Fans der Stuttgarter Kickers wissen es schon lange: Ein Abstieg kann verdammt schnell knallharte Wirklichkeit werden. Wurden EXILIA vor kurzem noch als das heißeste neue Ding seit der Erfindung des Durchlauferhitzers gehandelt, müssen sie heute auch schon als erste Vorband des Abends die Bühnenbretter für die auch nicht mehr in der ersten Liga der harten Riffs aufspielenden ILL NINO putzen. Doch zumindest für die Zuschauer ist diese Situation ein Gewinn, denn die vier Italiener wüten ungestüm drauflos. Sofort merkt man, dass die Band zuletzt viel Dreck gefressen hat und nun entsprechend angepisst allen beweisen will, dass sie durchaus das Potential für eine langfristige Existenz in der Metalszene besitzt. Sängerin Masha lässt die Dreads wirbeln und stampft jeden ultratighten Beat wütend mit, während sie leidenschaftlich ihre Stimmbänder quält. Ihr zur Seite steht beziehungsweise hüpft Basser Marco, der abgeht, als hätte er sich kurz vor dem Auftritt noch eine Line kleingehackten Flummi durch die Nase reingezogen. Die Lieder, die gespielt werden, können vom Debüt, von Nobody Excluded oder dem neuen Album My Own Army stammen, sie werden alle mit der gleichen Inbrunst dargeboten. Dadurch wirkt das italienische Quartett weitaus authentischer und leidenschaftlicher als noch bei ihren letzten Touren. Bahnt sich da ein zweiter Frühling an? Verdient hätten sich die vier Mailänder das nach diesem Auftritt auf jeden Fall.
Das Publikum befindet sich dementsprechend bereits auf voller Betriebstemperatur, als die ewigen Underdogs von GOD FORBID im Trockeneisnebel erscheinen. Ihr fulminanter Gig in der Röhre vor eineinhalb Jahren im Vorprogramm von DEVILDRIVER hat der Band einige Freunde im Schwäbischen beschert, die ihr mit Sprechchören ein herzliches Willkommen bereiten. Sänger Byrons Forderungen nach einem Circlepit fallen denn auch auf fruchtbaren Boden, zumindest in den vorderen Reihen suchen sich einige Gliedmaßen neue Besitzer, während die fünf Amis ihre ganze langjährige Erfahrung ausspielen. Wie ein Uhrwerk zocken sie ihre komplexen und dennoch immer wieder eingängigen und groovigen Tracks runter, und auch die sperrigen neuen Songs von Earthsblood können live viel mehr Durchschlagskraft entwickeln als auf Konserve. Trotz Blut-Schweiß-und-Tränen-Show finden die Coyle-Brüder immer wieder den Weg zum Mikro, um Byrons wüste Shouts mit zweistimmigen Hooks zu ergänzen, was besonders beim kleinen Band-Hit To The Fallen Hero für Gänsehaut sorgt. Als die nach eigener augenzwinkernder Angabe einzig wahre Black-Metal-Band die Bühne für ihre Latino-Kollegen räumt, dürfte sie erneut manch einen neuen Anhänger dazugewonnen haben.
Wenn das britische Magazin Kerrang abfällig über eine Gruppe schreibt, so mag das für so manch einen eine Auszeichnung sein, bezeugt es doch, dass man zumindest nicht mehr als hippe Trendband wahrgenommen wird. ILL NINO haben den Schritt hin zu einem Act, der dauerhaft hochklassige Musik schreibt, die nur momentan eben aus der Mode geraten ist, jedenfalls gemeistert. Zwar sind die Locations nun eine Nummer kleiner, dafür aber kann man sich sicher sein, mit ein paar hundert anderen echten Fans der Band im Röhre-Tunnel zusammengequetscht zu werden. Hier und da nervt zwar die ständige Ich brauch noch ein cooles Bild für mein Facebook-Profil-Geknipse während des Gigs, doch davon abgesehen sorgen Cristian Machado und seine Hintermannschaft dafür, dass man sich vom ersten Ton an zu den treibenden Rhythmen voll und ganz gehen lassen kann. Wuchtig wie ein gereizter Pitbull und dabei so tight wie ein Autowrack in der Schrottpresse knallt die Band dem Publikum einen Hit nach dem anderen um die Ohren. Cristian Machado gibt alles und schafft es, die melodischen Refrains genauso energiegeladen rüberzubringen wie die harten Shouts, und das trotz der erhöhten Wodkazufuhr on stage. ILL NINO schöpfen aus dem Vollen und zaubern bei ihrem Streifzug durch ihre vier Alben alle Knaller aus dem Hut, sodass man nicht weiß, was man zuerst machen soll: mitgröhlen, bangen, tanzen, pogen oder einfach nur die schweißtreibende Show der Instrumentalisten mitverfolgen? Egal, wie man sich entscheidet, ILL NINO machen an diesem Abend wohl jeden glücklich und beweisen, dass man einen Trend stilvoll überleben und daran als Band sogar wachsen kann. Wer weiß, vielleicht sieht man sich ja das nächste Mal im nächstgrößeren Club bei einem so gelungenen Package?