Necrodeus Asbest Cover

NECRODEUS: Asbest

Da müsste man ja fast das ausgefranste, bekritzelte Reclam-Heft wieder aus der Kiste im Keller hervorkramen, wenn das erste Lied mit dem Titel „Werther“ grüßt. Aber ich verkneife mir dann doch, mich noch einmal durch die wortreiche Schwafelei über einen solipsistisch-suizidalen Jüngling mit Pech in der Liebe zu quälen. Das Werk könnte man im Schul-Kanon meiner Meinung nach ohnehin durch Relevanteres ersetzen, vielleicht durch „Irre“ von Rainald Götz oder so. Und außerdem handelt es sich nur um ein Intro. Mit dem eigentlichen Opener „Asbest“ geht es dann doch um handfestere Themen.

Zwischen CROWBAR und TOTENMOND

Und es geht ja ohnehin um Musik und da hat NECRODEUS eine Menge zu bieten auch über literarische Querverweise hinaus, obwohl im Song „Lethe“ noch Bezug auf Arthur Rimbaud genommen wird.

Und wenn man beim anfänglichen Verweis auf den weinerlichen Jüngling mit den gelben Hosen und blauer Jacke eher eine ebenso weinerliche Suicide-Black Metal-Band erwarten könnte, wird man Gott sei Dank schnell eines Besseren belehrt. Die Österreicher präsentieren uns extrem kraftvollen hardcorigen Sludge mit jeder Menge Biss und Wut, dabei aber mit viel musikalischer Qualität und richtig guten Songs. Eine wunderbare Platte, die das Elend der Welt in dein Wohnzimmer holt, dir ins Gesicht brüllt und Angriff und Katharsis zugleich ist.

Beispielhaft seien hier „Lied aus Blei“ genannt, das über weite Strecken im Midtempo, mit disharmonischen Riffs versehen – hier ist dann doch ein wenig Black Metal zu finden (personelle Querverbindungen zu ELLENDE sind vorhanden) – und intensiver Performance der gesamten Band eine düstere, runterziehende und packende Atmosphäre kreiert, die aber trotzdem aufgeladen ist mit sich dem Elend wütend entgegenstemmender Kraft.

In den langsameren und disharmonischen Momenten erinnert die Band gar an die Ton-Monumente von TOTENMOND, bleibt aber zugänglicher und fügt immer die richtige Schippe CROWBAR hinzu, die das Abgleiten der Songs in Soundscapes verhindern, so dass die Musik immer noch groovend und in den Hintern tretend bleibt. „Lifeloather“ oder vor allem „Schwarzer Regen“ seien hier als Parade-Beispiele genannt. 

JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE in Graz

Nicht nur im wunderbaren „Eat Dirt Taste Life“ wird dann auch kräftig auf das Gas-Pedal getreten, hardcoriger Vibe tritt in den Vordergrund, der mich aufgrund des Schrei-Kreisch-Gesangs an die großartigen JAPANISCHE KAMPFHÖRSPIELE erinnert. Überhaupt sind JaKa ein guter Referenzpunkt. Auch wenn die Grazer nicht das manische oder grindige Element so betonen wie die Krefelder, gibt es eine starke Ähnlichkeit in Intensität, musikalischer Entfesselung und Ablegen stilistischer Scheuklappen.

Unterstützt wird die dichte Atmosphäre der Platte durch die ebensolche, sehr gelungene Produktion, vor allem der Schlagzeugsound –  und auch das treibende Drumming – sind hier hervorzuheben, die nicht nur den Eindruck vermitteln, man stünde direkt neben der Band, sondern man säße quasi mitten im Schlagzeug. 

„Asbest“ ist eine richtig gute Platte einer sehr interessanten Band, die ich bislang nicht auf dem Schirm hatte, was aber hiermit sofort zu korrigieren ist. Für mich und für jeden, der mit kraftvoller Musik über die düsteren und wütenden Seiten des Lebens etwas anfangen kann.

Release Date: 01.04.2022
Label: Grazil Records

Line Up:
Paul Färber – Drums
Sebastian Lackner – Bass
Michael Iber – Guitar
Stefan Rinder – Vocals

NECRODEUS „Asbest“ Tracklist:

1. Werther
2. Asbest
3. I fought the Low and the Low won
4. Lied aus Blei
5. Lethe
6. Lifeloather
7. Eat Dirt Taste Life
8. Schwarzer Regen
9. Urne

https://nekrodeus.bandcamp.com

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