SKUNK ANANSIE: Paranoid and Sunburnt

Eine der wichtigsten, gewaltigsten und eindringlichsten Scheiben der Neunziger.

Mein erster „Hell Of Fame“-Artikel. Nicht gerade leicht auszuwählen, wem meine Ehrerbietung dabei gelten soll, immerhin ist es doch eine Kür der ganz besonderen Art.

Warum es schließlich SKUNK ANANSIE mit ihrem Debüt (!) „Paranoid And Sunburnt“ geworden sind? Weil sich diese Platte zur Zeit, trotz aller – aktueller oder ewig guter – Konkurrenz, mal wieder ohne absehbaren Moment des Überdrusses in meinem CD-Player befindet und so heftig rockt wie wenige andere.

Mit „Paranoid And Sunburnt“ veröffentlichten SKUNK ANANSIE 1995 eine der gelungensten Scheiben des Jahrzehnts. Jeder Song, jede Textzeile drückt so viel Empfindsamkeit, so viel Feingefühl gegenüber der Welt und so eine besondere Sichtweise ihr gegenüber aus, dass es mir auch nach nun zehn Jahren noch kalt den Rücken runterläuft, wenn ich Skin beim Hassen, Lieben, Sehnen und Durchdrehen zuhöre.

Ihr Gesang trifft mitten ins Herz, ihr Wahnsinn weckt Lebensgeister, ihre Wut transportiert eine rüde Gewalt an Emotion und hat auch heute noch nichts ihrer Berechtigung eingebüßt.

Ganz abgesehen davon die unglaublich treibende Kraft der Instrumente. Die Musiker hinter Skin (bei einer Frontfrau wie ihr steht wohl jeder „nur“ im Hintergrund) laufen gleichförmig den Amok mit, walzen soundtechnisch alles nieder und spazieren leichtfüßig durch die selbst verursachten Trümmer.

Wer sich anno 1995 das Debütalbum dieser neuen, vielversprechenden Band zulegte, stellte bereits nach wenigen Songs fest: Da war eine Truppe am Start, die sich daran machte, aufzumischen. Und zwar richtig. Etwas vergleichbar Gnadenloses kannte die Rockwelt damals nicht, viele verabschiedeten sich noch widerwillig von der Grunge-Ära, doch dann läuteten SKUNK ANANSIE zum Paukenschlag. Das lange gehegte Vorurteil, Frauen können nicht rocken, wurde ad hoc widerlegt, Deborah Anne Dyer alias Skin fegte es vom Tisch, gab es der Lächerlichkeit preis.

Ähnlich brüllten vor zehn Jahren nur RAGE AGAINST THE MACHINE ihre Empörung ins Gesicht der Masse, mit den Unterschied, dass SKUNK ANANSIE noch einen Schritt weitergingen. Ihre Mission war nicht nur Anklage des Establishments, sie stellten die Gesellschaft an sich vor den Kadi.

Ihre Texte pflanzten sich direkt im Herzen der Hörerschaft ein, weckten auf und rissen mit ihrer Wucht an Authenzität dort Wunden, wo die Welt schon lange für eine fette Hornhaut gesorgt hatte.

Songs wie „Selling Jesus“, „I Can Dream“ und „All In The Name Of Pity“ knallen Wut im Reinformat vor den Latz, schleudert den noch unschuldigen Hörer mitten in den kochenden Wahn. Selten wurde Raserei in so intelligente Texte umgesetzt, selten so geniale Melodien mit ähnlich unkontrolliert wirkender, innbrünstiger Schreierei unterlegt. Doch was das Album wirklich einzigartig macht, ist die Spielerei mit den leisen Tönen. Gerade dann, wenn Skin leise leidet, wenn sie ihren Groll nur noch flüstert, wenn die fetten, wuchtigen Gitarren zur Ruhe kommen, gewinnt „Paranoid And Sunburnt“ nur noch mehr an Substanz und Eindringlichkeit.

Auch die sanfteren Songs, „Weak“, „100 Ways To Be A Good Girl“ und „Charity“ tun dazu ihres, gönnen zwar dem Puls eine kurze Verschnaufpause, eröffnen aber durch ihre beschwörende Atmosphäre eine weitere Facette des Zuhörens, zeigen die Verletzlichkeit hinter all der Aggression.

Die Mischung aus spielen, als gäbe es kein Morgen und singen, um Augen zu öffnen für ein schöneres Morgen, das war es, was SKUNK ANANSIE groß machte. 2001 gaben die Mitglieder ihre Auflösung bekannt, da sie ihrer Meinung nach alles erreicht hatten. Kein alltäglicher Grund, der aber durch den schlagenden Erfolg dieser Ausnahmetruppe, die mit nur drei Alben mehr als vier Millionen Platten verkauften, mehr als berechtigt klingt.

Veröffentlichungstermin: 14.09.1995

Spielzeit: 44:14 Min.

Line-Up:
Deborah Anne Dyer aka Skin – Gesang

Martin Ivor Kent aka Ace – Gitarre

Mark Richardson – Schlagzeug

Richard Keith Lewis aka Cass – Bass

Label: One Little Indian Records/Virgin

Tracklist:
Selling Jesus

Intellectualise My Blackness

I Can Dream

Little Baby Swastikkka

All In The Name Of Pity

Charity

It Takes Blood & Guts To Be This Cool But I´m Still Just A Cliche

Weak

And Here I Stand

100 Ways To Be A Good Girl

Rise Up

Total
0
Shares
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner