MAN THE CHANGE, THE CRANE, FINAL FIGHT, 108: Karlsruhe, Jubez, 04.07.2007

Viermal Hardcore in Karlsruhe: Gehörsturz und spirituelle Erleuchtung inklusive.

Was haben weiße Socken mit Karma zu tun? Wie kann man eine Band möglichst oft falsch aussprechen und wie muss das Ensemble wohl heißen, um so etwas zu provozieren? Warum besteht das Publikum bei diesem Konzert zu 98 Prozent aus männlichen Zeitgenossen, die krampfhaft ihr Bier festhalten? Und wann, in aller Welt, lernen die Verantwortlichen on und off Stage endlich, dass lauter nicht unbedingt besser bedeutet? Fragen über Fragen, die sich beim Gig von MAN THE CHANGE (Support aus Mannheim), THE CRANE (Support aus Karlsruhe), FINAL FIGHT und 108 im Karlsruher Jubez stellen.

Die Geschlechterverteilung im Saal ist relativ schnell erklärt: bei der Musik handelt es sich um Hardcore. Laut (extrem laut, danke liebe Mischer), hart, mit viel Testosteron rausgehauen – die letzte echte Männerdomäne eben.

Warum halten sich die Zuschauer trotzdem lieber am Getränk fest anstatt ordentlich Party zu machen? Wahrscheinlich sind viele unter ihnen durch die Optik von FINAL FIGHT paralysiert. Musikalisch erste Sahne, präsentieren sich die Musiker von FINAL FIGHT in einem derart seltsamen Bühnenaufzug, FinalFight_Live-Jubez-Karlsruhe_PictureByElisaReznicekdass man vor lauter Nachgrübeln (Der Gitarrist hatte doch vorhin noch Turnschuhe und Jeans an, warum jetzt weiße Socken ohne Schuhe und kurze 80er-Jahre-Sport-Shorts?!?) schon einmal vergessen kann, sich zu bewegen.

Die nächste Frage ist schwieriger. Wie heißt denn nun der Hauptact? Naaa?! Die Band gibt es immerhin schon 15 Jahre, doch, mit Verlaub, es scheint, als würde sie in Deutschland kaum jemand kennen (Gitarrist Vic DiCara auf der Bandhomepage: 108 is essentially a new band. Kids out here in Germany so far seem to have no idea who we are. Never ever heard of us before. But yet, we are an established band that headlines.). Für alle, die sich dennoch an der Aussprache versuchen wollen und an diesem Abend nicht zugegen waren, hier ein paar kleine Tipps: es ist nicht Einhundertacht, Eins-Null-Acht, One hundred and eight, One-Zero-Eight oder gar Ten-Eight. Was bleibt übrig? Klar, One-Oh(hh)-Eight.

Womit man auch schon beim Karma-Thema angelangt ist. 108 ist eine wichtige Zahl im Buddhismus und anderen nicht-christlichen Religionen indischen Ursprungs (u.a. hat die traditionelle Gebets-/Meditationskette Mala 108 Perlen; die tibetische Übersetzung der Lehren Buddhas umfasst 108 Bände; der Mensch sieht sich 108 Versuchungen gegenüber, die ihn an das Rad des Lebens, den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens Samsara binden; etc.).

VicDiCara_108_Live-Jubez-Karlsruhe_PictureByElisaReznicekWarum, zum Henker, erzählst du mir das? mag der geneigte Leser jetzt fragen. Eben darum: die Band 108 ist neben SHELTER einer der wichtigsten Vertreter des sogenannten Krishnacore, einer Richtung im Hardcore-Universe, welche die typischen musikalischen Charakteristika mit der Philosophie und den Idealen eben genannter Glaubens- und Lebenseinstellungen verbindet.
Das klingt live erst einmal auch nicht wirklich anders als bei all den anderen Bands des klassischen Genres. 108 spielen sich einmal quer durch die Bandgeschichte (wer es nachhören möchte: gerade erschien bei Equal Vision (Cargo) die Doppel-CD Creation. Sustenance. Destruction., das Best-of in Form von 36 Tracks entstanden ab 1992) und wirken dabei ein wenig mehr oldschool und melodiöser als die jungen Kollegen an diesem Abend. Das Entscheidende bei der Musik von 108 sind die Texte, die vor Attitude nur so spüren. In den Lyrics nehmen 108 auf Politik und aktuelle Themen ebenso Bezug wie auf Spiritualität und die richtige Lebensweise. Und genau dieser Ausflug in andere Sphären macht sie so besonders.

Alles in allem ist das Konzert von MAN THE CHANGE, THE CRANE, FINAL FIGHT und 108 ein rundes Gesamtpaket. Vier Stunden geballte Live-Power dienen durchaus als passable Entschuldigung für das späte Zu-Bett-Gehen an einem Mittwochabend und den Gehörsturz nebst Durchhänger am nächsten Morgen.

Artikel & Fotos: Elisa Reznicek

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