[:SITD:]: Laughingstock (Single)

Ein guter Song, der dennoch die graue Runkelrübe 2003 für besondere Geschmacklosigkeit in Tateinheit mit lyrischer Inkompetenz verliehen bekommt…

Ich weiß nicht, wie weit man sich überhaupt über die gelinde gesagt geschmacklose Idee, einen Song über das Massaker an der Schule von Columbine zu schreiben, streiten kann. Eine tiefgehende, gut recherchierte und ausgearbeitete Auseinandersetzung mit diesem fürchterlichen Erlebnis kann ja noch durchaus in Ordnung gehen, schließlich sollte Kunst die Schattenseiten der menschlichen Existenz nicht totschweigen, im Gegenteil. Definitiv abschreckend wird es jedoch, wenn dieser Song auch noch mit einem platten, miserablen Text unterlegt ist und dieser auch noch mit ebenso schwachen Pseudo-Radionachrichtenschnipseln angereichert wird. Vielleicht ist es dieses Nur-im-Fernsehen-sehen, das dazu verleitet, die Tragödie nicht als real, als echtes Leid und echten Wahnsinn zu sehen, sondern mit Plattitüden und Allgemeinplätzen den wahren Horror zu verharmlosen. Anders kann ich mir Textzeilen wie „Where were you, God/yes, they run amok“ (sei rann amok ausgesprochen…), „They [sei…] came to kill“ oder „To hell with Jesus Christ/Death makes no compromise“ nicht erklären. Hier soll nur platt und spekulativ von dem realen Grauen auf menschenverachtende Weise profitiert werden. Der Titel, übersetzt so viel wie „Witzfigur“ bedeutend, trägt zu der psychologischen Plattheit nur noch weiter hinzu, so dass dieser Song für mich schon jetzt die graue Runkelrübe 2003 für besondere Geschmacklosigkeit in Tateinheit mit lyrischer Inkompetenz verliehen bekommt.

Umso krasser, dass die musikalische Seite der Single der Senkrechtstarter [:SITD:], die mit „Snuff Machinery“ einigen Wirbel in der Dark Electro-Ecke verursacht hatten, an und für sich nichts zu wünschen übrig lässt. Wuchtige Midtempobeats, die sich angenehm vom beinahe technoesken Einerlei vieler EBM-Bands abheben, eine packende, düstere Stimmung und ein eingängiger Refrain sorgen dafür, dass „Laughingstock“ ein eigenständiger, hitverdächtiger Track wird. Warum nun acht sich meist nur marginal voneinander unterscheidende Remixe und eine Langversion davon mit auf die Single mussten, weiß ich nicht, musikalisch ist der Track aber stark genug, um auch nach etlichen Durchläufen bzw. Versionen noch zu zünden. Dynamik, Groove und Melodie, alles passt!

Ein selten tiefer Zwiespalt entsteht also bei dieser Single – auf der einen Seite grandiose Musik, auf der anderen Seite diese unsägliche textliche Plattheit. Letztlich sollte es jedem selbst überlassen bleiben zu entscheiden, was mehr Gewicht hat. [:SITD:] jedenfalls sollten sich mal „Bowling for Columbine“ ansehen, um herauszufinden, wie man sich angemessen mit einer derartigen Schreckenstat auseinandersetzt. Außerdem wäre nicht zuletzt auch angesichts der vorschnellen Anfeindung, der Metal- und Gothicszene bei Amokläufen immer wieder ausgesetzt sind, mehr Sorgfalt beim Verfassen eines Texts über diese Thematik angesagt gewesen. Dann hätte „Laughingstock“ das Zeug zu einem wahrlich großen Stück Kunst gehabt, so jedoch bleibt die Single mit Vorsicht zu genießen.

Spielzeit: 55:07 Min.

Line-Up:
Carsten Jacek – Gesang

Thomas Lesczenski – Keyboards, Programmierung, Sampling, Gesang

Produziert von [:SITD:]Label: Accession Records/EFA

Homepage: http://www.sitd.de

Tracklist:
Laughingstock

Laughingstock (THE RETROSIC-Remix)

Laughingstock (DAS ICH-Remix)

Laughingstock (ANALOGUE BRAIN-Remix)

Laughingstock (BLUTENGEL-Remix)

Laughingstock (extended version)

Laughingstock (CUT.RATE.BOX-Remix)

Laughingstock (SOMAN-Remix)

Laughingstock (ROTERSAND-Remix)

Laughingstock (LIGHTS OF EUPHORIA-Remix)

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