn man ständig persönliche Geschichten erzählt. Deshalb verpacke ich das gerne in Bilder. Ehrlich gesagt finde ich es auch viel interessanter, es in Bilder zu verpacken. Denn die Menschen, die den Song hören, können sich darin viel besser wiederfinden, als wenn ihnen eine haarklein ausgearbeitete Geschichte präsentiert wird. So ist es mit vielen Songs auf diesem Album, und „I Love You“ ist vermutlich einer der Songs, der mir am nächsten geht.
Kannst du dir vorstellen, das Album auf Tour umzusetzen oder wird Deine Show auf dem M’ERA LUNA 2025 vermutlich die erste und letzte Möglichkeit sein, das Album live zu hören?
Ich kann mir auch vorstellen, irgendwann auf dem Mars zu leben. Aber beides wird vermutlich nicht passieren, und das aus einem ganz einfachen Grund: Ich bin jetzt schon mehr als doppelt so viel auf Tour, wie ich eigentlich möchte. Das könnte sich allerdings ändern, wenn mein Sohn älter ist oder erwachsen. Es gibt ein Alter in der Entwicklung von Teenagern, in dem sie es cool finden, wenn die Eltern nicht zu Hause sind. Wenn dieser Punkt erreicht ist, fällt es mir vielleicht leichter, auf Tour zu gehen.
Können wir in den nächsten Jahren noch ein Soloalbum von dir erwarten?
In zweieinhalb bis drei Jahren plane ich, ein zweites Album in einem ähnlichen oder vielleicht sogar gleichen Stil zu veröffentlichen. Zum einen, weil ich einfach Lust darauf habe, und zum anderen, weil ich tatsächlich einen Vertrag über zwei Alben mit Napalm Records abgeschlossen habe. Mit LORD OF THE LOST, ist erstmal so ziemlich alles vom Frühling 2025 bis Sommer 2027 durchgeplant. Es würde also wenig Sinn machen, noch ein Solo-Album dazwischenzuschieben. Aber ich könnte mir vorstellen, dass der Herbst 2027, gerade zum Weihnachtsgeschäft, ein guter Zeitpunkt dafür wäre.
Stell Dir vor Du könntest in die 80er zurückzureisen – gibt es einen Künstler oder eine Band, mit dem/der du gerne zusammenarbeiten würdest? Roxette einmal ausgenommen.
Einer der ersten Künstler, zu denen ich im Zimmer herumgetanzt bin, und bei denen ich das Album auf Kassette aus einem kleinen Kassettenrekorder laut in meinem Zimmer abgespielt habe, war MICHAEL JACKSON mit dem Bad-Album. Und ich glaube, wenn ich könnte, würde ich wirklich sehr gerne mal mit MICHAEL JACKSON arbeiten. Aber wer will das nicht? Es gibt, glaube ich, kaum einen Musiker, der sagt, „Nee, das fände ich uninteressant, das möchte ich ungern machen.“ Aber es gibt erstaunlicherweise junge Menschen, die MICHAEL JACKSON nicht kennen, die aber in einem ähnlichen Bereich tätig sind. Ich kann mich erinnern, wir hatten vor ein paar Jahren im Studio eine Sängerin, die war so um die 20. Sie kam auch aus dem R’n’B-, Soul und Black Music-Bereich. Und in einem Gespräch über stilistische Richtungen in einem Song ging es darum, ob wir nicht versuchen wollen, so ein bisschen MICHAEL JACKSON-mäßig mit den Beats zu arbeiten. Und sie fragte: „Wer?“ Wir sagten: „MICHAEL JACKSON.“ Sie antwortete: „Kenn ich nicht.“ Und da war ich ganz erstaunt, dass jemand aus diesem Musikbereich in diesem Alter MICHAEL JACKSON nicht kannte. Das war das erste Mal, dass mir das passiert ist. Es war wirklich erstaunlich.
Der Alltag im Leben eines Musikers ist straff organisiert. Wir hatten genug Zeit, alle unsere Fragen zu stellen und haben ausführliche und vor allem aufschlussreiche Antworten erhalten. An dieser Stelle möchten wir Chris herzlich dafür danken, dass er sich die Zeit genommen hat, mit uns dieses Interview zu führen.
