TOMMY LEE WENDTNER: Face you inner Demon!

Ein Tättowierer, seine Dämonen, Schmerzen und die Kirche in einem Kölner Cafe.

Wenn wir schon ein Tattoo verlosen, das von einem interessanten Tätowierer, der sich zudem noch auf einer zweijährigen Reise um die Welt befindet, stammt, dann ist es natürlich Pflicht, diesen um ein Gespräch zu bitten.
Dieses fand dann um die Mittagszeit in einem geschäftigen Bistro in der Kölner Innenstadt, mit leichter Schlagerberieselung und Bratkartoffelduft, sowie einer geselligen Rentnerrunde am Nachbartisch, statt. So saßen dann der bis unter die Haarspitzen tätowierte TOMMY LEE, seine taiwanesische Frau und Muse Nancy und ich an einem dieser dunklen Eichenholz-Kopie-Tische und ich möchte nicht wissen, was einige Leute gedacht haben. Aber der Kölner an sich ist ja einiges gewohnt und so richtete sich die Aufmerksamkeit der Rentner-Runde schnell wieder auf die Kölsch-Stangen auf dem Tisch und die vor der Tür einparkenden Frauen. Und so konnten wir ein Gespräch über Schmerzen, Dämonen und den eigenen Weg führen, das auch seinen eigenen Weg gefunden hat. Aber das ist ja schließlich der Sinn des Lebens, neben dem Verbreiten seiner Gene.

Trotzdem muss jeder Weg seinen Anfang nehmen und am Anfang diese Weges stand die banalste aller Fragen:

Wie bist du zum Tätowieren gekommen

Ich habe mein ganzes Leben schon gemalt. Im Prinzip seit ich einen Stift halten konnte. Später kam ich in die Rockabilly/Psychobilly-Szene und war umgeben von tätowierten Leuten. Also habe ich angefangen für Freunde Tattoo-Motive zu zeichnen und der nächste Schritt war, selber zu tätowieren. Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu kam, aber irgendwann hatte ich eine eigene Maschine und fing an zu lernen oder vielmehr es mir selber beizubringen. Ich war ungefähr 18 Jahre alt, als ich selber tätowiert wurde. Nebenbei habe ich noch sehr viel gemalt und selber in einer Bluesrock-Band Drums gespielt. Der Übergang vom Zeichnen zum Tätowieren war aber eher fließend. Ich wusste noch nicht genau, ob ich lieber Zeichnen, Musik machen oder Tätowieren wollte und habe irgendwie alles und nichts davon gemacht. Richtig angefangen habe ich erst vor 5 Jahren und als Lebensgrundlage mache ich es seit anderthalb Jahren.

Gab es denn eine bestimmte Grenze, die du überschreiten musstet, um vom Zeichnen auf Papier zum “Zeichnen auf Menschen” zu kommen? Denn es gibt da ja noch andere Aspekte, außer den künstlerischen, nämlich Schmerz und das Anritzen von fremden Körpern…

Naja, wenn man anfängt zu tätowieren, hält man sich immer sehr zurück, denn man denkt an die Schmerzen, die man verursacht. Aber dadurch konzentriert man sich nicht hundertprozentig auf das Bild, was man aber tun muss. Und so kommt man an den Punkt, an dem man beschließt, dass diese Person, der Kunde, ja ein Bild für den Rest seines Lebens will und dass er weiß, dass es weh tun wird. Das Bild ist also das wichtigste, nicht der Schmerz. Natürlich fragt ab und zu ob alles in Ordnung ist, oder ob die Person schon in Ohnmacht gefallen ist oder so. Jeder Tätowierer geht durch diese Phasen. Aber jeder Tätowier ist selber tätowiert und kennt die Schmerzen. Trotzdem weiß auch jeder, das das Bild für die Ewigkeit ist und deswegen perfekt sein muss. Also ist das Bild einfach das wichtigste. Aber man sollte doch nett sein und ab und zu Pausen machen.

Der Schmerz ist eben Teil des Prozesses und der Preis, den man als Kunde für die Kunst zahlen muss…

Genau. Es ist ein Teil des Rituals. Durch den Schmerz weiß man das Tattoo auch mehr zu schätzen. Man hat dafür gelitten. Wenn es nur gut aussieht, ist es zwar schön, aber der Schmerz und die Erinnerung daran macht es noch wertvoller. Man markiert ja auch einen bestimmten Punkt in seinem Leben, an dem man aus irgendwelchen Gründen beschließt dieses bestimmte Motiv stechen zu lassen. Auch diese Erinnerung wird dadurch intensiver.

In verschieden Kulturen ist ja der Schmerz auch der Hauptgrund für Tattoos, als Initations-Ritus zum Beispiel…

Ja, allerdings bin ich in der Kulturgeschichte des Tattoos nicht so bewandert, auch wenn mir diese Aspekte bewusst sind. Das Markieren des Erwachsenenalters, die Aufnahme in einen Stamm oder ähnliches.

Gilt das denn nicht irgendwo auch noch? Oder ist Tätowieren doch nur noch Mode?

Für die meisten Tätowierer ist es sicher gut, das es im Moment sehr in Mode ist, denn man hat mehr Kunden und verdient mehr. Trotzdem sind viele Leute noch sehr involviert in Tatttoo-Kultur, die Bedeutungen hinter den Motiven und das ganze Drumherum. Ich persönlich mag es nicht, dass Tattoos in Mode sind, aber ich profitiere davon. Und selbst wenn ein Tattoo vordergründig aus modischen Gründen gestochen wird, steckt doch irgendwo mehr dahinter, denn sonst würde man diesen Schritt nicht machen, sich für den Rest seines Lebens etwas in die Haut stechen zu lassen.

Das hört sich an, als sei auch deine Tätigkeit in zwei unterschiedliche Hälften geteilt. Die eine Hälfte ist doch eher Arbeit und die andere die Kunst…

Ja, das stimmt. Ich versuche zwar nur das zu tun, was mir auch gefällt, aber gerade am Anfang muss man durch die Phase gehen, in der man eher Auftragsarbeiten macht. Und es bezahlt auch die Rechnungen. Ich sehe das Tätowieren trotzdem nicht als Job oder Arbeit, denn es ist das was ich unbedingt tun will, und dann werde noch auch noch dafür bezahlt. Natürlich kann man das nicht immer durchziehen, aber man sollte selbst die Motive, die man dann zwar macht, aber eigentlich nicht mag, als Herausforderung sehen, als bezahlte Übungen. Simple Sachen, wie Tribals oder Chinesische Schriftzeichen eben. Man kann aber immer versuchen noch etwas besonderes daraus zu machen. Irgendwann hat man ja sein Portfolio zusammen und entwickelt einen eigenen Stil und die Leute kommen deswegen zu dir. Allerdings dauert das unter Umständen ein bisschen. Bei jedem Tätowierer kommt irgendwann sogar ein Punkt, an dem man einfach aufgeben will, auch bei mir. Aber da muss man durch und irgendwann kommen die Leute wegen deiner eigenen Sachen. In dieser Phase lernt man dann, dass man einfach nicht aufgeben darf und dass man nie aufhören darf zu lernen und sich zu entwickeln. Sobald man denkt, jetzt kann ich alles, ist es vorbei, denn in der Realität gibt es diesen Punkt nicht. Also sind auch die vermeintlich einfachen Sachen wichtig für die Entwicklung.

Klar, ein einfacher Cafehaus-Stuhl, wie die auf denen wir gerade sitzen erfüllt seine Funktion genau so, wie ein wirklich ausgefallener, einzigartiger Stuhl, dessen Entwurf schon eine Herausforderung ist. Trotzdem muss man den einfachen vorher mal gebaut haben, sonst kann man den ausgefallenen nicht konstruieren.

Genau so. Und auch das Einfache ist eine besondere Herausforderung.

Herausforderung scheint für dich ohnehin sehr wichtig zu sein, sonst würdest du wohl kaum auf eine zweijährige Tour um die Welt gehen, anstatt ein sesshaftes Leben zu führen…

Tommy Lee Wendtner Zeichnung
“Durch den Schmerz weiß man das Tattoo mehr zu schätzen. Man hat dafür gelitten. Wenn es nur gut aussieht, ist es zwar schön, aber der Schmerz und die Erinnerung daran macht es noch wertvoller.” – Tommy Lee Wendtner

Ich hatte ja in den letzten 4 Jahren in Taiwan ein sesshaftes Leben. Ich arbeitete in meinen Studio und hatte ein normales, geregeltes Leben. Aber man kann irgendwann nichts mehr lernen, wenn man nur alleine ist. Ich brauchte Inspiration von anderen Leuten. Und natürlich wird man dadurch auch bekannter. Aber ich will meine Fähigkeiten ausbauen und Inspirationen finden. Das ist das Wichtigste im Leben und am besten geht das durch Reisen.

Du hast aber dein Zuhause aufgegeben und bist quasi obdachlos im Moment und für die nächsten zwei Jahre.

Ja, das bin ich tatsächlich. Ich habe für die nächsten zwei Jahre auch nur einen groben Plan. Es gibt die Gegenden, in die ich will, die Studios, in denen ich arbeiten kann, aber das deckt nicht den ganzen Zeitraum ab. Es ist schwierig und auch mit etwas Risiko verbunden, denn ich reise mit meiner Frau Nancy und meinem kleinen Hund, also mehr oder weniger mit Familie. Man muss abwägen, wo man hingeht und mehr aufpassen, mehr als wäre man alleine. Ich habe allerdings den vollen Support meiner Frau. Sie lernt auch während dieser Reise und hat viel Interesse daran sich weiter zu entwickeln. Der Ausgangspunkt für die Reise war die Chance im LAST RITES- Studio von Paul Booth arbeiten zu können. Das ist für mich eine sehr große Chance. Aber ich wusste, dass es sehr teuer ist, in New York zu leben und ich wusste nicht, wie es mit Nancy aussieht, also zögerte ich erst und überlegte sehr genau, wie groß das Risiko ist. Letzten Endes hat Nancy den Ausschlag und den letzten Anstoß gegeben, es durchzuziehen. Sie sagte, wir gehen dorthin und wir machen es zusammen. Damit war die Entscheidung getroffen.

Wie soll es denn nach den zwei Jahren weitergehen?

Wir gehen auf jeden Fall nach Taiwan zurück, denn das ist meine neue Heimat geworden. Nachdem meine Großeltern, die mich auch aufgezogen hatten, gestorben waren, habe ich keine Familie mehr in Europa, also kommt nur Taiwan in Frage. Wenn wir zurück sind, werden wir ein kleines Appartment suchen und dort eine neue Homebase aufbauen. Natürlich werde ich weiter als Tätowierer arbeiten, das steht außer Frage. Aber vielleicht kommen ja mal Kinder und die brauchen dann etwas Sicherheit.

Du hast ja schon Paul Booth erwähnt, der ja wie du, eher einen düsteren dämonischen Stil für seine Tätowierungen bevorzugt.

Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie ich die Welt sehe. Ich habe viele verschiedenen Stilrichtungen ausprobiert, tendierte aber schnell zu dem dunklen, dämonischen Stil. Trotzdem habe ich lange weitergesucht und alles ausprobiert. In den letzten zwei Jahren habe ich mich aber dann auf den dunklen, dämonischen oder meinetwegen satanischen Stil festgelegt. Die Welt besteht schließlich nicht aus Blumenwiesen, sondern ist ein verdammt abgefuckter Ort. Das heißt nicht, dass ich auch so bin, ich bin ein sehr glücklicher Mensch, aber es gibt einfach so viel in der Welt, dass nicht gerade nett ist. Ich stelle mich diesen Sachen und entwickle eine Haltung dazu. Ich bin sehr am Tod interessiert, denn er macht unser Leben aus. Meine Kindheit war sehr schön und behütet, mit katholischen Hintergrund. Die Kirche konnte ich trotzdem nie leiden, denn ich wollte kein dummes Schaf, das jemandem folgt, der nicht da ist. Die Kirche kann nur reden, tut nie etwas und hat keine Erklärungen. Viele Leute brauchen diesen Halt in bestimmten Phasen ihres Lebens und das ist auch in Ordnung. Ich könnte mich aber nie selber so anlügen. Meistens hat man sein Leben und das, was man daraus macht in den eigenen Händen und kann es selber ändern. Man kann selber aus ungünstigen Phasen oder Situationen heraus kommen. Zumindest im normalen, alltäglichen Leben, von Sondersituationen oder Verbrechen mal abgesehen. Mir gibt die dunkle Kunst ein gutes Gefühl, denn ich kann die Eindrücke der Welt darin verarbeiten. Ich denke das geht auch vielen Kunden so. Sie lassen sich ein düsteres Tattoo machen, um sich ihren eigenen Ängsten zu stellen, ihnen ein Gesicht zu geben. Es ist ein Reinigungsprozess. Paul Booth hat daraus eine Philosophie, einen Kult gemacht. Viele Leute denken, dass sei satanisch, aber die wissen meistens nicht mal was Satanismus überhaupt ist. Bei dieser Philosophie kommen Leute, um sich ihren inneren Dämonen, ihren Problemen zu stellen. Es ist ein seelischer Reinigungsprozess. Die äußere Manifestation sind düstere, dämonische Tattoos. man konfrontiert seine Dämonen, gibt ihnen ein Gesicht und ritzt es sich in die Haut. Und wie die wahren, inneren Dämonen werden die Bilder für immer bei dir sein, denn wirklich loswerden kannst du sie nicht. Es ist eine sichtbare Mahnung.

Natürlich funktioniert das auch anders herum, wenn Leute sich betont bunte, fröhliche Elfen stechen lassen, um sich an die gute Seite ihres Lebens zu erinnern.

Absolut. Ich habe auch Tattoos, die ich an gute Momente erinnern. Auch das ist wichtig. Man vergisst viele Sachen einfach zu schnell. Und manchmal guckt man seine Tattoos an und denkt: “Oh, das war schön!” oder “Mann, das war Scheiße. Mach das niemals wieder!”

In den vorher erwähnten religiösen Systemen überlässt du den Prozess der Reinigung einer höheren Macht, die dich von deinen Dämonen und deinen schlechten Taten reinigen soll.

Das ist aber eine Illusion, eine Selbsttäuschung, denn es funktioniert nicht. Es ist einfacher, denn man muss nicht an sich arbeiten. Die Arbeit überlässt man höheren Mächten, aber man wird niemals etwas zurück bekommen. Es scheint einfacher, aber man gibt sich selber auf. Speziell die Katholische Kirche ist da sehr heuchlerisch, denn sie ist eine durch und durch von Menschen gemachte Institution. Vor allem das Prinzip der Beichte und Vergebung. Ich kann der letzte Drecksack sein, und wenn ich es kurz vor meinem Tod bereue, ist alles vergeben. Was für ein Scheiß ist das denn? Was für eine Hilfe ist das? Wie hilft die Kirche mir? Ich habe selber Probleme, Phobien und Panikattacken und habe schon Medikamente genommen, aber Gott wird mir dabei nicht helfen. Da muss ich selber dran arbeiten. Es Gott zu überlassen würde es nur schlimmer machen. Die ganze Idee der Kirche als Schäfer und die Gläubigen als Schafe gefällt mir nicht. Ich möchte kein Schaf sein, das herumgeführt wird. Das Macht auf den ersten Blick zwar vieles einfacher, aber man begibt sich auch in eine Abhängigkeit. Der Gläubige muss immer etwas von sich geben, bekommt aber nichts zurück, außer ein paar alten Lügen. Wenn Leute damit glücklich sind, bitte schön! Für mich ist das nichts. Das ist aber auch ein Punkt in Paul Booth´s Philosophie: Sei du selbst! Und lass dich nicht von anderen bestimmen. Das hat mich geformt. Ich kann sein, was ich will und es gibt Leute, mit denen ich mich über die dunkle Seite des Lebens austauschen kann und muss trotzdem niemandem folgen. Und das hat nicht mit dem Satanismus zu tun, den die Kirche erfunden hat. Meine Art von Satanismus hat viel mit Individualismus zu tun. Ich glaube nicht an den Teufel. Das halte ich auch für blödsinnig.

Dann müsstest du ja im Umkehrschluss auch an Gott glauben…

Eben. Und das tue ich nicht. Viele Leute, die mit mir oder anderen in den Kult involvierten das erste Mal zu tun haben, sind abgeschreckt. Dann erklärt man es und sie fangen an zu denken und stellen fest, so verkehrt ist es garnicht. Wir machen aber keinerlei Missionsarbeit oder sowas.

Diese beiden Tendenzen sind ja auch in der Metal-Szene spürbar. Es gibt Bands, die sich nur über die Umkehr christlicher Symbolik definieren und damit immer im christlichen Kontext bleiben, oder Bands, die sich eher an LaVey und seiner Church of Satan orientieren, die ja Paul Booth Philosophie eher nahe kommt.

Tommy Lee Wendtner
“Die Business-Leute und die Politiker, die vorgeben, für die Gemeinschaft zu handeln, handeln egoistischer als ich, denn sie tun das für den persönlichen Machterhalt. Das sind die wirklichen Satanisten.” – Tommy Lee Wendtner

Das stimmt. Ich würde mich aber ohnehin nicht wirklich als Satanist bezeichnen. Das ist nur ein Label, das die Leute einfach besser verstehen. Es geht um Individualismus, allerdings nicht um Egoismus. Die Business-Leute und die Politiker, die vorgeben, für die Gemeinschaft zu handeln, handeln eher egoistischer als ich, denn sie tun das für den persönlichen Machterhalt. Das sind die wirklichen Satanisten. Ich versuche nur meine Ideen vom Leben zu verwirklichen und selbstständig zu denken. Wenn man das Leben auf das Wesentliche reduziert, geht es nur ums Ficken und das Weitergeben seiner Gene. Das Jagen wurde nur durch internationale Wirtschaft ersetzt. Für mich als Künstler ist es eben das Erschaffen von Kunst, die mich neben meinen Genen hoffentlich überlebt. Aber im Prinzip ist auch das nur eine Rahmenbedingung, um eine Partnerin zu finden, der ich meine Gene weitergeben kann. Das klingt ziemlich frustrierend, oder? Aber so ist es: Du wirst geboren – du fickst – du stirbst. Frustrierend, oder?

Immer noch besser als: Du wirst geboren – du fickst NICHT – du stirbst.

Ok, das mag sein (lacht, vor allem Nancy lacht – der Verf.) Trotzdem muss man dieses Prinzip immer im Hinterkopf behalten. Ohne diesen Grundgedanken könnte man sich auch direkt umbringen, denn dann hätte das Leben überhaupt keinen Sinn.

Ist das denn genug Sinn, um sich nicht trotzdem oder gerade deswegen umzubringen?

Für die Natur ist das genug. Wir Menschen sind leider zu intelligent, um damit zufrieden zu sein. Deswegen müssen wir auch andere Seiten am Leben finden, die wir genießen können, wie die Anwesenheit einer geliebten Person, oder so.

Vielleicht ist es auch dieser Punkt, der die Leute von düsterer Kunst, vor allem Tattoos abschreckt. Sie haben Angst, denn symbolisch steht mit jedem Schädel auf der Haut geschrieben: Wir werden alle sterben!

Ich habe auch Angst vor dem Tod, wer hat das nicht? Aber ich stelle mich dieser Angst. Bevor ich nach Taiwan ging, war ich ein verantwortungsloser, kleiner Motherfucker, der viele Leute zur Weißglut gebracht hat. Ich war schlicht ein Arsch. Erst mit dieser Einladung nach Taiwan habe ich erkannt, dass dies meine Chance ist, mich zu ändern. Ich ging in ein fremdes Land, ohne Freunde, ohne Verwandte und wenn man sich dort immer noch wie ein Arsch benimmt und sich nicht ändert, ist man schnell am Ende. Das wurde die schlimmste und die beste Zeit in meinem Leben. Ich stellte mich vor den Spiegel und sagte: “Du Arschloch, niemand anders hat Schuld an deinen Fehlern! Du alleine hast die Leute gegen dich aufgebracht durch deine Handlungen und Fehler!” All der psychologische Ballast in mir wurde förmlich ausgepackt, in Ordnung gebracht und wieder zurück gepackt. Das war eine harte Zeit, die viele Tränen gekostet hat. Es hat mich sehr verändert. Man kann sagen, ich wurde erwachsen, wenn man so will. Aber vor allem entdeckte ich meine dunkle Seite und konnte sie für mich nutzen, anstatt mich von ihr benutzen zu lassen. Und natürlich entdeckte ich meine Frau und Muse Nancy. Ich brauche es einfach, sie als Inspiration um mich zu haben. Das ist der schöne Teil. Nach dieser Erfahrung habe ich viele Leute aus meiner Vergangenheit wieder getroffen und mit ihnen gesprochen, offen gesprochen und alle meine Fehler eingestanden. Bei 99% der Leute hat es funktioniert und die Differenzen sind ausgeräumt. Ein paar wollen mich immer noch umbringen, oder zumindest nicht mehr so gerne sehen. Aber auch das verstehe ich, denn ich habe ihnen zuviel angetan. Manche Sachen kann man nicht mehr reparieren, auch wenn man die komplette Wahrheit sagt. Jetzt bin ich sehr klar in meinen Vorstellungen und kann meinen Lebensweg weitergehen. Deswegen war es auch die schönste Zeit in meinem Leben, denn diese Erfahrung hat mich geprägt. Wir hatten zu der Zeit nicht viel Geld und in Taiwan kann man auch mit Kunst und Tattoos nicht viel verdienen. Ich haben den Leuten irgendwelche Comic-Figuren für umgerechnet 3€ tätowiert. Vorher hätte ich so etwas niemals getan, das wäre unter meiner Würde gewesen, denn ich war ja ein Superstar, ein Rock-Star und so. Eben ein Arsch. Meine dunkle Seite hat vorher immer gegen mich gearbeitet und ich ging meistens den einfachen Weg. Ich log und versteckte mich. Wenn man sich damit nicht beschäftigt, wird es immer schlimmer und frisst dich auf. Heute nutze ich diese Energie und bringe sie in meine Kunst ein. Bei Tattoos ist es wichtig diese Energie in Verbindung zum Kunden zu bringen. Man ist sehr offen, wenn man tätowiert wird, man ist förmlich nackt. Man vertraut seinen Körper schließlich jemand Fremden an. Und außerdem vertraut man seine dunkle Seite jemandem an, der sie auf der Haut sichtbar machen soll.

Sozusagen bist du der Helfer für sie, um sich ihren eigenen Dämonen zu stellen…

Tommy Lee Wendtner
“Meistens hat man sein Leben und das, was man daraus macht in den eigenen Händen und kann es selber ändern.” – die Kirche ist für Tommy Lee Wendtner keine Lebenshilfe.

Genau. Ich kann aber immer nur eine Hilfe sein, denn ich will niemanden zu etwas zwingen. Ich denke manchen Leuten hilft das. Es ist aber recht kompliziert und schwer zu erklären, denn es hat sehr viel mit Gefühlen zu tun. Es ist aber einfach faszinierend. Man muss immer offen sein und den Leuten zuhören. Das ist auch das Tolle an meiner jetzigen Reisezeit, denn man trifft sehr viele Menschen aus verschiedenen Kulturen, mit unterschiedlichen religiösen Backgrounds, aber überall gibt es dieses Dunkle und die Dämonen. Das ist einfach eine menschliche Grundeigenschaft. Angst und Dämonen.

Angst vor dem Tod in der Hauptsache. So wie eben auch Metal die dunkle Seite und die Angst vor dem Bösen in der Musik repräsentiert.

Exakt. Deswegen überschneiden sich diese beiden Bereiche auch sehr oft. Beide stellen sich der Angst und reflektieren die dunkle Seite. Und das ist gut. Man kann sich nicht davor verstecken, um Vergebung betteln und warten bis es vorbei ist. Zum Glück leben wir in mehr oder weniger modernen Zeiten, so dass wir unsere Ideen auch umsetzen können und ein Kult, wie der Riteanische Kult von Paul Booth entstehen und gelebt werden kann.

Wie muss man sich das dann konkret vorstellen, diesen Kult? Ich denke es ist schwer eine individualistische Philosophie und eine strukturierte Organisation, wenn es so was dort gibt, unter einen Hut zu bringen.

Es gibt schon Regeln und Hierarchie, in gewissem Sinne. Es gibt so etwas wie Riteanische Mönche oder Hohepriester. Das hat auch den einfachen Grund, dass alle, die daran interessiert sind, tendenziell Alpha-Tiere sind. Und wenn man ein paar von denen ohne Regeln zusammen in einen Raum sperrt, gibt es Chaos. Es muss also Grundregeln geben, sonst funktioniert nichts im Leben. Das ist auch im Tierreich so. Man braucht auch eine gewisse Anleitung, wenn man ein Neuling oder ein Interessierter ist. Anders geht es leider nicht. Anarchie funktioniert nicht, das hat man nun schon oft genug gesehen. Anarchie ist nur ein romantisches Ideal. Der Mensch an sich will immer dominant sein, das führt uns zurück zu der Geschichte mit den Genen und dem Ficken. Also muss es gewisse Regeln geben, wenn man was erreichen will. Aber es ist nicht besonders streng, es deckt sich im Endeffekt mit den Regeln, die immer zur sozialen Interaktion notwendig sind. Zuhören und andere respektieren ist ein wichtiges Prinzip. Gib Respekt und du bekommst Respekt. Ein anderes Prinzip ist das Mysterium. es muss immer etwas Unbekanntes geben, das man noch lernen muss, das einen antreibt, besser zu werden. Lernen ist das eigentliche Ziel.

Ist das aber nicht auch ein in Religionen genutztes Prinzip? Jemand kennt die endgültige Wahrheit und gewährt Stück für Stück Zugang?

Nein, denn es gibt diese endgültige Wahrheit nicht. Man kann aber besser von denen lernen, die bereits mehr gelernt haben. Es geht nicht darum, andere klein zu halten oder sich unwissend fühlen zu lassen. Es gibt keinen dunklen, heiligen Gral, denn man finden muss, sondern es geht nur um das Weiterentwickeln der Persönlichkeit und der eigenen Kunst. Lebenslanges Lernen eben. Man kann auch nicht alles auf einmal lernen, deswegen gibt es verschiedene Stufen und gewisse Hierarchien. Das ist im Endeffekt nur eine Organisationsfrage und keine Frage des Status. Man kann von dem ausgehen, was andere gelernt haben, kann Dinge übernehmen und von da aus eigene Ideen entwickeln. So kann man vielleicht auch etwas in der Welt hinterlassen, dass über die simplen Gene hinausgeht. Wenn man eine Idee hinterlässt, die vielleicht jemand anders helfen kann, der dann zwar deinen Namen nicht kennt, aber trotzdem von dem profitieren kann, das du gelernt hast, das ist wunderbar und mein Ziel im Leben.

Also die Erkenntnis, dass man nichts weiß und von dort ausgehen muss.

Genau. Man wird nur dann seinen eigenen Weg finden, wenn man ihn selber geht. Und das Ziel ist am Anfang nicht fest definiert. Das ist ja auch der Hauptpunkt, der mich an Religionen stört. Dort steht das Ziel bereist fest, bevor man seinen Weg beginnt. Und wenn man das nicht akzeptiert, führt der Weg unweigerlich in die Hölle. Dann führt also mein Weg in die Hölle, kein Problem für mich. Es ist aber wenigstens mein Weg.

Soweit der Ausflug in die Kölner Cafe-Szene. Nebenbei sei noch gesagt, dass Tommy Lee nicht unbedingt zielgerichtet zu seinem Spitznamen kam, sondern er ihm unfreiwillig von einem Bandkollegen auf der Bühne verliehen wurde, weil er eben auch tätowiert ist und Drums spielt. Und dann blieb er einfach haften. Mittlerweile hat er sich aber mit ihm ausgesöhnt und ihn sogar zu seinem offiziellen Namen gemacht. Vielleicht können wir irgendwann mal die News veröffentlichen, dass Tommy Lee Tommy Lee tätowiert, wenn dieser noch ein Körperteil hat, auf dem etwas Platz verblieben ist. Es gibt ja Leute die solch ein Köperteil schon mal gesehen haben wollen…

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