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LISA WHO: Ein neuer Beginn

LISA WHO macht sehr klugen, deutschsprachigen Pop. Aber auch mit einer ordentlichen Portion Krautrock, Pomp, progressiven Elementen: so sonderbar wie eigenständig, auch dezent widerborstig. Ist allemal Wert, gehört zu werden.

Yo, liebe Metal-Heads! Ihr sucht schneidende Gitarren? Kreischgesang? Gepose in Spandex-Hosen? Reitende Rhythmen und wummerndes Schlagzeug? Ja sorry, da habe ich heute leider nichts für Euch. Aber solltet Ihr auch anderen Klängen gegenüber aufgeschlossen sein, klugem Pop mit rockiger, leicht somnambuler Note (schlaue Köpfe haben hierfür, in absoluter Hilflosigkeit, den Begriff „Dream Pop“ erfunden): Dann, ja dann, habe ich hier tatsächlich etwas für Euch. Das neue Solo-Album von Lisa Nicklisch alias „LISA WHO“. Es ist, das sei vorweg gesagt: ein gutes Album. Sonderbar, gewöhnungsbedürftig: aber eben auch verdammt gut. Kurzum: Ich kann es aufgeschlossenen Hörern nur empfehlen.

Lisa Nicklisch ist eingeweihten Hörern vor allem als Keyboarderin der Band MADSEN bekannt. Indie-Pop mit deutschen Texten und leicht punkiger Schlagseite. Das ist ein bisschen schade. Denn während die Band aus dem Wendland mitunter doch recht kalkuliert vorgeht, ist das Soloprojekt der 36jährigen Wahlberlinerin doch irgendwie: anders. Eigentlich so gar nicht kalkuliert. Ja: auch poppig und eingängig. Aber eben auch speziell, auf sympathische Weise schräg. Eigenwillig und leicht spleenig. Die sphärischen Sounds des Psychedelic Rock sind allgegenwärtig. Es fällt gar nicht so leicht, ihre Musik in Worte zu fassen. Was eindeutig für sie spricht.

Der Neuanfang nach einem schwierigen Debüt

Dass ich mich in LISA WHO verliebte, ist eher dem Zufall geschuldet. Sie war Opening Act für die -ebenfalls sehr geschätzten Prog-Rocker- OKTA LOGUE in Leipzig. Eine Band aus Hessen, die den Psychedelic Rock der 70s gut und kompetent in die Jetztzeit transportiert. Das hat ihnen unter anderem Support-Shows für NEIL YOUNG eingebracht. Aber in Deutschland wird die Band weniger wahrgenommen als im Ausland. Noch immer haben die sympathischen Musiker keinen deutschsprachigen WIKIPEDIA-Eintrag, nur einen in englischer Sprache. Sehr verkannte Band: zumindest hierzulande. Muss ich vorab betonen.

Aber da passte LISA WHO sehr gut ins Bild. Kaum 30 Leute standen vor der Bühne während ihres Sets, die meisten Besucher*innen rauchten draußen vor der Halle. Aber eben: auch ich war dabei. Und nachdem ich anfangs doch etwas ratlos da stand, dachte: WTF IST DAS? War ich irgendwann doch sehr angetan von dieser Musik. Da sang eine Frau mit deutschen Texten zu Songs, die klangen, als hätten Pink Floyd eines dieser französischen Pop-Alben aufgenommen, die zwischen Morgenkaffee und Blumenwiese immer ein wenig schlaftrunken in die Sonne blinzeln.
Das waren eben doch sehr spezielle, eigenwillige Klänge, die mich fasziniert und erreicht haben. Ich war hypnotisiert: Und wäre definitiv nicht auf die Idee gekommen, die schlecht besuchte Konzerthalle für eine Zigarette zu verlassen.

Nachdem sie ihr Debütalbum „Sehnsucht“ 2017 veröffentlicht hatte, kaufte ich mir ein Ticket für die anschließende Tour. Die leider abgesagt werden musste, weil im Vorverkauf zu wenige Tickets über den Ladentisch gingen. Ein totaler Flop. Und so macht es Sinn, dass ihr neues Album „Ein neuer Beginn“ betitelt ist. Nach den Enttäuschungen des ersten Albums gilt es jetzt, sich quasi neu zu erfinden. Hierfür hat sie mit the shit records ihr eigenes Label gegründet, nachdem sie zuvor beim Metalcore-Label Arising Empire ein wenig fehlbesetzt war.

Who put the Krautrock in Pop?

Ein zweiter Anlauf also – Was so eigentlich gar nicht stimmt, denn LISA WHO macht da weiter, wo sie mit ihrem -starken- Debüt aufgehört hat. Nur: fokussierter, songdienlicher. Der Opener „Ein neuer Beginn“ ist eine starke, sehr eigenwillige Indie-Nummer, die mit bombastischen Chören und hallenden Drums daher kommt. „So weit das Auge reicht/ nur leuchtende Raketen,/ unter bunten Explosionen/ sehen wir auf das alte Jahr zurück“, singt Lisa mit melancholischer, aber dennoch entschlossener Stimme.

Überhaupt diese Stimme: Ja, man muss sie mögen. Sie dehnt die Silben mit scheinbar schlafwandlerischer Nonchalance, was den Songs auch immer etwas Abseitiges, Traumwandlerisches verleiht. Wie aus einem Fiebertraum dringt sie zum Hörer durch. Vielleicht ist es daher nicht ganz abseitig, auch Referenzen zu 70s-Folk-Jazz der Marke PENTANGLE zu ziehen: auch wenn die Musik, eigentlich, ganz anders klingt. Oder Folkrock der Marke MIDLAKE. Wir befinden uns jenseits der Kategorien von Zeit und Raum: mit viel Hall versehen, besitzt die Musik auch etwas Jenseitiges.

Aber eben poppiger, mehr im Hier und Jetzt geerdet. So ist das folgende „Leichtigkeit“ fast schon beschwingt. Eine Twang-Gitarre, drei Minuten Instrumentalstück, bevor der Gesang einsetzt. „Alles ist gut/ leicht wie die See/ Sehnsucht,/ ein neuer Beginn“, singt Lisa. „Das Rauschen in mir/ keine Rettung!“. Der Refrain kommt mit leicht schrägen Harmonien daher, während der Rhythmus beständig weiterschreitet: fast ein bisschen mit der ästhetischen Entschlossenheit von THE WAR ON DRUGS-Mastermind Adam Granduciel. Perfektion im Sound: Wohl kein anderer Musiker arbeitet derzeit so verbissen daran, jede Snare und jedes Tremolo so atmosphärisch fesselnd klingen zu lassen. Der Alltag als quasi magische Erfahrung. Was LISA WHO hier indirekt aufgreift: um es zugleich zu brechen.

Das sind die Momente, wo Pop-Songs mehr sind als einfach nur Pop-Songs: raffinierte Kabinett-Stückchen, die einem -trotz aller Eingängigkeit (oder wegen?)- viel Respekt abverlangen. Da gibt es flächige, atmosphärische Keyboards: neben schrägen Gitarren, pluggernden Bässen: und Melodien, die sehr groß sind. Aber so dezent vorgetragen, dass man es fast nicht bemerkt. Pop ist hier Antithese zu den eigenen Gesetzmäßigkeiten: weil er bedient, was er zugleich infrage stellt.

Fast schon beschwingt kommt dann der nächste Song „Lichtgestalt“ daher. Ein Feeling, als würde man an einem warmen Sommerabend irgendwo in der Großstadt auf einem Balkon sitzen: Nachdem man den Efeu gegossen hat und sich einen Aperol Sprizz eingegossen. Hier klingt das Album tatsächlich plötzlich: sehr leicht, zurückgelehnt. Das folgende „Er hat mich wieder nicht gesehen“ ist dann eine ebenfalls abgehangene Ballade, die auch als Soundtrack eines Films von Andreas Dresen funktionieren würde. Auch hier mischt sich Melancholie mit einer Art Hängematten-Nonchalance. „Er hat mich wieder nicht gesehen/ Im Vorbeigehen/ Hat er an mir vorbei gesehen!“, singt Lisa. Irgendwo zwischen Melodrama und Alltags-Beobachtung. Die kleinen Momente im Alltäglichen, die sehr schwer wiegen. Auch FLEETWOOD MAC haben im Zweifel Spuren hinterlassen: Wenn sie aus Berlin kämen und deutsche Texte schreiben würden.

Songs, die man gern im Radio hören würde

Diese Mischung aus Melodrama, entrückter Nonchalance und pathetischem Lebenshunger bestimmt auch den Rest der Platte. „Glücklich ohne dich“ ist so ein Song, von dem man sich wünscht, dass er öfters im Radio liefe: eigentlich ein echter Hit, aber eben auch so sympathisch schräg und sonderbar, dass er eben doch keine Chance auf Formatradio-Airplay hätte. Und das ist auch das Schöne: die Frage, „Warum sind diese Songs nicht längst kleine Hits?“, beantwortet sich quasi von selbst: weil LISA WHO eben doch schräg und eigenwillig genug ist, um nicht mit den üblichen Pop-Standards verrechnet zu werden.

Da gibt es neben dem eigenwilligen Gesang von LISA WHO auch kleine, liebenswert sperrige Details: verschleppte Rhythmen, Disharmonie und scheppernde Gitarrenklänge, die dann eben doch das INDIE im Pop sehr hervorstechen lassen. Krautrock, Progressive. Und da sollten auch alle Metal-Heads wieder im Boot sein: sofern sie eigenwillige, unkonventionelle Songs zu schätzen wissen.

Kompetent produziert hat dieses höchst eigenwillige, schöne Album neben ihrem Lebensgefährten Sebastian Madsen auch Tobias Siebert: Mastermind von Klez.E, der schönsten THE-CURE-Postpunk-Widmung, die je aufgenommen wurde. Und der mit AND THE GOLDEN CHOIR eine der kompetentesten Folk-Indie-Bands am Start hat, die keiner kennt. Übrigens auch ein sehr sympathischer Gesprächspartner, nonchalant und bescheiden, wie ich nach einem Konzert in Leipzig bestätigen kann.

FAZIT: Wer ein gutes, sympathisch schräges Pop-Album mit deutschen Texten hören will: eines, das herausfordernd und speziell genug ist, um nicht einfach nur Pop zu sein, der ist bei LISA WHO an der richtigen Adresse. Ein Album, das gut, hörenswert: besonders ist. Und jeden Erfolg verdient hätte. Es lohnt sich! Wenn man über Genre-Grenzen hinausschauen kann. Denn auf diese hat LISA WHO wirklich gar keine Lust.

mehr im Netz:
LISAWHO.de

LISA WHO: “Ein neuer Beginn” Tracklist

1. Ein neuer Beginn
2. Leichtigkeit (Video auf Youtube)
3. Lichtgestalt
4. Er hat mich wieder nicht gesehen
5. Müde am Mehr
6. Weit wie die See (Video auf Youtube)
7. Glücklich ohne dich (Video auf Youtube)
8. Mutter
9. Nicht wahr
10. In der Natur
11. Freundschaft
12. Ich komme mit, ich bin dabei

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