Die Menschen des Jahres 1950, würden sie, frisch ins Jahr 2025 überstellt, nach der Lektüre des legendären wie überstrapazierten dystopischen Romans „1984“ denken, Orwells Fantasie sei wahr geworden? Wahlweise auch die Gedanken und Worte anderer Autoren der zukunftsgerichteten Fantastik, die ein nicht unbedingt schönes Bild der Welt zeichnen? Oder, deutlicher: Leben wir eigentlich jetzt schon in einer gottverdammten Dystopie mit wildgewordenen Autokraten, gehirngewaschenen Bevölkerungsteilen, einer Umwelt, die immer mehr außer Kontrolle gerät? Glücklicherweise gibt es kluge Menschen, die deutlich machen, dass sich viel zum Positiven wendet, Dinge, die derzeit nicht im Zentrum von Berichterstattungen und Meinungen sind. Aber ja, dem Verfasser wird häufig Angst und Bange, es schlägt auf das Gemüt, gerade wenn im Informationstunnel zu auf einen einprasselt, mit der ungebremsten Brutalität der Medien.
Mehr als nur Industrial mit der Attitüde der frühen extremen Metal-Szene. BONG-RA garnieren den Sound auf „Black Noise“ mit Breakcore, IDM, Dark Ambient und Drone.
Nun ist BONG-RA, das äußerst experimentelle und unkonventionelle Projekt von Jason Köhnen (THE LOVECRAFT SEXTET, THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID, CELESTIAL SEASON, ex-THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE), zumindest thematisch auch an diesem Puls. Kein Wunder, dass „Black Noise“ Gift und Galle spuckt. Obwohl die Heaviness und die Brachialität, die von dem Industrial-Gerüst des Albums ausgeht, eher zeitlos als postmodern ist, verkommen BONG-RA nicht zur „Streetcleaner“-Kopie. Natürlich nicht. Jason Köhnen ist als Musiker viel zu versiert und breit aufgestellt, um plump GODFLESH zu kopieren. Beide Musiker entstammen indes einer ähnlichen Generation und schöpfen aus derselben Quelle.
Dazu gehört auch, dass BONG-RA auf „Black Noise“ ihre Hardcore- und Grindcore-Energie im Background gekonnt einsetzen. Somit fußt „Black Noise“ eindeutig im Metal, respektive in der frühen Essenz extremer Ausprägungen. Beim Opener „Dystopic“ stechen die fetten Riffs, die rohen Growls und die pulsierenden Beats heraus. Daneben steigert sich der Song, mit Breakcore-Elementen, Synthesizern und programmierter Double Bass. Damit ist der Rahmen für die aktuellste der mehr als 40 Veröffentlichungen von BONG-RA gesetzt. „Death #2“ mag ein wenig Gas rausnehmen und sich mehr auf Groove und Atmosphäre fokussieren, „Nothing Virus“ ist durch seine Rhythmik komplexer, „Black Rainbow“ überschreitet zumindest in Sachen Feeling die Grenze zu Drone und Black Metal.
Kein Happy End in Sicht: „Black Noise“ ist die finsterste Inkarnation von BONG-RA.
„Black Noise“ erkundet somit innerhalb seiner Grenzen viele Zwischenräume und ist ansonsten stilistisch konsistent. Ausnahmen gibt es dennoch: „Useless Eaters“ wird dominiert von einem krassen, aggressiven Techno-Beat und Synthesizern, während die Gitarre über einen großen Teil des Songs im eher im Hintergrund bleibt, oder sich mit den wütenden Sprachsamples abwechselt. Auch „Bloodclot“ funktioniert als pechschwarzes Dark Ambient-Interlude prima und leitet in den immer düsterer werdenden Abschluss von „Black Noise“, der zunächst mit einem Hauch Melodik und Melancholie in „Ruins“ und „Parasites“ vortäuscht, bevor das abschließende „Blissful Ignorance“ immer noch weiter in den Abgrund blickt und kaum Platz für Hoffnung bleibt. Das ist es auch, was abholt, leidet man unter derzeitigen Entwicklungen der Welt. Schade, somit, dass am Ende kein Kampfeswille bleibt und die Brutalität der ersten Songs etwas abflacht – aber vielleicht fühlt Jason Köhnen ähnlich wie der Verfasser.
Es ist also eine intensive Angelegenheit, die BONG-RA in diesen knapp 40 präsentieren. „Black Noise“ ist ein abgründiges Industrial-Album, das als Quelle ebenso den extremen Metal wie Breakcore, IDM und Dark Ambient einfließen lässt, und doch stilistisch wie produktionstechnisch und ästhetisch kohärent ist. Jason Köhnen, der all diese Elemente meisterhaft joungliert, ist die Erfahrung anzumerken. Er nutzt seine reichhaltige musikalische Vita, um ein Panorama des Schreckens auszubreiten, das schwer im Magen liegt, aber gleichzeitig trotz aller Abstraktion auf perverse Weise geerdet ist. Wie eine Dystopie, die ein Unwohlsein deshalb erzeugt, weil sie erschreckend viel Realismus in sich trägt. Schon deshalb ist „Black Noise“ ein Album, das wie wenig andere in diese Zeit passt.
Wertung: 7 von 9 Tabletten SOMA
VÖ: 21. Februar 2025
Spielzeit: 38:21
Line-Up:
Jason Köhnen
Label: Debemur Morti Productions
BONG-RA „Black Noise“ Tracklist:
1. Dystopic (Official Video bei Youtube)
2. Death #2 (Official Audio bei Youtube)
3. Nothing Virus
4. Useless Eaters
5. Black Rainbow
6. Bloodclot
7. Ruins
8. Parasites
9. Blissful Ignorance
BONG-RA „Black Noise“ Full Album-Stream bei Youtube
Mehr im Netz:
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