In der filmischen Zumutung „Martyrs“ dreht sich alles darum, den Blick zu erlangen, den AGRICULTURE auf das Cover ihres zweiten Albums gepackt haben: die Entrückung, als ultimativ spiritueller Geisteszustand. Gepaart mit dem Titel „The Spiritual Sound“ schürt die recht junge US-amerikanische Formation hier hohe Erwartungen – zumindest für den aufgeschlossenen Teil der extremen Metal-Szene. AGRICULTURE, mit ihrem Interesse in fernöstliche Meditationspraktiken und dem queeren Hintergrund einiger Bandmitglieder stehen nicht gerade für das, was der typische MARDUK-Fan hört.
Somit ist „The Spiritual Sound“ vielleicht mittels seiner Einzelteile und Elemente ein Black Metal-Album, AGRICULTURE eignen sich diese Versatzstücke aber an und transformieren das Genre hin zu dem, was sie darunter verstehen. Das ist nicht so bahnbrechend und wegweisend, wie man meinen möchte, bedenkt man LITURGYs „Aesthethica“. Außerdem: „The Spiritual Sound“ geht einen anderen Weg, es ist viel gradliniger und direkter als LITURGYs Diskografie – vor allem in der ersten Hälfte. Und doch: Es gibt viel zu staunen auf „The Spiritual Sound“.
„The Spiritual Sound“ gleicht einer Suche: AGRICULTURE verwenden Elemente des Black Metal auf der Suche nach Entrückung und Ekstase.
AGRICULTURE sind in extremen Ausprägungen unterwegs, um ihren Weg zur Entrückung zu finden. So startet das zweite Album der Band aus Los Angeles mit dem dissonanten, aber groovigen „My Garden“, das schwindelerregende Riffs, thrashige Leadgitarren, brillante Soli und einen sehr schön verzerrten Bass über eine Mischung aus Blast Beats und pumpenden Grooves legt und nach knapp zwei Minuten eine 360 Grad-Wendung hinlegt, in Richtung eines sentimental-schönen Refrains mit Cleangesang. Somit dauert es, bis „My Garden“ unter die Haut geht, aber schließlich doch noch funktioniert, bevor es im Chaos zerfasert.
Dann scheint es, als hätten AGRICULTURE vollends ihre Form gefunden. „Flea“ löst die Handbremse und verbindet leidenschaftliche Riffs und Harmonien mit Hochgeschwindigkeitsdrumming und schafft es dennoch schnell ins Ohr zu gehen. Die Steigerung dessen ist in Form von „Micah (5.15 am)“ zu hören, das die Rastlosigkeit von Bass, Drums und Rhythmusgitarren mit getragenen, melancholischen Leads und besinnungslosem Geschrei verbindet – ganz klar das Highlight des Albums. Dieses Lied kann vom rechen ähnlichen „Serenity“ nicht übertroffen werden; zu blass und gleichförmig klingt der Song. „The Weight“ bleibt laut und aggressiv, ist dabei aber langsamer, komplexer, voller Dissonanzen und Noisewände, findet dabei aber keine richtige Linie. Dass AGRICULTURE ab dem Mittelteil immer wieder morbide Parts einfügen, die an BETHELEHEMs „S.U.i.Z.i.D.“ erinnern und eine beunruhigende Atmosphäre entstehen lassen, steht dem Song sehr gut und erzeugt eine ganz eigene Atmosphäre, die ihn rettet.
AGRICULTURE gehen den Weg der Dualität: „The Spiritual Sound“ ist einerseits entfesselt wild, andererseits zärtlich.
Der Cut in Form des Harsh Noise-Titelsongs (oder eher Schnippsels), wirkt wie eine Trennung von der ersten Seite. Ab diesem Zeitpunkt suchen AGRICULTURE ihren Weg zur Ekstase in anderen Gefilden. „Dan’s Love Song“ shoegazed mit leisen, sanften Drones über fünf Minuten hin zur Glückseligkeit, während „Hallelujah“ als sanftes Akustikstück beginnt und dann in zärtlichen Blast Beats endet. Zwischen diesen beiden Ruhepolen steht mit dem sechseinhalbminütigen „Bodhidharma“ der längste Song des Albums. Hier erzeugen AGRICULTURE Repetition mittels prägnanten Riffs und Grooves, verlieren in den Pausen zusehends den Song aus den Augen. Passend, wie sich selbst während einer Meditation unter dem Bodhibaum zu verlieren. Und dennoch: Etwas fehlt hier leider, aller guten Ansätze zum Trotz.
Mit „The Reply“ kommt „The Spiritual Sound“ am Ende dann zur Ruhe. Die Blast Beats wirken gelöst und in sich ruhend, die Riffs werden harmonischer, AGRICULTURE lassen die Aggression der ersten Hälfte hinter sich, ebenso wie die ziellose Suche des zweiten Teils und erzeugen ein großes, sehr berührendes Finale. Eines, das sicherlich nicht allen gefallen wird. In einer konservativen Black Metal-Szene wirken AGRICULTURE wie seinerzeit CYNIC als Support von CANNIBAL CORPSE. „The Spiritual Sound“ mag rasende Momente und extreme Stellen haben, das wird Hardliner nicht beeindrucken – und wenn, dann könnte es sein, dass sie es nur schwer zugeben. Aber an dieses Publikum richten sich AGRICULTURE sowieso nicht. Im Gegenteil, gerade in den USA ist Black Metal ein, denkt man darüber nach, logischer Weg, um Queerness auszudrücken. In dieser Agenda verlieren sich AGRICULTURE aber nicht, dafür sind sie als Songwriter zu vielschichtig, als Performer zu versiert und mutig. Viel mehr ist ihre Ambition etwas zu groß für dieses Album, wundervolle Momente gibt es dennoch zuhauf. Vielleicht ist ein gewisses Scheitern auf dem Pfad, Entrückung, Ekstase und Erleuchtung zu finden, aber genau der richtige Weg. Der Weg des Zaubers des Anfangs.
Wertung: 7,5 von 10 Stunden Zazen
VÖ: 3. Oktober 2025
Spielzeit: 44:03
Line-Up:
Dan Meyer
Leah Levinson
Richard Chowenhill
Kern Haug
Label: The Flenser
AGRICULTURE „The Spiritual Sound“ Tracklist:
1. My Garden
2. Flea
3. Micah (5.15 am)
4. The Weight (Official Lyric Video bei Youtube)
5. Serenity
6. The Spiritual Sound
7. Dan’s Love Song
8. Bodhidharma (Official Video bei Youtube)
9. Halleluja
10. The Reply
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