Der Underground eruptierte, als vor neun Jahren das Kollektiv MARTRÖÐ seine zwei Songs umfassende EP „Transmutation Of Wounds“ der Welt schenkte. Der Hype war angesichts der Mitwirkenden groß, die Qualität selbstredend auch. „Transmutation Of Wounds“ ging von der ersten Sekunde an unter die Haut als einer der besonders verstörenden Black Metal-Mindfucks der 2010er Jahre. Der Projektcharakter war aber durchaus spürbar und somit fühlte es sich auch irgendwie okay an, dass es für MARTRÖÐ nicht weiterging. Dann stand unvermittelt „Draumsýnir Eldsins“ am Horizont. Brennen die Himmel also lichterloh, so wie es der Titel des Albums suggeriert, und flammen die Herzen so leidenschaftlich, wie es das Cover verspricht?
Verständlich, wenn so mancher Vorsicht walten lässt. Immerhin sind MARTRÖD etwas geschrumpft, die Vorzeigepromis Wrest (LEVIATHAN), Thorns (DARVAZA), MkM (AOSOTH) und D.G. (MISþYRMING) sind nicht mehr dabei. Dafür wird deutlich, wer die Essenz der Band bildet. Der US-Gitarrist und Songwriter A.P. (CHAOS MOON, KRIEG, HÄXANU) und der isländische Gitarrist und Sänger H.V. (WORMLUST) komprimieren die Vision MARTRÖÐs auf „Draumsýnir Eldsins“ mit dissonanten, schwindelerregenden Riffs, wahnsinnigen Vocals, entfesseltem Drumming, alles an der obersten Intensitätsschwelle. „Draumsýnir Eldsins“ klingt, zumindest über weite Strecken, als hätte Aleister Crowley in rauen Mengen mit Crystal Meth versetzte psylocibinhaltige Pilze in Massen in sich hineingeschüttet.
MARTRÖÐs albtraumhafte Musik funktioniert auch ohne allzu prominente Beteiligung: „Draumsýnir Eldsins“ ist eine verdichtete, apokalyptische Vision
Der Bandname verspricht nicht zu viel. Albtraumhaft ist die Musik der Band. Sie saugt die Rezipienten ein mit ihrem surrealen Flair, mit der entweltlichten Atmosphäre, mit ihrer unbeherrschbaren Dunkelheit. Vier Songs lang fahren MARTRÖÐ ein Panorama auf, das sich ungemütlich anfühlt und chaotisch wirkt. Und eine ganz andere Unberechenbarkeit ausstrahlt, als das Traumlabor AKHLYS. MARTRÖÐ bricht mal wie eine Naturgewalt über die Hörenden herein, dann fällt das Klangkonstrukt in sich zusammen. MARTRÖÐs Debütalbum mag keine 40 Minuten dauern, ist aber so intensiv, dass es locker ausreicht, um die gesamte Weltsicht der Hörer*innen auf den Kopf zu stellen.
Das zeichnet sich sofort ab: „Sköpunin“ startet mit Raserei und Wut, lässt all das in der Mitte kurz hinter sich, um leisere Momente einzubauen, die in Sachen Horror keinen Millimeter zurückstehen. Daraus entwickelt sich ein atemberaubendes Finale mit großem Chor, der auf den Mahlstrom geschichtet wird. „Draumsýnir Eldsins“ fließt in Richtung „Líkaminn“, lässt die lauten, überwältigenden Momente in sich zusammenfallen. Es fokussiert sich auf Atmosphäre und bäumt sich im getragenen Tempo auf, bevor es für MARTRÖÐs Verhältnisse sachte mit Synthesizer und Orgeln ausfaded. Die zweite Hälfte des Albums spiegelt die erste, alles ist wieder da, die Raserei, die aggressiven Riffs, der Wahnsinn, der Furor. Aber eben auch die Intuition, im richtigen Moment auf die Bremse zu treten und „Draumsýnir Eldsins“ atmen zu lassen, freilich ohne die surreale Atmosphäre zu verlieren. MARTRÖÐ brillieren vor allem im epischen „Dauðinn“, das in sich ruht, brodelt und sich immer mehr in einen deliriösen Zustand schraubt, der den Atem raubt und schließlich zerfällt.
Komplexe Arrangements und intuitive Spannungsaufbauten: MARTRÖÐ zeigen auf „Draumsýnir Eldsins“, dass sich gutes Songwriting und Wahnsinn nicht gegenseitig ausschließen müssen
MARTRÖÐs Debütalbum ist also wenig greifbar, aber auch sehr vielschichtig. Die durch und durch kaputte Aura der Musik entsteht durch komplexe Arrangements, die dank des sehr prägnanten, nach vorne gemischten Sounds von Simon da Silva gleichermaßen präsent wie chaotisch ist. Der Mix trägt deutlich zur Intensität des Albums bei und ist ebenso maßgeblich für „Draumsýnir Eldsins“ wie die Kompositionen an sich. Diese Überraschung ist also voll und ganz gelungen: Der Verfasser hätte nicht gerade Haus und Hof darauf verwettet, dass MARTRÖÐ einen weiteren Versuch wagen würden. Wie gut, dass dieses Album uns nicht verwehrt wurde – so mitreißend und konsequent wie „Draumsýnir Eldsins“ war zeitgenössischer Black Metal in diesem Jahr nur selten.
Wertung: 8 von 10 Eruptionen
VÖ: 12. Dezember 2025
Spielzeit: 36:40
H.V. – Vocals, Bowed and Auxiliary Guitars, Intermezzos
A.P. – Lead and Rhythm Guitars
M.H.P. – Bass
J.B. – Drums
Nyiþ – Additional instrumentation on „Dauðinn“.
Bjarni Einarsson – Additional drums on „Dauðinn“.
Olivia Wilding – Cello on „Sköpunin“.
The Selfoss Symphonic Choir on „Sköpunin“.
Label: Debemur Morti Productions
MARTRÖÐ: Draumsýnir Eldsins
1. Sköpunin (Official Audio bei Youtube)
2. Líkaminn
3. Tíminn
4. Dauðinn
MARTRÖÐ „Draumsýnir Eldsins“ Full Album Stream bei Youtube