EVERGREY: Macht braucht Verantwortung

Nachdem die Interviewtermine zum letzten Album "Recration Day" mehrfach geplatzt sind und das Gespräch im Ergebnis nie Zustande kam, wollten wir es uns die Chance beim hervorragenden aktuellen Album "The Inner Circle" natürlich nicht nochmals nehmen lassen. Unglücklicherweise wurden die Interviewtermine dieses Mal sehr knapp angesetzt, und so hatte ich gerade mal drei Tage Zeit, mich in das neue Werk der Schweden einzuhören und auch das nur ohne die zugehörigen Texte. Nicht unbedingt die günstigsten Voraussetzungen, als statt Bassist Mikael Hakansson zum vereinbarten Zeitpunkt dann Gitarrist Henrik Danhage bei mir durchklingelte, konnten wir aber doch etwas Licht ins Konzeptdunkel bringen.

Nachdem die Interviewtermine zum letzten Album Recration Day mehrfach geplatzt sind und das Gespräch im Ergebnis nie Zustande kam, wollten wir es uns die Chance beim hervorragenden aktuellen Album The Inner Circle natürlich nicht nochmals nehmen lassen. Unglücklicherweise wurden die Interviewtermine dieses Mal sehr knapp angesetzt, und so hatte ich gerade mal drei Tage Zeit, mich in das neue Werk der Schweden einzuhören und auch das nur ohne die zugehörigen Texte. Nicht unbedingt die günstigsten Voraussetzungen, als statt Bassist Mikael Hakansson zum vereinbarten Zeitpunkt dann Gitarrist Henrik Danhage bei mir durchklingelte, konnten wir aber doch etwas Licht ins Konzeptdunkel bringen.

Eigentlich hätte ich Mikael ja gerne gefragt, was denn eigentlich auf dem ProgPower passiert ist, als er plötzlich von der Bühne verschwand…aber vielleicht kannst du mir das ja auch sagen?

Es war im Grunde ziemlich witzig, weil ich nicht wusste, was los war. Kannst du dich daran erinnern, als ich runter ging und grinsend zurück kam? Als ich unten war, sah ich ihn liegend auf dem Boden und unser Gitarrenroadie stand über ihm und rieb sein Bein – er hatte einen Krampf. Als er die Bühne verließ, dachte ich eigentlich, dass er technische Probleme hätte, aber in Wirklichkeit war es sein Bein. Wir mussten dadurch die Reihenfolge etwas ändern und ihr konntet die Trilogy of the Damned ein bisschen früher hören (lacht). Es ist jetzt natürlich schon witzig, aber er hatte da echt Schmerzen.

Wenn so etwas auf der Bühne passiert, nehmt ihr das eher humorvoll, oder pisst euch das in dem Moment einfach an.

EvergreyNun, es kommt immer darauf an. Du kannst einfach nichts machen, wenn du einen Krampf im Bein hast – darauf kann man nicht böse sein. Aber wir spielten vor zirka zwei Wochen mehrere Shows in Dänemark und bei einer Show war meine Gitarre verstimmt. So was ist dann eine andere Geschichte, weil ich jemanden dafür bezahle, dass er meine Gitarre stimmt und wenn ich wegen einem anderen blöd da stehe, dann ärgert mich das schon. Ich meine unser Gitarrentechniker ist ein wirklich netter Kerl und einer meiner besten Freunde, aber in diesem Moment war ich wirklich von ihm angepisst, ich hätte ihm die Gitarre fast hinterhergeschmissen – die Gitarre war verstimmt, also hab ich die Gitarre gewechselt, diese war ebenso verstimmt….das hat mich echt wütend gemacht, weil wir in dem Moment auch nicht aufhören und Trilogy of the Damned spielen hätten können… Jede Nacht ist anders, aber im Normalfall lachen wir darüber. Für das Publikum sind das ja auch die Dinge, die eine Show zu etwas Speziellem machen. Ich meine du hast dich auch daran erinnert, dass Mikael von der Bühne gegangen ist…

Zum neuen Album: für mich sieht es so aus, als hätte sich euer Kreativitäts-Fokus in musikalischer Sicht etwas verändert. auf den ersten drei Alben scheint ihr euch mehr auf den Sound konzentriert zu haben, nun scheint es mehr um den Ausdruck zu gehen…

Ich würde sagen dass wir uns jetzt mehr auf die Songs konzentrieren. Wir haben sehr komplexe Stücke, Waking up blind hat dagegen zum Beispiel vier Akkorde, die sich über den gesamten Song wiederholen. Wir haben jetzt genug Selbstbewusstsein um zu tun, was immer wir machen wollen. Ich denke ein guter Song ist ein guter Song und muss nicht zwingend zwei oder drei Wechsel im Notenschlüssel beinhalten oder so. Ich denke auf diesem Album haben wir alles bis zum Extrem getrieben. Wenn wir einen großen Chor haben wollten, dann haben wir das einfach versucht und wenn wir eine Idee gemocht haben, dann haben wir das so lange verfolgt, bis es so groß war, wie wir es haben wollten. Wir taten einfach, was wir für richtig fanden – wie eben auch in Waking up blind. Ich meine das sind vier Akkorde, der Song ist über vier Minuten lang und sie wiederholen sich und wiederholen sich…

Recreation Day war inhaltlich ein sehr persönliches Album. Ist es für euch einfacher, Interviews zu dem neuen Album zu geben, da es sich um eine fiktive Geschichte handelt, auch wenn ein realer Bezug vorhanden ist? Ist es dir lieber, über ein Album sprechen zu können, dass nicht so sehr euch persönlich betrifft?

Ich habe kein Problem damit, über mein Leben zu reden. Es ist vollkommen okay für mich über Dinge zu sprechen, die mich persönlich betreffen, wenn ich sie mit anderen teilen möchte. Ich denke es ist nett, wenn man eine Story hat, über die jeder in der Band sprechen kann. Bei einem komplett persönlichen Album, ist Tom eigentlich dazu gezwungen, die ganzen Interviews zu machen. Hier war es so, dass wir eine Grundidee hatten, an dieser gemeinsam gearbeitet haben und Tom hat dann die Lyrics dazu verfasst.

Das einzige, was ich über das neue Album weiß ist, dass es um Kindesmissbrauch geht und um Religion, die als Rechtfertigung hierfür missbraucht wird. Kannst du mir dazu ein paar nähere Details geben?

EvergreyDie ganze Story handelt von einem Typ, der eine Familie hat, und mit einer dieser Sekten oder Kulte in Berührung kommt. Er ist von der ganzen Sache sehr beeindruckt und für ihn ist es die richtige Entscheidung, diesem Kult zu folgen. Es geht darum, wie er dem Kult beitritt und wie es ihn, seine Frau und sein Kind beeinflusst. Ja darum geht es – um ihn, seine Familie und diesen fanatischen Sektenführer, den man auch am Ende des Albums hören kann. Das ist so die Story in aller Kürze.

Also ist dein Fokus der Geschichte mehr auf den religiösen Aspekt gerichtet?

Ja. Wir brauchten im Grunde genommen eine Art Feind für die Geschichte. Tom und ich haben selbst Kinder und auf dem letzten Album hatten wir ja den Song, in dem es um diesen katholischen Priester geht. Das ganze hat mich ziemlich aufgeregt – dass dieser Kerl einfach so davon kommt. Wir brauchten für unsere Geschichte einen Führer und ja, es sollte um Religion und religiöse Themen gehen…

Als ich gelesen habe, dass es um Kindesmissbrauch in Kombination mit dem Thema Religion geht, habe ich mich gefragt, ob es nicht etwas gefährlich ist, nur eine bestimmte Seite des Themas Kindesmissbrauch zu beleuchten. Die Leute verallgemeinern gerne und mit so etwas schürt man natürlich Vorurteile…

Ja schon, es gibt so viele Millionen von Katholiken und wir wollten damit natürlich nicht sagen, dass alle Katholiken Kinder missbrauchen. Ich verstehe deine Bedenken, aber ich denke vieles wird klarer, wenn du die Texte vor dir hast. Die Story hat nichts mit Kindesmissbrauch in einem sexuellen Sinne zu tun. Du kannst ein Kind auch sehr schwer misshandeln, ohne dass du es sexuell nötigst. Es geht mehr darum, wie man ein Kind einer derartigen Sekte zuführen und diese Gehirnwäsche zulassen kann. Es geht eigentlich auch mehr um Sekten, als um Religionen.

Warum war es ein Bedürfnis für euch, dieses Thema auf einem ganzen Album zu behandeln? Und inwiefern spielt da die Überlegung eine Rolle, wie es euren Kindern ergehen hätte können, wenn sie in einem anderen Umfeld aufgewachsen wären?

Ich kann da nur für mich antworten. Wenn man sich verschiedene Dokumentationen über die großen Sekten anschaut, dann ist das Erstaunliche, dass die Führer wie ganz gewöhnliche Leute von nebenan wirken und diese Menschen schaffen es, andere derart zu beeinflussen, dass sie sich selbst oder andere Menschen töten. Was haben diese Leute, was sie derart stark macht? Es ist unglaublich. Das ist im Grunde für mich das Thema der CD. Die Sache mit den Kindern ist ein Teilaspekt davon. Es geht darum, wie Menschen ihre Macht für ihre eigenen Zwecke nutzen.

Inwiefern würdest du das Album als sozialkritisch bezeichnen?

Gar nicht. Jeder Mensch ist frei in seinen Entscheidungen. Keiner der Manson-Geschwister wurde dazu gezwungen zu töten…es war ihre eigene Entscheidung. Aber irgendetwas hat sie darin beeinflusst, sie waren nicht klar bei Verstand. Es handelt sich dabei aber nicht unbedingt um besonders schwache Personen, es kann auch den Besten passieren.

Siehst du da manchmal Parallelen als Mitglied einer – sagen wir größeren Band?

Ich sehe das nicht unbedingt als Parallele aber natürlich haben wir schon recht viel Macht, selbst wenn man der kleine Tom Englund von EVERGREY ist. Es wäre für Tom nicht so schwer, bei einem Gig einen Tumult zu verursachen. Es wäre für mich vermutlich nicht schwer, dass einem Typ in der Menge die Scheiße rausgeprügelt wird, wenn ich das wollte. Man macht das aber einfach nicht, wenn man ein Gewissen hat, so etwas ist ein Missbrauch von Macht. Kannst du dir vorstellen, was ein MARILYN MANSON anstellen könnte, wenn er wollte? Für viele ist er der Antichrist, aber ich denke er ist ein sehr intelligenter Mensch, der mit seiner Maht sehr verantwortungsvoll umgeht – in meinem Buch, ich glaube er könnte sehr viel anstellen, wenn er wollte…

Evergrey

Erschrickt es dich manchmal, welchen Einfluss du auf eure Fans hast und das nur, weil du ein Musiker in einer Band bist?

Ich denke einige Aspekte sind beängstigend. Einfach schon, wenn man eine Fan-Mail erhält und den ganzen Tag nicht am Computer ist und die Person in diesem Zeitraum inzwischen schon 35 weitere Mails geschickt hat. Das hat schon etwas krankhaftes. Ich kann mir vorstellen, wie das bei Musikern sein muss, die um einiges bekannter sind als wir.

Ein Hauptantrieb für dich beim neuen Album war also, die Faszination darzustellen, dass Menschen zu so etwas fähig sind

Ich würde immer noch sagen, dass das Wichtigste bei EVERGREY die Musik ist, die Texte sind das Sahnehäubchen. Wenn wir eine Spoken-Word-CD machen wollten, wären wir vielleicht eher Hip-Hoppers. EVERGERY ist in erster Linie Musik, auch wenn wir darin bestimmte Themen behandeln.

Ich hoffe, ich langweil dich dann nicht mit meinen Fragen zum Konzept?

Nein, überhaupt nicht. Wir wussten ja, dass solche Fragen kommen, wenn wir so ein Konzept angehen. Und das ist es ja auch wert. Ich hoffe, dass die Leute von der Musik ergriffen werden, vor allem wenn sie die Texte dann noch dazu lesen – das ist okay.

Gibt es oft Momente, in denen du eine Idee im Kopf hast, sie auf der Gitarre aber nicht umsetzen kannst?

In der Hinsicht ist es von Vorteil, wenn man mit den anderen Musikern eng zusammen arbeitet. Es kommt immer auf die Zeit an, die man zur Verfügung hat, ein solches Album kann man nicht in zwei Wochen machen. Die Tiefe kommt dadurch, dass man Zeit dafür und wir haben dieses Album so oft neu geschrieben, bis es so war, wie es sein sollte. Jede Note und jede Gesangslinie ist genau so, wie wir es haben wollten. Ich würde nicht sagen, dass es ein perfektes Album ist, aber das Feeling ist so, wie wir es haben wollten. Es ist in der Zeit, die wir zur Verfügung hatten, das beste Album, das wir machen konnten.

Auf dem neuen Album verwendet ihr wieder verstärkt diese Sprachsamples und die geben dem Album wieder den letzten Schliff…

Ja, es ist fast wie ein Soundtrack. Speziell der letzte Song ist sehr emotional und tief und ich bin froh, dass wir das so umgesetzt haben.

Kannst du mir mehr zum Ursprung der Sprachsamples sagen? Sind sie echt oder habt ihr sie im Studio gemacht?

Ich kann und will dir das nicht sagen, einfach weil ich nicht weiß, was passiert, wenn ich es tue. Es ist auf jeden Fall echtes Material, mehr will ich dazu nicht sagen.

Im Labelinfo kann man lesen, dass ihr das ganze Thema eigentlich schon auf dem letzten Album hättet behandeln wollen, ihr aber nicht die Zeit hattet, um tiefer einzusteigen. Inwiefern habt ihr euch jetzt in die Sache eingearbeitet, was waren eure Quellen?

Im Grunde haben wir nur den Discovery-Channel angeschaut. Zwei oder drei Mal im Monat gibt es einfach Berichte darüber, teilweise eben erst nachts um drei. Die Geschichte ist letztendlich Fiktion, aber sie basiert auf echte Geschehnisse. Gerade in Schweden gab es vor zwei Monaten wieder so eine Sache mit einem Bischof, ziemlich durchgedrehtes Zeug. Es ist natürlich ein Zufall, aber es ist passiert und hat hier in den Zeitungen viel Aufmerksamkeit bekommen…

Denkst du, dass das Album auf die Art auf eine nicht beabsichtigte Weise ins Rampenlicht geraten könnte?

Ja, vielleicht. Ich bin mir nicht sicher, ob uns das gut tut. Vielleicht wird die ganze Sache unserem Album eine besondere Aufmerksamkeit verschaffen, aber letztendlich haben wir die Geschichte schon vor einer ganzen Weile geschrieben. Solche Dinge passieren….

Wie ist deine persönliche Meinung? sollten solche Leute wie Kriminelle oder wie Geisteskranke behandelt werden?

EvergreyIn Schweden ist es so, dass wenn man als Geisteskrank behandelt wird, man zwei Monate in einem Hospital verbringt und dann läuft man frei heraus. Man muss sie wie Kriminelle behandeln – in meinem Buch. Es gibt natürlich auch immer Ausnahmen zu einer Regel… Aber ja, bringt sie aus dem Verkehr….

Die Realität zeigt ja leider auch, dass unsere Medizin solche Leute oft nicht heilen kann…

Nun, es kommt immer darauf an. Niemand kann dir helfen, wenn du dir nicht helfen lassen willst. Du kannst nicht mit rauchen aufhören, wenn du nicht selbst den Willen dazu hast. Ich persönlich denke schon, dass wir gut geboren werden, alle Menschen…erst das Leben ändert dich.

Ihr tourt sehr viel und arbeitet sehr hart an euren Alben – kannst du mir einen Einblick in euer Leben außerhalb der Band gewähren?

Ich habe kein Leben außerhalb der Band. Wir machen ständig Interviews. Ich mach heute noch ein paar Interviews und dann kann ich hoffentlich noch ein bisschen Zeit mit meinem Sohn verbringen. Aber eigentlich ist alles, was ich derzeit tue, in irgend einer Form mit EVERGREY verbunden. Aber ich beklag mich nicht darüber, das ist das, was ich tun wollte und ich bin froh, dass ich die Möglichkeit dazu habe.

Was waren die letzten drei Alben, die du dir selbst gekauft hast, oder die dich besonders beeindruckt haben?

Nun, ich habe mir die letzte MACHINE HEAD gekauft. Was mich in den letzten Jahren am meisten beeindruckt hat, ist wohl die MESHUGGAH None. Und dann noch Chris Cornell´s Solo-Album. Morgen würde ich dir vielleicht drei andere Alben nennen.

Welche Person würdest du in deinem Leben gerne mal treffen und warum?

(überlegt lange) Ich weiß nicht so recht…Ghandi wäre sicher cool. Pamela Anderson wäre aber auch gut. Ghandi oder Pamela Anderson (lacht).

Wenn du die Chance hättest, Charles Manson zu treffen, was würdest du ihn fragen?

Was ist dein Trick? Zeig mir deine Schazüge! Ich glaube ich würde gar nicht mit ihm reden sondern ihn einfach beobachten wollen. Ich bin nicht inspiriert von ihm, ich mag ihn nicht, aber ich bin schon fasziniert von ihm.

Kannst du dir vorstellen, dass er dich auch zu solchen Taten verleiten könnte??

Vielleicht? Ich kann mir nicht vorstellen, einen Menschen zu erschießen, aber er muss irgend etwas gehabt haben….

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