Es gab mal eine Zeit in den 70ern, in der das Tragen einer abgewetzten Motorrad-Lederjacke mit Buttons und strubbelige Haare schon als subversiv galten. Also wenn man ungefähr so aussah, wie die meisten Typen in heutigen Jeans- oder Haargel-Werbungen, war man ein Punk. Allerdings hatte die Ablehnung solch für heutige Verhältnisse normal aussehenden Erscheinungen durch die Gesellschaft auch einen guten Grund, denn hinter der für für unser Auge unscheinbaren Fassade verbarg sich im Gegensatz zu heute meistens ein rebellischer Geist. Auffallen wurde mit Rebellion gleichgesetzt und noch nicht mit purem Narzissmus. Und Rebellion richtete sich gegen alles und diente noch keiner Ideologie. In der heutigen Zeit, in der die Fassade alles und der Geist nichts mehr ist, mag das merkwürdig erscheinen. Ein bestimmtes Aussehen als Ausdruck einer bestimmten Einstellung ist heute kaum noch zu finden. Das kann man positiv sehen, wenn man davon ausgeht, dass die Uniformierung der Gesellschaft heute abgenommen und die Möglichkeit zur Individualität zugenommen hat, aber leider verbirgt sich dahinter eher der Trend, keine Meinung zu haben und durch sein Aussehen eben genau diese Leere zur Schau zu stellen. Also Blanko-Formular für die Trendindustrie sozusagen.
Was hat das Ganze mit dieser Platte zu tun? Ich denke einiges. Für die Musik gilt nämlich genau dasselbe. Die vorliegende Platte ist für heutige Death-Metal-gestählte Ohren auch ziemlich unspektakulär. Und doch huldigt sie einer Zeit, in der genau damit eine Botschaft vertreten wurde, die Revolution hieß und für einiges Aufsehen sorgte. So merkwürdig uns Schock-Effekt-überfütterten Medien-Profis das auch erscheinen mag. Rockmusik verbunden mit DIY-Mentalität und sehr viel Rotzigkeit ergab etwas Neues und Aufregendes: Punkrock.
Zumindestens soll es so gewesen sein, wenn man den Älteren lauscht…
Es gab damals eine ganze Reihe von frühen Punk-Bands, die für uns relativ normal aussahen, auftraten und auch klangen, die aber trotzdem Teil oder gar Begründer der subversiven Bewegung waren: BUZZCOCKS, VIBRATORS, 999, PETER & THE TEST TUBE BABIES oder SHAM 69 und viele andere. Und diesen Bands und ihrer Musik hat Dennis Lyxzen, seines Zeichens Sänger von THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY mit seinem Projekt THE LOST PATROL BAND nun ein weiteres Denkmal gesetzt.
Die Musik dieser Bands war gar nicht so weit entfernt von herkömmlicher, damaliger Rockmusik, wie man es eigentlich erwarten könnte und wie spätere Punkbands wie THE EXPLOITED mit ihrer kompromisslosen Attitude es waren, sondern sie waren melodiös, rockig und sehr britisch. Die Art und Weise des Musik-Machens machte den Unterschied. Anstelle der aus den 70ern bekannten Materialschlachten der Dinosaurier-Bands, beschränkten sich dieses Bands auf die Gitarre und den Verstärker aus dem nächsten Supermarkt, der mit seinem billigen, höhenlastigen Sound und der messerscharfen Transistor-Verzerrung schon jedem Hippie gnadenlos das Haupthaar kürzte, wenn er nur laut genug war. Dann wurde gnadenlos aufgedreht und gerockt. Jeder konnte mitmachen. Zwei, drei Riffs pro Lied, Bumm-Zack-Schlagzeug mit gnadenloser 8tel-HiHat, die ein oder andere Timing-Schwankung und frischer Dillentantismus bestimmten die Szene und wurden von den Punks als Rettung aus der 70er-Rock-Sülze empfunden und als der Soundtrack zum Untergang der Zivilisation und dem Beginn der Anarchie. Zukunft gab es ja ohnehin keine.
Und genauso klingt diese Platte. Mit erstaunlicher Detailtreue in Sound und Songwriting spielen die Schweden im Jahre 2006 einen neuen 77er-Klassiker nach dem anderen. Hätte Dennis jetzt noch einen Cockney-Akzent, könnte man fast glauben eine verschollene Cock Sparrer-Platte zu hören. Schrammelige 2,5-Akkord Riffs mit genau diesem billig-klingenden Gitarren-Sound, pumpend-mumpfeliger Bass und gänzlich unprätentiöses Schlagzeug zelebrieren kleine Melodien und gute Laune in allerhöchstens zweieinhalb Minuten. Die Produktion ist allerdings nicht so authentisch, dass sie drucklos oder dünn erscheint, sondern schlägt genau den nötigen Spagat zwischen Original und Moderne.
Jedes Lied klingt bekannt, ohne wirklich geklaut zu sein und geht sofort ins Ohr und in die Beine. Mir als Fan der Originale macht diese Platte wahnsinnigen Spaß. Automatic ist quasi eine Tribute-Platte an alle Bands und nicht nur an eine bestimmte. Geniale kleine Songs wie Little Obsession (absoluter Anspieltipp!) oder City of Dead (auch absoluter Anbpsieltipp!) als Zeitmaschine. Das ist Musik zum Pogotanzen ohne Violent Dancing. Wie damals eben. Nicht, dass ich dabei gewesen wäre, da ich zu der Zeit genau wie Dennis Lyxzen noch in der Grundschule war, aber für schöne Nostalgie bin ich schließlich immer zu haben. 12 mal erstklassiger Punkrock als Reminiszenz an eine Zeit, die es so schön wie oben beschrieben vielleicht nie gegeben hat, die aber genau so gewesen sein sollte, wie diese Platte klingt.
Never trust a Hippie!
Veröffentlichungstermin: 16.10.2006
Spielzeit: 29.03. Min.
Line-Up:
Dennis Lyxzen – Vocals + Guitar
Robert Petterson – Bass
Anders Stenberg – Guitar
Andre Sandström – Drums
Produziert von Daniel Berglund
Label: Burning Heart Records
Homepage: http://myspace.com/lostpatrolband
Tracklist:
1. Ain´t got the Time
2. Little Obsession
3. I don´t understand
4. Doesn´t matter
5. City of Dead
6. What´s wrong with me
7. Automatic Kids
8. Don´t make me wait
9. Safety Pin
10. Waking up scared
11.30something
12.Fucking dead