Der Verfasser mag sich etwas weit aus dem Fenster lehnen mit seiner Annahme, aber die in Frankreich lebende, in Italien geborene Künstlerin, die unter dem Namen AILISE BLAKE arbeitet, ist vermutlich kein Partyanimal. Wie auch, wenn sie sich über Wochen und Monate völlig allein in eine Hütte zurückzieht, um ein traumgleiches Album wie „Soave“ zu schreiben und aufzunehmen. Diese Solitüde ist greifbar. Man meint AILISE BLAKE als durchsichtige Erscheinung durch einen Herbstwald schweben zu sehen, weil auch ihre Musik so unkonkret und ihre Stimme so transparent zu sein scheint.
AILISE BLAKE lässt die nebelige Feuchte kalter Herbstwälder spüren: „Soave“ ist ein sinnliches Album.
AILISE BLAKE hat diese Art des Songwritings gut im Griff. Es klingt beinahe ritualistisch, wie „Soave“ sich zwischen Neofolk, Dreampop und Shoegaze seine eigene Nische sucht. Diese Genres sind nicht zu weit voneinander entfernt, und so schafft es AILISE BLAKE, all das stimmig in etwas Eigenes zu gießen. „Soave“ hat eine alte Seele, es scheint direkt aus verrauchten Räumen von 1970er-Kultstätten zu entflogen zu sein. „Apollo (The Attraction Towards The Sun)“ ist wie ein Fiebertraum zwischen JONI MITCHELL und CURRENT 93 und trotz seiner traumartigen Entrücktheit eines der direktesten Lieder dieses Albums.
AILISE BLAKE hat sich hörbar Zeit genommen, diese Songs zu arrangieren, wie „Lustration“ verdeutlicht. Die Gitarren mögen das Lied einleiten, dazu kommen perlende Synthesizer, roh verzerrte Leadgitarren, Bass und rituelles Drumming. Daneben verweigert sich die Musikerin durch ihren, wie zwischen den Instrumenten schwebenden Gesang, einer simplen Eingängigkeit. Viel mehr ist „Soave“ ein Album, bei dem die Instrumente mehr Wiedererkennungswert haben, als der Gesang – gerade das verströmt eine Faszination, denn AILISE BLAKE lässt sich nur schwer greifen. Immerhin hat dies Methode, wie „Consecration“ und „Devotion“ zeigen.
Zwischen Akribie und improvisierten Momenten: AILISE BLAKE balanciert auf „Soave“ zwischen zwei Polen.
Dennoch schafft es die Musikerin, Spannungsbögen einzubauen. Hauchzart nur, aber immerhin. Diese Steigerungen sind mal deutlicher, mal subtiler – so richtig erschließen sie sich erst nach mehrmaligem Hören. Dennoch wären etwas mehr direkte Momente, wie in „Primordial“ schön gewesen, denn gerade hier zeigt AILISE BLAKE, dass sich atmosphärische Dichte und im Kopf festsetzende Songfragmente nicht ausschließen müssen. Gerade das mehr als 15-minütige Doppel „Exaltation (Part I)“ und „Annihilation (Part II)“ hat kaum Ankerpunkte, dafür mit der einen oder anderen Länge zu kämpfen. Immerhin: Gerade „Annihilation (Part II)“ verzaubert dennoch mit einem vollwertigen Soundbild, das durch Klavier und Streicher vervollständigt wurde. Dass „Risorgimento“ als Abschluss dann doch wieder etwas erdet und ein herzzerreißendes Finale bietet, lässt die knapp 50 Minuten versöhnlich enden.
„Soave“ ist ein absolut stimmungsabhängiges Album und funktioniert vor allem, oder vielleicht auch ausschließlich, in Zuständen, wenn sich die Gedanken im Nebel verlieren, und die Welt sowieso. Die Multiinstrumentalistin AILISE BLAKE fasziniert mit ihrer beschwörenden Stimme und hinterlässt bleibenden Eindruck. Das zweite Album der Solokünstlerin verströmt Hingabe und Liebe, ist einerseits akribisch ausgearbeitet, wirkt aber dennoch frei und ungebunden. Wer introvertierten Neofolk mag, sich in diesem Sound aber psychedelische Versatzstücke und eine nicht zu unterschätzende Komplexität wünscht, ist bei einem sinnlichen Album wie „Soave“ genau richtig.
Wertung: 6 von 8 Samhaintänze
VÖ: 7. November 2025
Spielzeit: 48:22
Line-Up:
AILISE BLAKE
Label: These Hands Melt
AILISE BLAKE „Soave“ Tracklist:
1. Apollo (The Attraction Towards The Sun) (Official Video bei Youtube)
2. Lustration
3. Consecration (Official Video bei Youtube)
4. Devotion
5. Primordial
6. Exaltation (Part I)
7. Annihilation (Part II)
8. Risorgimento
AILISE BLAKE „Soave“ Full Album Stream bei Youtube
Mehr im Netz:
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