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ULCERATE: Cutting The Throat Of God

Was soll nach einem Album wie „Stare Into Death And Be Still“ noch groß kommen? ULCERATE wagen einen Versuch mit „Cutting The Throat Of God“ – und brillieren.

Ambivalenzalarm! Ein neues ULCERATE-Album ist ein Garant für große Freude, aber der Verfasser möchte ehrlich sein. Vor dem ersten Hören ist da aber immer ein gewisser Respekt. Es steht fraglos eine anstrengende Stunde bevor, da muss sich mental erstmal bereit machen. Easy Listening gab es von dem neuseeländischen Trio noch nie zu hören und „Cutting The Throat Of God“ ist wie selbstverständlich ein intensives, anstrengendes Album, das jede Sekunde wert ist, gehört zu werden. Also ja, nachdem es den Bruchteil einer Sekunde Überwindung kostete zum Erstkontakt überzugehen, waren 58 Minuten später zwei Dinge klar: Erstens, es wird in Arbeit ausarten, sich in das siebte Album von ULCERATE hineinzufuchsen. Zweitens, der Weg des langsamen Kennenlernens und Entdeckens von „Cutting The Throat Of God“ wird mehr als lohnenswert sein.

ULCERATE selbst beschreiten weiter den Weg, den sie seit ihrem Opus Magnus „Stare Into Death And Be Still“ eingeschlagen haben. Das Trio bietet mehr als atmosphärisch-dissonanten Tech-Death für Introvertierte, sie haben sich freigespielt, lassen Einflüsse aus Black Metal und Post Metal ebenso zu, wie Emotionen – allein Letzteres lässt sie zu einer Ausnahmeerscheinung im Death Metal werden. Dass sie technisch auf dem höchsten Niveau spielen, kommt on top: Gerade Drummer Jamie Saint Merat liefert eine atemberaubende, detailverliebte Performance und holt das Maximum aus seinem Drumkit heraus. Trotz Triggersound erzielt er eine Dynamik, die in diesem Genre viel zu selten ist.

Mehr als atmosphärisch-dissonanter Tech-Death für Introvertierte: ULCERATE lassen auf „Cutting The Throat Of God“ Emotionen zu.

Sein Songwriting-Sparringspartner Michael Hoggard schafft derweil das Kunststück, eine Vielzahl an Gitarrenspuren übereinander zu schichten, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Die sieben Stücke sind auch ihren Längen zwischen sieben und zehn Minuten überbordend, enthalten aber gerade so viel Komplexität, wie sich noch verdauen lässt. ULCERATE sind also nicht nur als individuelle Instrumentalisten gereift, sondern auch als Komponisten. Das wird gleich beim Opener „To Flow Through Ashen Hearts“ deutlich, der sich Zeit nimmt, sich erst sammelt, bevor er in einem komplexen Sturm aus Riffs, Leads, Grooves, pumpenden Bässen und den brutalen, überraschend vielseitigen Vocals von Paul Kelland mündet.

Das dissonante Riffing, die verschachtelten Arrangements, in denen die dunkle Atmosphäre durch klug eingesetzte Dynamik greifbar wird, erzeugen nach und nach Momente, die überraschend prägnant sind. Das Finale von „To Flow Through Ashen Hearts“ und das Mainriff von „Further Opening The Wounds“ sind auf bizarre Art und Weise melodiös und dadurch auch emotional fordernd. Diese Verletzlichkeit gelingt auch, weil ULCERATE nicht der Versuchung erliegen, ein poliertes Soundbild zu erzeugen. Trotz des technischen Ansatzes atmet die Musik und reißt im Spannungsfeld zwischen laut und leise stets aufs Neue mit. Großen Anteil daran hat auch das Mastering von Magnus Lindberg. So spielen ULCERATE so wirkmächtig mit Gegensätzen, wie es einer Death Metal-Band nur möglich ist.

ULCERATE agieren als Einheit, „Cutting The Throat Of God“ lebt aber auch von den Talenten der Musiker.

All das aufs erste Hören zu begreifen, ist schlicht unmöglich. „Cutting The Throat Of God“ spornt die Rezipienten nicht nur an, die Musik mit Kopf und Herz zu verstehen, es strahlt generell eine Sogwirkung aus. ULCERATE zeigen, was in diesem Genre machbar ist, wenn über den Tellerrand geblickt wird. Klar ist aber auch, „Cutting The Throat Of God“ ist abermals kein Album, das zum stumpfen Abreagieren geeignet ist. „Transfiguration In And Out Of Worlds“, das sich Zeit nimmt und langsam steigert, ist hierfür das beste Beispiel. Und doch haben ULCERATE in den meisten Songs packende, treibende Elemente stehen. „To See Death Just Once“schichtet dennoch ein mitreißendes Riff auf das nächste und stiftet zur Bewegung an. Auch „Undying As An Apparition“ entwickelt am Ende ein mitreißendes, fast schon eingängiges Riff, das ausgiebig variiert und die Intensität nach und nach in absurde Höhen schraubt, bevor der Titelsong am Ende das Album mit einem ausgiebigen Grande Finale würdig abschließt – so passend, dass im Anschluss auch mal ein paar Minuten Stille gut tun, um die vergangene Stunde zu verdauen.

Vier Jahre nach dem epochalen „Stare Into Death And Be Still“ zeigen sich ULCERATE weiterhin als gefestigt auf allen Ebenen und trotzen dem Druck, der auf ihnen lastete. Das spielerische Niveau ist haushoch, vor allem glänzt wieder einmal das Drumming von Jamie Saint Merat, der auch maßgeblich am überraschend organischen Sounddesign beteiligt ist. Das Songwriting ist ein wenig herausfordernder als zuletzt, aber schlagkräftig – auch weil sich ULCERATE seit so vielen Jahren in derselben Besetzung entwickeln konnten. Die Songs sind komplex arrangiert und geschrieben, durch die dichte Atmosphäre hinterlassen die Stücke aber einen nachhaltigen Eindruck und bleiben auch nach dem Hören noch präsent. Auch optisch und konzeptionell ist „Cutting The Throat Of God“ trotz scheinbar plakativen Titels ein vielschichtiges, tiefschürfendes Album über den unwiederbringlichen Verlust der Moral. Es bleibt nur ein Fazit: Dem gewaltigen Vorgänger sind diese sieben musikalisch wie intellektuell messerscharfen Stücke mindestens ebenbürtig – „Cutting The Throat Of God“ ist das nächste Meisterwerk in der Karriere dieser Band.

Wertung: 6,5 von 7 Rasiermesser von Ockham

VÖ: 14. Juni 2024

Spielzeit: 57:50

Line-Up:
Jamie Saint Merat – Drums, Percussion
Michael Hoggard – Guitars
Paul Kelland – Bass, Vocals

Label: Debemur Morti Productions

ULCERATE „Cutting The Throat Of God“ Tracklist:

1. To Flow Through Ashen Hearts (Official Video bei Youtube)
2. The Dawn Is Hollow (Official Video bei Youtube)
3. Further Opening The Wounds
4. Transfiguration in And Out Of Worlds
5. To See Death Just Once (Official Video bei Youtube)
6. Undying As An Apparition
7. Cutting The Throat Of God

ULCERATE „Cutting The Throat Of God“ Full Album Stream bei Youtube

Mehr im Netz:

https://www.ulcerate-official.com/
https://ulcerate.bandcamp.com/
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