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VINNIE VINCENT: A Full Shred Blitzkrieg Wild Fucking Record (Klassikerinterview von 1996)

Ein Klassiker-Interview mit meinem Lieblingsgitarristen von KISS aus dem Jahre 1996.



Interview mit Vinnie Vincent

Ort: Hamburg, Markthalle. Datum: 09.April 1996. Heute findet hier erstmalig eine KISS-EXPO statt. Waren es in den beiden letzten Jahren mit Peter Criss und Ace Frehley zwei Originalmitglieder, die als Special Guest auftraten, schickte sich diesmal VINNIE VINCENT an, den immer noch zahlreichen KISS-Fans das Kommen zu erleichtern.
Vinnie war Nachfolger des Original-Gitarristen Ace Frehley, welchen er 1982 ersetzte und gehörte zum Line-up, als 1983 der Entschluss gefasst wurde, nach fast zehn Jahren der Maskerade selbige fallen zu lassen. Die einzige Scheibe, auf der Vincent Cusano (so sein bürgerlicher Name) offiziell zu hören ist, ist “Lick It Up”. KISS-Fans dürfte der Name aber schon vorher aufgefallen sein, schließlich schrieb er bereits Stücke für das “Creatures Of The Night”-Album (das letzte offizielle Album mit Ace) und heimste Credits für das Stück “Tears” vom dritten Soloalbum des Original-Drummers Peter Criss (“Let Me Rock You”, 1982) ein. Nach seinem Ausstieg/Rausschmiss gründete er die VINNIE VINCENT INVASION, mit der er 1986 ein brillantes (“Invasion”) und 1988 ein gutes (“All Systems Go”) Album herausbrachte. Danach war irgendwie Funkstille, ehe der Name 1991 zum ersten Mal wieder auftauchte – und zwar als Co-Songwriter bei drei Stücken des bisher letzten KISS-Studioalbums “Revenge”.
Vinnie (übrigens das letzte KISS-Mitglied, das sich noch schminken musste) ließ die geschätzten 250 Fans zwar unverständlich lange warten, trat dann aber unter Beifall auf die Bühne, um einige mehr oder wenige intelligente Fragen zu beantworten. So erfuhren ich und die anderen Anwesenden einige mir bis dato unbekannte Facts, z.B. dass das Gitarrensolo beim Stück “Exciter” von “Lick It Up” nicht von Vinnie, sondern von Rick Derringer eingespielt wurde. Wir erfuhren ebenfalls, dass Vinnie nicht nur bekennender BANGLES-Fan ist, sondern auch Stücke für diese Band schrieb und einspielte. Außerdem konnte endlich ein lange gehütetes Geheimnis der Musikgeschichte gelüftet werden: Vinnie spielte während der ersten Wochen der “Creatures Of The Night”-Tour 1982 in den Stiefeln seines Vorgängers Ace Frehley, da seine eigenen noch nicht fertig waren!
Nach diesen Bekenntnissen gab es dann noch für alle Autogramme und für mich ein Interview mit dem Mann, der mit “I Love It Loud” und “Unholy” zwei der wohl besten KISS-Songs aller Zeiten schrieb, sowie mit “Lick It Up” mein Lieblings-KISS-Album mitgestaltete.

Was hast du seit dem Release der letzten VINNIE VINCENT-Scheibe denn so getrieben? Man hat nicht viel von dir gehört! Immerhin ist es acht Jahre her…

Nun, das alles hat mehrere Gründe. Doch bevor ich darauf eingehe, wollte ich sagen, dass es manchmal wirklich angenehm ist, eine Weile zu verschwinden. 1990 hatte ich einen Deal mit Enigma-Records abgeschlossen. Allerdings schloss das Label kurze Zeit später, da die Leute dort einfach keine Lust mehr auf das Business hatten.
Was tat ich? Nun, ich schrieb Stücke, spielte und produzierte diese in meinem Studio, lehnte mich zurück und lauschte dem, was ich geschaffen hatte. Ich wollte mit meiner Musik einfach zufrieden und glücklich sein. Ich wollte Musik schreiben, die so gut wie nur irgend möglich ist. Es verging eine ganze Zeit, weil ich einfach nie zufrieden war – Ich wollte es besser und besser machen. Das war der eigentliche Grund für die lange Pause. Ich wollte mir einfach die Zeit nehmen, ein Album zu schreiben, einzuspielen und zu produzieren, mit dem ich hundertprozentig zufrieden sein konnte. Außerdem wollte ich nie wieder bei einer Firma einen Deal unterzeichnen. Deshalb gründete ich auch meine eigene Company “Metaluna Records”.
Das neue Album wird “Guitarmageddon” heißen und ausschließlich über “Metaluna Records” veröffentlicht. This album is a full shred blitzkrieg wild fucking record. Ein echtes Gitarrenmeisterwerk. Es ist sehr progressiv, sehr virtuos. Singen wird Robert Fleischmann, ein wilder Motherfucker. An den Drums hörst Du Kelly Raven und Andre Labelle. Ich bin auch momentan der einzige Künstler bei dem Label – was aber nicht heißt, dass nicht noch andere Musiker und Bands unter Vertrag genommen werden könnten. Doch im Moment ist VINNIE VINCENT der einzige Künstler auf “Metaluna Records”. Für mich ist durch die Gründung des Labels so etwas wie ein Traum wahr geworden.

Ausschnitt einer Promo-CD
Das Cover der neuen VINNIE VINCENT-Platte?

Schön, dass es ein neues Album geben soll. Steckt eine Band dahinter oder ist es ein kompletter Alleingang geworden?

Gute Frage. Also, die beiden ersten VINNIE VINCENT-Alben waren meine Produktionen. Es waren meine Songs, und ich habe zu dem Zeitpunkt herausgefunden, dass allein zu arbeiten für mich das Beste ist. Das erste VINNIE VINCENT-Album bestand zu einem Großteil aus Stücken, die ich für KISS geschrieben hatte, z.B. “Boyz Are Gonna Rock”, “Twisted”, “Animal” oder “I Wanna Be Your Victim”. Ich verließ KISS im Jahre 1984, auch wenn das offiziell nie so dargestellt wurde. Wir wollten das “Animalize”-Album aufnehmen, standen aber auf einmal vor großen geschäftlichen Problemen, die wir nicht lösen konnten.
Ich wollte diese Songs aber nicht wegwerfen, weil ich merkte, dass diese Stücke das waren, wofür der Name VINNIE VINCENT stand. Bei diesen Stücken spielte ich alle Gitarren sowie den Bass, sang die Backgroundvocals ein und sagte dem Drummer, was er wie zu spielen hatte. Sänger war übrigens Robert Fleischmann. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich von “Chrysalis” gesignt. Das war ein Vier-Millionen-Dollar-Deal, doch das Label wollte unbedingt eine Band haben. Ich stellte also ein paar Jungs ein, die meine musikalischen Vorstellungen umsetzen sollten. Leider war es so, dass der Sänger der ersten Scheibe, Robert Fleischmann, sich nicht mit Chrysalis über einige Vertragspunkte einigen konnte, weshalb er die Band verlassen musste.
Wir nahmen dann “All Systems Go” auf. Ein Album, dessen Songs zwar gut waren, die Produktion aber viel zu verwässert war. Der Grund dafür war, dass zu viele Einflüsse von außerhalb der Band auf die Scheibe einwirkten. Es gab sehr, sehr viele verschiedene Ansichten über sehr, sehr viele verschiedene Sachen. Ich habe ein echtes Monster geschaffen. Ein Frankenstein-Monster und ich war der Doktor. Es waren halt Musiker in der Band, an die ich nicht glaubte und die nicht das Talent hatten, meine Vorstellungen umzusetzen. Und Talent ist für mich das wichtigste. Ich muss jemanden nicht unbedingt mögen, um mit ihm zusammen zu arbeiten. Das allerwichtigste ist, dass du verdammt nochmal gut bist. Ich mochte den Sänger der zweiten Scheibe nicht. Ich wollte nicht, dass er auf meiner Scheibe singt. He sucked. Doch das Label setzte sich durch. Ich hatte ein Label, das uns in dieses “Pretty Boy”-Image pressen wollte. All das war nicht VINNIE VINCENT – und glaube mir, mein Herz blutete, als ich sah, was aus VINNIE VINCENT geworden war. Mir blieb also nichts anderes übrig, als das Monster, das ich geschaffen hatte, zu zerstören. Ich schloss die Studiotür hinter mir, und es hat eben bis heute gedauert, dass ich sie wieder öffnete.
Jetzt bin ich wieder dort, wo ich vor dem ersten Album war. Es ist mein Projekt, keine Band. Ein Projekt mit einem Sänger und einem Drummer, die zu mir passen. So sollen meine Alben entstehen. Das “All Systems Go”-Album ist eine Missgeburt und sollte abgetrieben werden. Ich bin im Nachhinein sogar froh, dass das Album kein großer Erfolg wurde, weil es einfach ein Fehler war, mit diesen Musikern zusammen zu arbeiten. Natürlich wollte ich diese Leute anfänglich in der Band haben. Doch als ich merkte, dass es die untalentiertesten Musiker waren, die ich bis dahin getroffen hatte, war es zu spät – zumal ich diese Leute auch noch promoten musste.

Was hältst du denn von SLAUGHTER, also praktisch die VINNIE VINCENT INVASION ohne dich?

Soll ich dir sagen, was ich von Ihnen halte? They stink!

Warum hast du denn nicht selbst gesungen, dann hättest du doch am besten umsetzen können, was du dir vorgestellt hattest? Oder warum hast du nicht einfach ein Instrumental-Album aufgenommen?

Richtig, aber ich bin Gitarrist. Klar, viele Leute haben gesagt, ich solle doch selbst singen. Aber ich bevorzuge nun einmal das Gitarrespielen. Das Instrumental-Album wird kommen. Ich weiß noch nicht wann, aber es wird kommen und eine Menge verschiedener Gitarrenstile enthalten. Es sind aber trotzdem Songs, die zu hören sein werden.

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Nun natürlich ein paar Fragen zu KISS. Stimmt es eigentlich, dass du auf den Alben “Creatures Of The Night” (worauf Vinnie schon Songs schrieb) und “Animalize” zu hören bist, auf den Covern aber nicht zu sehen und auch im Lineup nicht aufgeführt bist?

Ich weiß nicht, ob es tatsächlich Mark St. John ist, der auf “Animalize” spielt – aber ich bin es definitiv nicht, den man hört! Auf “Creatures Of The Night” bin ich dagegen an der Gitarre zu hören, das ist also kein Gerücht.

Was hälst du denn von der KISS-Reunion?

Ich denke in erster Linie an die Fans, für die es sicherlich eine großartige Sache ist, dass sie die Band wieder im Original-Line-up sehen können. Ich denke auch, dass es ein großartiges Erlebnis sein wird. Es ist fantastisch, und ich denke, dass diese KISS-Tour wieder eine Hysterie auslösen wird. Wie damals, als alles begann. Es ist wie eine Geschichte, die niemals endet. Und glaube mir, ich bin stolz darauf, ein Teil dieser Geschichte zu sein – zumal ich zusammen mit Eric Carr das einzige Bandmitglied war, das noch Make-up trug. Vielleicht kommt ja eines Tages auch noch mal die Chance, wieder mit ihnen auf einer Bühne zu stehen. Als wir nämlich für das “Revenge”-Album an den Stücken arbeiteten, hatte ich die Jungs fünfzehn Jahre nicht gesehen. Wir haben auch noch mehr Stücke geschrieben als jene, die schließlich auf dem Album landeten (“Unholy”, “I Just Wanna” und “Heart Of Chrome”). Meiner Meinung nach auch bessere. Trotzdem war es so, als ob ich die Band nie verlassen hätte. Once a KISS , always a KISS. KISS waren das Größte seit den BEATLES.

Wirst du diese nicht verwerteten Songs für deine Alben benutzen?

Ich weiß nicht… es sind eher KISS-Songs.

Ist da denn ein Unterschied zu hören, ob du für KISS oder dein Projekt schreibst?

Ich denke ja. Der Hauptunterschied ist sicherlich, dass wenn ich alleine schreibe, niemand sagen kann “Ich mag das nicht” oder “Das gefällt mir nicht”. Wenn ich alleine schreibe, enthält der Song meine Gefühle, meine Ideen und keinerlei fremde Einflüsse.

Was bedeutet es heute für dich, Mitglied bei einer der größten Rockbands aller Zeiten gewesen zu sein?

Ich war zwar nur vier Jahre in der Band, also viel kürzer als Bruce Kulick oder auch Eric Singer. Aber ich war in einer sehr wichtigen Phase in der Band. Ich bin sehr stolz darauf, einige Klassiker mit KISS veröffentlicht zu haben. Außerdem stimmte auch die Chemie zwischen Gene, Paul, Eric Carr und mir. Es ist aber eben auch schon fünfzehn Jahre her.

Du erwähntest gerade Eric Carr, den 1991 verstorbenen Drummer. Wie hast du seinen Tod aufgenommen? Hast du einen Freund verloren oder ist das für dich nach all der langen Zeit (immerhin sieben Jahre nach Deinem Ausstieg) eher so, als ob jemand gestorben ist, den du früher mal gut kanntest?

Nein, auf gar keinen Fall. Eric Carr war immer ein sehr guter Freund von mir. Wir waren eigentlich immer in ziemlich engem Kontakt. Sein Tod war ein wirklicher Schock und auch, wenn es jetzt schon fünf Jahre her ist, muss ich sehr oft an Eric denken. Eric ist jemand, den man wirklich vermisst wenn er nicht mehr da ist. Ich habe niemals in meinem Leben einen netteren Menschen als Eric Carr getroffen. Außerdem war er einer der großartigsten Schlagzeuger, und ich hätte es mir sehr gewünscht, ihn in meiner Band zu haben. Er war ein exzellentes menschliches Wesen, einer der nettesten Menschen aller Zeiten. Es ist traurig, dass er von uns gegangen ist.

Vinnie Vincent als
Wer die Rechte an meinem KISS-Make up hat? I really don’t know.

Wer hat eigentlich die Rechte an deinem KISS-Make up? du oder Gene & Paul?

I really don’t know. Es ist solange her, dass ich es wirklich nicht mehr weiß. Unser Business ist so verdammt verwirrend. Da weiß man wirklich nicht mehr, was ist oder was nicht ist.

Spielst du live eigentlich Songs aus deiner KISS-Phase? Ich denke da an “I Love It Loud”, “Lick It Up”, “Killer”, “All Hell’s Breakin’ Loose” oder “Young And Wasted”!

Ich denke nicht. Für mich wäre das wie (deutet Richtung Bühne – der Verf.) eine Copy-Band. Damals während der Gigs mit der VINNIE VINCENT INVASION (u.a. wurden IRON MAIDEN supportet – der Verf.) spielten wir “Lick It Up”, und die Kids mochten es wirklich. Aber mal sehen, vielleicht werde ich ein paar Stücke mit in das Liveset nehmen. Zumal ich heute den Stücken viel entspannter gegenüber stehe, als das damals der Fall war.

Wenn du “Dr.Frankenstein”-mäßig den perfekten Gitarristen erschaffen müsstest, welche Zutaten würdest du nehmen?

Oh, das ist schwer. Der einzige Gitarrist, den ich immer liebte ist JEFF BECK. Er ist der coolste Gitarrist, den ich je hörte. Er ist vollkommen unglaublich (sagte Jean Beauvoir von CROWN OF THORNS auch – der Verf.). Eddie Van Halen ist ein brillanter Gitarrist, doch etwa eine Million Gitarristen spielen wie er (ja, die haben aber auch erst nach ihm angefangen so zu spielen – der Verf.). Als ich Eddie das erste Mal hörte, mochte ich sein Spiel – aber es blies mich nicht weg.
Ich stehe heute auch sehr auf ERIC CLAPTON. Mehr als zu der Zeit, als ich noch ein Kind war und er bei CREAM spielte. Damals konnte ich seine Klasse noch nicht erkennen, weil es eben “nur” Blues war. Doch aus heutiger Sicht finde ich die CREAM-Scheiben aus den 60ern einfach unglaublich.

Anschließend spielte Vinnie dann noch drei Stücke mit der KISS-Coverband KISS THIS (die aber wirklich – zumindest im Vergleich zu LOVE GUN – ziemlich schlecht war), und zwar “I Love It Loud”, “Strutter” sowie “Black Diamond”.
So war Vinnie der erste von insgesamt neun Musikern der KISStory, den ich live bewundern konnte, wenn man außer acht lässt, dass ich Eric Singer vor seinem Einstieg bei KISS schon mal in ALICE COOPERs Band bewundern konnte.
Noch eine Anmerkung in eigener Sache: Entgegen aller Behauptungen und Geschichten entpuppte sich Vinnie als äußerst sympathischer Gesprächspartner, der nichts mit dem “Ego-Monster” gemein hat, das viele in ihm sehen.


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