Der Traum vom Eigenheim, für viele sowieso in unerreichbarer Ferne – und für die, die ihn verwirklicht haben, kommt irgendwann das Böse erwachen: Wie eine Kette am Fuß, bindet es dich an einen Ort, du verwächst mit der Nachbarschaft, fährst pausenlos in den Baumarkt, kaufst Dinge wie Rasenkantentrimmer und früher oder später notierst du die Kennzeichen von Autos, die nicht in die Siedlung gehören, während die Last auf den Schultern größer wird. Kurz: Der einst strahlende Traum wird irgendwann zu einer Fessel. Folgerichtig machen sich NOCTAMBULIST mittels ihres Zweitwerks „Noctambulist II: De Droom“ (im Nachfolgenden einfach „De Droom“ benannt) Gedanken, ob ein – in den Worten des Labels – mittelmäßiges Zusammenleben nicht auch schön sein kann; und ob es wirklich so mittelmäßig ist, dem Glamour von Annuitätendarlehen zu entsagen.
Apropos schön: Die Post Black Metal-Band nimmt das mit der Schönheit ziemlich genau. Denn die acht Songs plus Intro haben zwischen Impulsivität und Wut eine Menge betörender Momente geparkt, die so gar nicht zu dem auf dem Coverfoto präsentierten Lost Place passen wollen. Klare Sache: NOCTAMBULIST sind in den Kontrasten zu Hause. Die Band ist dabei stilistisch gesehen durchaus in ihrem Heimatland, den Niederlanden, zu verorten. „De Droom“ tragen dieses Flair in sich, wie auch FLUISTERAARS auf „Bloem“ und VUUR & ZIJDE, gleichzeitig ist die melodiöse Verspieltheit von EINVIGI ebenso wie die Aggression von HARAKIRI FOR THE SKY und DAWN TREADER hörbar. Keine schlechten Voraussetzungen also.
Impulsivität und Wut treffen auf betörende Momente: NOCTAMBULIST beherrschen die Klaviatur der Ambivalenz auf „De Droom“ virtuos.
Und in der Tat, NOCTAMBULIST haben zahlreiche große Songs geschrieben, die gerade dann richtig unter die Haut gehen, wenn die Intensität ganz oben ist, wenn das Tempo angezogen wird, dazu die Tremolo-Riffs Gas geben und unwiderstehliche Harmonien das Gesamtbild prägen. Und ja, die niederländische Formation verliert keine Zeit und spielt ihre Stärken sofort aus: „Petrichor“ ist als quasi-Opener ein rasantes Stück, das alles richtig macht; mitreißende Ideen, süchtig machende Melodien und hohe Intensität zeichnen dieses Stück aus. „Duivenblood & Suiker“ und „Vinex“ schlagen in dieselbe Kerbe und kombinieren Melancholie mit Furor. Dass „De Droom“ dazu noch blitzsauber und äußerst voluminös produziert ist, wirkt sich außerdem auf das Album aus und seine Energie aus.
Wenn NOCTAMBULIST ihre Regler auf elf drehen, zeigen sie sich von ihrer Schokoladenseite, auch weil sie mit drei Gitarren eine ziemliche Wand auffahren und diese Wucht ausnutzen. Dass hier Bass und Vocals untergehen können, ist wenig verwunderlich. Und doch reißen sich NOCTAMBULIST rechtzeitig am Riemen, um mit ihrer Soundwand nicht zu ermüden. Und doch entstehen gerade dann Kontraste, wenn es laut wird: „Lichteter“ schichtet verträumt-flirrende Melodien über Heaviness und grimmige Screams, sowie etwas zaghafte Clean-Vocals. Allerdings glänzt nicht alles an „De Droom“: „Godvorming Gat“ kommt nicht so recht von der Stelle und „Gevoelsmens“ mag nicht so richtig vom Fleck kommen, ironischerweise aller Steigerungen und Wandlungen zum Trotz, doch hier fehlen die kleinen, besonderen Ideen.
Drehen NOCTAMBULIST ihre Regler auf elf, sind sie besonders gut: Auf „De Droom“ ist mehr tatsächlich auch mehr.
Dafür brillieren NOCTAMBULIST mit „Aderlater“, dem eindeutigen Hit des Albums. Mit wütendem D-Beat, melancholischen Harmonien und einem gelungenen Wechsel aus aggressiven Screams und melodischem Gesang sowie einem gewaltigen Chorus sticht dieses Stück selbst dort heraus, wo das Niveau eh schon haushoch ist. Somit ist da viel zu erleben, viel zu fühlen und vieles, das unter die Haut geht, bis zu dem Punkt, an dem das Album mit dem retrospektiven Finale in „Lang leve de droom“ bittersüß endet. Klar ist, NOCTAMBULIST haben mit ihrer hochenergetischen Herangehensweise an Post Black Metal mit Shoegaze-Glasur viel zu bieten und reizen die Grenzen ihres Subgenres aus, ohne stilistisch auszubrechen. Dabei ist nicht jeder Schuss ein Treffer, aber diese dadurch entstehende Ambivalenz sorgt dafür, dass man gerne eintaucht in diese Poesie des Zerfalls und die Sehnsucht nach Dingen, die man eigentlich gar nicht will.
Wertung: 6 von 8 Hagebau-Kundenkarten
VÖ: 7. Februar 2025
Spielzeit: 45:49
Line-Up:
J.D. Kaye – Vocals, Lead & Rhythm guitar
Stef Heesakkers – Lead & Rhythm guitar
Tristan Tabbers – Lead & Rhythm guitar
Sam C.A. – Bassguitar
Mitchell Scheerder – Drums & Percussion
Label: These Hands Melt
NOCTAMBULIST „Noctambulist II: De Droom“ Tracklist:
1. De Droom is Dood
2. Petrichor
3. Aderlater
4. Godvormig Gat
5. Lichteter (Official Music Video bei Youtube)
6. Gevoelsmens
7. Duivenbloed & Suiker
8. Vinex
9. Lang Leve de Droom
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