Kann man zu viel SABATON haben? Fragen wir die vorwiegend in schwarz gekleidete Menschentraube vor der Münchner Olympiahalle, ist die Antwort wohl eindeutig. Wir hingegen sind noch etwas skeptisch, als wir heute Abend vor den Toren der Arena stehen. Immerhin sind wir gebrannte Kinder: Als RAMMSTEIN 2022 auf dem Stuttgarter Wasen spielten, gab es neben dem Hauptact nicht nur zur Einstimmung deren Hits auf dem Piano, auch zwischen den Programmpunkten schallte ausschließlich die NDH-Größe aus den Lautsprechern.
Glücklicherweise können wir diesmal schnell Entwarnung melden: Stilistisch ist die Hintergrundmusik über den Abend verteilt deutlich breiter aufgestellt, so dass wir uns nicht um eine potenzielle Überdosis sorgen müssen. Für die volle Ladung SABATON ist natürlich dennoch gesorgt, denn die sogenannte „Legendary“-Tour kommt mit einer nicht unwesentlichen Besonderheit: Zusätzlich zu einer gänzlich neuen Bühnenshow inklusive Schauspieleinlagen steht auch das Vorprogramm ganz im Zeichen der schwedischen Power-Metal-Band.
THE LEGENDARY ORCHESTRA

Während sich die Bühne der Olympiahalle langsam füllt, schwebt bereits ein riesiger Almanach über den Köpfen der Musiker:innen. Dass der Titel des Werks keineswegs zu hochgegriffen ist, will das Kollektiv in einer gut einstündigen Darbietung unterstreichen: „THE LEGENDARY ORCHESTRA“ schürt natürlich Erwartungen, die von der hochkarätigen Besetzung nur verstärkt werden. Angeführt werden Streicher, Chor, Schlagwerk sowie Bläser von Sängerin und Dirigentin Noa Gruman (SCARDUST), an deren Seite Violinistin Miao Asano sowie Multiinstrumentalistin PATTY GURDY tief in die SABATONsche Diskografie eintauchen.
So gibt es einen wilden Querschnitt deren Schaffens in völlig neu arrangiertem Gewand. Dass „Ghost Division“ etwa zunächst langsam und sachte beginnt, sorgt für überraschte Blicke in der Halle – zumindest, als mit den einsetzenden Trommelschlägen und der aufpeitschenden Melodie der Groschen in der Arena fällt. Als Auftakt ist der Evergreen natürlich eine offensichtliche Wahl, die noch dazu zeigt, wie kraftvoll auch ein Orchester alleine agieren kann.
THE LEGENDARY ORCHESTRA holen selbst jene Fans ab, die klassischen Arrangements normalerweise nicht so viel abgewinnen können

Die anfangs noch skeptisch lauschenden Fans tauen spätestens beim folgenden „Bismarck“ auf, wo im Infield die ersten Fäuste gereckt werden, während PATTY GURDY mit der Nyckelharpa ein wenig nordisches Flair einstreut. Greift die Musikerin zu ihrem Markenzeichen, der Drehleier, gibt es sogar das eine oder andere Solo zu hören, gerne auch im Duell mit Mia Asanos E-Violine, deren Klang in „Maid Of Steel“ bewusst die klassische Leadgitarre mimt.
Greifbar bleiben die Neuinterpretation dennoch selbst für jene Fans, die einem klassischen Ensemble für gewöhnlich weniger abgewinnen können. Denn anstatt sich auf die rein instrumentale Darbietung zu fokussieren, dürfen die Münchner:innen dank des begleitenden Chors unter der Leitung Noa Grumanns auch selbst die Stimmen erheben. Das funktioniert während der zahlreichen Hits fast von alleine, wobei natürlich trotzdem die Lead-Sängerin selbst den größten Eindruck hinterlässt. Gerade Grumanns kraftvolles Organ lässt die eingängigen Stücke in ganz neuen Facetten erstrahlen. Gleiches gilt für PATTY GURDYs Tin Whistle, die „Winged Hussars“ einen locker-folkigen Touch schenkt.
Das LEGENDARY ORCHESTRA darf sich auch an der Umfangreichen Hitsammlung SABATONs bedienen

Zusammengehalten werden die Arrangements darüber hinaus durch gesprochene Passagen, welche die Geschichten der Stücke weiterspinnen und die langjährige Fans bereits aus den beliebten „History Editionen“ der einschlägigen Alben kennen. Frühes Highlight ist hier das stampfende „Sarajevo“, das atmosphärisch ungemein vereinnahmend intoniert wird und in Sachen Stimmung nur vom Finale selbst in den Schatten gestellt wird. Denn abseits einiger Deep Cuts à la „Hearts Of Iron” darf sich das LEGENDARY ORCHESTRA auch an der umfangreichen Hitsammlung SABATONs bedienen.
Wo POWERWOLF erstmal eine fünfminütige Gesangslektion erteilt hätten, reichen hier drei Töne aus Mia Asanos Violine, um die gesamte Olympiahalle in Ekstase zu versetzen: Die Melodie von „Swedish Pagans“ kennt in der ausverkauften Halle natürlich jeder, gilt doch der Track im Bandkosmos als genau das, was uns der gigantische Almanach über den Köpfen schon seit Showbeginn versprochen hat: Legendär ist eben nicht nur das Orchester.

THE LEGENDARY ORCHESTRA Setlist – ca. 65 Min.
1. Ghost Division
2. Bismarck
3. Maid Of Steel
4. Hearts Of Iron
5. The Final Solution
6. Sarajevo
7. Angels Calling
8. The Unkillable Soldier
9. Resist And Bite
10. A Lifetime Of War
11. Sparta
12. Winged Hussars
13. Swedish Pagans
Fotogalerie: THE LEGENDARY ORCHESTRA





















SABATON

Zog die kleine Bühne hinter dem Mischpult schon vorher fragende Blicke auf sich, wird die Verwirrung in der Olympiahalle eine halbe Stunde später nur größer. Eine adrett gekleidete Figur erklimmt den Wachturm, der durch vier Feuerschalen erhellt wird. Die dezent überhebliche Körpersprache, der viel zu große Hut und natürlich der französische Akzent lassen keinen Zweifel: Napoleon Bonaparte gibt sich in der bayerischen Landeshauptstadt die Ehre. Zwischen Eigenlob und Überheblichkeit sammelt der Monolog des Monarchen zwar keine Sympathiepunkte bei den Besucher:innen, weckt durch gezielte Provokation aber die Bissigkeit des Publikums.
Dieses heißt mit Dschingis Khan und Julius Caesar im Folgenden zwar auch die weiteren historischen Persönlichkeiten, von welchen das aktuelle Studioalbum „Legends“ (2025) handelt, mit großen Jubel willkommen, lässt mit zunehmender Dauer des Schauspiels aber auch ein wenig Ungeduld erkennen. Hätte der Akt bereits während des Changeovers begonnen, wäre es eine schöne Überbrückung gewesen, doch eine Viertelstunde aus Selbstbeweihräucherung und neckischen Kommentaren ist eben irgendwann nur noch leidlich unterhaltsam. Dafür schlägt die Einlage die Brücke zum Hauptact auf geradezu meisterliche Weise.
Den Auftakt der Show inszenieren SABATON nach zähem Vorgeplänkel geradezu meisterlich

Mit kommandierendem Ton wird der Zankerei auf der Satellitenbühne plötzlich Einhalt geboten: Es ist der Befehlshaber der Tempelritter, der mit seiner Leibwache und einem Fackelzug vom hinteren Ende die Arena betritt. Es gehe hier schließlich nicht darum, wer nun die größeren Erfolge vorzuweisen habe, sondern um Metal – eine Errungenschaft für das Volk. Und wer könnte diese besser nach München transportieren als die wohl erfolgreichste Power-Metal-Band der Gegenwart?
Dass SABATON zu diesem Zeitpunkt schon längst unter uns weilen, erfahren wir sodann, als die Templergarde ihre glänzenden Helme abnimmt und nicht weniger als vier vertraute Gesichter offenbart. Es ist nach zähem Vorgeplänkel ein großartig inszenierter Auftakt, den die Musiker bis ins letzte Detail auszukosten wissen. Über den Köpfen der Zuschauerschaft senkt sich eine fackelbewehrte Brücke, über die der Ritterzug, welcher die Schwerter in der Zwischenzeit gegen die treuen Äxte getauscht hat, geradezu triumphal in das eigene Gemäuer zurückkehrt.
SABATON tauschen das Militärequipment gegen eine waschechte Burg

„Templars“ mag als Opener nicht die explosive Energie eines „Ghost Division“ versprühen, atmosphärisch ist der stampfende Track vor der eindrucksvollen Kulisse jedoch ein klares Statement. Den Stacheldraht haben SABATON nämlich wie die Sandsäcke und den Panzer eingetauscht: Stolzes Mauerwerk füllt nun die Bühne, wo eine waschechte Burg die Blicke auf sich zieht, während riesige Plattenhandschuhe Hannes van Dahls Drumkit emporheben.
Viel Spektakel also und doch wandern die Blicke zunächst zur Hallenmitte: Denn auch im folgenden „The Last Stand“ macht sich die Band den kleinen Außenposten hinter dem FOH-Pult zunutze, bevor der lange Steg im Anschluss an die Hallendecke gezogen wird und so auch für die zentral platzierten Fans den Blick auf die Bühne freigibt. Dort schießen mittlerweile im Sekundentakt dutzende Feuerfontänen in die Luft – mal vertikal, mal diagonal oder auch über das Haupt Joakim Brodéns hinweg. Denn aus den Wasserspeiern, die den Drumriser zieren, formen sich ebenfalls stattliche Flammensäulen.
Showeinlagen und Kostümwechsel am laufenden Band: SABATON lieben das Spektakel

Heiß her geht es im Verlaufe der Show fast im Minutentakt, sei es im eindringlichen „Hordes Of Khan“ oder der auf Schwedisch vorgetragenen Hymne „Carolus Rex“, wo tausende Fäuste im Takt geballt werden. Neben diesem SABATONschen Mindestmaß fehlt es allerdings keineswegs an Kreativität. So darf in diesen Auftaktminuten auch das streitlustige Triumvirat zurückkehren, um die ihnen gewidmeten Stücke einzuleiten. Highlight ist hier Napoleons „I, Emperor“, bei dem der General von der Wehrmauer der Burg seine Soldaten kommandiert, die im Finale die herbeigekarrten Kanonen abfeuern.
Explosiv wird es zudem im treibenden „Stormtroopers“, wo Frontmann Joakim Brodén eine TNT-Ladung zünden darf, die kurz zuvor noch von eifrigen Komparsen platziert wurde. Dass der Sänger nicht nur hier einen von zahlreichen Kostümwechseln vollzieht, hat natürlich auch seine Herausforderungen. Die Überbrückung überspielen SABATON jedoch größtenteils durch geschickt platzierte Einlagen oder Intros, so dass der Fluss der Show kaum ins Stocken gerät.
SABATON überraschen mit der Songauswahl

Richten die Musiker wie Bassist und Gründungsmitglied Pär Sundström vor der Ballade „Christmas Truce“ doch einmal das Wort für längere Zeit ans Publikum, ist es oftmals glaubhafte Dankbarkeit und ehrliche Begeisterung, die aus der Band spricht. Es sind Augenblicke der aufrichtigen Sympathie in einer durchchoreografierten Darbietung, die aber keineswegs gewisse Risiken scheut. Denn gerade die Songauswahl ist für eine Band dieser Größenordnung durchaus mutig.
Die Auslagerung gewisser Evergreens ins symphonische Vorprogramm ermöglicht den Skandinaviern auch etwas weiter in der Diskografie zurückzugehen. „The Art Of War“ kehrt dadurch ebenfalls ins Programm zurück wie der überraschende Closer „Masters Of The World“. Bevor jedoch auch in München das Ende erreicht wird, dürfen sich die treuen Fans doch über den einen oder anderen Klassiker freuen. Unterstützt werden SABATON für die zweite Hälfte ihres Sets dabei von Noa Gruman (SCARDUST) und dem Chor des LEGENDARY ORCHESTRAs, der vom Burgwall aus stimmgewaltige Rückendeckung bietet.
Während „Attack Of The Dead Men“ bahnen sich SABATON einen Weg durch das Publikum

Das kompensiert die diesmal fehlenden Schneekanonen in „Soldier Of Heaven“ zumindest in akustischer Hinsicht und sorgt überdies dafür, dass unabdingbare Publikumslieblinge wie „Primo Victoria“ noch gewaltiger erschallen. Gesprungen wird spätestens jetzt auch auf den Rängen, nachdem man zunächst noch wehmütig aus der Ferne zusehen mussten, wie sich SABATON zu „Attack Of The Dead Men“ in voller Montur durch die Arena schlängelten.
Nahbar bleibt die Formation also selbst im Arena-Format – eine Geste, deren Früchte man spätestens beim umjubelt aufgenommenen „To Hell And Back“ ernten darf. Dass hier die Party eigentlich noch voll im Gange ist, spricht für die Live-Qualitäten der Band, die sich zum Schluss einen kleinen dramaturgischen Fauxpas leistet. So richtig scheint es nämlich nicht in jede Ecke der Halle vorzudringen, dass der folgende Klassiker „Masters Of The World“ bereits das letzte Stück des Abends sein soll.
In puncto Aufwand und Konzeption setzen SABATON mit der „Legendary Tour“ neue Maßstäbe

Das Ende kommt daher für so manchen Fan etwas plötzlich, was aber die vorherigen Minuten nur unwesentlich schmälern soll. Denn was SABATON hier an Aufwand und Konzeption aufgefahren haben, ist tatsächlich weit über dem, was wir im Voraus – trotz des Wissens um die Showqualitäten des Quintetts – erwartet hatten. Tatsächlich hätten auch wir uns noch über die eine oder andere Zugabe gefreut – und das ist nach der anfänglichen Skepsis doch ein recht eindeutiges Fazit, um die eingangs erwähnte Frage zu beantworten.
SABATON Setlist – ca. 105 Min.
1. Templars
2. The Last Stand
3. Hordes Of Khan
4. I, Emperor
5. Crossing The Rubicon
6. Carolus Rex
7. The Red Baron
8. Stormtroopers
9. A Tiger Among Dragons
10. Christmas Truce
11. Soldier Of Heaven
12. Attack Of The Dead Men
13. Night Witches
14. Primo Victoria
15. Steel Commanders
16. The Art Of War
17. To Hell And Back
18. Masters Of The World
Fotogalerie: SABATON





































Fotos: Tatjana Braun (https://www.instagram.com/tbraun_photography/)