SERAPHIM: Ai

Melodic Metal aus Asien? Die Taiwaner SERAPHIM beweisen mit "Ai" nun schon zum dritten Mal, dass auch im fernen Osten großartige Songwriter stationiert sind. Die interessante Mischung aus NIGHTWISH-artigen Gesangselementen und Anbiederungen an den klassischen Heavy Metal dürfte sogar dem ein oder anderen europäischen Act vereinzelte Sorgenfalten bereiten…

Die finnischen Bombast-Metaller NIGHTWISH konnten in den letzten Jahren phantastische Erfolge feiern und eine weltweit verstreute Fanschar für ihre Musik begeistern. Dass deren Erfolgsrezept mittlerweile sogar bis in sonst eher metalfremde Länder wie Taiwan durchgedrungen ist, beweisen die dort ansässigen SERAPHIM, die mit Ai ihren nunmehr dritten Longplayer an den Mann bringen und auch bei diesem keinerlei Anstalten machen, ihre offensichtlichen Einflüsse aus dem skandinavischen Lager zu verheimlichen. Besonders der Gesang von Frontfrau Pay Lee ist für diese steten Analogien verantwortlich, ansonsten finden sich auf dem Album aber auch zahlreiche Anbiederungen an den klassischen Heavy Metal, weshalb man das Quintett keineswegs als einfache Kopie der Finnen abtun sollte. Der instrumentale Fundus der Formation weist nämlich noch ganz andere Ideale auf, so verzichtet man beispielsweise vollkommen auf kitschige Keyboard- oder etwa ganze Orchestereinsätze und richtet das Hauptaugenmerk eher auf impulsive Gitarrenriffs und ausgefeilte Soli – zudem wird durch das sporadische Auftreten von Backing-Growls ein starker Kontrast zum ansonsten durchgehend sopranlastigen Leadgesang gebildet. Überhaupt mühen sich SERAPHIM erheblich, das musikalische Programm extrem abwechslungsreich zu gestalten: Ai bietet flotte, am Melodic Metal angelehnte Speedster (Can´t Take), orientalisch angehauchte Melodiebögen (Resurrect) und an die 80er Jahre erinnernde Riffmonster, wie das auffällig groovende Implementation. Herzstück des mit einer stolzen Spielzeit von etwa 77 Minuten dotierten Tonträgers ist wohl das von einem herzergreifenden Pianointro eingeleitete My – hier werden alle genannten Facetten erfolgreich vereint und innerhalb von sieben Minuten zu einem vor Dynamik nur so strotzenden Monumentalwerk zusammengefasst. Die charismatische Stimme der Sängerin wird hier besonders vordergründig vom Bassisten Jax Yeh assistiert, dieser ist den gesanglichen Fähigkeiten der Frontfrau aber deutlich unterlegen und scheint sich gerade bei den höheren Passagen ziemlich zu quälen. Trotzdem ist der Song das unbestreitbare Highlight von Ai, zumal das Album mit einer chinesisch gesungenen Version von My als Bonustrack aufwartet, was die zentrale Rolle des Liedes weiter untermauert. Die asiatische Ausführung drückt sogar noch ein wenig kräftiger auf die Trändendrüse, allerdings nicht etwa durch die vollkommen unveränderte Instrumentierung, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, dass man auf dem Album nicht öfter in den Genuss kommt, dieser wundervoll intonierten Phonetik lauschen zu dürfen. Besonders ärgerlich wird dieser Punkt, wenn man einmal berücksichtigt, dass sämtliche SERAPHIM-Alben sehr wohl auch in der Landessprache aufgezeichnet wurden, die heimischen Grenzen aber in dieser Form nie passiert haben. Da ist es auch nicht gerade ein Trostpflaster, dass man die Originaltexte mal eben Wort für Wort in völlig mieses Grundschulenglisch übersetzt hat und die Songtitel dadurch wie wahllos verwendete Satzfragmente aussehen lässt, anders kann ich mir Bezeichnungen wie None, Is That? oder auch das erwähnte My einfach nicht erklären.

Sieht man einmal von den lingualen Ärgernissen ab, ist Ai ein großartiger Beweis dafür geworden, dass auch unwesentlich in die Szene involvierte Asiaten das Metalgenre kräftig aufmischen und dabei sogar eine eigene akustische Duftnote hinterlassen können. SERAPHIM sind in ihrem Land wohl schon zu Nationalhelden aufgestiegen, in Europa werden die fünf Musiker noch einen steinigen Weg vor sich haben, der meiner Meinung nach durch ein höheres Vertrauen in die eigene Sprache etwas geebnet werden könnte. Wer von uns kann denn bestreiten, dass Melodic Metal mit asiatischem Gesang die ansonsten eintönige Genreflut zumindest ein wenig auffrischen, sich unabhängig vom individuellen Geschmack des Hörers in jedem Falle vom Kollektiv absetzen würde? Mit finnischen Texten scheint die ganze Chose doch auch zu funktionieren…

Veröffentlichungstermin: 25.06.2004

Spielzeit: 77:18 Min.

Line-Up:
Pay Lee: vocals

Kessier Hsu: guitar

Lucas Huang: guitar

Jax Yeh: bass & backing vocals

Simon Machinegun Lin: drums

Produziert von SERAPHIM
Label: Arise Records

Homepage: http://www.magnum.com.tw/seraphim

Email: seraphim@saharastudio.com

Tracklist:
01. Intro

02. Tears

03. Resurrect

04. Implementation

05. Desperate

06. Can´t Take

07. My

08. In The Air

09. None

10. Before

11. Is That?

12. Instantaneous

13. The End

14. My (Chinese Version)