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KATATONIA & SOLSTAFIR – Konzertbericht Stuttgart LKA Longhorn, 27. Januar 2023

Man muss nicht unbedingt sprechen, um zu kommunizieren – man kann auch wie SOLSTAFIR-Sänger Aðalbjörn Tryggvason einfach erstmal lange nix sagen und trotzdem Kontakt zu Publikum und einzelnen Fans aufnehmen. Mit eindringlichen Blicken und Gesten brach der Isländer das Eis in Stuttgart schon ganz zu Beginn des Sets. Eisig waren die Temperaturen übrigens nur draußen, das LKA war gestopft voll und dürfte so gut wie ausverkauft gewesen sein, trotz Aushang, dass es an der Abendkasse noch Tickets für 45 Euro gebe.

Kaltes Licht, wabernder Nebel, ein sphärisches Intro und Männer mit Hüten aus der Bühne: Im ersten Moment hätte man fast meinen können, das stünden FIELDS OF THE NEPHILIM auf der Bühne – was sich aber schnell änderte, denn Aðalbjörn Tryggvason  ist ein fittes und agiles Kerlchen, der die riesige Bühne über das ganze Konzert mühelos ausfüllen konnte.

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Männer mit und ohne Hüte: Bassist Svavar Austmann, Sänger Aðalbjörn Tryggvason, Gitarrist Sæþór Maríus Sæþórsson (von links nach rechts)

SOLSTAFIR setzten auf alte Songs auf der Setlist

Den Einstieg machen SOLSTAFIR auch all jenen leicht, die sich mit dem aktuellen, stellenweise doch recht emotionsarmen Album „Endless Twilight Of Codependent Love“ schwertun. Sie wählten mit Náttmál“ (vom 2014er Album „Otta“) und „Köld“ (vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2009) zwei alte Songs aus – und schickten das Publikum mit dem Wechsel aus Krachorgien und ruhigen Momenten plus schiefem, aber unglaublich emotionalem Gesang auf einen Trip, dessen Ziel jeder selbst auswählen kann.

Die Bühne ist nicht genug!

Während Bassist Svavar Austmann, mit Hut, Zöpfen und Sonnenbrille, ein bisschen rumposte, blieb Gitarrist Sæþór Maríus Sæþórsson, ebenfalls mit Hut, recht ruhig auf seiner Bühnenhälfte. Bringt ja auch nichts, wenn sich die beiden viel Mühe beim Stageacting geben. Die Blicke sind ohnehin immer auf den Sänger gerichtet, der seinen Aktionsradius immer wieder erweiterte und sich auch ein paar mal in den Fotograben zu den Fans in der ersten Reihe und schließlich sogar ans andere Ende der Halle begeben hatte. Verfolgt übrigens von einem Roadie und einem Security-Mann, die ihre liebe Mühe damit hatten, das Mikrokabel hinterherzutragen und wieder zu entwirren. Ja, man lebt bei SOLSTAFIR offenbar noch in einer analogen Welt. Unvergesslich wird der Anblick bleiben, wie Tryggvason mit seinen Cowboystiefeln den biernassen Theken an der Seite der Halle als Schlitterbahn nutze und nach seinem Ausflug in die Mitte des Publikums über die Getränkelachen wieder vor zur Bühne glitt.

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Verkehrte Welt: Ganz hinten steht SOLSTAFIR-Sänger Aðalbjörn Tryggvason auf dem Tresen statt auf der Bühne

Ein persönliches Dankeschön für ausgesuchte Fans

Inzwischen sprach er das Publikum auch direkt an, sogar ein kleines Mitsingspielchen veranstaltete er – mal mit Gitarre, mal ohne Gitarre, zwischendurch noch ein paar evil Black Metal-Posen und irre Blicke, zu sehen gab es definitiv genug. Und ich könnte wetten, dass seine Flying V-Gitarre ziemlich neu und ziemlich teuer war, die behandelt er beim Instrumentenwechsel auf der Bühne nämlich ganz besonders sanft. Den letzten Song „Goddess Of The Ages“ widmete er schließlich allen Frauen im Publikum (es waren für ein Metal-Konzert tatsächlich sehr viele). Beim Verabschieden zeigten SOLSTAFIR dann noch eine besonders schöne Geste: Sie warfen Pleks und Setlist nicht einfach nur ins Publikum, sondern überreichen sie einzelnen Fans persönlich.

Setlist SOLSTAFIR Stuttgart, 27. Januar 2023

  • Náttmál
  • Köld
  • Melrakkablús
  • Rökkur
  • Bloodsoaked Velvet
  • Fjara
  • Otta
  • Goddess Of The Ages

KATATONIA

KATATONIA starteten mit „Austerity“ vom aktuellen Album „Sky Void Of Stars“ und hatten erstmal mit fiesen Soundproblemen zu kämpfen. Das herrlich arhythmische, immer bewusst ein wenig sperrige Schlagzeug war zu laut, die Gitarren zu leise, der Gesang gerade mal zu erahnen. Ab Mitte des Songs passte dann aber alles und es deutete sich an, was den Abend fast schon magisch machen würde: der perfekte und gleichzeitig ergreifende Gesang von Jonas Renkse. Später auch im Duett mit Gitarrist Roger Öjersson, zu zweit noch perfekter (ja, diese Steigerung ist in diesem Fall möglich!) und noch berührender. Nicht dabei war KATATONIA-Gitarrist Anders Nyström, er kann aus persönlichen Gründen nicht mittouren – seinen Bühnenpart übernimmt in den nächsten Wochen Nico Elgstrand (ENTOMBED A.D.).

KATATONIA setzten den Schwerpunkt auf das aktuelle Album “Sky Void Of Stars”

Den Schwerpunkt legten KATATONIA auf das aktuelle Album „Sky Void Of Stars“ und besonders „Birds“ war absolut mitreißend: dieses Gitarrenriff, das so ganz unauffällig an die guten alten Death Doom-Zeiten mit PARADISE LOST, MY DYING BRIDE und Peaceville erinnert, kombiniert mit den aktuellen KATATONIA – also emotionalen Gesang, nicht ganz so eingängigen Strukturen. Und dieses bewusst holprige Schlagzeug – bei dem das Herz immer einen kleinen Satz macht, wenn man gut zuhört. All das funktionierte auch live ganz wunderbar.

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KATATONIA-Scherenschnitt-Optik mit blendendem Licht und Nebel

Jonas Renkse: Ganz weit weg vom Metal-Macho-Ritual

Sein Gesicht versteckt Jonas Renkse hinter seinen Haaren, auch wenn er headbangt, lässt sich kaum ein Blick darauf erhaschen. Und überhaupt, er hat ein ganz eigenes Stageacting,  genaugenommen keines. Die Ehrlichkeit und Unbedarftheit, mit der er über die Bühne geht, mit überkreuzten Beinen dasteht und versteckt hinter Haarsträhnen zum Publikum spricht, ist absolut ungekünstelt. Seine Mitmusiker nimmer er gerne mal kurz in den Arm und lehnt sich an ihnen an – das ist ganz weit weg von Metal-Macho-Ritualen. Dazu gibt’s grelles Licht von hinten, Nebel ohne Ende und Stroboskopblitze. Es scheint, als ob KATATONIA die Songs wichtiger sind als Show – ein Blick gar in die Augen des Sängers ist an diesem Abend  unmöglich. Wer so gutes Material mitbringt, kann das auch gerne so machen.

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KATATONIA-Sänger Jonas Renkse sucht immer wieder die Nähe zu seinen Bandkollegen

Den KATATONIA-Hit singen alle mit

„Und jetzt kommt der einzige Hit, den wir jemals hatten“ kündigte Renkse „My Twin“ an. Den Refrain sang die ganze Halle mit und vermutlich hatte dabei auch jeder eine Gänsehaut. Die Musiker auf der Bühne haben sich jedenfalls sehr über die Reaktionen gefreut. Die Freude stand dem Gitarristen auch im Gesicht, als er nach dem (auch tatsächlich sehr hörenswerten) Gitarrensolo von „Behind The Blood“ Szenenapplaus bekam. Die beiden KATATONIA-Gitarristen hatten sich auch wirklich Mühe gegeben, die kleine 80er-Jahre-Reminiszenz auch optisch mit Standard-Rockstar-Posen in die Gegenwart zu holen. Das anschließende „Forsaker“, mit den modernen Riffs, wollte zunächst nicht so recht passen. Doch Drummer Daniel Moilanen hielt mit seinem unverkennbaren Stil alles irgendwie zusammen. Perfekt auch der Groove bei „Opaline“, das wie alle Songs live eine ganze Ecke härter wirkt. Übrigens: Sein Getränk (Weißwein? Sekt?) steht in einem Eiskübel neben dem Drumkit – der Mann hat Stil. Jonas Renkse nippt ab und zu an einem halb gefüllten Bierkrüglein mit einem coca-cola-farbenem Getränk. Und nach zwei Zugaben hat ihnen hoffentlich nochmal jemand was zu trinken gebracht – verdient haben sie es sich. Und wie Renkse schon während des Konzerts berichtete, war das Bier im Backstage schon vor dem Auftritt ausgetrunken, aber es sei ja auch Freitagabend.

Ein rundum gelungener Abend mit KATATONIA, den eigentlich nur noch ein ganz altes Stück wie “Brave” hätte besser machen können.

 

Setlist KATATONIA Stuttgart, 27. Januar 2023

  • Austerity
  • Colossal Shade
  • Lethean
  • Birds
  • Behind The Blood
  • Forsaker
  • Opaline
  • Buildings
  • My Twin
  • Atrium
  • Old Hearts Fall
  • Untrodden
  • July (Zugabe)
  • Evidence (Zugabe)

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Bilder-Galerien von KATATONIA und SOLSTAFIR in Stuttgart

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