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DE MANNEN BROEDERS: Sober maal

Treffen sich AMENRA-Frontmann Colin und Singer-Songwriter BROEDER DIELEMANN in einer Kirche… gibt es keine Pointe, aber mit „Sober maal“ das tröstliches Debütalbum von DE MANNEN BROEDERS, das in seinen besten Momenten betörend schön geworden ist.

Ein weiteres Indiz dafür, dass AMENRA die neuen NEUROSIS sind ist, dass sie in diesem Jahrzehnt ähnlich mit Nebenprojekten beschäftigt, wie eben NEUROSIS vor 20 Jahren. Damals, als NEUROSIS ihr stilistischer Rahmen zu eng wurde, starteten HARVESTMAN, BLOOD & TIME, SCOTT KELLY und STEVE VON TILL hatten bereits je zwei Soloalben veröffentlicht, und kurze Zeit später kam ein Projekt nach dem Anderen. Einen ähnlichen Output zeigt auch Colin H. van Eeckhout, der aktuell mit CHVE und EYES OF ANOTHER sehr experimentierfreudig unterwegs ist. Dass all das in AMENRA einfließt, tut seiner Hauptband gut. Aber deren Entwicklung in Richtung lokaler Folklore beeinflusst nun vice versa auch Colin H. van Eeckhout. Ergo ist es nicht gerade überraschend, dass ein Album wie „Sober maal“ entstehen konnte.

Und doch war es eine Schicksalsbegegnung, aus der DE MANNEN BROEDERS geboren wurden. Bereits beim ersten Treffen mit BROEDER DIELEMAN, ein Singer-Songwriter aus der ländlichen niederländischen Provinz Zeeland, soll es zwischen den beiden Protagonisten sofort gefunkt haben. Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Und hört man die von Trauer und Religion triefenden Texte BROEDER DIELEMANs, scheint es, als stünde er für eine etwas augenzwinkernde Variante der großen Themen, mit denen sich AMENRA seit jeher herumschlagen. Gleiches Motiv, gegensätzliche Ausführung sozusagen. Und so treffen sich die Akteure künstlerisch in der Mitte – und physisch in einer Kirche. „Sober maal“ ward geboren.

„Sober maal“ ist ein tröstliches Album, mit dem DE MANNEN BROEDERS in den besten Momenten tief berühren.

Da verwundert es nicht, dass das in nur fünf Tagen in der Doopsgezinde Kerk im zeeländischen Middelburg geschriebene und aufgenommene Album, nach einer Messe klingt. Bereits die ersten Drones, die „Sober maal“, beziehungsweise das zehnminütige Stück „Alle roem is uitgeslotten“ einleiten, lassen den Atem stocken. Als würde sich die Zeit verlangsamen, als würde Bewusstheit einkehren, resonieren die sanften Klänge im Geist des Publikums und werden nach und nach mit weiteren Instrumenten erweitert: Banjo, Piano, schließlich ertönt kurz vor Ende ein Chor. Haben DE MANNEN BROEDERS die Aufmerksamkeit der Hörer*innen jetzt noch nicht, erlangen sie diese gar nicht mehr.

Doch es bleibt nicht bei dem geisterhaften, höchst intimen Folk-Drone, schließlich müssen DE MANNEN BROEDERS erst noch ihren Weg finden. Was so spontan entstanden ist, aus so einer neuen, gegensätzlichen Verbindung, hat es schwer gleich zu Beginn kohärent zu klingen. „Verteere heel“ geht somit einen anderen Weg und fühlt sich wie eine Neofolk-Version von AMENRA an, mit der Instrumentierung von THE BLACK HEART REBELLION (der simple, tiefgehende Rhythmus) und WOVENHANDs „Mosaic“ (das Banjo). Auch hier erzeugt das Duo Spannung und entfaltet sich zaghaft, aber konsequent. An diese Intensität reichen nicht alle weiteren Stücke auf „Sober maal“ heran: „Grafschrift“ hat ein zum Sterben schönes Thema, kommt aber nicht so recht vom Fleck. Auch „Onze lieve vrouwe“, ein weiteres knapp zehnminütiges Stück, das auf Chorgesängen und Drones basiert, wirkt etwas fremd im restlichen Albumkontext und hätte schneller auf den Punkt kommen können.

Das in nur fünf Tagen geschriebene und aufgenommene „Sober maal“ ist aller stilistischer Unentschlossenheit zum Trotz ein solider Startpunkt für DE MANNEN BROEDERS.

Sehr gelungen sind indes einige der eingesprochenen Gedichte: „Van licht ontdaan“ wirkt tröstlich, „Omer III“, das mit einem Thema unterlegt wird, dessen Harmonien an den Soundtrack von „The Leftovers“ erinnert, geraten gerade ihrer Subtilität wegen höchst intensiv. Wenn das Album mit dem instrumentalen Titelsong endet, gespielt mit Drehleier, Piano und analogen Synthesizern, lädt es die Rezipienten dazu ein, mit geschlossenen Augen mit sich selbst in Kontakt zu treten. Und man sehe und staune, trotz aller Dunkelheit, all der Trauer, der klerikalen und volkstümlichen Schwere, ist DE MANNEN BROEDERS ein tröstliches Album gelungen, das in seinen besten Momenten tief berührt.

Somit entsteht auf „Sober maal“ eine ganz eigene Welt. Eine, die nicht im Heute angesiedelt ist, aber auch nicht in der Vergangenheit. „Sober maal“ setzt sich somit zwischen die Stühle, mal ein wenig unbeholfen, mal ganz bewusst. Irgendwo zwischen WOVENHAND und LANKUM, zwischen STEVE VON TILL und THE BLACK HEART PROCESSION zelebrieren DE MANNEN BROEDERS die lokalen Geschichten, aber auch persönlichen Verlust. Bleibt zu hoffen, dass die beiden Musiker zusammen mit Pianist und Organist Pim van de Werken gemeinsam weiter arbeiten, und sich selbst dabei etwas mehr ausdefinieren. Derweil ist „Sober maal“ mehr als nur ein optionales Nebenprojekt für AMENRA- und BROEDER DIELEMANN-Anhänger*innen, sondern lädt dazu ein, mit sich selbst in Kontakt zu treten.

Wertung: 6 von 8 Vaterunser

VÖ: 11. Oktober 2024

Spielzeit: 44:56

Line-Up:
Colin van Eeckhout – Hurdy gurdy, Percussion, Vocals
Tonnie „Broeder“ Dieleman – Banjo, Mandolin banjo, Vocals

Gastmusiker:
Pim van de Werken – Organ, Piano

Label: Relapse Records

DE MANNEN BROEDERS „Sober Maal“ Tracklist

1. Alle roem is uitgesloten (Official Music Short Film bei Youtube)
2. Asemruumte
3. Verteere heel (Official Video bei Youtube)
4. Van licht ontdaan
5. Grafschrift (Official Video bei Youtube)
6. Omer III
7. Onze lieve vrouwe
8. Ons nu voorbij
9. Sober maal

Mehr im Netz:

https://mannenbroeders.bandcamp.com/