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KINGS OF LEON: Can We Please Have Fun

“Can We Please Have Fun?” ist das mittlerweile neunte Studioalbum der KINGS OF LEON betitelt. Können wir bitte Spaß haben? Ja, keine Ahnung. Das neue Album wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Es ist nicht Arena Rock, es ist nicht Garage, es ist nicht Indie – Es ist zuweilen so abgehangen wie ein schwülwarmer Tag an einem schlammigen See, wo kein Baum Schatten spendet. Schlecht ist es dennoch nicht, stellenweise sogar richtig gut, auch wenn es neben Licht auch Schatten gibt.

Hey, die KINGS OF LEON haben ein neues Album! Und schon höre ich jemanden laut „Ach du Scheiße!“ sagen. Sie teilen das Schicksal vieler Bands, die etwas zu sehr hochgejubelt wurden. Als die musizierende Familie – drei Brüder und ein Cousin – 2003 mit ihrem Debütalbum „Youth and Young Manhood“ um die Ecke kam, wurden sie zu den Rettern des Rock ausgerufen, mindestens: ein Album, das eine infektiöse Mischung bot, Indie Rock mit Garage verband, ungeschliffen fröhlich drauflos polterte. Ihr Debüt klang, als hätten sie es mit alten, schon leicht verbeulten Röhrenmikrofonen aufgenommen: Mikros, die im Schlamm von Woodstock getauft wurden, für die muskelbepackten Cowboys gab es eine ordentliche Portion Southern Rock obendrauf.

Doch solch ein Status ist gefährlich, denn werden die Erwartungen nicht erfüllt, wird eine Band auch schnell wieder fallengelassen. Der große Durchbruch kam 2008 mit dem Album „Only By The Night“ mit Songs wie „Sex on Fire“ und „Use Somebody“, die auch heute noch in jedem Studentenclub und in jedem Rockradio totgedudelt werden. Und damit auch der Status als Arena Rock-Band. Im Radio werden die Songs der KINGS OF LEON zwischen BRYAN ADAMS, den SCORPIONS und NICKELBACK gespielt. Das ist der Moment, ab dem man sich um eine Rockband ernsthaft Sorgen machen muss. Weder gelang es ihnen seither, den großen Erfolg dieser Songs zu wiederholen, noch wollten sie zurück zu den Anfängen. Zu jenen Zeiten also, als sie entfesselt und ungezwungen klangen, aber auch leicht naiv und unbedarft.

Seither haben die KINGS einige interessante Alben aufgenommen, allesamt nicht schlecht, aber die Kritiken waren ebenso durchwachsen wie die Reaktionen der Fans. Vielleicht, weil sie die alten Mikrofone eingetauscht hatten gegen solche aus der jüngeren Generation. Mehr U2, mehr Funk, mehr Experiment – und tatsächlich Radio Rock, der auch mal ganz konventionell daher kommen konnte. Was nicht schlecht sein muss. Der flotte Groove-Rocker „Find Me“ vom 2016er-Album „Walls“ ist zum Beispiel ein komplett großartiger Song für die Autobahn, das funkige „Around The World“ immerhin für die High-Society-Bar am Strand. Aber diese Stilwechsel wurden oft nicht positiv goutiert, der Vorwurf des Verrats ist nicht weit, wenn eine Band plötzlich größeren Erfolg hat und neue Wege geht. Da ist die Indie-Rock-Szene manchmal ähnlich konservativ wie die True-Metal-Szene. Die Konzerthallen sind nach wie vor rappelvoll, im letzten Jahr haben KINGS OF LEON die Waldbühne in Berlin mit 20.000 Personen Fassungsvermögen blitzschnell ausverkauft. Ein gutes Konzert, bei den alten Songs war die Stimmung am besten.

Zurück zu den Wurzeln – ein bisschen

Der Opener „Ballerina Radio“ hat einen interessanten Songtitel und ist ein entwaffnend energieloser Einstieg. Hört diesen Song nicht kurz nach dem Aufwachen! Ihr fallt sofort wieder in die Kissen zurück. Selbst wenn Ihr unter der Dusche steht, das Wasser eisig kalt mit hartem Strahl eingestellt, könnte es passieren, dass Ihr im Stehen erneut einschlaft. “Sonntagsessen aus der Dose / Ravioli und Plastikparmesan“, textet Followill. Na Hossa, ist die Tristesse hier bewusst gesetztes Statement? Seltsam ziellos pluggert der Song zwei Minuten vor sich hin, die Melodie könnte man als „nett“ bezeichnen, bis er dann doch etwas Fahrt aufnimmt, das Schlagzeug mehr Groove spendet und – ja, was? Der Song ist recht schnell vorbei und man fragt sich, was man da jetzt gehört hat. Hat man irgendwas verpasst? Es gibt ja diese Parties, die einem komplett langweilig scheinen, weil man in der Küche steht und einen der Stiefbruder des Gastgebers über das neue Grundsatzprogramm der CDU zutextet – während aber im Nebenraum eine wilde Orgie stattfindet, von der man nichts mitbekommt. Das Dumme daran ist: Die KINGS OF LEON haben hier das CDU-Grundsatzprogramm vertont, nicht die wilde Orgie.

Bei „Rainbow Ball“ windet sich der Bass aus dem Song heraus wie eine dornige Hecke im Zeitraffer. Das klingt interessant, wenn es nicht produziert wäre, als hätte man den ganzen Song unter einem alten, ausgetrockneten Wischtuch begraben. Der Sound klingt für meinen Geschmack hier seltsam dumpf. Dass sich hier das Schlagzeug im flotteren Tempo bewegt, merkt man fast gar nicht. Es ist zu leise. Die Gitarrenriffs sind bewusst simpel gehalten: „Tam tam tam tat tam tam“. Gibt es hier einen Refrain? Oder wird bewusst darauf verzichtet? Ach ja, es gibt einen Refrain, der hebt sich kaum gegenüber der Strophe hervor. Ähnlicher Rhythmus, ähnliche Phrasierung. Der Text behandelt trotzig das Festhalten an alten, besseren Zeiten: „Ich habe meinen alten Freund zurück/ Er war eine ganze Weile weg/ Das werde ich nicht dulden/ Gute Zeiten/ Die wir hatten/ Alle hatten gute Zeiten.// Auf dem Regenbogenball/ nahmen wir jede Fahrt/ Wir hielten/ Unseren Atem/ Wir überschritten die Linie“. Hier hat man aber schon eher den Eindruck, dass es sich doch um einen interessanten Song handeln könnte, wenn er auch etwas vernebelt stolpert und torkelt, was ja kein Nachteil sein muss.

“Nowhere to Run” ist anschließend eine schöne, leicht melancholische Nummer, Typ Ohrenschmeichler, in der eine funkige Gitarre und ein lebendig pulsierender Bass angenehme Kontraste setzt. Der Song klingt speziell im Refrain überraschend britisch: FRANZ FERDINAND lassen grüßen. Eine schwelgerische Gitarre im Mittelteil, Caleb Followill seufzt und heult leidenschaftlich und mit melancholischem Timbre. “Ich trage meinen Fall vor, in hoffnungsvoller Gnade/ Und nehme meinen Platz ein, ach/ Draußen ist Krieg, wir sollten alle high werden/ Und einen Abschiedskuss geben, ah/ Es gibt einfach keinen Ausweg“.

Das ist spätestens der Song, bei dem ich dann doch in das Album hineingefunden habe. KINGS OF LEON können Melancholie, sie hatten hier schon immer starke Momente (das herzzerreißende “Closer” ist ein Karrierehighlight), was gerne übersehen wird. Wohl auch, weil sie schnell in die Schublade “Rock von (ehemals) bärtigen Männern” gesteckt werden. Der Text überzeugt durch stimmungsvolle Bilder. “In einer 747 unter dem Blutmondhimmel/ Ich hörte ein Baby hinten im Flugzeug weinen/ sah die Panik in den Gesichtern der Fliegenden/ wartete nur auf ein Getränk zu meinem Kuchen”. Es ist zugleich eine Selbstbefragung, die sich auch auf den Status als Band beziehen lässt: Die titelgebende Frage “Haben wir noch Spaß?” wird hier mehrfach gestellt. Hat eine leicht nostalgische Rockband wie die KINGS OF LEON überhaupt noch einen Platz in dieser chaotischen, sich schnell verändernden und von politischen Konflikten geprägten Welt? “Ich weiß nicht, wohin mein Verstand mich führt / Ich kenne nur meine Angst zu fallen / Alle Straßen, die geschlossen waren, öffnen sich / Ich fahre nur gerne die Nebenstraßen”. Das kann man viel schlechter machen – und auch texten.

“Mustang”, die erste Single, könnte ein Live- und Fanfavorit werden. Das mag auch an der, nun ja, etwas cringigen Frage liegen: “Are you a mustang or a kitty?” Mario Barth, ich hör dir trapsen. Ein gewisser Machismo ist der Band durchaus eigen, auch wenn man sich nicht vorstellen kann, dass sie mit Äxten bewaffnete Krieger auf schwarzen Pferden auf ihren Covern präsentieren, wie es beispielsweise die Südstaaten-Rocker MOLLY HATCHET tun. Und ich könnte wetten, dass der hohe Frauenanteil bei ihren Konzerten nicht nur auf ihre Männlichkeit zurückzuführen ist, sondern auch auf ihre Smartheit. Gut gewiehert, Kätzchen! “Mustang” ist jedenfalls eine sympathisch scheppernde, supereingängige und dennoch angenehm raue Southern-Rock-Nummer, die angenehm swaggt und knarzt und gar nicht mal so gefällig ist. Müsste ich mich entscheiden, wäre ich übrigens schon eher Team Katzenbaby. Ich denke nämlich, dass es ein Mustang in einer Großstadt-Wohnung gar nicht so einfach hätte, und der ganze Mist muss ja auch irgendwo hin. Als Kätzchen wird man auch seltener angebunden, darf aufs Sofa, wird wahrscheinlich öfter gestreichelt. Und darf mehr Quatsch machen. Oder habt ihr schon mal einen Mustang vom Schrank springen sehen?

Es finden sich Funk und Post Punk im KINGS OF LEON-Sound

Bis hierhin zeigt sich die Band angenehm nuanciert, auch wenn all jene enttäuscht sein dürften, die auf eine straighte Rock-Platte gehofft haben. Überhaupt hat man den Eindruck, dass der Rock gar nicht so sehr im Mittelpunkt stand, auch wenn die Kings in Interviews anderes behaupten. Es wäre eine gelungene Täuschung. Viele Songs haben ein eher abgehangenes Feeling, eine gewisse Schluffigkeit, als ob das Album nicht mit Cowboystiefeln aufgenommen worden wäre, sondern in Filzpantoffeln. Dem entgegen steht, dass die Band den Funk, auch schon auf ihren letzten Alben präsent, nun noch mehr Platz einräumt. Produziert hat das Album Kid Harpoon, der bereits mit HARRY STYLES, MILEY CYRUS und der großartigen FLORENCE AND THE MACHINE zusammengearbeitet hat – schon die Wahl des Produzenten sorgte im Vorfeld für Raunen. Die Sorge: Harpoon, ein Engländer mit blondierten Haaren und dunklem Hipster-Schnauzer, könnte das Album komplett kaputtproduzieren, auf generisches Radio-Gedudel trimmen. Dem widerspricht, dass er speziell für Florence auf deren Album “Ceremony” einen entfesselnden und hypnotisierenden Indie-Dance-Sound gezimmert hat, der jedes Detail, jede Harfe, jede Rassel und jeden Chorgesang differenziert einfangen konnte.

Und nun? Es fällt auf, dass vor allem der Bass von Jared Followill oft Akzente setzt und sich in den Vordergrund drängt. Selten pulsiert er geradlinig. Er windet sich und taumelt, umkreist die Songs mit einfachen, immer wiederkehrenden Mustern, er knarzt und knarrt – manchmal wirkt er wie ein alter Weinkorken, der nur mit Mühe entkorkt werden konnte. Mal dezent funkig, mal an Post-Punk erinnernd. Hat die Band heimlich nach England geschaut? Aufgenommen wurde in Nashville, aber manches hier erinnert sogar an JOY DIVISION. Dafür halten sich die Gitarren mehr zurück, sind an vielen Stellen nur leicht verzerrt oder mit ordentlich Hall versehen. Selten brechen und poltern sie los wie in dem Song „Nothing To Do“, wo sie schräg fiepen und schlingern dürfen, flott gerifft – eine knapp dreiminütige Uptempo-Nummer, die tatsächlich an die frühen Alben erinnert. Der Fokus auf den Bass gibt den Songs aber auch Raum, weil hier nicht alles mit dröhnenden Gitarren zugeschubbert wird: und verleiht den Songs in den besten Momenten eine spielerische Note. Auch das Schlagzeug ist lebendig gespielt, aber eher dezent in den Hintergrund gemischt, die Doublebass oft lauter produziert als die Tom Toms.

Überproduziert ist das Album also keineswegs – man hat eher das Gefühl, dass dem Sound eine Idee zugrunde lag. Die Produktion klingt schroff und trocken, sie akzentuiert den Rhythmus und schafft Freiräume. Die letzten beiden Alben klangen für meine Ohren deutlich glatter. Deshalb glaubt all jenen nicht, die Euch nun einbläuen wollen, “Can We Please Have Fun?” würde vor allem als Festivalplatte funktionieren, als Soundtrack für verschwitzte Sommernächte. Zu nuanciert, zu widerborstig, aber durchaus auch zu detailreich präsentiert sich das Quartett hier. Und diese ausgeprägten Post-Punk-Momente sind definitiv eine neue Facette im Sound, der sich auch in den schroffen Kompositionen spiegelt. Und der Band auch Eigenständigkeit verleiht.

Viele gute Momente – einige Ausfälle

So haben die KINGS OF LEON auf dieser Platte durchaus ihre Argumente, um sich weiterhin an der Spitze der Indierock-Bands zu behaupten. “Actual Daydream” ist eine sehr angenehme, leicht melancholische Nummer, um nach einem anstrengenden Tag im Cabrio dem Sonnenuntergang entgegenzufahren, mit einem leicht auf der Haut brennenden Refrain und absolut radiotauglich. “M Television” ist so ziemlich das Gegenteil davon: eine Nummer, die hastig dem Refrain entgegenstolpert, wieder mit sich windenden Basslinien und hastigem, sich überschlagenden Gesang. “Hesitation Gen” packt dann die Punk- und Garage-Muskeln aus, die Gitarren schlingern, das Schlagzeug treibt straight voran. Könnte so problemlos tatsächlich auf dem Debüt stehen.

Frei von Ausfällen ist das neue Machwerk aber nicht. Mit „Ease Me On“ haben sie eine Countryballade aufgenommen, die selbst Kenny Rogers als zu schnulzig abgelehnt hätte. Oder soll das sogar Soul sein? Der Refrain windet sich, als hätte man drei Katzen am Schwanz zusammengebunden und die zusammengebundenen Schwänze dann in Brand gesetzt. Dazu klagt eine verwaschene Slide-Gitarre. „Hilf mir weiter!“, jammert Sänger Caleb Followill im Refrain. Ja, wie denn – indem man die Skip-Taste drückt? „Es läuft nicht gut!“, heißt es an einer anderen Stelle im Text, bei der Followill (bzw. das “Ich” des Textes) beklagt, dass er ein paar Dollar im Regen bei den Ponys verloren hat und dann auf die Knie gefallen sei. Das ist fast schon vertontes Selbstmitleid. Würde der Song nicht so dermaßen nerven, man könnte damit die Ponys bei einer Zahn-OP narkotisieren.

Entschädigung dafür gibt es dann wieder mit dem abschließenden “Seen”, episch und im mittleren Tempo, Caleb Followill faucht, seufzt und fleht, wie es nur wenige können. Ein Song, der leicht verschleppt und disharmonisch tönt, was hier als Kompliment gemeint ist, weil es dem Song eben diese besondere Note verleiht, dieses nebelige, leicht splitternde und schroffe Gefühl, wie man es fast nur im Indie Rock findet oder im Blues. Eine interessante Platte, die nicht in jedem Moment überzeugt, aber doch oft stimmig und konzeptuell durchdacht wirkt, und durchaus künstlerisch reif. Eine, die auch Fragen aufwirft, Beschäftigung erfordert. Die auch mal stolpert und um sich selbst kreist, schroffe Momente bietet, auch mal ein bisschen Langeweile. Aber: nicht gefällig ist. Und das ist gut so. Wäre das hier eine Pitchfork-Rezension, hätte ich in meiner Katzenbaby-mit-Brille-Nerdyness 7,3 von zehn möglichen Punkten vergeben.

Veröffentlichungstermin: 10.05.2024

Spielzeit: 44:55

Line-up:
Caleb Followill: Gesang und Gitarre
Matthew Followill: Gitarre
Jared Followill: Bass
Nathan Followill: Drums

Label: Capitol Records

Homepage: https://www.kingsofleon.com/

KINGS OF LEON “Can We Please Have Fun” Tracklist

1. Ballerina Radio
2. Rainbow Ball
3. Nowhere To Run (Video bei YouTube)
4. Mustang (Video bei YouTube)
5. Actual Daydream
6. Split Screen
7. Don’t Stop The Bleeding
8. Nothing To Do (Video bei YouTube)
9. Television
10. Hesitation Generation
11. Ease Me On
12. Seen

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