IN FLAMES: Kein Hass auf Austin Powers

Björn Gelotte über das neue Album, Tourerfahrungen und seine Wurzeln.

Gefreut wie ein Schneekönig habe ich mich, da ich ein Interview mit der Band machen durfte, die mich in die Wiege des Death Metals geführt hat. Als junger, noch formbarer Bub im Alter von 15 war ich unglaublich stolz, das Album Whoracle von der schwedischen, noch relativ unbekannten Truppe IN FLAMES gekauft zu haben und hörte wochenlang nichts anderes. Nach den beiden darauffolgenden Outputs war die Faszination nicht mehr ganz so groß, aber mit dem aktuellen Output Reroute to Remain konnten IN FLAMES wieder voll und ganz überzeugen. Deshalb war es für mich etwas besonderes, ein Interview mit den schwedischen – inzwischen – Stars machen zu dürfen. Da es leider im Juli nicht klappte, nutzte ich die Chance, sie auf ihrer Tour nach dem Stand der Dinge zu befragen. Gitarrist Björn Gelotte zeigte sich als sehr toleranter Mensch und freundlicher Gesprächspartner.

Hi Björn, wie verlief die Tour bis jetzt?

Die Tour ist spitze, wir kennen die anderen Bands schon ewig und haben eine Menge Spaß zusammen.

Seid ihr mit den bisherigen Reaktionen zu Reroute to Remain zufrieden?

Es ist immer interessant zu hören, wie andere unsere Alben empfinden. Manche sagen, das neue Album geht in Richtung LINKIN PARK, andere sagen, es geht in eine härtere Richtung. Aber wenn wir ein Album schreiben, dann machen wir es für uns und nicht für die Kritiker oder Fans. Es ist zwar wichtig, dass es den Leuten gefällt, aber in erster Linie soll es uns gefallen.

Der Titel Reroute to Remain lässt einige Interpretationsmöglichkeiten offen. Ich würde sagen, ihr deutet damit an, dass ihr nicht vergessen habt, wo eure Wurzeln liegen – neue Einflüsse hin oder her.

Über unsere Wurzeln denken wir nicht nach, wir haben sie tief im Inneren und werden sie nie vergessen. Es geht eher darum immer neue Wege und Inspiration zu finden.

Der Untertitel heißt: 14 Songs of Conscious Madness. Was versteht ihr darunter?

Das Material ist sehr abwechslungsreich. Wir sind fünf Leute, die Ideen beisteuern; dadurch wird die Bandbreite enorm vergrößert. Außerdem stellte sich uns die Frage, welches Studio wir verwenden und welchen Produzent wir hinzuziehen wollten. Es war ein wenig konfus, denn jeder weiß, dass wir seit jeher im Studio Fredman gastierten. Aber die Sache ist die: Er überrascht uns nicht mehr, genauso wenig wie wir ihn. Wir brauchten also jemanden mit frischem Input und verrückten Ideen, deshalb wählten wir Daniel Bergstrand. Dieser Wechsel hat uns gut getan, er hat das Album viel abwechslungsreicher werden lassen. Das alles zusammengefasst macht für uns eine bewusste Verrücktheit aus, da wir nicht unbedingt kommerziell kluge Schritte gewählt haben.

Reroute to Remain hätte also anders geklungen, hättet ihr nicht bei Daniel Bergstrand aufgenommen.

Daniel hatte einige Ideen, besonders bei den Vocal-Arrangements. Der Großteil der Arrangements jedoch stand bereits, schließlich haben wir neun Monate an den Songs gearbeitet. Weil ihm die Arbeit auch Spaß bereitete und er sich für Reroute to Remain interessierte, hatte er viele Ideen und als wir sie überdachten, stellten wir schon hier und da fest, dass seine Ideen besser als unsere waren.

Ihr habt zweifellos den größten Schritt eurer Karriere mit Reroute to Remain vollzogen. Denkt, ihr dieser Fortschritt wäre ohne ein festes Line-Up möglich gewesen?

In der Vergangenheit hatten wir viele Besetzungswechsel. Nachdem sich unser Line-Up endlich gefestigt hatte, konnten wir zusammen viel Erfahrung sammeln und diese Erfahrungen in unsere Musik einfließen lassen. Wir können dadurch viel mehr experimentieren und schaffen eine größere Bandbreite. Wir alle wissen aber, in welche Richtung wir gehen müssen.

Normalerweise hat es ein bis anderthalb Jahre gebraucht, bis ihr ein neues Album veröffentlicht habt. Warum hat es diesmal so lange gedauert?

Wir haben sehr intensiv für Clayman getourt, waren viel unterwegs und haben schließlich lange und hart an den neuen Songs gearbeitet. Außerdem haben wir letztes Jahr unser Live-Album The Tokyo Showdown veröffentlicht, was natürlich auch mit Arbeit verbunden war. Auf die faule Haut haben wir uns wirklich nicht gelegt.

Ihr habt dieses Mal 14 Songs, mehr als auf jedem anderen Album stehen. War ihr so kreativ oder habt ihr die Schwachstellen nicht aussortiert?

Nach zwei Jahren ist es den Fans gegenüber nicht fair mit neun Songs daherzukommen. Außerdem hängt es eigentlich gar nicht davon ab, sondern von der Art des Songschreibens: Jesper und ich haben es uns zu Hause mit einer Sechserpackung Bier gemütlich gemacht und drauflos gejammt. Diese 14 Songs haben wir für das Album geschrieben, wir haben nichts weggelassen und kein kleines Stück schnell im Studio komponiert; das Album zeigt eine komplette Schaffenphase.

Denkst Du einige Songs sind schwächer als andere?

Jeder Song ist individuell und strahlt eine eigene Identität aus. Deshalb kann man das so nicht sagen, doch es ist natürlich, dass jeder seine Favoriten auf dem Album hat.

Was mich an Reroute to Remain am meisten überrascht, ist die Tatsache, dass weit weniger Gitarrenmelodien enthalten sind. In Anbetracht des oftmals zu melodischen Clayman war dies genau die richtige Entwicklung.

Wir sind immer noch so melodisch wie früher. Nur sind viele Melodien von den Gitarren zu den Vocals oder den Keyboards übergewandert. Wir wollen uns einfach nicht wiederholen und immer nur Twin-Gitarren Melodien spielen.

Dann lass uns gleich mal zu den Vocals kommen: Anders´ Stimme ist aussagekräftig und er hat sich sehr verbessert, aber es scheint mir als würde er sich nicht trauen, inbrünstig zu singen. Oder hängt dies gar mit der Produktion zusammen?

Ich denke nicht, dass Anders keinen Mut hatte, es liegt wohl eher an der Produktion und der Dynamik in der Stimme. Wir wollten es so haben. Es kann aber sein, dass Du so denkst, denn das liegt im Auge des Betrachters. Jeder kann denken, was er will, der Geist ist frei. (grinst)

Glaubst Du Anders Pallar Visa, das Intermezzo auf Colony wäre ein richtiger Song geworden, hätte Anders damals auch schon so gesungen?

Nein, denn das ist ein alter schwedischer Folksong, da hätte sowieso kein Text dazu gepasst.

Die Elektronischen Elemente wurden von MISERY LOVES CO-Mitgliedern eingespielt. Kennt ihr die Jungs schon länger?

Nein, wir haben sie zu den Aufnahmen kennen gelernt. Wir waren von ihnen sofort überzeugt und wussten, dass sie frische Ideen in unseren Sound bringen würden. Sie sind nicht in der Szene involviert, sie werden nicht von anderen Bands beeinflusst, sondern machen, auf was sie Lust haben und sind dadurch sehr originell. Außerdem sind sie wirklich nette Kerle.

Eure Riffs sind auch viel trashiger als auf den vorherigen Alben…

Wir haben die Riffs nicht bewusst thrashig gehalten, es kam einfach so. Natürlich sind wir durch das viele touren beeinflusst worden und einige Einflüsse, egal ob Bands oder anderes, wie zum Beispiel Film und Fernsehen können wir auch gar nicht abstreiten, aber bewusst haben wir nichts verändert.

Aber der Song Black and White scheint doch sehr von SLIPKNOT inspiriert, mit denen ihr ja auch schon auf Tour ward.

Wie ich vorher schon sagte, es kommt auf den Hörer an. Wenn er das hinein interpretiert: Möglich. Fakt ist aber, dass wir diesen Song bereits vor der Tour mit SLIPKNOT geschrieben haben. Und auch wenn wir schon mit RAMMSTEIN gespielt haben, fingen wir nicht an in Deutsch zu singen.

Die Texte sind einfacher zu verstehen, als auf den früheren Alben. Sie sind sozialkritisch und manchmal sogar zynisch.

Ich möchte gar nicht versuchen, zu erklären um was es darin geht, denn Anders hat sie geschrieben und seine Gedanken darin verewigt. Aber ich sehe es genauso. Früher hat Mikael Stanne (Sänger von DARKTRANQUILLITY – Amn. d. Verf.) die Texte geschrieben, die wesentlich unwirklicher und komplexer waren. Anders hat sich jetzt auch getraut und steuert großartige Texte bei. Es geht eher um die kleinen Dinge im Leben, die uns berühren, vielleicht sogar wütend oder traurig machen.

Was mich schon länger beeindruckt ist, dass ihr so dermaßen viel getourt seid und immer dieses Austin Powers-Intro hattet. Ich gehe mal davon aus, dass ihr das nicht mehr hören könnt…

Nein. (lacht) Das gehört inzwischen einfach dazu. Ich kann es mir selbst nicht erklären, wie es sein kann, dass wir es noch mögen, aber es ist so.

Habt ihr es immer noch als Intro?

Das sag ich jetzt nicht. Du wirst es heute Abend hören. (Grinst)

Bei der Menge an Touren, die ihr hinter euch gebracht habt kannst Du Dich bestimmt noch an euren besten und an euren schlechtesten Gig erinnern?

Wacken 2001 war genial. Es waren so viele Leute da, die mit uns gefeiert haben und dass wir zu einer Zeit spielen durften, wo nur die ganz Großen spielen, hat uns mehr als nur glücklich gemacht. Der schlechteste hingegen war auf der letzten US-Tour, als wir in einem Club gastierten, in dem nur Hardcore-Leute waren, die unsere Musik einfach scheiße fanden. Sie mochten weder uns noch die anderen Bands und ließen uns das auch wissen. Das war ein ziemlich frustrierendes Erlebnis.

Wie sehen eigentlich eure Freundinnen euer Musikerleben?

Meine Freundin hat mich kennen gelernt, als ich schon bei IN FLAMES war. Sie kennt mich von Anfang an nur als den Björn, der ständig auf Tour ist und sie akzeptiert es. So wie es ist, ist es okay. Ich möchte aber keine Freundin, die selbst in einer Band spielt und auch ständig unterwegs ist, denn dann hätten wir nichts mehr voneinander. Es tut gut, wenn sie nach der Arbeit heimkommt und wir über die Dinge sprechen können, die sie tagtäglich erlebt. Das hilft mir auch Abstand von der Musik zu gewinnen. Sie ist auch zufrieden mit der Beziehung uns würde mich niemals vor die Wahl stellen.

Aus zeitlichen Gründen kommt jetzt leider schon die letzte Frage: Ihr habt mal in einem Interview zu The Jester Race gesagt, dass ihr jede Woche die alten Heavy Metal-Klassiker hört. Hat sich das geändert?

Wir haben immer noch IRON MAIDEN und Konsorten im Tourbus und hören das auch gerne, aber mein Musikgeschmack beschränkt sich nicht nur darauf. Ich höre derzeit gerne alte Sachen wie RAINBOW und auch modernes Zeug wie MUSE, INIQUITY und auch PINK. Ich bin wirklich open-minded, ansonsten könnte ich auch nicht immer neue Inspiration für Songs kriegen.

Björn, ich danke für dieses Interview und wünsche euch alles Gute und viel Erfolg.

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