Tragisch, tragisch, und ein potentieller Genickbruch: Da verlässt der Sänger die Band, kurz bevor man vielleicht den großen Durchbruch schaffen könnte. Jahrelang ackert man und rackert man, bespielt entlegene Klitschen, und dann klafft da auf einmal diese riesige Lücke, die gefüllt werden muss. Von jemandem, der bitteschön im gleichen Maße wie sein Vorgänger die Doppelbelastung von heavy-as-fuck-Growls- und -Shouts einerseits, und kraftvollem Cleangesang andererseits meistern möge, damit´s der zeitgemäßen Melange aus vertracktem Zerrgitarren-Staccato und Breitbild-Epik entspricht.
Nein, die Rede ist nicht von TEXTURES, die den Abgang ihres fabelhaften Sängers Eric Kalsbeek verkraften mussten, sondern von ihren Landsmännern CILICE, die an die nicht unbedingt besseren, aber renommierteren Kollegen ihren Frontmann abtraten: Daniel de Jongh, dessen Stimmbänder von Gott höchstselbst geschmiedet, von dessen Sohn eingepflanzt und vom Heiligen Geist geweiht wurden.
Vielleicht ist das alles Gottes Wille, und das CILICE-Debut Deranged Headtrip diente nur dazu, de Jongh bekannt zu machen, und das entbehrungsreiche Touren sollte für Blindflug-Bühnenroutine sorgen, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er von einem Championslegisten aus der Kreisklasse herausgekauft wird.
So geschah es auch, und TEXTURES´ Neuverpflichtung ist mehr als nur ein Kalsbeek-Ersatz: War de Jongh schon auf Deranged Headtrip grandios, so ist er hier überragend, sogar einen Tacken fieser und dreckiger als sein Vorgänger, und bei den clean vocals einen Hauch rauher und maskuliner. Alles in allem – dies sei der letzte Satz zur Musiker-wechsle-dich-causa – ein Glücksgriff sonder gleichen. Und dennoch erweisen sich die Wege des Herrn als unergründlich, und sein Los als zwiespältig: Er gab TEXTURES einen neuen Wundersänger, nahm ihnen als Band jedoch alle musikalische Inspiration und Kreativität. Eloi! Eloi! Warum hast du das Sextett verlassen? Und: Wie klingt das nun?
Mit Arms of the Sea eröffnet das nunmehr vierte Album, und der Song wird sich wohl auch an erster Stelle der Live-Setlist wiederfinden: Ein paar breite Dur-Akkorde als Intro, um sich eine Minute lang (auf und vor der Bühne) warmzumachen und einzugrooven, dann ein sparsam verknotetes Vers-Riff, abgelöst von einem Chorus aus der Schmiede Devin Townsends. Hello, we are TEXTURES from Holland! It´s good to be back again, und im nächsten, sehr ruhigen Part darf unser neuer Sänger zeigen, was er drauf hat, bevor wir den Song nochmal von vorne nudeln und erst am Ende einen Groove und ein paar interessante vertrackte Rhythmen hervorkramen.
Black Horse Stampede könnte gut von THE OCEAN stammen (An welche man immer wieder denken muss, und zwar wehmütig), Lava-Riffs im Mid-Tempo; mit schlichten, aber dramatischen Steigerungen gen Ende, die in ein Finale münden, bei dem man dann doch freudig die Fäuste gen Himmel recken möchte. Spätestens bei diesem zweiten Song wird offensichtlich: TEXTURES haben ihren Sound perfektioniert, und nun steht sie, diese undurchdringliche Wand, die live ja stets zur Geltung kam, gerade bei den eher auf Direkteinwirkung bedachten Parts, und mit welcher TEXTURES Unmengen an akustischer Energie und Euphorie ins Publikum zu ballern pflegten. Zudem: Es gelingt ihnen, diesen Sound auf Platte zu bannen und zu veredeln.
Aber es drängt sich ein Verdacht auf: Sind TEXTURES akut an eben diesem keep-it-simple erkrankt? Ist ihnen der Sinn für reizvolle, gewitzte, mehr als nur zweckdienliche Riffs und Songs abhanden gekommen? Oder sind die Zeiten von Frickelei und Prog generell und gewollt vorbei?
Der Verdacht wird vonReaching Home unterfüttert, ein Aufguss des Songs Awake vom Vorgängeralbum Silhouettes, also semi-balladesk, poppig und somit auskopplungsfähig; der Videoclip hierzu macht bereits die Runde. Zugegeben: Der Song ist nice! Aber nunmal auch… nett. Im wenig löblichen Sinne. Reaching Home nimmt sich zurück und ist schmerzhaft beiläufig, übt sich in Radiotauglichkeit, und vor dem Hintergrund des heftigen Sounds, wie ihn Bands à la TEXTURES fahren, riecht er nach Anbiederung und Kalkül. Wo Devin Townsend Regenbögen an den Himmel zaubert, und dabei niemals auch nur ein Gramm kitschig wird, da habe ich hier das Bild eines Daniel de Jongh vor Augen, der von der Bühne herab Zuckerwatte verteilt, und für die Großen gibt´s Wunderkerzen.
Ehe man´s sich versieht, ist die Platte bereits durchgelaufen, nichts ließ aufhorchen, nichts blieb hängen, und weitere Touren führen zu keinem wesentlich anderen Ergebnis, es liegt auch kein verkappter Grower vor. Keine überraschende Volte, kein Riff mit Gesicht, und sogar Stef Broks Drumming mag nicht so recht zur Geltung kommen; seine Genialität muss hinter der schnöden Tünche, die TEXTURES da zusammengeschubbert haben, erst mühsam herausgehört werden.
Was nun die Gründe dafür sind, dass Dualism solch einen rundum uninspirierten Durchhänger in der Diskographie darstellt, das – lässt man das Götterlos außen vor – bleibt der Spekulation überlassen. Vielleicht haben TEXTURES ihr Pulver verschossen und sind in der kreativen Sackgasse angelangt, in der man sie mitunter bereits mit Silhouettes wähnte. Vielleicht werden sie sich berappeln, so wie es SOILWORK nach dem lustlosen Sworn to a Great Divide, in Form von The Panic Broadcast, gelang. Vielleicht stehen TEXTURES mit einem Bein dort, wo NEVERMORE seit geraumer Zeit beidbeinig stehen: auf dem Altenteil. Vorzeitig ergraut. Metal-Geschichte.
Vielleicht aber dient Dualism auch nur dem Zweck, die Zweitgeborenen CILICE bekannt zu machen. Die Wege des Herrn sind und bleiben unergründlich.
Veröffentlichungstermin: 23.09.2011
Spielzeit: 56:20 Min.
Line-Up:
Daniel de Jongh – Vocals
Jochem Jacobs – Guitar
Bart Hennephof – Guitar
Remko Tielemans – Bass
Stef Broks – Drums
Uri Dijk – Keyboards
Produziert von TEXTURES
Label: Nuclear Blast
Homepage: http://www.textures.nl
Tracklist:
01. Arms Of the Sea
02. Black Horse Stampede
03. Reaching Home
04. Sanguine Draws The Oath
05. Consonant Hemispheres
06. Burning The Midnight Oil
07. Singularity
08. Minor Earth, Major Skies
09. Stoic Resignation
10. Foreclosure
11. Sketches From A Motionless Statue