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HEAVEN AND EARTH: Britney Spears im Hard Rock-Gewand

Ritchie Blackmore-Protegé und Bandinitiator Stuart Smith und ex-BATON ROUGE-Sänger Kelly Keeling philosophieren nicht nur über das Internet und seine Bedeutung für melodische Rockmusik, sondern irritieren auch mit einer merkwürdige Fixierung auf ein blondes Pop-Tanzmäuschen…

Mit “Windows To The World” haben HEAVEN AND EARTH jüngst ein Debüt-Album veröffentlicht, das mit einer erstaunlich virtuosen und hochklassigen Kombination aus Blues, Hard Rock und AOR überraschte. Ein Blick auf die Beteiligten erklärt so manches: Hinter dem unbekannten Namen verbergen sich altgediente Genre-Veteranen.

Die Geschichte der Band reicht zurück in die Mitte der 80er Jahre. Damals tat sich der britische Gitarrist Stuart Smith, ein Protegé Ritchie Blackmores, mit Steve Priest von THE SWEET zusammen und die beiden riefen ein namenloses Projekt ins Leben, das sich bald darauf wieder auflöste. Doch Smith gab nicht auf: Weitere Projekte folgten (so auch die Band EYES, bei der der Gitarrist mit Mark Boals (Yngwie Malmsteen), Myron Grombacher (Pat Benetar), Steve Isham (AUTOGRAPH) und Phil Soussan (Ozzy Osbourne/Billy Idol) arbeitete), und 1989 gründete er schließlich MIDNIGHT. Nach mehreren Besetzungswechseln (unter anderem waren Joe Lynn Turner, Scott Warren (WARRANT) und David Glen Eisley (u.a. GUFFRIA) vorübergehend Teil des Line-ups) folgte 1994 die Umbenennung in HEAVEN AND EARTH.

Die Besetzung war weiterhin instabil und letztlich hatte alles eher Projekt- denn Bandcharakter. Folgerichtig war die erste Veröffentlichung Stuart Smiths auch ein klassisches Solo-Projekt, verwies aber im Namen auf das zukünftige Wirken als Band: Das Album hieß ‘Heaven And Earth’, und erschien zunächst nur in China und Korea. Unter den Studio-Gästen waren zahlreiche alte Mitarbeiter und Bekannte des Gitarristen, unter anderem Joe Lynn Turner, Kelly Hansen (HURRICANE), sein Schwager Richie Sambora (BON JOVI) und Chuck Wright (GUFFRIA/HOUSE OF LORDS). Auch Drummer Richie Onori (u.a. Rick Derringer) war schon dabei und gehört heute zu dem Kreis ausgesuchter Musiker, die HEAVEN AND EARTH nach all den unruhigen Jahren endlich als feste Band etablieren sollen. Ein weiterer ist Kelly Keeling, der sich seine Sporen als Sänger unter anderem bei BATON ROUGE, John Norum, BLUE MURDER und MSG verdient hat. Stuart Smith ist froh, endlich ein stabiles Line-up gefunden zu haben:

Stuart Smith: GuitarsDas wollte ich schon immer so.Ich hätte auch das erste Album mit einer Band aufgenommen, wenn ich nur die richtigen Leute gehabt hätte. Das Band-Feeling ist mir einfach wichtig. Ich denke, die Leute können sich mit einer richtigen Band besser identifizieren als mit einem Projekt, das aus lauter Individuen besteht.

“Windows To The World” klingt einerseits sehr homogen, andererseits angenehm vielschichtig. Songwriting und die Instrumentierung weisen eine Bandbreite auf, die in diesem Genre nicht unbedingt tagtäglich ist…

Ja, das liegt zum Teil auch daran, daß Kelly ein guter Songwriter ist, der einen ganz anderen Stil einbringt als ich. Und überhaupt hat jeder in der Band seinen Teil zu den Songs beigetragen, so daß das stilistische Spektrum erheblich weiter reicht als beim letzten Album.

Ich vermute, Kelly war wohl eher für die AOR-Elemente verantwortlich…

Eigentlich wollte er ein Album im Britney Spears-Stil machen! ,beginnt Stuart zu herumzualbern, während Kelly, der inzwischen hinzugekommen ist, lauthals lacht…

Stuart: Er hat’s wirklich versucht und sich bemüht und hatte eine Menge gute Ideen, aber wir haben ihn einfach nicht gelassen, haha…

Kelly: Hahaha! Nein, also, es waren eigentlich Frontiers, die uns dazu gebracht haben, uns in diese Richtung zu orientieren.Sie mögen AOR eben sehr. Aber wir haben uns nicht auf diesen einen Stil beschränkt, denn wir selbst bevorzugen ein breites Spektrum…

Stuart: Wir mögen AOR, aber uns liegten Blues- und Celtic-Einflüsse ebenso am Herzen wie Hard Rock. Ich denke, jedes Album, das wir aufnehmen, wird diese Bandbreite widerspiegeln.

Trotz aller Vielfalt prägt dein Gitarrenspiel aber doch jeden einzelnen Song und hält das Album zusammen…

Kelly Keeling: VocalsStuart: Oh, mit der Gitarre hatte ich nichts zu tun. Das war alles Kelly, haha! Ich habe gesungen, ab er wir wollten nicht, daß das jemand weiß…

Kelly: Ja, er war richtig gut…

Jaja, schon klar… am Ende seid Ihr doch Britney Spears und Christina Aguilera in Männerkostümen…

Stuart: Haha, Kelly schon! Er tut nur so, als sei er ein Mann…

Um ehrlich zu sein: Nichts gegen Dein Äußeres Kelly, aber ob Dir die Britney-Garderobe wirklich stehen würde, wage ich zu bezweifeln…

Kelly: Ich arbeite daran, haha…

Stuart: Nein, lieber nicht…

Unter kommerziellen Gesichtspunkten wär’s vielleicht einen Versuch wert… nun aber mal wieder ernst: Obgleich also Dein Gitarrenspiel sehr prägend ist, Stuart, dominierst Du den jeweiligen Song nie, sondern fügst Dich stets in das Geschehen ein. Du bist scheinbar auch als Gitarrist ein ausgesprochener Team-Player…

Stuart: Ja, ich weiß eben, daß ich brillant bin…

Kelly: Wir haben ihn in die Knie gezwungen, haha…

Stuart: Haha… nein, ich weiß eben, daß ich gut bin und muß es nicht beweisen. Wenn eine einzige Person von vorne bis hinten diktiert, wo es auf einem Album lang geht, dann wird es langweilig, weil irgendwann neue Ideen fehlen. Das reicht vielleicht für ein erstes großartiges Album, wird dann aber immer uninteressanter. Für mich zählt außerdem der Gesang sehr stark und daher empfinde ich es als wichtig, ihn im Rahmen meines Gitarrenspiels zu unterstützen und nicht ständig zu zeigen, was ich kann.

Ihr seid nun alle schon seit vielen Jahren im Geschäft und wart an vielen Alben und Projekten beteiligt. Fällt es als gestandener Musiker schwer, sich plötzlich unter einem unbekannten Namen in einer festen und demokratischen Band zusammen zu tun oder ermöglicht Euch Eure langjährige Erfahrung stattdessen, sehr entspannt miteinander zu arbeiten?

Kelly: Für mich war es sehr leicht, und ich habe das Gefühl, daß es den anderen auch so ging. Dieses Bandfeeling stellte sich sofort ein und es war irgendwie wie Magie…

Stuart: Mir ging es genauso.

Kelly: Es ist einfach passiert. Wir mußten nicht lange nachdenken und diskutieren: Wir kamen einfach zusammen und es hat funktioniert. In der Vergangenheit haben Alben-Aufnahmen, an denen ich mitgewirkt habe, ein ganzes Jahr gedauert, bei BLUE MURDER sogar zwei Jahre. Hier hat es einfach Klick gemacht und es lief. Natürlich gibt es immer ein paar kleine Schwierigkeiten…

Stuart: Eines dieser kleinen Probleme war wohl der Fakt, daß wir einen engen Terminplan hatten und uns im Studio beeilen mußten. Wir hatten dort eine Menge Computer-Probleme und es hat eine Weile gedauert, bis wir damit fertig wurden. Zwischendrin wurde Richie, unser Drummer, sehr krank, und alles wurde sehr knapp. Am Ende waren wir alle müde und erschöpft. Wenn ich morgens um neun Uhr aufstand und mich ins Studio aufmachte, kam mir Kelly gerade entgegen und hatte die ganze Nacht durchgesungen. Ich habe dann den Mix gemacht. Es war also am Ende eine Menge Druck da, aber es war insgesamt doch großartig und wir haben es überlebt.

Ich vermute, Ihr werdet das gegenwärtige Team zusammenhalten und auch auf Tour gehen wollen…

Kelly: Ja, auf jeden Fall! Ich kann es kaum erwarten, live zu spielen und vielleicht sogar ein Live-Album aufzunehmen. Das werden wir möglicherweise in Japan machen…

Natürlich ist die Möglichkeit einer weltweiten Tournee immer ein Frage des Geldes und somit auch des Status einer Band. Wie “groß” sind HEAVEN AND EARTH eigentlich?

Arlen Schierbaum: KeyboardsStuart: Nun, traditioneller Rock ist sicherlich wieder im Aufwind. Viele Leute wollen wieder melodische Musik hören, die gute Laune verbreitet, mit guten Sängern und guten Musikern. Auch die Presse widmet dieser Musik wieder mehr Aufmerksamkeit. Ich denke, sie kommt wieder…

Kelly: Ich denke, die Szene und dieses Feeling ist durch die großartigen Veröffentlichungen der Vergangenheit immer noch am Leben. Die WHITESNAKE-Alben, BON JOVI, AC/DC: Sie alle haben ihre Fans, selbst dann, wenn diese Bands sich einige Jahre nicht blicken lassen. Es gibt durchaus noch ein Publikum für diese Musik, man muß es sich allerdings erschließen.

Stuart: Ich würde sehr gerne mit Britney Spears auf Tour gehen…

Naja, ich habe gehört, sie hatte ein paar Probleme mit ihrem Playback, vielleicht könnt Ihr ja in die Bresche springen…

Stuart: Nach einer Woche hätten wir die Bühne übernommen…

Kelly: Aber sie tanzt viel besser…

Stuart: Du meinst, die Leute kommen nur um sie tanzen zu sehen?

Kelly: Oh ja…

Stuart: Ich möchte DICH gerne tanzen sehen…

Kelly: Hahaha…

Wäre sicher eine ganz wundervolle Live-Erfahrung… aber um noch einmal auf Euren Status und den der Melodic Rock/Hard Rock-Szene zurück zu kommen: Bei meinen Recherchen fällt mir immer wieder auf, daß es gerade für diese Musikrichtung Unmengen an Online-Magazinen gibt, die all den Interpreten und Bands ein Forum bieten, die von den herkömmlichen Musik-Medien weitgehend totgeschwiegen werden. Habt Ihr das Gefühl, daß das Internet “Eure” Musik in gewisser Form am Leben erhält?

Stuart: Oh ja, auf jeden Fall! Ohne das Internet hätte ich keine Karriere mehr. Als das erste Album erschien, wurde es nur in Teilen Asiens veröffentlicht und keiner hätte es je mitbekommen. Ich habe es ein ganzes Jahr über das Internet promotet und so haben mich Frontiers entdeckt und es lizensiert. Daraufhin folgte der Vertrag für das zweite Album. Und Kelly nutzt Napster viel für Promotion-Zwecke…

Kelly: Ja, Napster ist nämlich nicht nur eine Plattform, um sich günstig ganze Alben zu beschaffen, sondern auch ein gutes Promotion-Tool. Es ist nur die Frage, wie man es nutzt.

Stuart: Es ist wie die alte Bootleg-Geschichte: Wer sich die Mühe macht, nach seltenen Aufnahmen macht, der hat das normale Album ohnehin schon gekauft. Es sind viele “richtige” Fans unter den Napster-Usern, die sich im Internet nach Tracks umsehen, die sie auf normalem Weg nicht bekommen können und die längst alle Alben gekauft haben. Außerdem kann Napster einer Band auch helfen, entdeckt zu werden. Man hört eben nicht mehr im Plattenladen in ein Album rein, sondern besorgt sich die Hörproben im Internet.

Kelly: Bei Napster siehst Du auch, wie populär man ist. Wenn man nach einer bestimmten Band sucht und es keine Angebote gibt, dann ist sie wohl nicht relevant. Vor einem Jahr habe ich nach David Coverdale und WHITESNAKE gesucht und nichts gefunden. Mittlerweile hat sich das geändert. Napster zeigt einem, was gerade gefragt ist, es ist durchaus eine Art Gradmesser: Ich kann sehen, wie verbreitet Songs und Alben sind, an denen Stuart und ich mitgewirkt haben und wie populär HEAVEN AND EARTH sind.

Der Titelsong Eures Albums, “Windows To The World”, setzt sich ja auch mit dem Internet auseinander…

Richie Onori: DrumsStuart: Ja. Eines Tages stand ich auf, habe mich mit meinem Kaffee an den Computer gesetzt und bin online gegangen. Da überkam es mich, wie unglaublich das doch ist: Ich kann in gewisser Hinsicht die ganze Welt erreichen. Das Internet ist so unglaublich groß! Und es verändert eine Menge Dinge. Unter anderem relativiert es die Wahrnehmung der Welt, wie sie uns die Politiker und die anderen Medien vorgeben. Wir können Kontakt zu Menschen in Rußland, in China, und auf der ganzen Welt aufnehmen. Und wir merken in solchen Gesprächen, daß alle Menschen die gleichen Hoffnungen und Ängste haben und daß sie letztlich doch alle das gleiche wollen. Ich hoffe jedenfalls, daß das Internet sich in dieser Hinsicht positiv auswirkt. Zudem sind wir eine Band, die etwas zu sagen hat. Wir schreiben zwar auch Party- und Liebessongs, aber wir möchten auch ernste Aspekte präsentieren, die wir für wichtig halten. Ich bewundere jemanden wie Sting, der mitunter schon seine Karriere auf`s Spiel gesetzt hat, um sein Anliegen nach außen zu tragen, so wie damals mit dem Regenwald. Und es gibt auch eine Menge Dinge, die uns bitter aufstoßen. Wir möchten solche Probleme bewußt machen und unseren Teil dazu beitragen, vielleicht etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern. Das versucht Kelly beispielsweise in `Broken Arrow`.

Kelly: Und bei `Dogs Of War`…

In `Broken Arrow` setzt Du Dich mit der indianischen Kultur auseinander, und mit dem Dasein, das sie in den USA führte und führt…

Kelly: Nun, ich habe teilweise indianische Vorfahren, aber auch irische. Ich fühle mich schlecht bei dem Gedanken, daß ich im Grunde letztlich ein Weißer bin, die Weißen die Indianer aber in der Vergangenheit verfolgt und mißhandelt haben. Und es immer noch tun. Wie sie das Land an sich gerissen und beinahe ein ganzes Volk ausgerottet haben. Das passiert sicher auf der ganzen Welt, aber letztlich sind die USA in diese Hinsicht schon ein Katastrophen-Land, nicht nur in puncto Rassismus, auch in Bezug auf Umweltverschmutzung und andere Dinge.

Stuart: In gewisser Hinsicht ist dieser Song auch Kellys Vater gewidmet…

Kelly: Ja. Mein Vater hatte eine besonders enge Beziehung zu seinen indianischen Vorfahren. Er sagte immer, er könne sie fühlen. Wenn wir unterwegs waren, sagte er plötzlich: “Ich fühle sie, Kelly, ich fühle sie!” Er hielt dann plötzlich an, stieg aus und sah in die Felder. Sehr merkwürdig und ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke…

Stuart, Du stammst ja eigentlich aus Großbritannien, lebst aber seit mittlerweile 15 Jahren in den USA…

Stuart: Ja, ich wurde in York in England geboren. Ich habe dort mit verschiedenen Bands gespielt, aber ich bin gewissermaßen zur falschen Zeit auf die Welt gekommen. Als ich begann, aktiv Musik zu machen, war mein Stil nicht sehr gefragt. Als ich dann Ritchie Blackmore kennen lernte, riet er mir, in die USA zu gehen. Es sei ein weit größeres Land und dort gäbe es für jede Musikrichtung ein Publikum. Ich habe es also versucht, bin aber kurz darauf wieder nach Großbritannien zurück gekehrt. Das war 1983. Dann habe ich es noch einmal versucht, bin in Los Angeles gelandet und dort lebe ich seit 1986. Mir gefällt es hier, vor allem das Wetter. Aber ich vermisse England schon manchmal, ich vermisse die Landschaft, die Leute, die Geschichte… Ich mag auch Deutschland sehr, ich war dort oft bei Ritchie Blackmore zu Gast.

Fühlst Du Dich nach all den Jahren in den USA immer noch als Brite?

Stuart: Auf jeden Fall, ja…

Eindrucksvoll nachzuhören auf “Windows To The World”

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