ANDREW TONG: Puppenmord

Portrait eines ungewöhnlichen Künstlers…

Puppen…kann man sich etwas Harmloseres, Friedlicheres vorstellen? Wohl kaum, doch der Künstler Andrew Tong macht aus diesem unschuldigen Kinderspielzeug verstümmelte, bandagierte, monsterhafte Gestalten und hat auch noch einen Heidenspass dabei 🙂 ! Seine bizarren Kreaturen und auch seine anderen Kunstwerke haben etwas Faszinierendes an sich, und so soll an dieser Stelle mal weniger von Musik die Rede sein, sondern von Puppenaugen, bissigen Hasen und deutschen Vornamen…

Stelle dich zunächst mal den Lesern vor…

Ich heiße Andrew Tong und bin ein Künstler aus London, der mittlerweile im kanadischen Vancouver lebt und arbeitet.

Was hat dich zur Kunst gebracht?

Schon seit ich ein Kind war, habe ich gemalt und Skulpturen erstellt. Malen, Zeichnen und andere künstlerische Betätigungen waren schon immer für mich eine Zuflucht vor den kaputten Zuständen, in denen ich aufgewachsen bin. Ich erfand alle möglichen verrückten Landschaften und fremde Welten. Doch schon in jungen Jahren bevölkerte ich sie mit schrägen, deformierten Geschöpfen und Leuten, die sich blutrünstige Schlachten lieferten. Meine Mutter hielt es lediglich für eine Phase, die ich durchmachte und aus der ich eines Tages herauswachsen würde. Sie meinte immer nur: Das ist ein sehr gut gemachtes Bild, Andrew, aber kannst du nicht mal was Nettes malen? Sie bezog sich dabei auf das bluttriefende Massaker, das ihr ihr siebenjähriger Sohn gerade in die Hand gedrückt hatte. Mein Vater warf nur immer einen Blick auf meine Bilder, schüttelte den Kopf und nahm wieder die Arbeit auf, bei der ich ihn gerade so rüde unterbrochen hatte. Die meisten Lehrer reagierten ähnlich, einer zerriss aus Ekel sogar eins meiner Bilder. Wir hatten jedoch eine Lehrerin, Anne Kay, die ein sehr cooler Hippie war. Sie erzählte all ihren Klassen, dass sie eine Hexe sei, die erkennen könne, wer Böses im Schilde führt, und die denjenigen entsprechend mit einem Fluch belegen könne. Ich habe mich da sehr, sehr gut benommen, hehe. Sie fand, dass ich auch jenseits meiner favorisierten Motive Talent hätte und lenkte mich in Richtung Illustrationen und auf eine Kunstschule, die ich irgendwie sogar mit guten Noten abschloss. Danach arbeitete ich in verschiedenen Designfirmen, u.a. Dunlop Slazenger, wo ich Grafiken für Tennisschläger entwarf. Das war in London und München und verdammt langweilig.

Wie kamst du auf die Idee, ganz normale Puppen auseinanderzunehmen und sie in Frankenstein-Manier wieder zusammenzusetzen?

GüntherPuppen kamen mir schon immer auf irgendeine Art und Weise schräg und unheimlich vor, wie gequälte Seelen, die ihre Unschuld ohne eigenes Zutun verloren haben, als ob ihnen etwas fürchterlich Falsches zugefügt worden ist. Es zeigt sich in ihrem Gesichtsausdruck, der immer besorgt und gestresst wirkt, auch wenn sie es unter einer guten Miene zum bösen Spiel zu verstecken versuchen. Aber sie können keinen damit in die Irre führen… oder ich bin nur ein Irrer, der mit Puppen redet, kicher… Eines Tages stolperte ich über eine alte Puppe in einem Laden in der Nähe. Ich nahm sie mit nach Hause, weil sie so traurig und unglücklich aussah. Ihre Augen hatten so etwas Weiches und Mitfühlendes an sich… also nahm ich sie, kratzte ihre Augen aus, hackte ihre Beine ab und wickelte sie in blutige Bandagen (hysterisches Gelächter) Was für eine Verbesserung! Günter war geboren.

Was brachte dich dazu, deinen Puppen allen deutsche Vornamen zu verpassen?

Das schien einfach zu passen. Ich wollte ihnen ihre eigene Identität verschaffen und für jede einen Namen auswählen. Zunächst probierte ich es mit altbackenen englischen Namen wie Daisy und Rosie, aber die wirkten irgendwie zu nett und zu glücklich. Es passte einfach nicht zusammen. Doch dann schlug meine Freundin Ramona Namen wie Günter, Hilda und Helga vor. Ich war begeistert, es passt perfekt zu den Puppen und betont die finstere Aura, die ich erschaffen wollte… ich hoffe, ich bin da nun niemandem auf den Schlips getreten, hehe…

Wieviel von deiner Persönlichkeit fließt in deine Kunstwerke mit ein?

Hundert Prozent. ´Tschuldigung, Mum! Gut, dass sie kein Deutsch kann. Ganz schön unheimlich, was, hehe!?

In allen Feldern der Kunst sprechen die, die sie erschaffen, immer wieder von dem reinigenden Effekt, den ihre Tätigkeit auf sie hat. Fühlst du auch diese Katharsis?

Ich bin dankbar für diese Gabe, da ich damit all den Mist, der uns im täglichen Leben umgibt, rauslassen und artikulieren kann. Und ich verbrachte lange Zeit damit, mich in den finsteren Eingeweiden der Existenz in England und Nordamerika durchzuschlagen. Statt dass ich zulasse, dass das mich umbringt, drehe ich den Spieß rum und benütze diese Erfahrungen für meine Kunstwerke, was enorm hilft.

Wie gehst du üblicherweise vor? Hast du bereits eine konkrete Vorstellung davon, was du erschaffen willst, bevor du es umsetzt? Oder entwickeln sich deine Werke im Schaffensprozess?

Ein bißchen von beidem. Normalerweise ist da schon eine Idee bzw. ein Ausgangspunkt, von wo aus ich mich sofort daran mache, dies umzusetzen, wobei sich alles Weitere bei der Arbeit entwickelt. Ich bin keiner, der alles bis ins letzte Detail durchplant, bevor ich mich an die Arbeit mache. Es macht einfach mehr Spaß, selbst dabei zuzusehen, wie sich etwas Stück um Stück zusammenfügt. Hinzu kommt, dass ich eine sehr niedrige Aufmerksamkeitsspanne habe und mir leicht langweilig wird, gerade wenn ich schon im Vorhinein weiß, was am Ende herauskommen wird. Dann könnte es ja keine Katastrophen mehr geben, hehe!

Du hattest bereits Ausstellungen in Galerien in Vancouver. Wie fühlte sich das an? Warst du stolz darauf oder war da nicht auch ein komisches Gefühl mit dabei, alle möglichen Leute, die du nie zuvor gesehen hattest, dabei zu betrachten, wie sie deine Kunst anschauten und beurteilten?

All die Ausstellungen, an denen ich teilgenommen habe, hinterließen ein seltsames Gefühl in mir, nicht wegen dem, was die Leute dachten, sondern weil ich ein Perfektionist bin. Ich entdecke ständig noch Feinheiten, die ich gerne anders gemacht oder noch weiter fertiggestellt hätte. Was die Reaktionen der Leute angeht, so freute es mich mehr, wenn welche meinten, dass meine Sachen total kaputt, krank oder einfach nur iiih, wie ekelhaft seien, als wenn ich zu hören bekam, was für ein großartiges Werk dies sei. Bei einer Ausstellung, in der ich vor ein paar Monaten vertreten war, hatte jemand ins Kommentarbuch geschrieben, dass ich mich in psychiatrische Behandlung begeben solle. Ich fand das stark, weil meine Arbeit scheinbar einen Nerv getroffen hatte (lacht).

Wie gestaltet sich die Kunstszene in Vancouver? Gibt es eine Art Gemeinschaft oder werkelt jeder nur vor sich her?

Ich würde untertreiben, wenn ich behaupten würde, dass die Kunstszene hier schon seit jeher ziemlich lasch war. Aber in letzter Zeit sind viele Künstler aus dem alternativen Untergrund, speziell aus Kalifornien, hier hoch gezogen, was sehr cool ist. Das meiste aus dieser Ecke ist sehr gut gemacht, von Hot Rod-Verzierungen über Tätowierungen und Graffiti bis hin zu Krankem und Abgefahrenem. Ich fühle mich mittlerweile also endlich heimisch. Es gibt eine große Gemeinschaft, und die Ausstellungen geben einem eine gute Gelegenheit, Rückmeldungen auch von anderen Künstlern zu erhalten. Was den produktiven Teil angeht, so habe ich aber schon immer für mich selbst gearbeitet.

Inspiriert dich Vancouver und Kanada allgemein besonders?

Sehr, nicht zuletzt, weil ich nun schon seit zwölf Jahren hier lebe. Vancouver ist ein Ort der Extreme. All die Besucher und Touristen halten Vancouver für eine der schönsten Städte der Welt mit den Postkartenmotivbergen und Stränden, aber hier ist auch einer der größten Häfen der Welt, über den riesige Mengen Heroin und Kokain sowie das damit Hand in Hand gehende Verbrechen eingeschleppt werden… von sich gegenseitig umbringenden organisierten Banden über ein außer Kontrolle geratendes Drogenproblem bis hin zu massenhafter Obdachlosigkeit und Prostitution. Und man muss nicht mal weit weg von den Touristenfallen gehen, um all dies mitzukriegen. Das ist alles sehr traurig. Ich wurde davon aber nicht nur Zeuge, sondern erlebte es am eigenen Leibe, was mich beinahe ins Grab gebracht hätte. Ich sah mich irgendwann vor die Wahl gestellt, entweder durch den ganzen Scheiß umzukommen oder ein chaosfreies Leben zu führen, in dem ich das tun kann, was ich liebe. Drogen sind nichts Glorreiches, nicht der Kinderkram, für die ich sie zunächst hielt. Es war ein Abstieg in die Hölle, den man sich nicht vorstellen kann, wenn man nicht selbst dort gewesen ist. Es hat mein Leben gezeichnet und auch meine Wahrnehmung der Welt geprägt, gerade im Bezug darauf, wie bösartig und eigensinnig wir Menschen sein können. All diese Erfahrungen drücke ich nun in meinen Arbeiten aus, was mir in der Seele gut tut.

Wie lange arbeitest du für gewöhnlich an einer Skulptur oder einem Gemälde? Wie erkennst du, dass ein Werk die Stufe erreicht hat, auf der es fertig ist?

Wenn ich ehrlich sein soll, so sind meine Werke nie wirklich fertig. Also arbeite ich normalerweise immer an mehreren Sachen zugleich, ohne zunächst zu viel Zeit in eines zu investieren. Wenn sie jedoch nicht sofort verkauft werden, überarbeite ich sie wieder und wieder und wieder… Ich habe hier zum Beispiel ein Bild rumstehen, das ich vor zehn Jahren begonnen habe, bei dem ich inzwischen den Überblick verloren habe, wie oft ich es in der Zwischenzeit überarbeitet habe. Mein erster Gedanke, wenn ich ein Werk von mir an den Mann gebracht habe, ist also für gewöhnlich Oh nein, nun kann ich es nicht mehr ändern! Hilfe! (lacht).

Hat Musik Einfluss auf deine Arbeiten?

Sicherlich, je finsterer, desto besser, weshalb ich viele finstere deutsche Bands liebgewonnen habe, das ist die Schuld meiner Freudin, sie hat mich damit infiziert. Oh, und DEPECHE MODE mag ich sehr, ich liebe ihre Musik, und schließlich hatten wir ja auch mal gewisse schlechte Angewohnheiten gemeinsam…

Welches CD-Cover ist dein absoluter Favorit?

Ich mag die ROB ZOMBIE-Inlays sehr. Der Stil erinnert mich an diese Horrorcomics aus den Sechzigern und Siebzigern, die mir mein Onkel immer gab, als ich noch ein Kind war, gesegnet sei er. Da spielt also Nostalgie eine große Rolle. In den Siebzigern gab es einen Typen namens Patrick Woodruffe, der absolut faszinierende Visionen, Träume und Alpträume gezeichnet hat. Er hat einige Cover für GREENSLADE und BUDGIE erstellt, wenn ich mich recht erinnere, aber hauptsächlich entwarf er Buchcover. Seine Arbeiten sind genial und seine Vorstellungskraft jenseits von allem Dagewesenen. Er war ein großer Einfluss für mich. Davon abgesehen bin ich leicht von allem begeistert, das gut gemacht und ein bißchen abgefahren ist.

Hegst du den Traum, eines Tages von deiner Kunst leben zu können?

Seit ich mich der Kunst wieder voll widme, viel fertigstelle und mein Portfolio sich langsam füllt, haben sich mir einige Türen geöffnet. Von den Puppen mal abgesehen male ich sehr viele Bilder, was gewissermaßen auch meine erste große Liebe war. Im Moment entwerfe ich ein Airbrush-Design auf einer Harley Davidson, die auf einer Einzelstückausstellung in Vancouver zu sehen sein wird. Es sieht also nicht schlecht aus, Aufträge beginnen einzutrudeln…

Soweit Andrews Kommentare zu seinen Kunstwerken. Abschließend bat er mich, darauf hinzuweisen, dass er gerne auch für interessierte Bands das Coverartwork übernehmen würde, und überließ uns großzügigerweise diesen niedlichen mutierten Hasen zur Verlosung (siehe Bild unten!). Wer also einen besonders passenden Namen für diesen possierlichen kleinen Racker hat, schickt eine Mail an verlosung@vampster.com, der originellste Namensgeber darf ihn sich ins Zimmer stellen, wobei Andrew mich bat, davor zu warnen, die Finger nicht zu nahe an das kleine Hasenmäulchen zu bringen, hehe!

Kontakt: andrewtong@gmx.net

Dieser

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