Manchmal hat das Business zumindest für den Fan doch auch seine positiven Seiten. Denn es scheint, als hätten Century Media THE GATHERING, die mittlerweile Chefs ihres eigenen Plattenlabels sind, zum Abliefern eines weiteren Albums verdonnert. Während andere Bands solche Juristereien jedoch zur Veröffentlichung halbgarer Live-Bootlegs, komplett unnötiger Best-ofs oder unveröffentlichter Songs, bei denen beim ersten Hören klar wird, warum sie eigentlich verschollen waren, nützen, lassen THE GATHERING es sich nicht nehmen, den Fans einen echten Ohrenschmaus zu bieten. Gleich 14 Songs wurden von den Holländern in ein neues Gewand gekleidet und live aufgezeichnet. Semiakustisch nennt sich diese Bearbeitung, weil man die Kreativität und den Songcharakter nicht in Unplugged-Konventionen ersticken wollte und daher Keyboards ebenso wie vereinzelte E-Gitarren und verhaltene Elektronik zugelassen hat. Ein richtiger Schritt, da so die Dynamik vieler Stücke erhalten bleibt, nur eben auf einem ruhigeren Level. „Marooned“ wäre beispielsweise ohne den charakteristischen Loop um einen Hauptreiz ärmer. Doch neben vielen Songs aus Century Media-Zeiten wie z.B. „Amity“ und „My Electricity“ befinden sich – wie bereits von Anneke im Interview angekündigt – auch drei Neubearbeitungen von Lieder der ersten zwei, damals noch ohne Annekes Beteiligung beim Winzlabel Foundation 2000 erschienenen Alben auf „Sleepy Buildings“. Während „Stonegarden“ in einer neuen Version bereits treuen Konzertgängern vertraut sein dürfte, sind „The Mirror Waters“ und „Like Fountains“ fast schon rundum erneuerte, eigenständige Versionen. Besonders gelungen finde ich die andächtige Neubearbeitung von „Like Fountains“, das so durchaus auch auf späteren Outputs von THE GATHERING hätte auftauchen können. „The Mirror Waters“ hingegen merkt man an, dass die Gemeinsamkeiten zwischen dem damaligen Doom/Deathmetal und dem aktuellen trippigen Sound höchstens noch rudimentär sind. Zwar geben sich Anneke und Co. Mühe, dem Song neue Reize zu verleihen, ich ziehe jedoch nach wie vor die Originalversion vor.
Am deutlichsten fällt die semiakustische Umsetzung ansonsten bei den „Mandylion“-Tracks „In Motion pt. II“ und „Eléanor“ auf, während bei „Shrink“ von „Nighttime Birds“ und den reichlich vertretenen Songs von „How to Measure a Planet?“ kaum Veränderungen hörbar sind. Eigentlich schade, denn auch wenn die Originale bereits sehr ruhig und quasi an sich beinahe schon semiakustisch sind, wären etwas mehr Abwechslung und Experimentierfreude mit Sicherheit ein Plus gewesen. Trotzdem verlieren „Travel“, „Locked away“ oder „Red Is a Slow Colour“ natürlich nichts von ihrem Reiz. Als Krönung dieser bemerkenswerten Livescheibe findet der Hörer mit dem Titeltrack „Sleepy Buildings“ zudem einen zumindest mir neuen Song, der mit gefühlvollen Pianoparts und einer wie immer bezaubern singenden Anneke besticht. Somit kann ich allen THE GATHERING-Fans eine doppelt unterstrichene Kaufempfehlung aussprechen. Daran ändern auch die kleinen Wermutstropfen, dass zum einen ruhig mehr Experimente und mehr ganz alte Songs in einer Neubearbeitung den Weg auf „Sleepy Buildings“ hätten finden dürfen – wo beispielsweise ist der Hit „Strange Machines“? – und zum anderen die businesstechnische Natur einer Notgeburt durch das Fehlen von Songs der letzten Alben „Souvenirs“ und „Black Light District“ nicht vollends verdeckt wird, nicht wirklich etwas. Irgendwann ist jede CD auch einfach mal voll, egal wie sehr man nach mehr lechzt. Doppelt ärgerlich, wenn man dann im Tourplan entdeckt, dass die zugehörige Tour mit halbakustischem Set nicht in der Nähe Station macht…
Spielzeit: 72:43 Min.
Line-Up:
Anneke van Giersbergen – Gesang
Hans Rutten – Schlagzeug
René Rutten – Gitarre
Frank Boeijen – Keyboards
Hugo Prinsen Geerligs – Bass
Label: Century Media
Homepage: http://www.gathering.nl
Tracklist:
Locked away
Saturnine
Amity
The Mirror Waters
Red Is a Slow Colour
Sleepy Buildings
Travel
Shrink
In Motion pt. II
Stonegarden
My Electricity
Eléanor
Marooned
Like Fountains