DENOVALI SWINGFEST 2012 in der Weststadthalle, Essen

Festivalbericht zum DENOVALI SWINGFEST 2012, mit BLUENECK, SWITCHBLADE, HEIRS, YEAR OF NO LIGHT, A DEAD FOREST INDEX, HIDDEN ORCHESTRA und vielen mehr.

Nach 2010 und 2011 war die Frage bezüglich des DENOVALI SWINGFEST 2012 nicht, ob wir fahren, sondern nur noch, in welchem Hotel wir übernachten werden. Das Festival des ungewöhnlichen Labels hat sich zu einem unverzichtbarem Event gemausert, bei dem Freunde der experimentellen Musik voll und ganz auf ihre Kosten kommen. Wo es 2011 noch zwei bis drei größere Headliner gab, scheinen sich DENOVALI RECORDS im Jahr 2012 auf ihren Sonderstatus zu verlassen und darauf, dass die Leute ohnehin kommen werden. Diese Rechnung scheint nicht ganz aufzugehen, denn trotz höherer Kosten wurden weniger Karten im Vorverkauf an die Frau und den Mann gebracht. Das ist äußerst schade, denn selbst wenn viele unbekannte Künstler auftreten, zu entdecken gibt es immer etwas, enttäuscht werden wir eigentlich nie. Dennoch: Viele bekannte Gesichter, die auch schon in den letzten Jahren zu sehen waren, suchen bei Schmuddelwetter Unterschlupf in der Weststadthalle mit dem sagenhaften Soundsystem und feiern einundzwanzig teils grundverschiedene Bands und Künstler.

Freitag, 5. Oktober 2012

Es tut eigentlich nichts zur Sache, wie wir angereist sind, welche Aufregung es am frühen Morgen gibt. Oder etwa doch? Tatsache ist, dass wir mehr oder weniger planmäßig 10 Minuten später als ursprünglich gedacht in Essen eintreffen, bereits DOMINIC verpasst haben und zunächst einmal von der Anreise geschlaucht sind. So kommt es, dass wir die in der zunächst spärlich besuchten Halle spielenden ACHIM MOHNÉ und PHILLIP JECK einfach verpassen. Sorry!

ONEIROGEN

 

 

Bei dem New Yorker Gitarrenkünstler Mario Diaz de Leon alias ONEIROGEN sind wir aber dann ganz Ohr. Der Musiker, der optisch auf Black Metal schließen lässt, holt aus seinem Instrument alles heraus, was geht. Brachiale Drones untermauern die Soundwand, darüber werden marternde Töne gelegt, es pulsiert permanent. Daneben spielt ONEIROGEN Doom-Riffs, Black Metal-Riffs und todtraurige Melodien, die alle geloopt und verfremdet werden. Dabei geht der New Yorker nicht willkürlich vor, sondern agiert nach Plan, er spielt die Songs seines Albums Hypnos nach, mit ein paar künstlerischen Freiheiten hier und da, aber doch kongenial. Eine Stunde dauert dieses unglaublich laute Martyrium, das teils an der Grenze zur Qual ist. Aber es ist ein beeindruckender Auftritt voller Konsequenz und Können, der nachhaltig verstört. Ich glaube, Mario Diaz de Leon wollte genau das.

A DEAD FOREST INDEX

A

 

Die beiden jungen Australier Sam und Adam Sherry haben mit der EP Antique bereits mein Herz gewonnen. Gothic Rock und Indie wie frisch aus den Achtzigern, mit einem sagenhaften Weitblick versehen, das kommt von A DEAD FOREST INDEX. Hohe Erwartungen lasten auf den Brüdern, doch die beiden traurig drein blickenden Musiker, so wunderbar schüchtern wie sie sind, gewinnen die Sympathien des Publikums von Anfang an. Gitarrist Adam erinnert durch seine Performance schwer an Ian Curtis von JOY DIVISION, mit dem Unterschied, dass er viel besser singt. Krude Rhythmen und Songaufbauten werden in Kauf genommen, um daraus teils Hits, teils experimentelle Nummern und teils schlicht Gänsehautmomente zu erzeugen. Mit Hilfe eines Loops und einer Handvoll Effekte sind A DEAD FOREST INDEX in der Lage, auch zu zweit die Songs der EP problemlos wiederzugeben. Und gerade die Acapella-Momente wie in A New Layer sind zum Sterben schön. Neben den Songs von Antique hören wir außerdem viele Stücke vom kommenden Debütalbum, das verspricht richtig groß zu werden. Bestes Beispiel: das abschließende, schaurig-schöne Cast In Lines. Ein bewegender Auftritt!

HEIRS

HEIRS

 

Apropos bewegend: Bei HEIRS fließt die Lava auf den Projektionen, die Erde platzt auf, das Innere wird nach außen gekehrt. HEIRS, nun als Trio ohne Gitarrist Ian Jackson und Keyboarder und Thereminspieler Miles Brown unterwegs, waren schon immer schmutzig und verdorben und werden es auch immer bleiben. Egal ob wegen der rot leuchtenden Penislampe auf der Bühne, der gewagten Lederkombi am Leib von Gitarrist Brent Stegeman oder eben der Musik. Es ist mehr als nur unterschwellig sexuell, was HEIRS zu dritt abliefern, die unglaublich schwere, pulsierende Musik fräst sich gerade live ins Hirn. Der Titelsong von Fowl, Burrow, das Stück Hunter von der gleichnamigen EP und das abschließende Russia vom Debüt Alchera, alles groovt, betört, verstört. Obwohl ein Gitarrist weniger an Bord ist, sind HEIRS noch lauter – mehrere Amps pro Person machen das möglich. Dafür gibt es auch weniger noisige Gitarrenwalzen und mehr klare Strukturen zu hören. Das Set von HEIRS ist überraschend kurz und brachial, aber als Schlagzeuger Damian Coward mit der Snaredrum um sich schmeißt und die Becken umwirft ist unmissverständlich klar, dass die diesjährige Europatour von HEIRS zu Ende ist.

A WINGED VICTORY FOR THE SULLEN

A

 

Die Überraschung des Tages kommt sehr spät, aber dafür gewaltig. A WINGED VICTORY FOR THE SULLEN ist das Projekt des Komponisten Dustin O´Halloran, der unter anderem den Soundtrack von Marie Antoinette schrieb, und STARS OF THE LID-Gründer Adam Wiltzie, die zusammen mit einem Streichertrio so unglaublich zärtlich, schöne und liebevolle Musik erschaffen, dass das Wort verzaubern eine ganz neue Bedeutung erhält. Manchen mögen die Highlights fehlen, manche könnten sich wünschen, dass mehr die Zähne gezeigt werden, aber Tatsache ist, dass es das nicht braucht, zumindest live. Das Album des Duos erscheint hier und da etwas seicht, live hat die Mischung aus Ambiente und Klassik jedoch viel Substanz, allein schon weil es sich anfühlt, als wäre alles von den Streichern und der Harfe getragen. Kitsch und Pathos wird dabei gekonnt umschifft, auch trotz Songtiteln wie A Symphony Pathetique. A WINGED VICTORY FOR THE SULLEN sind auf einer Ebene mit ÓLAFUR ARNALDS: Frei von reißerischen Momenten, dafür mit großen Gefühlen, da macht sich schnell am ganzen Körper Gänsehaut breit. Diese kleine Nachtmusik vergeht wie im Fluge, mit diesen Engelsklängen im Kopf und einen ordentlichen Schlummertrunk, gleiten wir ins Reich der Träume.

Samstag, 6. Oktober 2012

Kultur ist wichtig, das Bochumer Bergbaumuseum sehr interessant, und das anschließende Speisen essentiell für den kommenden Kampf. Allerdings ist der Nachmittag schneller vorbei als uns lieb ist, weshalb ich voller Scham zugeben muss, THE PIRATE SHIP QUINTET verpasst zu haben, trotz hoher Vorfreude. THISQUIETARMY, alias Eric Quach kann mich noch ein paar Minuten in ihren Bann ziehen, live etwas mehr als auf Platte, aber die Mischung aus Shoegaze und Ambiente beherrschen andere besser.

YEAR OF NO LIGHT

YEAR

 

Essentiell ist die Show von YEAR OF NO LIGHT, zumindest für diejenigen, die es heavy brauchen. Mit insgesamt drei Gitarren, einem Bass und zwei Drumkits nebst zwei Synthesizern ziehen die sechs Musiker aus Baronne in die Schlacht und liefern die derbste Rockshow des Festivals ab. Die unmöglichen Bärte der Musiker stehen in gegensätzlicher Proportionalität zu der Qualität der Riffs – denn die sind unbestreitbar geil. Die Heaviness steht bei YEAR OF NO LIGHT ganz klar im Vordergrund, und gerade bei dieser Instrumentierung rumst da Einiges. Material von Ausserwelt bis hin zu Møn von der Split mit ALTAR OF PLAGUES überrollt uns, Doch das Gefühl ist ebenso stets präsent. Glücklicherweise vergessen YEAR OF NO LIGHT nicht die Zugänglichkeit, ihre langen Kompositionen lassen wieder eine Affinität für Melodien durchklingen. Schlagzeuger und Keyboarder Mathieu ist eine energiegeladene Rampensau, aber auch die anderen fünf Instrumentalisten beschränken sich nicht auf eine statische Performance. Die treibende Musik steckt nicht nur die Musiker an, auch die Zuschauer werden angefixt. Sicher ist: Auch wenn im Publikum niemand ausflippt, bei keinem anderen Auftritt des SWINGFESTES sind wir näher an einem Moshpit dran.

GREG HAINES

GREG

 

Kontrastprogramm im Anschluss. Der englische Pianist GREG HAINES versucht sich am Spagat zwischen elektronischer Musik und Neoklassik. Die Pianoarbeit von GREG HAINES ist größtenteils sehr ruhig und leise, die immer wieder eingeschobenen Trip Hop-Elemente sind simpel gehalten, aber umso wuchtiger. Die Übergänge zwischen den Extremen sind recht weich, genügend Dynamik ist allerdings jederzeit in der Musik. Ein wenig fehlt die Selbstironie, die Gewitztheit, GREG HAINES ist etwas zu steif hinter seinem Piano und seinem kleinen Mischpult. Ein Fall für Homelistening? Mit ziemlicher Sicherheit, ja.

BLUENECK

BLUENECK

 

Bristol´s Finest BLUENECK wird wohl alt. Als das quirlige Gespann nach nur einer Woche Tour in der Weststadthalle aufschlägt, steht ihnen die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Auf der Bühne ist alles verflogen, auch wenn man nach wie vor eher von englischem Understatement, denn von einer großen Rockshow sprechen muss. Dafür sind die Emotionen allesamt echt und ungefiltert. Wunderbar unperfekt ist der Auftritt, der BLUENECK zusätzlich authentisch wirken lässt. Duncan Attwood und seine Männer fokussieren sich auf Material von ihrem besten Werk The Fallen Host, mit Seven geht es dramatisch in die Vollen, Revelations ist ein einziger Stich ins Herz, auch dank Attwood, der hinter dem Flügel wie in seiner eigenen Welt wirkt. Dazu seine zerbrechliche, leise Stimme als Kontrast zur ausladend agierenden Rockband. Mit Pneumothorax und Venger wird auch Repetitions beachtet, Epiphany vom Debüt Scars Of The Midwest geht außerdem tief unter die Haut. Lediglich Epilogue, das neue Zwischending aus EP und Album, wird auch aufgrund des Projektcharakters außen vor gelassen. Dafür gibt es zweimal totale Gänsehaut, einmal mit dem Medley aus Weaving Spiders Come Not Here, das Lilitu gekonnt umschmeichelt, und ebenso als Tourpartner CARLOS CIPA die Band zu Low begleitet und nicht nur die Harmonie zwischen den Künstlern offen gelegt wird, sondern auch, wie gut sie musikalisch zusammen passen. Eine Stunde lang Gänsehaut. Ganz ehrlich: So gut habe ich BLUENECK noch nie gesehen.

BERSARIN QUARTETT

Thomas Bückners Projekt ist live nicht gerade einfach zu konsumieren, auch wenn es im letzten Jahr grandios war. Minimalste Beleuchtung auf der Bühne, so dass man den Bassist und den Schlagzeuger nur erahnen kann. Die cineastische Musik von BERSARIN QUARTETT wirkt zu Hause unglaublich gut, die unterschwellige Dramatik kommt dieses Jahr live nur schwer zur Geltung. So schön es ist, dass Bückner den Film im Kopf der Hörer nicht mit einer eigenen visuellen Idee zu verwässern versucht, so schade ist es, dass nicht wenigsten ein paar Lichter für Untermalung sorgen. Immerhin: BERSARIN QUARTETT klingen live deutlich organischer als im Wohnzimmer, vor allem dank dem Schlagzeug. Und auch die Songs stimmen. Vor allem spielen die Musiker Stücke aus dem Debütalbum wie Oktober, Inversion und Mehr als alles andere, das Zweitwerk II wird mit Niemals zurück und Perlen, Honig oder Untergang eher am Rande bedient, zum Abdriften eignen sich jedoch die Songs von beiden Alben. Zweifellos ein guter Auftritt, das BERSARIN QUARTETT könnte aber live noch etwas konsequenter sein, mit größerer Besetzung und einem optischen Element.

MORITZ VON OSWALD TRIO

Entfällt für mich aus Gründen der sozialen Festivalkomponente. Und weil die Leute auf der Bühne so motiviert wirken wie der Finanzbeamte deines Vertrauens. Musikalisch ist der seltsame, mit Percussions versehene Ambient-Techno leider auch nicht meine Tasse Tee.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Gestärkt ans Werk, heute mit etwas mehr Schlaf und besseres Wetter, um auch mal vor der Halle ein wenig frische Luft schnappen zu können. Schade: Weniger Leute als gestern sind vor Ort.

N

N

 

Bei Lokalheld N ist der Konzertsaal nur äußerst spärlich gefüllt. Schade, denn es lohnt sich auch, den Musiker N ohne KODIAK wie in den Jahren zuvor zu sehen. Der sitzt mit seiner Gitarre vor einer Menge Effekten und liefert sphärische Ambientmusik ab, sanften Drone, der klingt wie eine Kommunikation mit dem Universum. Am besten hinsetzen und in der verdunkelten Halle an die Decke stieren, die philosophischen Gedanken kommen da von ganz alleine. N ist ein begabter Soundbastler, der es schafft, dass die Gitarre auch mal nach einer Orgel oder einem abgefahrenen Synthesizer klingt. Viel Wiedererkennungswert hat das natürlich nicht, improvisiert ist das alles obendrein. Aber N schafft es dennoch, das Publikum eine Stunde lang zu verzaubern.

SWITCHBLADE

SWITCHBLADE

 

Es laufen nicht gerade Wetten, aber ich bin mir sicher, dass SWITCHBLADE denselben Grad an Heaviness erreichen wie YEAR OF NO LIGHT am Vortag. Nur mit dem Unterschied, dass SWITCHBLADE eben zu zweit, maximal zu dritt sind. Gitarrist Johann Folkesson und Schlagzeuger Tim Bertilsson sind eine Duo, das in der Einheit Doom sogar zu denken scheint. SWITCHBLADE, die sich vor wenigen Wochen mit ihrem neuen Album aus einer Art Krise heraus kämpften. Dass sie es auch zu zweit schaffen, live ein bretthartes Set abzuliefern, das war 2010 schon so und wird auch so bleiben. Spannender ist die Tatsache, dass SWITCHBLADE auch zu zweit hervorragende Songs schreiben können, die mal am Nullpunkt der Geschwindigkeit sind, dann wieder in Boogie-Regionen vordringen. Als Gast ist David Johansson von KONGH mit dabei, der mit einer etwas gezwungenen Performance den neuen Songs seine Stimme leiht. Der Cuckoo von TERRA TENEBROSA ist leider nur vom Band zu hören, Jonas Renkse gar nicht. Die Visuals passen zur klanglichen Zerstörung wunderbar, mehr einstürzende Türme, Brücken, Fabriken und ähnlichen Kram sieht man nicht mal bei privaten Nachrichtensendern. SWITCHBLADE haben nichts verlernt. Sie liefern einen guten, brachialen, jedoch nicht so nachhaltig beeindruckenden Auftritt wie ihre französischen Kollegen am Vortag.

SAFFRONKEIRA

SAFFRONKEIRA

 

Obwohl die Vorfreude auf SAFFRONKEIRA recht groß ist, verwundert es nicht, dass ich nicht die ganze Show sehe. Der italienische Soundbastler Eugenio Caria hat mit dem Doppelalbum A New Life für eines der meistgehörten Alben im Hause Chaos gesorgt, ganz einfach weil es perfekte Musik zum Lernen ist. Live wird leider recht wenig Aufregendes geboten. Ein Musiker hinter einem Macbook vergraben, der mit seinen Spielereien und Gerätschaften das Album nachbaut. Liveaction ist etwas anderes, und im Gegenzug zu N kann Eugenio Caria live nicht die spirituelle Komponente und Magie erschaffen. Sorry SAFFRONKEIRA, ich höre deine Musik lieber wieder zu Hause.

CARLOS CIPA

CARLOS

 

Er ist dreiundzwanzig Jahre jung, gut erzogen, sehr talentiert und wird vom Labelboss erst mal mit BLUENECK auf Tour geschickt. Damit er verdorben wird, oder was? Aber CARLOS ist stark und besteht auch diese Prüfung. Mit BLUENECK verbindet ihn nun eine große Freundschaft, deshalb ist es schade, dass sie schon wieder im heimischen Bristol sind, als CARLOS CIPA sein Set beginnt. Der Pianist aus München ist ein höflicher, ein wenig schüchterner Künstler, der seine Emotionen in seine Musik steckt und einfach richtig gute, schöne Stücke schreibt. Auf dem Album The Monarch And The Viceroy mag das alles ein wenig stimmungsabhängig sein, live reißt CARLOS CIPA aber alle mit. Prätentiös ist hier gar nichts, glaubhaft ist hingegen alles. Von Human Stain über Lost And Delirious, den Titelsong, Morning Love und eine kleine Improvisation, hin zu The Whole Truth gibt es Songs mit unterschiedlichsten Stimmungen, die alle gemeinsam haben, dass sie liebevoll gespielt und geschrieben wurden. CARLOS CIPA beim Spielen zu sehen und zu hören ist ein kleines Erlebnis. Entsprechend euphorisch sind Reaktionen des Publikums, das zu gut achtzig Prozent eine sitzende Position einnimmt. Lehne ich mich weit aus dem Fenster, wenn ich ihm eine große Zukunft vorher sage? Ich denke nicht.

HIDDEN ORCHESTRA

HIDDEN

 

Außer Konkurrenz spielen HIDDEN ORCHESTRA, nach dem phänomenalen Siegeszug im Jahr 2011 hält das Ensemble aus Schottland dieses Niveau mühelos. Bassist Joe Acheson, seine beiden Schlagzeuger, Violinistin und Pianistin POPPY ACKROYD und der Gasttrompeter Phil Cardwell schaffen das mühelos, an dem sich anderen die Zähne ausbeißen: Eine unsagbar smoothe, völlig analog klingende Version von Trip Hop und Jazz, die mit elektronischen Elementen, viel Liebe zum Detail und einem zwingenden, aber trotzdem lockeren Groove versehen ist, der das gesamte Publikum in Ekstase bringt. Archipelago, das zweite Album von HIDDEN ORCHESTRA ist jüngst erschienen und entsprechend viele neue Songs finden den Weg in das Set, angefangen mit dem zurückhaltenden Overture, dem pulsierenden Spoken und dem sagenhaften Seven Hunters mit seinem ausufernden Bläsereinsätzen. Im direkten Vergleich mit bekannten Stücken wie Dust, Strange, Flight und Antiphon wird deutlich, dass bei den neuen Songs qualitativ eine massive Hürde genommen haben, auch wenn das Material von Night Walks wunderbar ist und bleibt. Die Musiker spielen virtuos und mit Weitblick, die Interaktion der beiden Drummer ist sensationell, die entspannten bis vergnügten Gesichtsausdrücke der Musiker sprechen Bände. Das steckt auch das SWINGFEST-Publikum gnadenlos an. Klare Sache, mit ihrer Lockerheit und ihren Songs, die Bands von MASSIVE ATTACK bis THE KILIMANJARO DARKJAZZ ENSEMBLE vor Neid erblassen lassen, sind HIDDEN ORCHESTRA auf diesem Festival konkurrenzlos gut.

MURCOF

MURCOF

Bevor wir melancholisch werden und der Abschied vom DENOVALI SWINGFEST 2012 anfällt, ist es an dem mexikanischen Soundbastler MURCOF, für eine Ehrenrettung der sogenannten Notebook-Acts zu sorgen. In der Tat beherrscht MURCOF sein Handwerk, auch wenn er auf der Bühne eher aussieht wie ein Rentner, der im Computer-VHS-Kurs sitzt. Die ruhigen, aber pulsierenden Ambient-Klänge sind auch eher zum Hausgebrauch, live funktioniert das dennoch besser als SAFFRONKEIRA, einerseits wegen der bizarren Visuals, andererseits wegen der doch nahbareren und etwas melodischeren Musik. Als Soundrack für einen philosophischen Science Fiction-Film könnte die Musik freilich durchgehen, und die wenigen Festivalbesucher, die jetzt noch da sind, lassen sich bereitwillig eine Stunde lang final treiben.

Epilog

Mit dem Auftritt von MURCOF endet die 2012er Ausgabe des SWINGFEST, das ein wenig magerer besucht ist, als in den Vorjahren, vielleicht auch weil die Zugpferde fehlen. Qualitativ gibt es wie üblich nicht viel auszusetzen: Eine Menge unkonventionelle, experimentelle und künstlerisch wertvolle Bands, ein paar positive Überraschungen, nur wenige Ausfälle bestimmen das musikalische Programm. Dazu kommt die nette Festivalcrew, das entspannte und freundliche Publikum, so dass wir uns sicher sind: Auch 2013 sind wir wieder dabei.

 

Text: Captain Chaos / Fotos: Florian Schneider / scatterlens.net & vampster.com

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